Tua »Ihr könnt überhaupt nichts. Ihr. Könnt. Nichts.«

Während seines Studiobesuchs auf der Schwäbischen Alb sprach ALL GOOD-Autor Simon Langemann mit einem bedingt gut aufgelegten Tua.

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Wenn die Orsons Mitte März ihr viertes Album »What’s Goes« veröffentlichen, wird sich zwar einmal mehr alles neu anfühlen. Doch manch Konstante gibt es selbst bei »Deutschlands erster echter Boygroup«: Natürlich verkörpert Tua weiterhin den skeptischen Gegenpol der Band – und natürlich bleibt er der inoffizielle Hauptproducer, dessen starker Meinung man vieles verdankt. Die ALL GOOD-Stippvisite im Orsons-Studio brachte dieses Bild jedenfalls nicht ins Wanken: An jenem Freitagnachmittag war Tua der mit Abstand eingespannteste unter den Anwesenden. Immerhin für eine Schüssel Müsli blieb zwischendrin genug Zeit – und für ein ausführliches Gespräch, das sich eigentlich um die annähernd fertiggestellte Platte drehen sollte, dann aber eine gänzlich andere Richtung nahm.

  • Und, wie läuft’s? 

  • Das Album wird das bisher stringenteste, zusammenhängendste. Und es hat, was ich bei den Orsons immer schon haben wollte: einen eigenen Sound, der sich durchzieht. 

  • Den hatte »Das Chaos und die Ordnung« deiner Meinung nach nicht? 

  • Nein. Das hatte nichts miteinander zu tun. Das letzte Album war ein furchtbarer Label-Sampler. Wir haben uns krass volllabern lassen. 

  • Von wem? Universal?

  • Viel von Universal. Aber man muss auch echt sagen: Wir waren selber unsicher. Wir waren nicht sicher, wo wir mit dem ganzen Ding hinwollen. Es gab ‚ne Phase, in der wir gesagt haben: Wir machen jetzt einfach erfolgsversprechende Musik. Und das war eine furchtbare Brainwash-Phase. Das ganze Major-Ding war damals halt neu für uns. Da ist viel Scheiße zusammengekommen. Dann haben wir uns irgendwann auch wieder gefunden – aber ein bisschen spät. Im Nachhinein hätte man den ein oder anderen Song einfach weglassen sollen. Man hätte einfach diese »Juice«-EP zum Album machen müssen. Die »Juice«-EP plus »Rosa, Blau oder Grün«, »Zambo Kristall Merkaba«, »Vodka Apfel Z«. 

  • »Lagerhalle«?

  • Genau, »Lagerhalle«. Ein, zwei von den bisschen singigeren Sachen noch. 

  • »Für Immer Berlin«? 

  • Den mag ich nicht so. Wobei doch, den mag ich auch. 

  • »Manche Episoden in diesem Wachstumsprozess haben mir halt überhaupt nicht gefallen.«Auf Twitter teilen
  • Es wird einem also auch bei einem Bandübernahmevertrag durchaus reingeredet?

  • Es kommt immer drauf an, bei wem. Wir waren halt bei Universal Pop – und das ist natürlich die aggressivste Form. Da kommen gerne und oft Leute hin, die sozusagen gemacht werden wollen. Und ich glaub, die dachten auch damals: Okay, das sind vier Typen, die bringen das und das mit. Und wir machen daraus jetzt mal ein großes Produkt. Wir machen daraus jetzt Culcha Candela und so. Aber wir sind halt Die Orsons. 

  • Seid ihr in der Zwischenzeit bei Universal Urban gelandet?

  • Nee. Das heißt nur nicht mehr Pop. Und die Belegschaft ist eine andere. Da gab es eine Umstrukturierung im Unternehmen. Ein paar Leute sind gegangen, unter anderem unser damaliger A&R. 

  • Ist das gut?

  • Naja, das war nicht seine Schuld, sondern der hat halt seinen Job gemacht. Und wir waren einfach nicht die richtige Band dafür. Da haben beide Parteien einfach aneinander vorbeigeredet, würde ich sagen. 

  • Ihr habt dort einen Vertrag für zwei Alben unterschrieben, richtig?

