Curse
»Ihr wisst nicht, wer ich bin …« –
Die definitive Geschichte von »Feuerwasser«
Mit der Veröffentlichung seines Debüts »Feuerwasser« bugsierte sich Curse vor 15 Jahren vom Hinterland-Rapper zu einem der größten MCs des Landes. Wie es dazu kam? Das erzählen Curse, sein Team, die Feature-Partner und Supporter nun hier. Das ist die definitive Geschichte von »Feuerwasser«.
Curse hat »Feuerwasser« nie für uns gemacht, sondern in erster Linie für sich selbst. Deswegen ist »Feuerwasser« nicht nur ein persönliches Album, sondern ein privates. Es ist die Konversation eines Künstlers mit seiner Welt – seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Daher ist »Feuerwasser« so sprunghaft und vielschichtig, so konfrontativ und verletzlich, so Lederjacke und Liebeslieder, Rowdytum und Reminiszenz, so hingerotzt und bedacht, so laut und leise – eben irgendwie alles auf einmal, aber trotz alledem so stimmig und so, ja: richtig. Man hört dem Album seine Unentschlossenheit auch 15 Jahre nach Veröffentlichung an. Das Bindeglied dieses musikalischen, inhaltlichen und emotionalen Flickenteppichs ist und bleibt Curse selbst.
Natürlich können viele Menschen Geschichten über »Feuerwasser« und damit die Geschichte von »Feuerwasser« erzählen. Deswegen haben wir diese Menschen gefragt: Die unmittelbar Beteiligten, wie die Produzenten Sascha »Busy« Bühren, Lord Scan, PeerBee, Feedback und Iman. Curse‘ Manager Götz Gottschalk, seine ehemaligen Label-Menschen bei Jive wie Produktmanagerin Bettina Berger und A&R Philipp Jung. Dazu »Feuerwasser«-Feature-Gäste wie J-Luv, Tone, Italo Reno & Germany, aber auch frühe Supporter wie Cora E., die Stiebers, STF, DCS, Toni L, Roey Marquis II. oder Aphroe. Und natürlich haben wir auch Deutschrap-Auskenner wie DJ Kitsune, den ehemaligen »Juice«-Chefredakteur Chris Maruhn und Falk Schacht zu ihren »Feuerwasser«-Insights befragt.
Sie alle sollten zu Wort kommen, um die Entstehung dieses Genre-Meilensteins bestmöglich zu beleuchten. Jenen Meilenstein, der dieses Jahr 15. Geburtstag feiert, was mit einer großen, exklusiv von ALL GOOD präsentierten »Feuerwasser 15«-Tour ab November zelebriert wird. Außerdem erscheint am 20. November eine Re-Edition des Albums, auch als limitierte Collector’s Edition, in der neben Sechsfach-Vinyl und allerlei Bonus-Material auch das Buch »Warum hört ihr mir eigentlich zu?« enthalten ist, das die Autoren von ALL GOOD geschrieben haben. Diese limitierte »Feuerwasser 15«-Edition kann man ab sofort hier vorbestellen.
Nun aber zur definitiven Geschichte von »Feuerwasser«:
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Curse: Als wir anfingen, rumzudölmern, gab es noch nicht mal »Fremd im eigenen Land«. Folglich habe ich auch nur amerikanischen Rap und ein bisschen Britcore aus England gehört. Meine Mutter hat ja mehrere Jahre in den USA gelebt und ich wollte auch immer unbedingt dorthin. Minden und Bad Oeynhausen hatten Anfang der Neunziger ja auch keinen Anschluss an irgendeine Form von deutscher HipHop-Szene, die mussten wir selbst machen. Busy hing zu der Zeit dann eher viel mit GIs herum, hatte auch schon eine Platte mit der Gruppe Blaque gemacht und mich auch oft mit zu Shows genommen, bei denen er aufgelegt hat.
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Busy: Ich habe früher Baseball gespielt. Und auf dem Mindener Stadtfest haben wir unseren Verein vorgestellt. Wir haben da voll einen auf Ami gemacht und mit einem dicken Ghettoblaster die neusten Hits aus den USA gespielt. Es lief den ganzen Tag Das EFX und EPMD. Und dann stand da auf einmal Mike – ein kleiner schmächtiger Typ mit einem Mecki-Haarschnitt, dicker Brille und einem Umhänger mit dickem Afrika-Symbol aus Holz um den Hals. Der sagte dann, wie geil er es fände, dass wir hier Rap spielen und dass er selbst hier auf der Bühne auftrete. Und dann fragte er: »Kennt ihr diese Band Blaque aus Bad Oeynhausen? Von denen schon mal was gehört?« Mein Kumpel ist gleich drauf eingestiegen. »Klar kenn ich die!« Mike hat dann nachgelegt: »Ja, das sind doch zwei weiße Rapper und ein schwarzer DJ!« Daraufhin mein Kumpel: »Ne, du. Das sind zwei schwarze Rapper und ein weißer DJ. Und der DJ steht hier direkt neben dir!« Mike ist erst mal ziemlich in sich zusammengefallen, aber hat dann gleich die Chance gepackt und gefragt, ob er mal bei mir vorbeikommen kann und mir was von sich vorspielen. Ich dachte dann schon, dass ich jetzt so einen 13-jährigen Stöpsel bei mir in der Bude habe. Schließlich war ich schon 20 und da sind sieben Jahre Altersunterschied schon eine lange Zeit. Zu dem Zeitpunkt war Rap auf Deutsch für mich sowieso nicht existent. Die Deutschrap-Szene war für mich einfach nicht relevant. Irgendwann war Mike dann mal bei mir im Studio zu Besuch. Seine Mutter hat ihn zu mir gefahren. Das war auch für mich völlig absurd. Ich habe ja damals normalerweise mit Ami-Rappern zusammengearbeitet, die fünf Jahre älter waren als ich. Noch absurder war, dass Mama Curse mit im Keller saß. Während ich mit Mike die ersten Probeaufnahmen gemacht habe, saß seine Mama bei mir auf der Couch und schälte ab und zu für ihren Jungen einen Apfel. Die wollte mich natürlich auch erst mal kennenlernen. Erst als das Vertrauen da war, hat sie ihn nur hingebracht und abends dann wieder abgeholt.
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Curse: Meine ersten deutschen Texte habe ich quasi aus Spaß geschrieben, als ich 13 oder 14 Jahre alt war. Da sollten wir in der Schule ein Gedicht schreiben und ich habe einen Rap-Text daraus gemacht. Ernst genommen habe ich das aber nicht. Ich habe eigentlich von Anfang an immer auf Englisch geschrieben. Mitte der Neunziger war ich dann in einer Band mit dem Namen Phat Kicks, in der ich mit meinen Nachbarn zusammen Crossover gemacht habe. Auf unserer ersten CD war ein deutschsprachiger Song mit dem Titel »Zweimal in den Kopf«. Es hätte eigentlich damals schon klingeln sollen – denn immer wenn wir den gespielt haben, sind die Leute auf den Song ausgeflippt. Das war quasi unser Hit. Der Umschwung zum deutschen Rap kam dann dadurch, dass ich in Amerika war und mit Leuten wie Non Phixion, Company Flow oder irgendwelchen Underground-Rappern auf Englisch gecyphert habe und die Leute immer gar nicht glauben konnten, dass ich aus Deutschland kam. Viele wollten dann mal hören, was so in der deutschen Rap-Szene geht. Ich habe dann ein paar Sachen vorgespielt und das Feedback war immer: »Was?! Die flowen nicht mal annähernd so wie du. Warum rappst du nicht auf Deutsch?«
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Lord Scan: Curse und ich sind ab 1994 ein paar Jahre dauernd miteinander rumgehangen. Wir haben Musik gehört, Texte geschrieben und herumphilosophiert. Ein Kumpel, der ab und zu neue Rap-Tapes hatte, kam irgendwann mal mit einer Aufnahme von Curse und seiner damaligen Hardcore-Band Phat Kicks an. Der Track hieß »Zweimal in den Kopf« und war auf Deutsch. Das war unglaublich für die Zeit und hat mich förmlich umgehauen, vor allem weil wir in der gleichen Stadt gewohnt haben. Zu der Zeit gab es HipHop in kleineren Städten quasi noch nicht. Curse und ich gehörten zu den Allerersten in Minden, die man mit weiten Hosen herumlaufen sehen konnte. Curse ging damals aufs Gymnasium, das direkt um die Ecke von der Gesamtschule lag, auf die ich ging. Zu der Zeit hab ich mir schon regelmäßig die Nächte in Mindens Innenstadt um die Ohren geschlagen. In diesem Zusammenhang habe ich auch mal dem Schulhof des Gymnasiums einen Besuch abgestattet und Curse dort unbekannterweise gegrüßt. Das hat sich dann schnell rumgesprochen, und irgendwann haben wir uns in einer der großen Pausen kennengelernt. Ich war gerade erst dabei, mich aus der Bedeutungslosigkeit zu kämpfen, während Curse schon in den Staaten war, auf Englisch freestylen konnte und bereits eine Band hatte.
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Curse: Lord Scan von Der Klan, der jahrelang mein bester Freund war und mit dem ich sehr viel Zeit verbracht habe, hat damals schon auf Deutsch gerappt. Vor meiner Abreise meinte er auch schon zu mir, ich solle es doch mal versuchen. Aber ich habe mich dann erst in Amerika mit 16 hingesetzt und neben dem Unterricht am College mir quasi noch selber Deutschrap-Unterricht gegeben. Ich habe mich über Wochen und Monate stundenlang hingesetzt und auf Deutsch geschrieben. Es liefen die Tracks von Mobb Deep, Nas, Mic Geronimo, Tragedy Khadafi, Rakim oder Raekwon und ich habe die Lyrics von diesen Songs in meinem Kopf mit deutschen Worten verquickt, Sätze umgeschrieben, Silben anders gesetzt und an Betonungen gefeilt, bis ich das Gefühl hatte, dass das, was ich dort auf Deutsch rappe, sich so anhört, als wär es der New-York- Flow. Im Anschluss habe ich dann drei oder vier Texte geschrieben.
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Busy: Seine Texte waren damals schon außergewöhnlich gut geschrieben. Er hat dazu akzentfrei auf Englisch gerappt. Wir haben ja dann auch sehr, sehr lange gemeinsam an Demos gearbeitet. Am Anfang war ich nicht sein großer Bruder – ich habe mich auch wirklich nie so gefühlt. Anfangs war das eher ein Auftrag für mich. Ich habe mit ihm Demos produziert und er konnte darauf rappen. Mit der Zeit wurde der Altersunterschied unwichtig und wir wurden dicke Freunde. Mike war für sein Alter ziemlich weit. Ich war ja nach meiner Zeit mit Blaque wieder zurück in meinem Job als Radio- und Fernsehtechniker und habe eben in meiner Freizeit Musik gemacht. Um wieder die Musik zum Beruf zu machen, gab es für mich nur eine Möglichkeit: Ich musste produzieren, produzieren, produzieren. Und irgendwann würde ich vielleicht den Punkt erreichen, an dem ich das beruflich machen kann. Mit Mike hatte ich eben diesen Typen im Studio, der es tierisch drauf hatte, aber man einfach noch nicht wusste, wohin es gehen soll. Ich fühlte mich damals schon zu alt, um auf die ganzen Jams zu tingeln. Aber das hat Mike dann gemacht. In den ersten Jahren, in denen Mike bei mir war, war er ja noch gar nicht Curse. Da war er Little Mic. Dann war er Hedshogg. Das »Curse« kam erst viel später in der Zeit, als er in den Staaten studierte.
- »Deutsche, die auf Englisch gerappt haben, waren ja eigentlich immer ein bisschen peinlich.« (Cora E.)Auf Twitter teilen
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Cora E.: Ich hab zum ersten Mal von Curse bei einem Auftritt von mir und den Stiebers gehört. Er hat da gerappt, noch komplett auf Englisch und wir waren total geflasht davon. Und dann haben wir ihn angesprochen und wollten wissen, woher er kommt. Deutsche, die auf Englisch gerappt haben, waren ja eigentlich immer ein bisschen peinlich bis dato. Curse war der Erste, bei dem das in Aussprache, Inhalten und Flow wie nie gehört war. Und damit war die Connection da und wir haben immer mehr Zeit verbracht.
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Curse: Ich habe mit Lord Scan die erste Mindener HipHop-Jam veranstaltet. Dort waren STF, DJ Lifeforce, Raid – also Aphroe und Wiz – und noch eine Menge anderer Leute, die dann alle bei meinen Eltern im Keller gepennt haben. Damals habe ich total mit Fast Forward connectet und ihm mein englischsprachiges Demotape gegeben, was ihm echt gut gefallen hat. Auf der Jam haben sich auch Wiz und Busy angefreundet.
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Fast Forward: Ich kann mich auf jeden Fall an eine Jam in Minden erinnern, bei der das Gebäude – ein bestimmt sieben Stockwerke hohes Ding – in dessen oberstem Geschoss wir gespielt haben, wegen einer Bombendrohung ein paar Stunden geräumt werden musste. Wir sind dann aber doch aufgetreten. Eventuell war das besagte Jam… Ich erinnere mich auf jeden Fall, dort mit Wiz über Harddisk-Recording und Soundkarten gefachsimpelt zu haben.