  • Ich glaub, sogar für drei. Aber ich glaub ehrlich gesagt nicht, dass wir … Man weiß es nicht, keine Ahnung. 

  • Wer weiß, vielleicht läuft das Album jetzt ja auch extrem gut. 

  • Das kann auch sein. Ich hab keine Ahnung, ich mach mir auch echt keinen Kopf darum. Ich bin gespannt, wie es noch wird. Bis jetzt haben die sich mega zurückgehalten. Das war auch unsere Bedingung. Weißt du, wir hätten ja auch auf dumm sagen können: Wir machen einfach kein Album. Dann macht man halt keins. Aber wir haben stattdessen von Anfang an gesagt, dass wir es diesmal wesentlich mehr in der Hand behalten wollen. Das fanden die okay. 

  • Das Thema Orsons ist ja in den Monaten nach »Das Chaos und die Ordnung« nochmal extrem gewachsen. Daher wird sich das neue vermutlich von selbst viel besser verkaufen. 

  • Ich hoff es. Und ja, es ist schon gewachsen. Aber manche Episoden in diesem Wachstumsprozess haben mir halt überhaupt nicht gefallen. Daher betrachte ich das eben zwiegespalten. Wenn du dir jeden Meter kompromisslos mit dem erkämpfst, was du fühlst, dann fühlt sich auch jeder Meter wie ein Kilometer an. Das ist mir lieber, als wenn manche Dinge von selber gehen, weil du Mittel benutzt, die dir nicht so schmecken. 

  • »Ich messe mich und uns nicht an Deutschrap. Alter, mir haut’s jegliche Hüte von allen Köpfen, wenn ich mir die Deutschrap-Szene angucke.«Auf Twitter teilen
  • Stichwort Bundesvision?

  • Bundesvision Song Contest mit »Horst & Monika«. Und ein paar andere Sachen. Alles was in diese Richtung ging, hat mir überhaupt nicht gefallen. Ich hab mich einfach nicht wohlgefühlt. Ich hab alles mitgemacht und es war neu und spannend. Es war cool, das mal zu erleben und bei dem ganzen Zeug dabei zu sein. Aber das waren wir nicht und das werden wir nie sein. Deswegen war es halt komisch. Wenn du dich wirksamer Mittel bedienst, die aber nicht deine eigenen sind, kommen zum Beispiel irgendwann Leute zu deinen Konzerten, die etwas ganz Anderes erwarten als das, was du machst. Stell dir mal vor, »Horst & Monika« wäre der Überhit geworden – Gott sei Dank ist es das nicht. Dann hätte man auf einmal so Party-Atzen-Fans und müsste auf Mallorca spielen. Das will ich einfach nicht. Und das werde ich nie wollen. Also ich würde schon gerne auf Mallorca spielen, aber nicht damit. Dann lieber langsamere, kleinere Schritte, aber genau mit dem, was wir machen. 

  • Man hat es dann auch an den Single-Auskopplungen gemerkt: »Alles Machen« und »Übertreiben Baby« waren nicht dabei, stattdessen »Lagerhalle« und »Vodka Apfel Z«. 

  • Voll, das ist uns dann schnell klar geworden. Das haben wir dann eher versucht. Wir hätten uns das »Horst & Monika«-Ding einfach sparen sollen, dann wäre das nicht so schlimm gewesen. Aber so schlimm war es auch nicht. Wenn ich mich umguck, was andere Leute machen, ey. Das ist natürlich immer ein schlechter Vergleich, denn ich messe mich und uns nicht an Deutschrap. Alter, mir haut’s jegliche Hüte von allen Köpfen, wenn ich mir die Deutschrap-Szene angucke. Das ist auch kein neues Phänomen, sondern es ist einfach krass, wie viel Scheiße die Menschen kaufen. Die Leute sind so schnell zufrieden zu stellen. Schau mal, ich hör selten Deutschrap-Alben. Und ich will jetzt auch keinen nennen. Ich weiß noch nicht mal jemanden. Das ist einfach so ein generelles Gefühl. 

    Viele Sachen sind zum Beispiel wahnsinnig lieblos. Beats kommen von irgendeinem Produzenten. Die kennen sich nicht. Irgendein Typ rappt irgendwas drüber. Spuren werden verschickt. Keiner hat Bock auf das Produkt. Und dann kommt so ein seelenloses, themaloses Ästhetik-Gepupse raus. Man weiß nicht mal, worum es da geht. Da rappt einfach einer über nichts – und über einen nichtssagenden Beat. Und am Ende ist es so ein Plastikscheiß. Du warst ja vorher kurz dabei und hast gesehen, wie wir das machen: Wir arbeiten an jeder Sekunde. Ich will, dass alles lebt. Ich spiel die Sachen ein. Ich mach mir unfassbar viel Mühe, was sinnlos ist, weil die Leute es am Ende vielleicht übers Handy hören. Aber das ist mein Anspruch an mich selber. Und deswegen messe ich mich nicht mit diesem Zeug. Wenn ich sag, ich guck über den Tellerrand und sehe, dass andere Leute es noch viel schlimmer machen, dann ist das einerseits richtig, andererseits auch Unsinn. Ja … lange Zähne, kurzes Kinn: Fickt euch alle! 

  • Ich wunder mich einerseits über die hohen Verkaufszahlen mancher Sachen, andererseits aber auch über das überwiegend positive Feedback vieler Magazine. Die Autoren scheint vieles zufriedenzustellen, dabei erscheinen nach meinem Empfinden echt wenige durchweg gute Deutschrap-Platten im Jahr. 

  • Voll. Ein HipHop-Publikum ist ziemlich dankbar, finde ich. Ich glaub auch, dass man das irgendwann in einem gewissen Kontext sieht. Und irgendwann ist man so sehr in der Materie, dass man den größeren Gesamtkontext vollends ausblendet. Man nimmt gar nicht mehr wahr, dass das vielleicht nur die Paralympics sind. Man denkt auf einmal, dieser HipHop-Standard sei das, was in der Musikwelt stattfindet. Und das ist halt ein Furz. Das klingt jetzt wirklich scheiß elitär, aber bis zu einem gewissen Grad ist es halt wirklich lächerlich, was manche Rapper machen. Wo manche Rapper schon denken, sie seien krass literarische Songwriter-Genies – das ist so ein Haufen Basic-Scheiße. Ihr habt noch nie ein Buch gelesen. Ihr habt noch nie ein Instrument gespielt. Ihr könnt überhaupt nichts. Ihr. Könnt. Nichts. Ihr könnt euch auf ‚ne Bühne stellen mit Klamotten. Ihr Missgeburten. Ich flipp aus. (lacht) Ich hasse das. Und wie schnell Leute das gut finden, Mann. Woah, er hat 16 Takte im Takt gerappt. Über Scheiße! Halt die Fresse. So, ich bin in Rage. Was geht? 

  • »Es ist halt wirklich lächerlich, was manche Rapper machen. Wo manche Rapper schon denken, sie seien krass literarische Songwriter-Genies – das ist so ein Haufen Basic-Scheiße.«Auf Twitter teilen
  • Ja, voll gut. Ich schau mal, ob das Aufnahmegerät noch läuft. 

  • Oh, Gott. Aber da sind wir jetzt beim Thema Anspruch, um den es in meiner Karriere permanent geht. Dieser Schuh, den man sich anzieht, mit dem muss man auch laufen. Ich zieh mir jetzt hier mit der Produktion vom Orsons-Album extrem enge Schuhe an. Du hast zum Beispiel mal – das weiß ich noch, weil ich mich darüber aufgeregt hab – in einer Review über »Stevia« geschrieben: »Das hemmungslos kitschige ›Femme Fatale‹ …« Und dann dacht ich mir so: Echt jetzt, ist das hemmungslos kitschig? Ich weiß, was du meinst. Im Kontext von »Stevia« ist es das kitschigste Lied. Aber es ist halt … Dicker!

  • Manchmal empfinde ich es auch als dreist, einen monatelang ausgefeilten Song mit einem Satz in einer Review zu erwähnen. 

  • Ist schon okay. Du musst es ja machen. Es hat mich jetzt nicht verletzt, es ist mir nur im Kopf geblieben. 