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Italo Reno: Ich meine, ich war zwölf oder 13 Jahre alt und habe Mike auf dem Basketballplatz am Herder-Gymnasium in Minden kennengelernt, wo wir rumgehangen und Basketball gespielt haben. Ich kannte ein paar Jungs von der Schule und die kannten wiederum ihn. Er war damals schon immer mal wieder in den USA. Ich war zu dem Zeitpunkt Mitglied in einer Band und habe danach in einer Hardcore-Band Schlagzeug gespielt. Rap war aber meine große Liebe, seitdem ich mit elf Jahren mein erstes Tape von Public Enemy bekommen habe. Ich meine mich zu erinnern, dass ich bei unserem ersten Treffen Beatbox gemacht habe und er gerappt hat. (lacht) Wenn man es verfilmen würde, wäre das wohl die typische Kennenlernszene. Wir haben uns dann ausgetauscht und immer öfter getroffen. Irgendwann lernte ich dann über ein paar Jungs aus der Crossover-Gruppe auch Scan kennen, und irgendwann kam später Germany dazu, den ich aber schon kannte, seitdem wir Kinder waren. Mike und Scan haben dann ein paar Jahre später die erste Broketown-Jam organisiert. Bei der Jam hatte ich meinen ersten Rap-Auftritt. Das war ziemlich komisch, weil damals schon RAG und krasse Writer wie Atom One dabei waren. Für mich etwas unwirklich, weil diese Leute schon so viel Fame hatten. Aber ich habe zwei Songs auf Beats von Scan gerappt und fühlte mich vom einen auf den anderen Tag als Teil der HipHop-Szene.
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Aphroe: Mein Kurzzeitgedächtnis sagt mir, dass Mike und Scan 1995, ‘96 eine Jam in Minden organisiert haben, zu der sie ihre damaligen Idole einluden. Zu der Zeit waren das unter anderem noch STF und wir als Raid. Scan ist damals noch solo als Der Wortmutant aufgetreten – verrückt war der schon immer. Ich meine, »Gipfeltreffen« von Tatwaffe, Scope und mir war noch nicht erschienen zu der Zeit. Curse war ein super offener, wissbegieriger, selbstbewusster, respektvoller Dude. Und ein guter Gastgeber. Ich denke, es war der Abend, an dem er uns sein gelbes Demo gab – hauptsächlich auf Englisch und teilweise bilingual switchend zwischen Deutsch und Englisch im selben Satz. Das war das Flashigste an dem Tape, neben dem Flow und der Stimme, die schon damals sehr hervorstach. Man hat ja zu der Zeit gerade sehr auf Walkin’ Large gefeiert und hier war eine ähnliche Qualität am Start – nur lyrically noch komplexer. Außerdem hat er uns alle im Haus seiner Eltern untergebracht.
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Curse: Nach meinem ersten von zwei Jahren in den USA bin ich zu Busy gegangen und wollte meine deutschsprachigen Sachen recorden. Daraufhin hat Busy dann gesagt, dass er das nicht will. Daraufhin habe ich dann einen Deal mit Busy gemacht. Ich meinte zu ihm: »Ich habe in den USA jetzt MC Serch und eine ganze Menge anderer Rapper kennengelernt. Du gibst mir deine vier besten Beats, auch wenn die schon an deine komischen GI-Freunde vergeben sind. Ich mache vier Tracks auf Deutsch und vier Tracks auf Englisch da drauf. Dann bringe ich das deutsche Zeug hier unter die Leute und das englischsprachige in Amerika und wir gucken, was passiert.« Das war dann in Ordnung für Busy. (lacht) Zu der Zeit hatte Busy ein Studio in der Garage von seinem Cousin. In der Garage gab es einen Raum, in dem die Autos und die Fahrräder standen und einen, in dem das Studio war. Dort stand in einer Ecke das Mikrofon und an der Wand hing ein Pirelli-Kalender.
- »Ab da gab es kein Zurück mehr.« (Busy)Auf Twitter teilen
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Busy: Mike war ja dann in Amerika und als er zurückkam, hat er nur noch auf Deutsch gerappt. Das war auch für mich ein sehr wichtiger Punkt. Das muss wohl so 1995, ‘96 gewesen sein. Da habe ich mich mit meinem Cousin zusammengetan, der ein Funk- und Soul-Plattensammler war mit knapp 6.000 Platten. Mein Cousin Christoph hat dazu auch begeistert Studio-Equipment gesammelt. Er hat sich alles gekauft, konnte es aber nicht richtig bedienen. Ich konnte es und war mit der Technik immer vertraut. Deswegen haben wir gedacht, dass wir vielleicht zusammen in der Werbemusik-Branche Fuß fassen könnten. Und dann kam Mike um die Ecke und meinte, dass er sein Ding bei mir aufnehmen möchte. Auf Deutsch. Er war davon überzeugt: Das ist genau das, was abgehen wird. Mein Cousin und ich haben nur mit dem Kopf geschüttelt und gedacht, dass Rap auf Deutsch einfach nicht funktionieren wird. In einer legendären Nacht-Session, wir hatten damals auch Besuch von Mr. Wiz, haben wir dann bei Christoph zu Hause das originale »Alles real« aufgenommen. Davon gibt es leider keine Aufnahme mehr, weil wir das Tape damals auf dem Nakamichi Dragon aufgenommen haben. Das war unser Master quasi. Davon hat Mike dann mehrere Kopien angefertigt und auf Jams verteilt.
Jetzt kommt aber der entscheidende Punkt: Für Christoph wurde das alles ein wenig zu viel. Er wollte sich da rausziehen. Da hatten wir schon unser Studio bei mir im Keller aufgebaut. Er konnte eben nichts mit deutschem Rap anfangen und wollte das Studio einfach wieder abbauen. Ohne seine Sachen hätte ich aber nichts gehabt. Gar nichts. Und dann kam Mikes Mutter, die sagte, dass es jetzt einfach zu schade für ihren Jungen wäre, wenn an dem Punkt Schluss sei. Deswegen sagte sie, ich solle Christoph einfach mal fragen, was er für das Mischpult und den ganzen Kram haben will, damit wir weiter produzieren können. Mikes Mutter hat das Geld dann vorgestreckt und gesagt: »Ich zahl das, damit du die Sachen von Mike fertig machen kannst. Und du zahlst mir das Ganze einfach Stück für Stück zurück.« Parallel dazu hat Mike das »Alles real«-Tape auf eine Jam in Essen mitgenommen und da die Stiebers und Cora getroffen. Das war für uns beide der Moment des Durchbruchs. Ab da gab es kein Zurück mehr.
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Curse: Als ich 1997 aus den USA zurückkam, war auch Wiz gerade bei Busy zu Gast. Ich bin dann in die Aufnahmekabine, habe meinen ersten deutschen Track, »Alles real«, recordet. Als ich fertig war, meinte Busy: »Ich glaube, da müssen wir mal reden.« Ich: »Hä, wieso das denn?!« Er: »Ich habe das ja gar nicht so auf dem Schirm gehabt, aber der Wiz hat mir eben gesagt, dass ich hier eben die Zukunft des deutschen HipHop aufgenommen habe.« Wiz saß die ganze Zeit nur mit einem Grinsen im Gesicht daneben und meinte: »Nimm sofort die anderen Songs auf. Wir spielen in ein paar Tagen mit Raid auf einer großen Jam in Essen. Da sind Cora E., die Stieber Twins, Die Firma und viele andere. Überspielt die Kassette ein paarmal. Ich nehme dich mit da hin und dann werden wir sehen, was passiert.« Dann bin ich eine Woche später auf diese Jam in Essen gefahren. Wiz hat sich dort sehr für mich eingesetzt und allen Leuten mein Tape vorgespielt. Wir saßen dann im Golf von Martin Stieber und haben das Demotape durchgehört. Ich konnte es nicht fassen. Meine Helden haben meine Musik gefeiert – das war ein unvergesslicher Moment. Ich war damals erst 17 Jahre alt und kam aus dem Nichts.
Martin Stieber hat in den darauffolgenden Wochen seine SP eingepackt und ist nach Bad Oeynhausen gefahren, weil er gesagt hat: »Ich will den Typen kennenlernen, der solche Beats macht!« Scope und Fast Forward haben mich dann auch nach Köln eingeladen. In den darauf folgenden Wochen, in denen ich noch Semesterferien hatte und in Deutschland war, hatte ich Angebote von Put Da Needle To Da Records und MZEE Records auf dem Tisch. Ich war auf den Alben den Stieber Twins und Cora E. und Busy hat das Album darüber hinaus auch noch produziert, La Familia wurde gegründet, ich hatte ein Feature auf dem Album von Die Firma. Ich musste aber wieder zurück in die USA. Natürlich war ich auf dem Standpunkt: »Fuck USA, ich gehe auf keinen Fall zurück zum College.« Das haben meine Eltern natürlich etwas anders gesehen und haben einen Deal mit Busy gemacht. Vier Wochen, nachdem er noch mit deutschem Rap nicht so wirklich etwas anfangen konnte, kam er zu mir und meinte: »Ich bin ja jetzt ein gefragter Mann und muss das Cora-E.-Album produzieren. Ich habe sowieso keine Zeit für dich und du musst zurück nach Amerika!« Das hatten meine Eltern geschickt gespielt. Aber heute sage ich: »Danke Mama, danke Papa, danke Busy!« (lacht) Ich bin dann auch wirklich noch mal ein Jahr zurück, aber es kamen viele nette Carepakete und jede Menge Support aus Deutschland. Akim Walta hat mir Jacken, Hoodies und CDs von MZEE in die USA geschickt, Fast Forward hat mir Vinylplatten klargemacht und oft angerufen. Die Stiebers, Torch, Tatwaffe und Scope habe ich dann in New York getroffen, als sie dort zu Besuch waren.
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Fast Forward: Das erste Mal haben wir Curse an der Hall Of Fame in Köln Ehrenfeld getroffen, im Rahmen irgendeiner Jam, oder möglicherweise einer Popkomm-Veranstaltung. Es könnte auch ein MZEE Frisch gewesen sein. Das mag 1996 oder gar schon 1995 gewesen sein. Mike hatte damals sein gelbes Tape mit so einem kopierten Foto in Fischaugen-Optik dabei, auf dem auch schon »Alles real« drauf war sowie ein weiterer deutschsprachiger Track und zwei englische. Insgesamt also vier Tracks. Ich habe mir das ein paar Tage später mal im Auto angehört und war baff, dass ein auf Deutsch bis dato unerreichtes Niveau an Raps von so einem Jungspund kommt. Ich meine, Mike war damals erst 16 Jahre alt! Auch Busys Produktionen waren fett. Minden war HipHop-mäßig damals ja noch Niemandsland. Ich habe ihn dann angerufen und wir sind in Kontakt geblieben. Ich meine, ich habe ihm meine LP, die 1996 rauskam, dann in die USA hinterhergeschickt.
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Martin Stieber: Bei einem Auftritt mit RAG und Spax in Essen, es muss 1995, 1996 gewesen sein, wurde mir Curse von Aphroe als »Curse, das neue Wunderkind« vorgestellt. Wenn das der Aph sagt, dachte ich, muss an dem unscheinbaren Typen aus Minden wohl etwas dran sein. Nach dem Auftritt fanden wir uns im alten Ford Fiesta von Aph wieder, um das heiße Curse-Demotape »Alles real« in das Tapedeck zu schieben – ich war gespannt. Ich saß auf der Rückbank, Aph auf der Fahrerseite, Curse vor mir. Was ich hörte, kannte ich bis dato nicht, zumindest nicht vom Deutschrap. Busys Produktion hat mich schon nach den ersten vier Bars derart geburnt, dass mir die Tränen in die Augen schossen. Und als Curse dann zu hören war, fragte ich mich, wie es möglich sein kann, Aussage und Flow so perfekt miteinander harmonisieren zu lassen, dass objektiv kein Unterschied mehr zwischen dickster Ami-Rapmucke und Deutschrap auszumachen war. Ich war so baff von diesem Newcomer, dass ich meinen Bruder Chrissy ins Auto zitierte. Er sollte es auch hören. Es war erneut ein magischer Moment. Mein Bruder war ebenfalls beeindruckt. Bingo: A new german rap era was born! Wir haben unsere Kontaktdaten ausgetauscht. Mir war klar, den Typ muss ich unter die Lupe nehmen. Wer ist das? Was macht der im normalen Leben? Wo kommt er her? Wer macht die Beats? Und schon am darauffolgenden Wochenende war ein Besuch bei Curse geplant. Ich freute mich riesig auf den Trip ins Neuland des Neuraps und ballerte mit meiner SP-1200 im Kofferraum von Heidelberg nach Minden – genauer genommen nach Petershagen. Dort lebte der damals 16-jährige Michael Sebastian Kurth aka Curse bei seinen Eltern. Kaum angekommen und herzlichst begrüßt, haben wir dann stundenlang über Ami-Rap aus New York gefachsimpelt.
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Chris Maruhn: Eines bemerkenswert schönen Tages im Jahr 1996 landete ein sehr schlichtes Demotape auf meinem Schreibtisch. Ich stand im Rahmen meines HipHop-Fanzines »In Full Effect« in einem sehr produktiven Kontakt mit Machern und Multiplikatoren wie zum Beispiel René Goldenbeld von Showdown Records, Peter Sreckovic von Put Da Needle To Da Records, Johannes »Strachi« Strachwitz aus dem 0711-Büro und Götz Gottschalk. Letzterer war bekanntlich – nach zahlreichen anderen großartigen und ebenfalls wegweisenden Acts – Manager von Curse, entsprechend hatten wir kurze Wege. Als ich damals dann eben zum ersten Mal Mikes Demotape einlegte, Play drückte und komplett durchhörte, war ich gefesselt – wie bei einem extrem gut inszenierten Thriller. Die Klarheit seiner Sprache, aber auch die Klarheit seiner Aussage markierte ein neues Level im Deutschrap, der ja bis dahin noch deutlich unprofessionellere Züge als das hier trug. Die Beats entwickelten eine perfekte Grundlage dafür, besaßen einerseits eine hypnotisierende Sogwirkung, aber ließen auch Luft und Raum für seine äußerst markante, glasklare Stimme, waren aber dabei on point und druckvoll – wie eine bestens geölte Maschine!
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Toni L: Es muss 1996 gewesen sein, als uns Martin und Christian Stieber mit einem jüngeren Kerl im Schlepptau in unserem Heidelberger Studio besuchen kamen. Sie stellten uns Curse als einen sehr talentierten Rapper vor. Er war ein anfangs unscheinbarer, aber sehr sympathischer Typ. Als ich seinen Rap das erste Mal hörte, war klar, dass er ein krasses Talent war. Ich befand mich gerade in den letzten Zügen der Aufnahmen meines Albums »Der Pate« und so bekam er ein Angebot, dass er nicht ablehnen konnte. Das war für Curse das erste Mal auf Platte, es war quasi seine Taufe im Hause 360° Records. Man kann sagen, es war seine Taufe – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Aufnahmen liefen straight. Er hatte seinen Rap für den Song, soweit ich mich erinnern kann, über Nacht geschrieben und ihn dann direkt eingerockt. Dann kam noch Aphroe mit dem Zug eingerollt und hat seinen Hammerpart dazu gegeben – und fertig war das Brett!
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Curse: Torch hatte gesagt, ich solle doch zu 360° kommen. Das war eine riesengroße Ehre, aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass das nicht zu tausend Prozent serious sei. Akim Walta von MZEE hat auch immer irgendwie mal Lust signalisiert, aber es gab nie so ein richtig konkretes Angebot und auch wenn zwischen mir und Akim immer alles cool war, wusste ich nicht, ob ich mit ihm als Labelchef arbeiten will. Der Einzige, bei dem es konkreter wurde, war Fast Forward. Peter hatte sein Label mit dem Fast-Forward-Album »Ich und MC Bibabutz« begonnen und wollte auch andere Künstler rausbringen. Mein Demotape sollte dann die erste Maxi auf PDNTDR sein. Peter war auch derjenige, mit dem ich während meiner Zeit in den USA am meisten Kontakt hatte. Er hat mir sein Album, bevor es kam, als Kassette geschickt. Er, aber auch Tuareg und Scope, waren für mich richtige Bezugspersonen. Die Jungs waren genau wie die Stiebers meine großen Brüder. Das war auch der Grund, weshalb ich mit ihm keinen Deal gemacht habe. Ich weiß nicht, ob er das verstanden hat, aber ich meinte: »Wenn ich jetzt bei dir einen Vertrag für eine Maxi unterschreibe, dann fühle ich mich dir verpflichtet. Denn ich weiß, dass man mit einer Maxi kein Geld verdient, sondern Cash nur mit einem Album reinholt. Ich würde mich wie ein Wichser fühlen, wenn ich nach der Maxi einfach abhaue und zu einem Major gehe.« Denn eigentlich war das tatsächlich mein Plan: Ich wollte zu einem Major. Deshalb habe ich die Maxi dann nicht gemacht. Im Nachhinein denke ich: »Schade, das wäre doch geil gewesen!« Aber ich hatte so großen Respekt vor Peter und seiner Sache, dass ich da nicht so opportunistisch erscheinen wollte.
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Mr. Wiz: Ich hatte ja bereits für das Toni-L-Album einen Track beigesteuert, auf dem Aphroe und Curse drauf waren. Das war übrigens seine erste Platten-Appearance, soweit ich weiß. Sehr zeitnah passierte dann auch der Track »Tausend MCs«, die Geburtsstunde von La Familia.
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Busy: Curse erzählte mir von diesem legendären Moment, als er die Stiebers und Cora auf einer Jam in Essen kennengelernt hat und das sie dort unser Demotape krass gefeiert hätten. Ich war sprachlos und konnte es gar nicht fassen, dass auch ausgerechnet die Stiebers mir so viel Liebe für meine Beats gegeben haben. Dann kam der für mich schönste und wichtigste Moment: Mike rief mich eines Tages an und sagte, er kommt mich gleich im Studio besuchen und hat eine Überraschung für mich dabei. Ein paar Stunden später klingelte es dann, ich lief die Kellertreppe hoch, öffnete die Tür und vor mir stand Mike zusammen mit Martin Stieber. Unterm Arm hatte er seine SP-1200 und ein Achtfach-Multicorekabel. Der erste Satz war: »Der Busy«, im Heidelberg Akzent. Ich war völlig geplättet. Die Stiebers waren da schon Helden für mich, weil mir Mike im Vorfeld Stieber-Demos vorgespielt hatte. An dem Tag schlossen wir die SP direkt an und Martin zeigte mir, wie einfach die SP-1200 funktioniert und was die Kiste alles kann. Er hatte seine Disketten dabei, auf denen das ganze Stieber-Album zu hören war. Dazu der Beat, auf den Mike dann später zusammen mit Stiebers, STF, Aphroe und Tatwaffe den legendären »Tausend MCs«-Track in den Container Studios in Hamburg aufgenommen hat. Ein paar Tage später klingelte bei mir dann das Telefon: Cora E. Cora war für mich eine Ikone, sie hatte zusammen mit Marius No.1 schon einen Deutschrap-Classic herausgebracht, den ich damals richtig gefeiert hatte. Das war dann wieder so ein Tag, an dem ich für einen Moment sprachlos war: Cora E. am Telefon! Diese beiden Momente haben schlussendlich mein ganzes Leben geändert – in positiver Richtung. Das werde ich nie vergessen. Mike, die Stieber Twins und Cora E. sind mit die wichtigsten Menschen meiner bisherigen Karriere. Ohne sie wäre ich wahrscheinlich nicht da, wo ich heute bin. Cora E. hatte meine Beats bei Mike auf dem Demo gehört und fragte, ob ich nicht Lust hätte, für ihre kommende Single »Schlüsselkind« einen Remix beizusteuern. Was für eine Ehre! Ab da ging alles sehr, sehr schnell. Plötzlich waren Mike und ich mittendrin im Spiel. Plötzlich hatte ich die ganze Bande – Stiebers, Cora und Akim von MZEE bei mir im Bad Oeynhausener Kellerstudio. Cora hat den Remix extra noch mal bei mir neu aufgenommen. Der ging dann als »Fat RMX« in unsere Geschichte ein.
Mike ging dann 1997 zurück nach Amerika, um in dem Jahr sein Studium abzuschließen. In der Zeit wurde ich von Akim ins Produktionsteam für Coras Album geholt. Doch bevor Mike zurück ging, bin ich im Sommer 1996 mit Mike dann auf die Popkomm nach Köln gefahren. Dort war es dann schon so eine Art Familientreffen – Stiebers, Cora, STF, RAG, DCS und so weiter. Und da stand eben dann auch auf einmal so ein Typ neben uns, der den ganzen Tag nur Witze gemacht hat. Das war Götz Gottschalk. Irgendwann klingelt dann bei mir das Telefon und Mike erzählt mir, dass er einen Vertrag unterschrieben hat. Verlagsdeal, Management- und Produktionsvertrag. Das fühlte sich im ersten Moment total komisch an. Wenn du mit Mike sechs oder sieben Jahre Vorarbeit leistest und mit ihm alle Demos machst. Aber irgendwie fügte sich auch alles zusammen. Mike und ich waren endlich da angekommen, wo wir hinwollten. In der Rückschau betrachtet, war es genau das Richtige. Ohne die Treffen aller wären wir alle ziemlich sicher nicht da, wo wir jetzt sind. Letztendlich ist ja daraus auch eine Freundschaft entstanden. Business-technisch hat Götz für uns ja sowieso einen sehr guten Job gemacht. Mike konnte sich nun auf das Schreiben konzentrieren, ich kümmerte mich um die Produktionen und Recordings und Götz regelte für Mike das Business.
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Martin Stieber: Ich habe Götz Gottschalk auf einer Jam auf Curse aufmerksam gemacht. Ich hab gesagt. »Hey, das ist das neue Wunderkind. Den muss man fördern! Wenn du was machen kannst, Götz, dann los. Der ist auch cool.« Natürlich war auch am Anfang gleich MZEE im Gespräch, aber mit Akim Walta war es schwierig. Die zwei haben sich irgendwie nicht riechen können. Und dann kam Götz. Es wurde dann relativ schnell gut für den Curse.
- »Das Game hat sich zu der Zeit krass professionalisiert. Und das hat der Curse verstanden.« (Christian Stieber)Auf Twitter teilen
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Christian Stieber: Es war die logische Konsequenz, dass sich der Erfolg eingestellt hat. Wir sagen das ja auch oft genug auf unseren Platten: Wenn der Erfolg kommt, muss man aufpassen, dass man bei seinen Leisten bleibt. Der Curse war strictly Rap, darauf hat er sich fokussiert. Er hat halt an seiner Karriere gearbeitet. Das Game hat sich zu der Zeit ja auch krass professionalisiert. Und das hat der Curse verstanden.
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Fast Forward: Wir haben »Tausend MCs« von der Stieber Twins-»Fenster zum Hof«-LP vermutlich im Frühjahr 1996 zusammen im Container Studio Hamburg aufgenommen. Ich hatte mir tagelang den Kopf über meinen Text-Part zerbrochen und nichts hinbekommen, am Tag der Studio-Session beim Frühstück dann doch noch ein paar Zeilen zusammengeschrieben und den Rest vermutlich wieder erst mit Scope im Studio fertig gemacht – wie eigentlich immer. Da kannten wir Curse schon eine Weile, auch Wiz, und wir haben alle zusammen im Studio abgehangen.
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Schivv: Im Sommer 1996 hatten wir mit DCS unseren Sommer. Wir waren für zwei Cometen nominiert, hatten unsere erste Single auf VIVA- und MTV-Rotation und schwebten so ein bisschen durch die Gegend. Wir hatten eine Show beim Ringfest, zu der für uns gefühlt ganz Köln gekommen ist. Nach der Show, Ecke Maastricher Straße/Ring, stand da eben Curse herum und stellte sich vor. Er war sehr bescheiden, respektvoll, aber trotzdem wirkte er selbstbewusst. So wie man sich das wünscht. Er gab uns Props für unsere Show, ohne sich anzubiedern oder zu verstellen, wir haben ein bisschen über Musik gesprochen. Ich gab ihm Props für das, was ich von ihm gehört habe und ihm wünschte ihm alles Gute. Seine doch spezielle Art hat mir damals imponiert, zumal er ja noch sehr jung war.
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Kool DJ GQ: Ich bin damals mit meiner Crew Underground Source auf eine Jam, ich glaube es war in Bielefeld, gefahren. Dort sind Leute wie die Stieber Twins, Raid und Cora E. aufgetreten. Als wir ankamen, redeten schon alle im Laden über den Auftritt von diesem Curse, den wir leider verpasst hatten. Anschließend hat jede Band, die auf die Bühne kam, Curse so viel Liebe gegeben, dass ich mich damals zum einen sehr geärgert habe, dass ich den Auftritt nicht live gesehen habe, und zum anderen von da an klar war, dass ich in Zukunft mal ein Auge und ein Ohr auf den Namen Curse haben muss!
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Schivv: Wir waren damals auf dem 18. Geburtstag von Curse in Minden. Mike hatte uns gemeinsam mit den STF-Jungs, dem Klan und den ganzen anderen Mindener Verrückten in den Partykeller seiner Eltern eingeladen, bei denen er damals noch wohnte. Kallis und ich sind mit Peter, Haluk und Scope runtergefahren und haben eine Nacht Mindener Gastfreundschaft und Sauf-Habits miterlebt. Wir haben ihm damals – wir wussten, dass er gerade dabei war, eine eigene Wohnung zu suchen – tatsächlich einen Staubsauger geschenkt. Sein komplett fassungsloses Gesicht, als er das Paket aufgemacht hat, ist unvergessen: »Meine Kölner Rap-Jungs schenken mir zum 18. Geburtstag tatsächlich einen Staubsauger!«
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Falk Schacht: Ich habe ihn 1998 auf einer Jam in Gütersloh in der Weberei kennengelernt. Ich bin mit MB 1000 dorthin gefahren, weil ich damals ihren Live-Sound gemischt habe. Curse saß backstage auf einem Sofa und sah wichtig aus. Er trug nämlich einen stylishen weiß-blauen Jogginganzug. Neben ihm saß ein sehr hübsches schwarzes Mädchen. Ich habe auf Backstage-Modus ziemlich viel Trashtalk abgelassen, wie es für mich normal ist, wenn ich auf Jams bin. Und er hat das ganze auf Englisch kommentiert und seiner Freundin immer gesagt. »That dude is crazy!« Deshalb dachte ich sogar, er sei ein US-Rapper. Bis seine Freunde, die ich später als Reno und Germany kennenlernen sollte, auf Deutsch mit ihm sprachen. Irgendwann hat mir dann einer gesagt, dass das Curse sei. Ich hatte vorher noch nie etwas von ihm gehört. Ich hab mir dann die Liveshow angeschaut und gemerkt, dass er offensichtlich was kann. Er hat mir dann von seiner Maxi »Sonnenwende« erzählt, an der er arbeite. Wir haben Nummern getauscht und ich habe ihn auf einer späteren Jam dann in meine damalige Radiosendung eingeladen.
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DJ Kitsune: Mein erstes Treffen mit Curse war im Rahmen unserer Radioshow »Dope Beats«, in der B.A., Chubby, Roey Marquis und ich bereits die allerersten Singles vor »Feuerwasser«, also »Sonnenwende« und so weiter, gespielt hatten. Curse empfand ich damals als extrem redegewandte, gefestigte Person, die – obwohl kaum älter als ich – damals ein sehr krasses Standing in der Szene genoss. Er trug einen Newcomer-Szene-Hype als Aura mit sich, wie ich es vorher nicht erlebt hatte. Dazu war er aber sehr freundlich und eloquent, keineswegs abgehoben oder distanziert. Wegweisend für mich waren insbesondere die »La Familia«-Maxi und auch die ersten Jive-Singles »Sonnenwende« und die Spritual-Warriors-Maxi »Grüner Tee«.
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Götz Gottschalk: Zum allerersten Mal hat man auf den Features bei Toni L, La Familia, Stieber Twins oder Cora E. von Curse gehört. Ich war als junger Verleger unterwegs und habe Künstler gesucht. Ohne das zu diesem Zeitpunkt schon zu wissen, waren Mike und ich in einer Ansicht gleich: Dass es noch wenig deutschen Rap gab, der im Umgang mit Reim, Sprache, Klang und Dichte an die Flows von amerikanischem Eastcoast-Rap herankam. Mike wollte meistern, was Nas oder Rakim vor ihm gemeistert hatten, nur eben innerhalb der deutschen Sprache. Und ich habe nach genau solchen MCs gesucht, weil ich ein absoluter HipHop-Lover war, aber die Art, wie damals in Deutschland gerappt wurde, nur selten dieses Gefühl für mich erzeugte. Uns hat dann eine weitere legendäre Figur zusammengebracht, nämlich Scopemann von STF, der damals Product Manager bei EMI/Capitol war und dort amerikanische HipHop-Themen wie zum Beispiel AZ betreute. Ich hatte bereits versucht, mit Mike in Kontakt zu treten, als Scope sagte: »Den kenne ich.« Also arrangierte er ein Treffen in Köln. Dort wurde sehr schnell klar, dass man ähnliche Interessen hat. Das war 1997, 1998, also war Mike 18, vielleicht 19 Jahre alt. Ich war 27, 28. Bei ihm war es der Übergang nach dem College-Abschluss in Upstate New York, kurz bevor er den Zivildienst in Deutschland antreten musste. Man hat sich also kennengelernt und ich wusste schnell, ich will das machen.
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Falk Schacht: Curse war damals die richtige Mischung aus Intelligenz und Hardcore-Mentalität. Das mag aus heutiger Sicht komisch klingen, aber damals gab es keinen deutschen Gangsta-Rap. Hardcore war damals alles, was eine No-Nonsense-Attitüde verbreitete. Und Curse kam direkt aus der New Yorker Schule, die in Deutschland auch von STF und den Stieber Twins vertreten wurde. Das mag man sich heute vielleicht nicht mehr vorstellen können, aber sowohl Abiturienten als auch Straßen-Dudes konnten sich auf ihn einigen. Er hat es damit geschafft, einen Kontrapunkt zum Rap aus Stuttgart und Hamburg zu setzen. Das war alles ernster und erwachsener und war näher am New-York-Feeling als vieles andere in Deutschland.
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Italo Reno: Wir haben viel bei Mike in der Bude gechillt, Mucke gehört und geschrieben. Der Hype um Mike war zu der Zeit ziemlich krass, weil man ihn davor gar nicht auf dem Schirm hatte und er quasi aus dem Nichts kam. Während der Entstehung von »Feuerwasser« war Mike dann schon mit Jungs aus ganz Deutschland connectet und immer wieder auch unterwegs. Für uns war es einfach besonders, dass er dann Songs mit Leuten wie Tone oder den Stieber Twins gemacht hat. Ich erinnere mich noch, wie wir als Der Klan ein paar Shows im Vorprogramm von La Familia gespielt und danach in Lord Scans altem Bus alle zusammen raketendicht mit den Stieber Twins gefreestylet haben. Diese ganzen Connections waren natürlich einzigartig und wenn es Mike nicht gegeben hätte, wären viele Connections für uns gar nicht möglich gewesen. Wir haben so zum Beispiel Peter Sreckkovic kennengelernt, wegen dem wir dann zu PDNTDR gegangen sind.
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Götz Gottschalk: Curse hatte ein interessantes, sehr heterogenes Netzwerk. Auf der einen Seite kam er mit dem Leumund der Altvorderen, also Advanced Chemistry, den Stieber Twins, Cora E., Scopemann. Auf der anderen Seite gehörte er zu den damals neuen aufstrebenden jungen MCs, sozusagen den neuen Leuten wie Azad oder Tone und Samy. Man darf nicht vergessen: Zum Anfang seiner Karriere war er ja einer der härtesten MCs des Landes. Er war der Erste mit Lederjacke und Silberkette. Man hat ihn am Anfang als das völlige Gegenteil wahrgenommen, als was er später bezeichnet wurde. Er war ja nachher der »Emo-Rapper«. Aber am Anfang war er musikalisch ein unglaublich harter MC. Er hatte ja mit Azad und Tone auch dieses Cherubim-Projekt. Ohnehin hatte er eine sehr starke Beziehung nach Frankfurt und in das frühe Berlin hinein. Und in Minden gab es natürlich von Anfang an eine Clique von Leuten: Es gab den Klan mit dem Produzenten Lord Scan, der auch auf »Feuerwasser« eine wichtige Rolle gespielt hat. Es gab Busy, der schon vor seinem USA-Aufenthalt sehr eng mit ihm war und einer seiner Hauptproduzenten und Bezugspersonen, weil er mit ihm die ersten Schritte getätigt hatte und auch das Bindeglied zu den Heidelbergern war. Und es gab Stress und Trauma und noch einige andere, also diese ganze Mindener Bewegung.
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Aphroe: Wir hatten bei La Familia wohl das D.I.T.C.-Feeling im Kopf und wollten eine Crew sein, in der es nur krass um Skills ging. Jeder La-Familia-Typ hatte zu der Zeit damals einen bahnbrechenden Style – das zusammenzulegen war die Intention. Heidelberg-Ruhrpott-Minden-Köln – eine MC-Supergroup, mehrere Produzenten, zwei DJs. Das Ganze ohne regionalen oder Städtebezug. Die eigentliche Zündung dazu gab es auf dem Stieber-Album: »Tausend MCs«. Curse war der Namensgeber für La Familia und hat das Ganze – bewusst oder unbewusst – auch ziemlich gesteuert. Viel ist initiativ von ihm ausgegangen, Titelideen mit Besetzungsvorschlägen, fast Executive-Producer-mäßig. Das ist mir damals leider eher negativ aufgestoßen. Einerseits habe ich seine Fokussiertheit und seine Entschlossenheit beflügelnd gefunden, andererseits war er mir dadurch zu sehr Mittelpunkt des Ganzen. Ich war eher so ein demokratischer Gruppendynamiker – wie in der frisch geformten RAG – und weniger der Führertyp. Ich fand mich plötzlich in der Position wieder, mich da irgendwie gegen andere Superegos durchzusetzen zu müssen oder zu fügen. Weil Curse zu der Zeit von vielen Seiten Props bekam und wir alle auch beeindruckt von seiner Eloquenz und seinen Raps waren, ließ man das auch so zu. Er war gerade das heißeste Eisen in unserer Schmiede. Bei mir war immer so ein wenig diese Follow-the- leader-Stimmung. Ich bin da aber vielleicht auch etwas empfindlich gewesen. (lacht)
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Martin Stieber: Wenn man zusammen eine Gruppe hat, dann schaut man natürlich immer, was die anderen machen und vergleicht sich auch immer. Es war eine sehr positive, fruchtbare Konkurrenz. Man hat sich gegenseitig gepusht. Wenn man zusammen in einer Fußballmannschaft spielt und da sind drei Jungs, die besser sind als du, dann willst du es denen auch beweisen. Das hat sich gegenseitig befruchtet. Der Curse hat den Aphroe beflügelt, der Aphroe dann wieder mich. Das ging einher miteinander und hat sich so ein bisschen hochgeschaukelt. Es war ein geiles Mannschaftsgefüge wie bei Gruppen wie Boot Camp Clik. Es war eben der Versuch, dass man es gemeinsam noch mal auf ein höheres Level bringt.
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Götz Gottschalk: Mike und ich hatten ein Meeting in Köln damals in der neuen Filiale des legendären New Yorker Sandwich-Ladens Schlotzky’s. Dort haben wir stundenlang geredet. Er hat dann aus der Telefonzelle seine Mutter angerufen, wegen des Heads of Agreement, also der vertraglichen Eckdaten, die ich ihm anbot. Seine Mutter ist nämlich Richterin und die hat das mit ihrem juristischen Wissen am Telefon überprüft. Wir haben einen Verlagsvertrag abgeschlossen. Damals gab es in der Musikbranche eigentlich fast kein HipHop-Know-How, mit Ausnahme von einigen wenigen Leuten. Ich habe bei Mike daher schnell gemerkt, dass es da draußen keine Manager gab, die diesen Job machen konnten. Die ganzen alten Rock- und Pop-Manager hatten natürlich kein Verständnis für diese Kultur. Dann haben wir das alles zusammengeführt. Ich war ja schon sein Verleger, habe auch sein Management übernommen und ihm gesagt, dass ich ihm innerhalb kürzester Zeit einen Plattenvertrag besorgen werde. Ich habe ihm sogar selbstbewusst eine Frist von einigen Wochen oder Monaten genannt, innerhalb der ich ihm den Deal besorgen würde. Was ich dann auch geschafft habe. Ich habe ihn als erstes offizielles Signing bei Jive Records Deutschland untergebracht, einem Label, das ja mit Boogie Down Productions oder A Tribe Called Quest schon eine riesige HipHop-Historie hatte. Er war als Künstler dann bei mir, also bei Premium Blend, unter Vertrag und ich habe einen Bandübernahmevertrag mit Jive gemacht.
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Curse: Götz hat mir von seinem Verlag und seiner Edition erzählt. Ich kam also unter der Prämisse zu dem Treffen, dass dort jemand ist, der mir einen Majordeal geben will. Was er aber wirklich wollte, war, mir einen Verlagsdeal zu geben. Ich weiß nicht mehr genau, wie es war und ich tue ihm sicher unrecht, wenn ich es zusammenkürze. Aber wenn man es in drei Sätzen sagen will, war es so: Götz hat mir einen einseitigen Vertrag hingelegt, auf dem schon alles vorformuliert war, und ich nur noch unterschreiben musste. Dazu hat er gesagt: »Wenn du jetzt diesen Verlagsvertrag mit mir unterschreibst, hast du in zwei Wochen einen Majordeal. Wenn du mit mir über irgendetwas, was hier drinsteht, diskutieren willst, dann machen wir das nicht. Und wenn du hier und heute nicht unterschreibst, dann müssen wir nie wieder miteinander reden.« Ich saß dann da und war etwas ratlos. Ich habe dann Scope angerufen und er meinte: »Keine Ahnung, ich kenne mich mit Verlagsdeals nicht gut aus. Ich glaube nicht, dass du da deine Seele an den Teufel verkaufst, würde mich aber auch nicht für irgendetwas verbürgen.« Meine Mutter war ja Richterin, aber hatte auch keine Ahnung von der Situation. Götz hat mir dann von Jive erzählt und gesagt, sie hätten wiederum ihm gesagt, dass er mich ihnen bringen soll. Und wenn ich dort mit meinem Stuff ankommen würde – darauf hätte ich sein Wort – würde ich einen Deal bekommen. Dann habe ich gesagt: »Scheiß drauf, let’s do it.« Schließlich habe ich für den Deal auch 5.000 Mark bekommen. Das war eine Menge Geld, für das ich meinen Fiesta einmal ausbeulen lassen konnte. (grinst) Und dann habe ich, ohne irgendeine Ahnung zu haben, den Verlagsdeal unterschrieben – und zwei Wochen später hatten wir einen Termin bei Jive. Mein Sandwich habe ich aber selber bezahlt. (lacht)
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Fast Forward: Das muss man dem Götz lassen, so was hat er wirklich gut draufgehabt. Da war auch schon lange klar, dass Curse nichts bei PDNTDR rausbringen wollte und direkt auf ein Majorlabel geht. Aber da war immer alles cool. Es war im Prinzip schon von Anfang an alles klar und er hatte – gerade für sein Alter – sehr konkrete Vorstellungen. Dass er direkt auf ein großes Label will, hat er mir schon aus den USA geschrieben, als er dort mit den Company-Flow-Jungs und Ill Bill rumgehangen ist. Ich meine, das wäre um 1996 herum gewesen, kurz nach Veröffentlichung meiner LP, die ich ihm dann in die USA geschickt habe. Mike oder Scope hatten mir dann 1996 von der Zulu Anniversary die East-Flatbush-Project-»Tried By 12« mitgebracht oder geschickt. Ich glaube, Scope hat sie mitgebracht und Mike fand sie am Anfang voll kacke. Kann aber auch genau andersrum gewesen sein. Ich hatte großes Interesse daran, Mikes Demotape quasi so wie es war, als Platte herauszubringen. Aber ich hätte ihm zu dem damaligen Zeitpunkt auch nicht die Dinge ermöglichen können, die er sich von einem Major erhoffte. Ich hatte ja meine LP gerade mit vollem Risiko selbst finanziert und rausgebracht und erst nachher EFA als Vertrieb gewinnen können. Ich hatte also Einnahmen, die ich direkt wieder in neue Projekte stecken wollte. Ich glaube aber, Jive war damals sogar sein absoluter Favorit, sein Wunschlabel. Wir hatten damals alle ein Interesse daran, uns gegenseitig zu pushen, weswegen wir auch bei so Verlagskram vielleicht keine große Hilfe waren – aber vielleicht war ich so etwas wie der Einäugige unter den Blinden.
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Philipp Jung: Ich war damals als A&R für Jive Records tätig und mit vielen Leuten in Kontakt, die die neuen heißen Jungs kannten, managten, promoteten oder produzierten. In dem Job bist du die ganze Zeit draußen und versuchst, den neuen heißen Scheiß zu finden. Und Mike war definitiv bei einigen Leuten ganz oben auf der Liste, obwohl noch nicht viel passiert war damals. Der erste Eindruck bei unserem ersten Treffen war dann extrem positiv. Man trifft ja viele Künstler, aber Curse wusste immer schon, wer er war und was er will. Er hatte genaue Ideen, war wissbegierig und offen für jede Diskussion. Der Vertrag, den Curse dann bei Jive hatte, war ein ehrliches Statement für die damalige Zeit. Sodass Mike in Ruhe arbeiten konnte und sich langsam entwickeln – drei Alben und mit jedem Album gab es ein ordentliches Pfund bei Vorschuss und Punkten obendrauf.
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Busy: Für uns beide war es krass, Jive als Label zu haben. Es wurde aber dann ein wenig kompliziert, weil wir beide vor der Jive-Vertragsunterschrift noch als Busy & Curse durch die Lande gezogen sind. Aber ab da gab es dann andere Verhältnisse. Es war dann nicht mehr Busy & Curse, sondern eben nur noch Curse, gesignt bei Götz, der wiederum als Bandeigner gesignt war bei Jive. Somit war ich live nur noch sein DJ und nicht mehr im 50/50-Verhältnis. Da wurde mir schnell klar, dass ich mich mehr auf die Studioarbeit konzentrieren muss und weniger auf das Live-DJing. Ich war halt immer der musikalische Sidekick von Curse und Götz kam dann in der Exekutive dazu. Ich weiß noch, als wir »Sonnenwende« gemacht haben, sollte der Song noch die erste Single werden. Aber in der Form kam der Track dann gar nicht raus, denn Götz kam irgendwann nach Bad Oeynhausen zu mir ins Studio und da haben wir uns ans Board gesetzt und den Song gemeinsam ausproduziert. »Sonnenwende« in der endgültigen Version ist letztendlich ein Clash zwischen Götz und mir. Es war dann ja auch eine Doppelsingle – A- und AA-Seite. Den anderen Track »Erfolg« hatte Lord Scan beigesteuert. Ab da war Scan dann auch mit im »Feuerwasser«-Produktionsteam, der dann später eher die durchgeknallten Produktionen beisteuerte. Im Übrigen war ich sehr froh, dass wir Kool DJ GQ als neuen Live-DJ von Mike gefunden haben, somit war Curse auch live sehr gut aufgestellt.
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Aphroe: Ich hab mich auf jeden Fall gefreut für Curse, als es bei ihm losging. Da ging es dann in die Major-Sphären. Ich war aber auch ein bisschen neidisch auf die 12”-Cover bei Jive, die wie die »Find A Way«-Maxi von A Tribe Called Quest aussahen. Obwohl bei dem Label in Deutschland damals irgendwie nix dahinter war, sah das aber HipHop-mäßig natürlich top aus. Die Arbeit mit den Stiebers war für ihn und Busy sehr fruchtbar. »Doppeltes Risko« ist nach wie vor einer der besten Back-2-Back-Rap-Tracks ever aus Deutschland.
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Busy: Curse konnte sich von dem Geld des Vertrags eine eigene Wohnung leisten, in der er mit seiner Freundin gewohnt hat, die ja auch eine entscheidende Person für so manchen Song von Mike war. Curse hat ja nie eine Ausbildung gemacht. Ein normales Berufsleben kannte er nicht. Ich weiß noch, wie ich damals Mikes Eltern eine Satellitenanlage an ihr Haus angebracht habe. Ich war damals noch als Radio- und Fernsehtechniker unterwegs und Mike sollte mir eigentlich beim Aufbau mithelfen. Er sollte dann eine Zwei-Meter-Metallstange für die Erdung in den Boden hauen. Als ich dann dahin kam, war von Curse keine Spur. Ich habe ihn dann mit Lord Scan auf dem Dach gefunden, wo sie einen gebufft haben. (lacht) Der Vorschuss hat ihm schon einen kleinen Luxus gebracht. Wobei es Mike von zu Hause aus eh nie an etwas gemangelt hat. Seine Eltern haben auch immer hinter ihm gestanden und ihn supportet, wo es nur ging. Dass man später dann in der Musikwelt so hoch gehandelt wird, dazu noch von Leuten wie den Stiebers und Cora… Das konnte keiner von uns erahnen. Auch nicht, dass man auf einmal mit seinem Hobby Geld verdient. Wir waren auf einmal drin in dem Spiel. Und es gab keinen Weg zurück.
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Götz Gottschalk: Jive war in Amerika äußerst erfolgreich. Der Besitzer Clive Calder hatte die Firma zu Teilen bereits an Bertelsmann verkauft. Damit und mit dem Erfolg des Labels, dazu dem vorherigen Kauf von Rough Trade kam eine Globalisierungsstrategie, die über die amerikanischen Signings, die weltweit verkauft wurden, hinausging. In Deutschland wurde ein Jive-Office eröffnet, mit Geschäftsführung durch Konrad von Löhneysen, der zu diesem Zeitpunkt Logic Amerika in New York mit Acts wie Snap! machte. Das Office wurde in Köln aufgemacht und Philipp Jung war der A&R-Manager – die beiden kannten sich noch aus Logic-Tagen. Ich hatte den Kontakt über Bekannte, bin da sehr früh hingefahren und habe das Thema präsentiert. Ich habe zu denen gesagt: »HipHop ist, wo Jive herkommt. Klar, ihr habt jetzt die Backstreet Boys, aber ihr müsst jetzt in Deutschland auch mit HipHop weitermachen. Ich habe hier die Zukunft des deutschen HipHop und das ist Curse.« Parallel hatte Jive auch die Absoluten Beginner, die Massiven Töne und verschiedene anderen Acts auf dem Tisch. Wir haben sehr intensiv mit Löhneysen und Jung geredet. Dann wurde klar, dass wir denen ein Demo zeigen mussten, aus dem für eine große Firma erkennbar wird, dass das nicht nur eine ideale Besetzung aus der HipHop-Kultur heraus ist, sondern auch Erfolgspotenzial hat. Also haben wir mit Busy ein Demo mit Songs gemacht, die diesen Appeal hatten. Das hat dann diese Überzeugung geleistet – neben dem Künstler, den sie ohnehin toll fanden. Also hat man eben diesen Vertrag gemacht, ohne einen einzigen fixierten Song zu haben, der auf das Album kommen sollte. Es ist auch tatsächlich nachher keiner dieser Songs von dem Demo je in der Form veröffentlicht worden. Dieses Demo war eigentlich nur dazu geeignet, einer Plattenfirma, die nicht so tief drin war im HipHop wie wir, zu verstehen zu geben, dass dieser Künstler eine gute Investition ist und abliefern wird. Curse wurde das erste offizielle Signing bei Jive Deutschland. Den Vertrag haben wir immer wieder along the way verändert, weil sich dann alles noch viel besser entwickelt hat, als man es sich erhofft hatte.
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Bettina Berger: Die Strategie für Curse haben wir auch ganz eng zusammen mit Götz und Mike entwickelt. Die hatten ja bereits eine recht klare Vision. Wir haben alle an Künstleraufbau geglaubt. Wir hatten auch mit Rough Trade einen Indie-Vertrieb im Hintergrund, der auch solche Themen gut konnte. Natürlich mussten wir denen auch ein bisschen was erzählen. Die kannten natürlich HipHop, das war aber nicht ihre Kernkompetenz. Ganz wichtig war uns, von Anfang an eine Kredibilität in der Szene sicherzustellen. Wir wollten also gleich zu Beginn die Szene mit an Bord holen – von Street-Tapes bis zu einer engen Medienkooperation mit der »Juice« und anderen Entscheidern, die wir alle frühzeitig reingebracht haben. Da hat das Team von Curse schon starke Vorarbeit geleistet, die wir dann gemeinsam fortgeführt haben. Wir haben dann dazu noch etwas Geld etwa für Videos ausgegeben. Wir hatten schon die Idee, dass das größer werden kann, aber damals war die große Frage immer, wie weit man gehen darf, bevor man Sellout ist. Es war ein riesengroßes Thema, was man machen darf und was nicht. Man durfte keinen falschen Satz sagen – nicht, dass die Szene einen als wack empfindet. Die Gefahr bestand ja eigentlich nie, aber es war schon eine gewisse Gratwanderung, bei der wir aber – also Künstler, Management und Plattenfirma – an einem Strang gezogen haben. Wir konnten dieses Indie-Ding als Plattenfirma auch glaubhaft verkörpern, aber hatten eben dazu noch Geld im Hintergrund. Das war eigentlich die ideale Strategie – wir hatten den Indie-Hintergrund durch unser Künstlerrepertoire in den USA und dazu den Rough-Trade-Vertrieb. Das war schon glaubhaft.
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Lord Scan: Allgemein war es so, dass Curse und Busy tendenziell versucht haben, sozusagen massentaugliche Tracks zu produzieren. Das hört man auf der »99 Essenz«-EP ja auch. Bei mir gab es zwar auch zwischendurch Beats, die in diese Kategorie gepasst haben, aber im Allgemeinen war ich ja eher für den durchgeknallteren Kram zuständig – siehe »Risiko« auf der EP.
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Götz Gottschalk: Wir hatten schon einen sehr intensiven Austausch. Wir haben uns de facto über alles bis ins kleinste Detail auseinandergesetzt – im Guten wie auch im Schlechten. Da gab es auch schon mal ein Hausverbot oder eine Woche Funkstille. Wir haben über jede Hi-Hat geredet, da wurde nichts dem Zufall überlassen. Das war für Mike auf der einen Seite eine sehr anstrengende Erfahrung, denn es war nichts gleichgültig und es wurde nichts durchgewunken. Aber auf der anderen Seite wurde dadurch auch etwas gefördert. Auch Busy, Scan oder Iman waren sehr anspruchsvoll. In diesem Klima ließ man nichts durchgehen. Natürlich war immer klar: Das letzte Wort hat Mike. Das hätte auch niemand angezweifelt. Aber er hätte dieses letzte Wort auch zum Einsatz bringen müssen. Und dafür musste seine eigene Meinung sehr stabil sein. Das galt aber für uns alle, damit wir bei den anderen durchkamen. Mike hat ja selbst eine große argumentative Kraft. Er ist ein unvorstellbar eloquenter Mensch, der damals noch deutlich jünger war als Busy oder ich, und trotzdem haben wir ihn im Argument immer auf Augenhöhe betrachtet – außer in den technischen Fragen. Da waren wir ihm gegenüber ein bisschen positiv arrogant. Das hat ihn auch oft geärgert. Aber sonst wurde stets auf allerhöchstem Niveau argumentiert. Beim Wu-Tang Clan musste man sich ja gegen die anderen MCs durchsetzen, um einen bestimmten Beat von RZA zu bekommen. Auch bei uns wurde sich über alles gekloppt, aber immer an der Sache entlang.
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Busy: Mike wollte immer aus der Masse herausstechen. Aber er hatte eben diese Komplexe. Das hatten wir ja ganz oft bei Live-Auftritten – Mike hatte Angst vor live. Immer wenn wir einen Live-Auftritt hatten, hatte Mike kurz davor Bauchschmerzen. Das Schlimmste war mal 1998 oder 1999 bei der Popkomm. Da hatten wir die »Essenz«-EP schon fertig und da sollten wir eigentlich im Vorprogramm von Busta Rhymes und Jay Z auftreten. Mike lag aber kurz vor dem Auftritt im Backstage auf dem Boden und hat alle Viere von sich gestreckt. Da ging gar nichts mehr. Wir mussten die Show abblasen. Das Live-Ding kam bei ihm erst so richtig in Fahrt, als er auf Tour mit Die Firma ging. Er war im Studio immer eine Sau, aber live hat das ein bisschen gebraucht. Später dann hatte er auch die Bühne für sich entdeckt und ich muss wirklich sagen, dass er mich später in seiner Karriere live sehr beeindruckt hat.
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Tuareg: Deutschrap war schon von Anfang an geprägt von Crews, die die HipHop-Sache, und von solchen, die nur ihren Blödel-Rap vorantreiben wollten. Dieser Disput war vielleicht das größte Ding überhaupt in der deutschen HipHop-Geschichte. Deutschrap war also zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von »Feuerwasser« sowohl großartig als auch scheiße.
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Toni L: Der Stil von Curse erinnerte mich immer an den von Nas und der Stellenwert seines Albums hat sicher einen ähnlichen wie »Illmatic«, nur auf Deutschland bezogen. Somit war das Jahr 2000 wohl einer der besten Jahrgänge der Deutschrap-Alben überhaupt, denn im gleichen Jahr kam auch »Blauer Samt« von Torch.
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DJ Kitsune: Deutschrap war zum Release von »Feuerwasser« spannender denn je und der ideale Nährboden für einen Jungen, der das für Deutschrap tun konnte, was Rakim und Nas für den US-Rap getan und ein ganzes Genre in puncto Lyrik, Delivery, Performance, Wortwahl, Reimtechnik und Storytelling auf ein neues Level gehoben haben. In jeder Stadt gab es Crews, Produzenten, DJs, Jams und jede Menge Kids, die nicht genug von diesem neuen Ding bekommen haben. Der landesweite Austausch war besser denn je und man hatte das Gefühl, dass man sich gegenseitig auch immer helfen wollte. Wohl bewusst, dass mehr und mehr Geld in die Szene kam, aber noch auf einem Level, auf dem keiner reich wurde mit Rapmusik.
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Tone: Zu der Zeit waren Rap aus Hamburg und Stuttgart gerade sehr präsent. In Frankfurt haben wir diese Styles eher nicht gefeiert – uns war das zu locker und lustig, wir waren eher auf dem harten Film. Curse war anders. Seine Technik, seine deepen Texte, sein Slang und seine Aussprache: All das hat sich sehr stark vom deutschen Rap der damaligen Zeit unterschieden. Das kannte ich so nicht und das hat mich extrem beeindruckt. Dazu kam: Im Battle-Rap kann man sich leicht verstecken und durch Attitüden einen Coolen schieben, aber wenn man die Hosen runterlässt, muss man sich seiner Sache auch sicher sein.
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Falk Schacht: Zur Zeit des Albumreleases war Curse definitiv ein Thema. Gute Rapper hatten damals einen Hype – Samy, Savas, Dendemann und genauso Curse. Wir haben in der Stadt viel darüber geredet, was er auf seinem ersten Album machen wird. Es stand immer der Verdacht im Raum, dass er etwas Kommerziges machen würde, weil er bei einem Major unter Vertrag stand. Das galt damals als absolutes No-Go. Die galten damals als der Feind der Realness. Als dann bekannt wurde, dass seine erste Maxi »Wahre Liebe« heißen wird, haben alle die Augen verdreht: »Oh nein, jetzt kommt der mit so einer Schnulzennummer fürs Radio!« Um ein Kinderzimmer-Productions-Sample zu zitieren: Doch es kam alles ganz anders.
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Chris Maruhn: Ich befürchte, ich war persönlich nicht ganz unschuldig an dem berechtigten Hype, der rund um dieses wirklich außergewöhnliche Debütalbum entstand. So hatte ich zum Beispiel bereits ziemlich intensiv in der »Intro« und parallel auch in der »Juice« kontinuierlich darauf hingewirkt. Parallel nutzte ich – weil ich Curse einfach wirklich bemerkenswert fand – sämtliche Kanäle, die mir zur Verfügung standen, wozu ich neben Samplern wie »Reimattacke« und »Flowzirkus« auch dezidiert Mundpropaganda innerhalb der damals noch relativ eng vernetzten Szene zähle. Letzten Endes war es aber schlicht Curse selbst, der seinen eigenen Hype generierte. Und zwar über seine ebenso massive wie gelungene Teilnahme an Features. Er war spätestens ab 1999 – szeneintern – in aller Munde.
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DJ Kitsune: »Feuerwasser« war das most anticipated Album in 2000. Und ein Jahr vor der großen Klasse von 2001 mit Samy Deluxe, Azad und Savas, die ja auch schon ganz gehörig von sich reden machten. Insofern war es sehr schnell klar, dass Curse an der Speerspitze einer neuen Generation stand, die Deutschrap ein für alle Mal verändern würde. Das hörte man auch aus Gesprächen mit älteren, damals bereits länger aktiven Rappern, die keinen Hehl daraus machten, dass Curse in einer vorher nicht dagewesenen Liga spielte.
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Götz Gottschalk: In meiner Erinnerung haben wir während seines Zivildienstes zwei Maxi-Singles rausgebracht, einmal »Sonnenwende/Erfolg« und dann »Kreislauf/Doppeltes Risiko«. Erst als der Zivildienst beendet war, kam Mike richtig in Fahrt. Da gab es ein Meeting bei mir in Solingen in meinem alten Büro. Er kam zu Besuch und wir hatten eine positiv hitzige Debatte. Er war damals ja noch eher ein tougher Battle-Rapper und ich versuchte ihm zu erklären, dass er für sein Debütalbum richtige Songs schreiben müsse. Daraufhin erklärte er mir, wie schwer es für ihn sei, Texte zu schreiben, die ihn wirklich zufriedenstellten. Jede Line musste für ihn unzerstörbar sein. Er sagte dann: »Ich geh da jeden Tag in diesen Scheiß-Zivildienst und sehe da diesen ganzen Mist, komme abends nach Hause, bin kaputt und fertig und hab keinen Bock zu schreiben.« Er vermittelte mir genau das Gefühl, was er damals hatte. Also habe ich sehr vehement gesagt: »Dann schreib doch genau das auf, was du mir gerade erzählst: Was in dir vorgeht, was du siehst, erlebst und erzähle, wie schwer das ist – von den Zweifeln und alledem. Denn du hast mich hier gerade richtig emotional aufgewühlt. Da steckt was Besonderes drin, das beschäftigt auch andere Leute.« Und das ist letztlich genau die emotionale Qualität, die Curse hat. Die Leute finden in ihm jemanden wieder, dem es genauso geht wie ihnen und der es für sie sortiert und ausspricht und zeigt, dass dies kein Makel ist, sondern am Ende eine Stärke.
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DJ Kitsune: Für mich persönlich war es die Tatsache, dass es zum ersten Mal ein Künstler in meinem Alter war. Alle anderen, die ich damals extrem gerne gehört habe, waren einfach ein gutes Stück älter. Aber die Storys, von denen Curse erzählte, entsprachen einfach meinem Leben und meiner Sichtweise auf viele Dinge. Neben den guten bis sehr guten Produktionen, die damals auf dem Level auch alles andere als selbstverständlich waren, war es aber in allererster Linie Curse’ Rapstil, Wortwahl, Stimme, Delivery und das vorher nicht dagewesene Storytelling. Zum ersten Mal klang ein Rapper fokussiert, hungrig und lyrisch intelligent mit einer Attitüde auf Songs, die ich so nur von US-Rappern kannte.
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Curse: Die Produktion hat gut zweieinhalb oder drei Jahre gedauert. Der Grund dafür war, dass ich mir einen immensen Druck gemacht habe. Denn da war er plötzlich: der Moment, auf den ich zehn Jahre hingearbeitet hatte. Natürlich hatte ich auch eine Vision von dem Album, aber an der bin ich in der Realität immer wieder gescheitert. Für mich war klar, dass das Album wie »Illmatic«, »Only Built 4 Cuban Linx«, »Reasonable Doubt«, »Ready To Die« oder »Infamous« klingen sollte – im besten Fall natürlich nach all diesen Alben. Gleichzeitig sollte aber auch Minden eine große Rolle spielen und meine introspektive Seite zum Vorschein kommen. Ich wollte davon erzählen, wie ich mit 16 zum College gegangen bin und gleichzeitig auch Songs für die Ladys machen. All das sollte sich in »Feuerwasser« widerspiegeln. Das ist im Nachhinein ein Vorhaben, an dem man als 19-jähriger Typ in seinem Keller in Minden nur verzweifeln kann. Aber wir haben dann alle einfach unser Bestes gegeben. Heutzutage ist es ja so, dass Leute, noch bevor sie ihr erstes Demo aufnehmen, schon eine Social-Media-Strategie konzipiert haben. So etwas gab es damals noch nicht – genauso wenig hatte irgendwer großartig Ahnung von Executive Producing. Auch bei Jive war man eher so: »Mach einfach ein geiles Album!«
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Götz Gottschalk: Wir waren für die Art von HipHop, die wir machen wollten, die erste Generation. Wir konnten wenig bei den Stiebers oder anderen Künstlern der Old School um konkreten Rat fragen. Wir konnten uns nur inspirieren lassen, aber mussten was Eigenes entwickeln. Nas konnte ja auch nicht Run-D.M.C. fragen, wie er »Illmatic« machen sollte. Das war ein anderer Abschnitt mit anderen Sounds, anderen Inhalten, anderen Storys. Nach einer anfänglichen Zeit, in der Mike exklusiv mit Busy gearbeitet hat, liebte er es sehr, von vielen verschiedenen Produzenten Inputs zu bekommen, um sich von den Beats inspirieren zu lassen. Busy war eine Grundfeste, den kannte Mike ja schon, seit er 14 Jahre alt war. Sie hatten schon englische Demos zusammen gemacht, bevor Mike nach Amerika ging. Dazu kam dann Lord Scan aus Minden, das war die Heimatachse. Zusätzlich habe ich ihm Iman Shahidi vorgestellt. Iman war der Produzent von Square One aus München und eine Ausnahmeerscheinung in Deutschland – für mich in einer Liga mit DJ Premier, Pete Rock oder Diamond D. Aus ihrer Zusammenarbeit ist dann ja auch »Wahre Liebe« entstanden. Außerdem war ich als Verleger auf eine Band aus dem Wiesbadener Raum namens Instinkt gestoßen, dazu gehörte Chaker, der als MC später bei Azad in der Bozz-Music-Posse eine Rolle gespielt hat. Ich fand das sehr interessant. Das war sehr an Mobb Deep orientiert und ich hatte mit Roey Marquis in Frankfurt auch eine Bezugsperson. Chaker hat mir von einer Wiesbadener Gruppe namens Sieben erzählt, die ich unbedingt kennenlernen müsse. Die Musik war sehr Soulsample-lastig und hat mir total gefallen, vor allem fielen mir die Produktionen ins Auge. Dafür waren zwei Produzenten namens Sascha und Julian verantwortlich, die nannten sich zusammen KFLF, was für »Klare Fakten, lange Freundschaften« stand. Die habe ich Mike auch nähergebracht. Ja, und nicht zuletzt hatte ich als Verleger auch mit den Coolen Säuen aus Köln zu tun, deren Produzent PeerBee aus meiner Sicht so einen Erick-Sermon-Touch hatte und auch noch einige Beats zugesteuert hat.
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Curse: Zu dem Zeitpunkt habe ich ja meine Lyrics immer auf US-Rap-Tracks geschrieben. Also habe ich dann damit begonnen, mir Beats von deutschen Producern zu besorgen, die dazu passen. Einige Songs auf »Feuerwasser« hatten zwischenzeitlich vier verschiedene Beats. Bei »Licht und Schatten« gab es, genau wie bei »Hassliebe« zum Beispiel, drei unterschiedliche Beats. Das war einfach ein Findungsprozess, in dem wir viel herumprobiert haben. Es war ja auch nicht so, dass ich nach Hause gekommen bin und einen geilen Vorschuss in der Tasche hatte – den hatte ja Götz, und davon musste das Album produziert werden. Ich hatte vielleicht 7.000 Mark für die nächsten zwei oder drei Jahre, noch die 5.000 Mark vom Verlagsvorschuss und musste, während ich das Album produziert habe, noch 13 Monate Zivildienst in der Notaufnahme im Krankenhaus schieben. Ich bin nicht jeden Tag zu Busy ins Studio gegangen, sondern wir haben alle paar Tage telefoniert und er hat mir seine neusten Beats vorgespielt. Wenn ich einen geil fand, mussten wir einen Termin finden, an dem ich bei ihm aufnehmen konnte. Dann bin ich ein paar Tage später ins Studio und habe gemerkt, dass der Beat am Telefon doch ein bisschen anders klang als in echt. Aber dann hatte er schon wieder zwei neue, die er mir dann mitgegeben hat. Wir saßen oft stundenlang im Studio, haben Bier getrunken, gequasselt und Beats gehört, ehe ich wieder nach Hause gefahren bin und mal mit Textfetzen probiert habe, ob sie zu den Beats passen. Das ging damals alles über fünf Ecken und es wurde viel gepuzzelt. Es gibt nur einen Track auf »Feuerwasser«, der spezifisch gemacht worden ist. Da hatte Busy ein Instrumental und ich habe all meinen Mut zusammengenommen und ihm vorgeschlagen, ob wir den nicht zusammen ein wenig ausarbeiten könnten.
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Bettina Berger: Es wurde viel über die Visualität des Albums gesprochen. Das ist viel mehr noch in Zusammenarbeit entstanden, wobei das Konzept aus dem Künstlerumfeld kam. Die haben auch den Grafiker vorgeschlagen, an den ich mich gut erinnere. Der war zwar super kreativ, aber eine organisatorische Katastrophe. So schlimm habe ich es wirklich noch nie erlebt. Fast wäre das Album auch daran gescheitert. Das war echt der Wahnsinn. Umso mehr haben wir dann organisatorisch ausgeholfen. Was uns sehr wichtig war, dass das Artwork stimmig und wertig ist und dass es sich durch alle Promo-Maßnahmen und -Bereiche durchzieht. Heute würde man das Corporate Identity nennen, die den Künstler repräsentiert und die auch auf Dauer angelegt ist. Das war schon sehr wichtig, gerade im Künstleraufbau. Alles sollte eine Einheit ergeben. Aber der Grafiker war… Ich weiß gar nicht, wie oft ich versucht habe, den anzurufen, um ihm zu sagen, dass wir die Sachen jetzt wirklich brauchen, sonst kann das Album nicht erscheinen. Ganz fürchterlich. Wir haben insgesamt wirklich alles an gutem Willen bei sämtlichen Leuten rausgeholt, damit dieses Album erscheinen konnte. Weil eigentlich war schon alles gerissen, was man – schon mit sämtlichen Puffern integriert – abzieht.
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Götz Gottschalk: Mike hatte schon den Titel »Feuerwasser« und es war tatsächlich so, dass wir ein Gesamtbild wollten. Ich habe sehr lange gesucht und ihm verschiedene Grafiker und Fotografen gezeigt. Auch da gab es zum damaligen Zeitpunkt relativ wenig Leute in Deutschland, die eine Referenz in diesem Bereich hatten. Genau wie wir den Leuten von der Plattenfirma erklären mussten, dass das Vinylknacksen absichtlich im Beat zu hören ist, haben wir dann ein paar Leute gefunden, die verstanden haben, dass diese ganze Welt eine gewisse Dreckigkeit braucht, aber auch dieses Heldentum. Was die Klamotten anging, gab es das Zeug damals einfach noch nicht an jeder Ecke, und Mike hatte auch eine eigene Mischung, wie er das gerne zusammengestellt hat. Auf den Fotos sieht man oft Klamotten aus seinem oder aus meinem Schrank. Wir haben damals viel mit Illmatic gemacht, einer der frühen HipHop-Brands aus Deutschland. Die haben verstanden, was wir da vorhatten.
- »Für mich war das eine Zeit mit zwei sehr extremen Facetten.« (Curse)Auf Twitter teilen
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Curse: Für mich war das eine Zeit mit zwei sehr extremen Facetten. Das ist auch einer der Gründe, warum das Album »Feuerwasser« heißt. Es gab die allgemeine Stimmung in Minden und in unserer Clique, und es gab meine innere Welt. Davon, wie ich versucht habe, diese beiden Dinge miteinander zu verbinden, ist ganz viel auf dem Album zu hören. Ich kam gerade aus Amerika zurück und in den zwei Jahren, in denen ich weg war, hatte sich um Scan herum eine Clique von zehn bis 20 Jungs formiert, die immer bei irgendwem gechillt, Bong geraucht und Playstation gespielt, aber auch die ganze Zeit Rapmusik gehört und Graffiti gemalt haben. Scan hat immer neue Beats mit dort hingebracht, es wurde gefreestylet, die Jungs haben Texte geschrieben. Der Klan hatte schon sein erstes Demo gemacht und war auch auf einem Sampler vertreten. Für eine so kleine Stadt wie Minden wurden da schon krasse Talente gebündelt. Dennoch war immer klar: Wir wollen für nichts die Verantwortung übernehmen, unseren Spaß haben, so viel Scheiße bauen, so viel saufen, kiffen, rumhuren und uns mit Leuten hauen wie möglich. Fast immer wenn wir auf Jams gefahren sind, gab es Stress. Regelmäßig, wenn wir auf Privat- partys gegangen sind, wurde sich geboxt oder die Häuser der Gastgeber zu Müll zerlegt. Es war aber auch nicht immer so. In erster Linie waren wir dafür bekannt, überall am Start zu sein und die Party zu schmeißen. Die Heidelberger haben sich immer gefreut, wenn wir kamen. Wir waren gern gesehene Gäste. (lacht) Ich habe damals mit meiner damaligen Freundin, die ich in Amerika kennengelernt habe, in unserer eigenen Wohnung gelebt. Ich kam nach zwei Jahren an der Uni zurück und mein Weltbild war ein bisschen anders als das der Jungs. Ich habe mich immer unglaublich amüsiert und wenn ich die Jungs heute sehe, ist es wie damals. Aber es war für mich trotzdem immer klar, dass ich da jetzt nicht so krass mitmischen muss. Klar habe ich auch gekifft wie ein Schlot – aber keine Bong, Eimer oder Erdlöcher, sondern ich bin nach Holland gefahren, habe dort Gras gekauft und dann zuhause Blunts geraucht. Aber auch unabhängig davon habe ich das mit der Musik sehr ernst genommen. Es war immer klar: Ich mache das jetzt! Für mich war das von Anfang an serious business.
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Germany: Der Klan war ein Verbund aus Rappern, Breakern und Sprühern. Wir sind viel zusammen rumgehangen und gemeinsam auf Partys gegangen. Wir waren zum Beispiel oft in einer leerstehenden Villa, in der auch das Video zu »Gaila Sount« entstanden ist. Mike gehörte zwar nicht direkt dazu, aber war oft mit am Start.
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Falk Schacht: Aufgrund seiner Brille wurde Curse sicherlich gerne mal unterschätzt. Aber sobald er den Mund aufgemacht hat, kam da diese Barry-White-Stimme raus. Und dann hat er einfach andere Rapper aufgefressen. Er hatte einfach Bars. Harte Bars. Ohne Ende. Und sein Flow. Das klang alles so unangestrengt, selbst wenn er richtig durchdrehte. Er hat sein damaliges Ziel, New Yorker Rap auf Deutsch zu produzieren, tatsächlich verwirklicht. Und jeder hatte damals Respekt vor ihm. Auch die Konkurrenz. Natürlich haben die sich gegenseitig beäugt. Und es stand auch immer mal wieder in Raum, dass es mal ein Diss-Battle geben könnte, etwa mit Samy Deluxe. Soweit ich weiß, gab es für diesen Fall einen fertig geschriebenen Diss-Song für Samy. Im Falle der Fälle hätte man den nur noch recorden müssen.
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Götz Gottschalk: Ich glaube, Mike hatte diese Ansagen am Anfang auch als Schutz nach außen benutzt. Weil er so ein gedankenvoller Mensch ist und so viel in ihm vorgeht, dass er das nach draußen vereinfachen musste. Angriff ist die beste Verteidigung. Er hatte wohl Angst, dass das, was da in ihm vorging, als nicht akzeptabel gelten oder keine Resonanz finden würde. Der Aha-Moment kam, als er aus seiner vermeintlichen Schwäche seine größte Stärke machte. Er hat es einfach gedreht. Das war der wichtigste Punkt an der »Feuerwasser«-Produktion, dass er an den Punkt kam, wo er gesagt hat: »Fuck it, ich hau das jetzt raus und dann sehen wir ja, was passiert.« In dem Moment sind ihm alle Herzen zugeflogen, weil er seine Zweifel, Gefühle und Ängste offen nach außen gekehrt hat. Er wurde zum Helden und zur Identifikationsfigur für viele Menschen. Aber auch für mich war das eine wichtige Erfahrung. Ich habe gesehen, dass es in der Zusammenarbeit mit solchen Künstlern eine Verpflichtung gibt, sie manchmal zu quälen, um an diesen Ort zu gelangen, wo genau diese Schätze gelagert werden. Dieser seelische und kreative Schatz ist eben nicht leicht zu heben und der Prozess auch oft nicht schön. Aber die musikalischen und textlichen Ergebnisse, die dann dabei herauskommen, sind es wert. Curse hat mit »Feuerwasser« den Schlüssel zu dieser Truhe und zu seinen Schätzen gefunden und sie den Leuten gezeigt. Das sieht man ja auch auf der Platte: Es gibt sehr krawallige Songs mit der ganzen Mindener Rasselbande und auf der anderen Seite sind da eben diese Perlen, die hervorgekommen sind, als er diesen Weg konsequent gegangen ist.
- Irgendwann hat sich herauskristallisiert, dass dieses Album einfach aus diesen beiden Bestandteilen von Feuer und Wasser besteht.« (Curse)Auf Twitter teilen
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Curse: Ich habe mich schon als kleiner Junge für Bücher über Religion und Mythologie interessiert und an der Uni auch Kurse zu diesen Themen belegt. Dementsprechend habe ich auch viel solche Sachen gelesen. Da waren auch viele Bücher bei, deren Themen man allgemein als Esoterik bezeichnen würde. Da waren Bücher über Verschwörungstheorien wie etwas »Behold The Pale Horse« von Milton William Cooper dabei, wo ich mich aber nie so wirklich reingesteigert habe, bis zu Büchern von chassidischen Rabbinern über die Kabbala. Insbesondere dort bin ich sehr eingetaucht und habe sogar versucht, kabbalastische Standardwerke aus dem Mittelalter zu lesen. Ich habe mich aber auch für ägyptische Totenriten oder den Sufismus interessiert. Ich habe »Die Kunst des Krieges« von Sunzi, aber eben auch Toni Morrison oder Groschenromane über die Zuhälter in den 70er Jahren von Iceberg Slim und Bestseller wie »Der Pate« von Mario Puzo gelesen. Zu der Zeit kam dann ja auch das Internet auf und war für alle verfügbar. Dort habe ich auch Stunden und Tage verbracht und mich in diverse Themen reingenerdet. Das hört man auf dem Album auch ganz krass. In einem Song wie »Entwicklungshilfe«, in dem ich sage: »Ich bin analytisch geworden/hab zu viel in Worten und zu wenig in Gefühlen erwartet.« Das spielt auf eine krasse Phase an, in der ich sehr kopflastig unterwegs war. Das war dann die andere Seite, von der ich eben gesprochen habe. Es gab einen Song von Big Pun mit Fat Joe, Armageddon und Raekwon, der »Firewater« hieß. Ich fand diesen Titel unfassbar geil. Phonetisch war das einfach killer. Außerdem hat sich irgendwann herauskristallisiert, dass dieses Album einfach aus diesen beiden Bestandteilen von Feuer und Wasser besteht. Diese beiden Elemente sind aber nicht im Clinch miteinander, sondern ergeben etwas Neues, wenn sie zusammenkommen. Feuerwasser ist auch ein Synonym für Alkohol, was wiederum ein großer Bestandteil des Produktionsprozesses war. Ich habe in der Hälfte der Produktion diesen Namen mal in den Raum geworfen und alle waren so »Perfekt, das machen wir!«
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Martin Stieber: An das erste Mal, als ich »Feuerwasser« zur Gänze gehört habe, kann ich mich noch sehr gut erinnern. Wir hatten einen Auftritt in Schweinfurt in so einem Käfig in einem recht anrüchigen Laden. Das war so eine richtige GI-Bude. Das war ein La-Familia-Konzert und wir sind da wirklich in einem Darkroom aufgetreten. Auf der Fahrt dahin saß die komplette La Familia in einem Leihwagen und da hat der Curse uns das erste Mal die komplette »Feuerwasser« vorgespielt. Da war er total aufgeregt und wollte uns sein Meisterwerk präsentieren. Wir waren dann auch alle baff.
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Schivv: »Feuerwasser« war halt roh, trotzdem geschmackssicher und gleichzeitig hatte er sich textlich schon zu einem gewissen Punkt gefunden und eine Reimtechnik, die über jeden Zweifel erhaben war. Und eben diese perfekte Rap-Stimme. Er hat in irgendeinem »Juice«-Interview damals mal gesagt, dass er nach einem Gespräch mit mir seinen Ansatz zu texten überdacht hätte. Ich hätte ich ihm wohl mal mitgegeben, dass er – wenn er die Leute berühren will – etwas über sich sagen muss und nicht nur die reine Rapmaschine sein darf. Da habe ich mich natürlich darüber gefreut. Man hat »Feuerwasser« genau angehört, dass Mike – obwohl er jung war – bereit war, sich zu öffnen, um die Leute an seinem Innenleben, an seiner Zerrissenheit teilhaben zu lassen.
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Curse: Seit »Wahre Liebe« war da dieses emotionale Feedback, dass sich bis heute fortsetzt. Es sind Leute wie Charnell von Da Fource zu mir gekommen, der mir erzählt hat, dass er den Song mit seinen Jungs im Tourbus rauf- und runtergehört hat. Als ich den Song geschrieben habe, hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm, dass ich solches Feedback bekommen könnte. Ich habe mich vielmehr geschämt, weil der Song so ehrlich war. Das hat bei mir extrem viel verändert. Denn ich habe gemerkt, dass man die Emotionen, die man reingibt, auch von manchen Leuten zurückbekommt. Aber natürlich habe ich auch geschaut, was die Medien geschrieben haben – und das Album hat schon damals sehr polarisiert. Gefühlt kam es sehr positiv an, weil es etwas Neues war. Aber es gab auch genug Leute, die meine persönlichen Texte oder das extrem Prollige als Manko gewertet haben. Eine riesengroße Kontroverse war auch »Zehn Rap Gesetze«. In jedem zweiten Interview wurde ich gefragt, was ich mir mit meinen Anfang 20 anmaßen würde, diese Gesetze aufzustellen. Ich habe das damals überhaupt nicht verstanden! (grinst) Aber die Aufmerksamkeit war definitiv da. Samy kam ja zum selben Zeitpunkt wie ich mit seinem Album raus. Bei ihm lief kommerziell alles schon immer besser als bei mir. Ich habe dann natürlich immer zu ihm geguckt und gesehen, dass seine EP in den Charts war – meine aber nicht. Bei unseren jeweiligen ersten Singles war es genau das Gleiche. Ich war immer ein kleines bisschen enttäuscht, was den kommerziellen Erfolg anging. Was heute betrachtet natürlich mega Quatsch ist. (lacht) Nur gab es immer noch meine eigene, persönliche Welt. In der ersten Woche der »Feuerwasser«-Tour wurde mir meine EC-Karte gesperrt und ich konnte meine Miete nicht zahlen. Ich war einfach fucking broke! Dann fing es ja auch mit dem Festival-Sommer an. Ich habe bei Rock am Ring, Rock im Park und auf dem splash!-Festival gespielt. Überall hat man mir auf die Schulter geklopft, und dann kam ich wieder in meine 40 qm Hochparterre. Das war total geil, aber auch einfach strange. Ich war ständig unter Leuten, aber auch total einsam. Mein größter Traum hat sich erfüllt. Das Album war da und, was mir auch immer wichtig war, sogar die Kollegen fanden es mega. Aber dann waren da diese kleine Bude, das gesperrte Konto und die persönliche, emotionale Achterbahn. Und während man noch über so etwas nachdenkt, steht jemand mit der E-Klasse vor deiner Tür und sagt: »Los, wir fahren zum HipHop Open! Da stehen 15.000 Leute und warten auf dich.« In der Zeit war irgendwie alles richtig, aber auch alles falsch. Hinzu kam: Ich hatte zwar immer Backup von den Stiebers, Torch oder Cora – aber ich war der Erste mit einem Album in den Top 30 und in manchen Fragen konnten mir meine Mentoren auch einfach nicht weiterhelfen.
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Falk Schacht: Ich weiß, dass sich das Label und sein Umfeld mehr versprochen hatten. Das Album blieb letztendlich sechs Wochen in den deutschen Album-Charts. Mancher Major-Rapper würde heute dafür töten, so lange in den Charts zu bleiben. Aber damals war das eben kein richtiger Flop, aber auch kein richtiger Erfolg. Es muss aber perspektivisch versprechend genug gewesen sein, denn sein Vertrag wurde ja fortgeführt. Für die Szene selber war alles in Ordnung. Damals waren Chart-Zahlen kein Kriterium für Qualität.
- »Wir waren mit dem kommerziellen Abschneiden des Albums sehr zufrieden.« (Philipp Jung)Auf Twitter teilen
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Philipp Jung: Wir waren mit dem kommerziellen Abschneiden des Albums sehr zufrieden. Natürlich will man immer mehr, aber wir haben ja nicht auf Obvious Hits gezielt, sondern hatten immer Qualität und Authentizität im Visier. Das war wichtiger als kommerzieller Erfolg um jeden Preis.
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Götz Gottschalk: Da ich als Premium Blend den Vertrag mit Jive gemacht hatte und Mike bei mir unter Vertrag stand, unterlag das gesamte Produktionsbudget meiner Planung. Ich hatte nur eine vertragliche Verpflichtung, eine Curse-Platte mit einer bestimmten Anzahl von Titeln und Eckpunkten abzuliefern. Also konnte ich selbst entscheiden, wofür ich das Geld ausgebe. Bis auf einen kleinen Teil, den Curse zum Leben bekam, haben wir das Geld komplett verproduziert. Für mich war das auch ein Flash. Ich war absoluter HipHop-Freak und Mike hatte in New York studiert, wir wollten an die Quelle, denn wir hatten eben diesen hohen Anspruch. Wir haben amerikanischen HipHop gehört, um deutschen HipHop zu machen. Also wollten wir zu Tony Dawsey, der »Illmatic« und die Gang-Starr-Platten gemastert hatte. Eine der großen HipHop- Mastering-Koryphäen, wie sie in Deutschland in dieser Qualität einfach noch nicht existierte. Der hatte das Verständnis, wie HipHop klingen musste, denn er war Teil davon mit seiner täglichen Arbeit an den wichtigsten und größten US-HipHop-Alben. Tony war ein unheimlich witziger Typ. Der trug immer seine Velours-Trainingsanzüge, in Babyblau oder Lila, dazu blütenweiße Sneakers. Der hatte eine absolute Selbstverständlichkeit mit diesem Metier und machte nicht viele Worte und Diskussionen. Dem gab man ein Lied, dann machte er sein Ding und fertig. Er wusste halt, wie es ging. Denn er machte jeden Tag nichts anderes, als mit den besten HipHop-Produzenten dieser Ära diesen Sound zu definieren. Für ihn stellte sich nie die Frage, wie etwas klingen muss. Der hatte gestern mit DJ Premier die neue Gang-Starr-Maxi gemacht, morgen sollte Erick Sermon oder DMX kommen und in der Nacht kam noch Showbiz, weil er nicht die volle Rate bezahlen wollte, sondern auf Cash-Basis unterwegs war. Wir saßen da einfach nur mit Riesenaugen, während er seine Magie gemacht hat. Wir haben da nur gelernt und gestaunt. Das klang am Ende einfach immer fett. Allerdings hat er immer andere Produzenten als Referenzen in den Songs gesehen als wir. Bei den Songs, die für uns überhaupt nicht nach Premier klangen, hat er in seinem typischen Tonfall gesagt: »Oh, this reminds me of DJ Premier.« Zum Beispiel bei »Hassliebe« von PeerBee, den wir viel eher bei Erick Sermon gesehen haben.
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Bettina Berger: Das Besondere an dem Album kann man zweigeteilt sehen: Einerseits ist es ein wahnsinnig gutes und abwechslungsreiches Debütalbum eines sehr jungen Künstlers. Er war 19 Jahre alt, als er die Sachen geschrieben hat und vielleicht 21, als das Album herauskam. Andererseits war das in Deutschland etwas, was noch nie jemand so in der Form gemacht hat. Es war durchaus auch ein Gegenpol zu dem, was gerade so gemacht wurde. Wobei Gegenpol falsch ist, eher Ergänzung. Und es ist auch ein Album, das immer noch beeindruckt. Wir hatten nicht sehr hohe Chart-Erwartungen – wir wollten eher, dass sich der erste Jive-Künstler etabliert und wirklich gut ist. Wir hatten ja auch nicht nur HipHop-Fans im Büro, aber eben auch die waren be- geistert. Das hat uns alle auch echt verbunden, weil es unser gemeinsames Baby war. Wir waren alle stolz darauf. Die Chartplatzierung war dann 31 – das klingt heute nicht so doll, aber das war für uns auf jeden Fall mehr, als wir uns erwartet hatten und auch die Verkäufe waren besser, als wir erwartet haben. Nachdem das Album draußen war und wir auch ein so gutes Feedback mit guten Rezensionen hatten, hat das wirklich auch viel bewegt, etwa im Vertrieb.
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Götz Gottschalk: In der Szene ist diese Platte eingeschlagen wie eine Bombe. Das war ein komplett neuer Antrag. Die Art zu rappen, die Stimme, die Texte – das war schon an jedem Punkt exzeptionell. Da war ein MC, der nicht aus einer der großen HipHop-Städte kam. Minden in Westfalen – da war gar nichts. Es gab Berlin, Stuttgart, Hamburg, Frankfurt. Aber dann kam ein Typ aus Minden und machte es klar. Das war schon erstaunlich. Trotz vieler freundschaftlicher Verbindungen in die erwähnten Städte wurde er von der Szene als Einzelkämpfer wahrgenommen. Es gab ja im deutschen HipHop immer diese großen Movements: Der Stuttgart-Sound von der Kolchose, der Hamburg-Sound von der Mongo Clikke, später der Aggro-Berlin-Sound. Aber Curse war einfach nur Curse aus Minden. Damit hat er eine neue Qualität gezeigt – zusammen mit Samy und Azad. Die erste Dynamite-Deluxe-Platte kam ja sogar am selben Tag wie »Feuerwasser« raus, »Leben« dann ein paar Monate später. Alle drei nahmen ihre Kunst sehr ernst und hatten eine gewisse Härte. In der Szene hat das einen enormen Stellenwert eingenommen.
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Martin Stieber: »Feuerwasser« ist eine Platte, an der irgendwie alle teilgehabt haben. Deutschlandweit. Aber wenn man alles zusammen bündelt, war es stimmig. Wie eben bei Nas. Es ist ja auch schwierig, eine Platte mit verschiedenen Produzenten zu machen, die dann aus einem Guss klingt. Da hat der Curse auch irgendwie den Masterplan gehabt. Er hat ja auch lange daran gearbeitet.
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Christian Stieber: Die Heterogenität der Songs macht das Album zu etwas Besonderem. Heute versucht man immer über alles einen Filter drüber zu legen, um alles gleichförmig zu machen, aber diese Unterschiedlichkeit der Songs hat es bei »Feuerwasser« perfekt abgerundet und sie zu einem großen Ganzen gemacht. Deswegen ist die Platte ja auch überhaupt nicht langweilig.
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Cora E.: Es gab niemanden, den man mit Curse vergleichen kann in Deutschland. Curse hat eine ganz eigene Art – immer gehabt und bis heute beibehalten. Er hat eben Geschichten erzählt. Aber man hatte nie das Gefühl, dass er sich etwas aus den Fingern saugt. Er hat es einfach so erzählt – auf Musik und Rap. Das hat mich immer so geflasht. Er hat den New-York-Style auf Deutsch gemacht. Das war Nas auf Deutsch: immer sehr tiefgründig und kopflastig.
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Germany: Curse hat Inhalt in die Musik gebracht. Er hat die Art of Storytelling nach Deutschland gebracht – egal ob es die Love-Songs oder die deepen Sachen waren. Er kam, hat gesagt: »Das läuft ab jetzt so!« und hat die Messlatte fünf Sprossen höher gesetzt – danach gab es kein Vorbeikommen mehr an ihm. Wenn ein Typ eine heiße Braut hat, dann hatest du ihn halt für die heiße Braut. (lacht) So war das mit Curse und seinen Skills. Wenn ihn jemand gehated hat, dann nur, weil das, was er gemacht hat, dick war.
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J-Luv: Das Besondere an »Feuerwasser« sowie an Mike ist, dass er ehrliche und unverblümte Texte auf ausgewogenen Beats schreibt, die die Essenz des wahren HipHop und des Urbanen widerspiegeln. Er schaffte es damals und bis heute, Battle, Song, Poesie und Skills in seiner Musik zu vereinen wie kein anderer Rapper. Mike wurde in jeder Stadt gefeiert und ist bis heute einer der überragendsten Poeten und Virtuosen, die das Land je gesehen hat… »Feuerwasser« wird für immer in seiner Blüte leben. Danke dir, Curse, für dein Werk.
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DJ Kitsune: Ich glaube, mit dem Erfolg von Curse war es auf einmal möglich, als MC lyrisch und anspruchsvoll zu sein und trotzdem den Support von einer großen Plattenfirma zu bekommen. Curse ist ja nicht mal bei den Singles einen Kompromiss eingegangen und hat für höchst kredibile Rapper wie Azad, Kool Savas, Samy Deluxe und andere echte Stars aus der Szene heraus sicher die eine oder andere Tür geöffnet. Plattenfirmen schielen gerne auf die Konkurrenz und wenn einer sich was traut, dann folgen die anderen erst. Ich bin mir sicher, dass das auch für diese neue Generation an Rap-Stars galt. »Feuerwasser« ist eines der wegweisendsten Alben in der bislang wichtigsten Ära für Deutschrap. Und das vielleicht beste deutsche Debütalbum bis zu diesem Zeitpunkt und vielleicht darüber hinaus. Ob es nun das deutsche Äquivalent zu »Illmatic« oder »Ready To Die«ist, darf man sich dann gerne aussuchen.
- »Ein Klassiker, der gleichzeitig szeneintern eine Zeitenwende markierte.« (Chris Maruhn)Auf Twitter teilen
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Chris Maruhn: Im Gegensatz zu etlichen anderen deutsch- aber auch englischsprachigen Alben aus deutschen Landen ist »Feuerwasser« das geblieben, was ich damals darin gesehen habe: ein Klassiker, der gleichzeitig szeneintern eine Zeitenwende markierte. Er hatte Alte und Neue Schule aufgesogen – das hier war damals bereits Next School! Thematisch, aber auch musikalisch merkte man diesem Debüt im Jahr 2000 eine geradezu unfassbare Reife und Abgeklärtheit an. Was sowohl Mikes enormem Ausdrucksvermögen, seiner geradezu trademarkhaft glasklar markanten Stimme, seinem gesamtgesellschaftlichen Wissen, als auch seiner technischen Finesse zu verdanken ist. Curse war und ist ein Multitalent – und »Feuerwasser« verdeutlicht das bis zum heutigen Tag auf eindrucksvolle Weise.
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Schivv: Ich glaube, das Album ging verdientermaßen ganz gut damals. Ich kenne aber die Zahlen nicht. Wir waren ja mit ihm, Tefla & Jaleel, Pyranja und Lenny auf »Feuerwasser«-Tour und haben ein paar Wochen sehr intensiv miteinander rumgehangen. Ich kann mich noch erinnern, wie wir im Tourbus saßen und er von einem Label-Menschen angerufen wurde, der ihm die Chartposition durchgegeben hat. Wir haben uns alle sehr gefreut. Da man damals so eng auf einem Raum war, war sein Erfolg irgendwie unser aller Erfolg.
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Busy: Wenn ich das Album heute höre, dann ist es für mich ein extrem gutes Demo, speziell meine eigenen Produktionen. Mit meinem heutigen Know-How hätte ich vieles anders gemischt oder produziert. Aber genau das macht den Charme der Platte aus. Allein, dass wir damals nach New York geflogen sind, um dort »Feuerwasser« den letzten Schliff zu verpassen – von der Mastering-Legende Tony Dawsey, der unsere ganzen Idole gemastert hat. Das war schon etwas Besonderes. Auch wenn ich aus heutiger Sicht beim Mastering-Prozess selbst etwas mehr Feedback hätte geben können. Aber ich war halt Fan und zu geflasht zuzusehen, wie unser Baby in den heiligen Hallen von Masterdisk fertig wird. »Feuerwasser« war eben rough, rugged and raw. Das war ja auch unser Motto. Ich weiß noch, wie ich mit Martin Stieber zusammensaß und die Parrish-Smith-Sachen gefeiert habe. Dieser EPMD-Sound – da wollten wir immer hin. Das war einer unserer Ansprüche. Es gab ganz wenige in Deutschland, die es verstanden haben, den amerikanischen Sound nachzuempfinden und, ja, nachzumachen. Das haben auch nur ganz wenige Mischer verstanden. Vor Roe Beardie verneige ich mich bis heute – der hat mit Walkin’ Larges »Riverside Pictures« das bis dato beste und bestklingende deutsche Rap-Album gemacht. Das war wegweisend. Und dann kamen die Stieber Twins mit »Fenster zum Hof«. Und dann halt »Feuerwasser« – für die Zeit und auch bis heute ist das eine unglaublich gut klingende Platte. Es gibt wirklich sehr wenige Mixer und Engineers, die zu dem Zeitpunkt gewusst haben, wie man diesen typischen amerikanischen Sound macht. Und das war mein Anspruch. Ich wollte so was machen wie Craig Macks »Flava In Ya Ear« – das ist für mich bis heute eine der krassesten Platten aller Zeiten, weil sie minimalistisch, aber eben so extrem auf den Punkt ist. Genau wie »The Message« – für mich die bis heute bestklingendste Rap-Single aller Zeiten. Für mich ist immer wieder besonders – und ich bekomme jedes Mal Gänsehaut –, wenn mir Leute erzählen, wie sie sich damals »Feuerwasser« gekauft haben und vom Sound geflasht waren und wir sie in ihrem Leben mit unserer Musik begleitet haben – lyrisch wie musikalisch. Dann weiß ich wieder, dass wir damals alles richtig gemacht haben und eben dieses Album doch mehr ist als ein Demo. Wir haben mit »Feuerwasser« einen echten Klassiker gezaubert.
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Curse: »Wahre Liebe«, »Zehn Rap Gesetze« und »Schlussstrich« oder »Unter 4 Augen« sind immer noch Lieblingssongs von mir. Bei denen denke ich mir, dass ich sie, mit egal wie viel Knowledge, nie anders gemacht hätte – und heute vielleicht nicht mehr so gut machen könnte, weil mir die Unschuld oder Naivität fehlen würde. Ich höre mir das Album heute noch gerne an und habe eigentlich immer wieder das gleiche Gefühl: Das Album ist ein krasser Rohdiamant, der für mich sehr viel Potenzial und Talent ausstrahlt. Vielleicht habe ich hier und da mal daneben gegriffen oder bin eine Sache nicht ganz richtig angegangen. Aber die Art und Weise, wie wir es gemacht haben und mit welcher Überzeugung ich die Sätze gesagt habe, waren der Wahnsinn. Natürlich hat das Album Ecken und Kanten, aber in all diesen Ecken und Kanten höre ich ein riesiges Potenzial heraus.
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Alle Interviews wurden geführt von Alex Engelen und Jan Wehn. Das Interview mit Götz Gottschalk führte Stephan Szillus. Mit Lord Scan sprach Philipp Killmann. Fast Forward wurde von Julian Brimmers interviewt.
Die exklusiv von ALL GOOD präsentierte »Feuerwasser15«-Tour startet am 20. November in Minden. Tickets gibt’s hier.
Ebenfalls am 20. November erscheinen die verschiedenen Re-Editions von »Feuerwasser 15«. Die limitierte Collector’s Box enthält unter anderem das 100-seitige, von ALL GOOD geschriebene Liner-Notes-Buch »Warum hört ihr mir überhaupt zu?« – hier geht’s zur Vorbestellung.