  • Ich finde eben, gerade diese völlige Subjektivität macht oft den Reiz aus. 

  • Voll. Es war für mich nur ein entscheidendes Beispiel. Weißt du, »Femme Fatale« hat zwei Teile, geht sieben Minuten und am Ende sind es nur noch Vocal-Fetzen. Es ist für »Stevia« und für mich vielleicht ein bisschen kitschig, da hast du Recht. Aber im Vergleich zu dem, was andere Menschen machen … Das wäre bei anderen Rappern der undergroundigste Song, den sie je gemacht haben. Das ist eben dieser Punkt. Es ist auch ein Orsons-Phänomen, dass wir manchmal den Bezug zum Rest verlieren, weil wir so sehr in unserem Kosmos sind. Das kann reizvoll sein, aber manchmal auch komisch. Wenn wir halt den Anspruch haben, zu innovieren und inhaltlich ein hohes Niveau zu wahren, dann hat das den Preis, dass viele Leute nicht mehr mitkommen. Oder dass vielen Leuten die Qualitätsmerkmale, auf die wir viel Wert legen, einfach scheißegal sind. 

    Was juckt es die Leute, ob die Drums eingespielt sind? Ob Bartek in dem Text, dem sie eh nicht richtig zuhören, irgendwelche literarischen Querverweise einbaut und so weiter? Das juckt keinen. Es ist eigentlich nicht schlau, das so zu machen. Zumindest nicht aus geschäftsorientierter Sicht. 

  • Ich finde es mittlerweile schon nervig, dass man einzelne Leute, wie beispielsweise auch dich, ständig als Ausnahmekünstler betiteln muss. 

  • Genau, eigentlich sollte jeder ein Ausnahmekünstler sein. Guck mal, was für ein absurdes Wort das ist. 

  • »Die meisten machen eh nichts mit Musik, sondern sind halt Rapper.«Auf Twitter teilen
  • In eurem Fall besteht die Ausnahme ja bereits im Zeitaufwand, den ihr für ein Album aufbringt. Da gibt es in Deutschland schließlich nur eine Hand voll Rapacts.  

  • Ja, und das verstehe ich nicht: warum viele Rapper so lieblos an diese Dinge rangehen. Ich verstehe zwar, dass man im Leben auch kiffen und ficken muss. Und die Leute sind eh keine Mucker. Die meisten machen eh nichts mit Musik, sondern sind halt Rapper. Die machen sich monatelang Gedanken über ein Tattoo, das sie sich stechen lassen, mit dem Namen ihrer Katze oder so. Andererseits machen sie dann aber in vier Minuten irgendwelche 16 Bars und bringen das raus. Dabei sind die genauso ihr Leben lang da. 

  • Es kommt halt drauf an, wie man es verkauft. Wenn jemand ein hingerotztes Mixtape raushaut, hat das ja unter Umständen auch seinen Reiz. 

  • Das ist Geschmackssache. Ich kann dem überhaupt nichts abgewinnen. Mann, wahrscheinlich reg ich mich darüber nur so auf, weil mir diese Maßstäbe eben wichtig sind. Dann sehe ich, dass andere Leute darauf einen Scheiß geben. Aber das heißt auch nicht, dass meine Ansicht da irgendwie überlegen ist. Es ist einfach nur eine andere Perspektive. Aus Marketing-Sicht sind ganz andere Sachen wichtig. Und man kann es ja auch trotzdem feiern. Es gibt ja Leute, bei denen die Musik nicht so wichtig ist wie das Happening. Ich denke jetzt an MC Fitti oder so. 

  • Oder in Ansätzen an Taktlo$$, auch wenn da die Musik natürlich nicht egal ist. 

  • Aber Taktlo$$ ist zum Beispiel einfach ein Künstler. Die Musik minus Taktlo$$ als Person wäre überhaupt nichts. Genau so mein ich das. Wobei Taktlo$$ ja auch ein total positives Beispiel ist. Wenn alle so wären, wäre es ja schön. Aber die meisten sind halt eher so: nochmal machen, nochmal machen, abgegriffenes Zeug. Wenn ich Sachen ein paar mal gesehen habe, langweilen sie mich halt. Ich hasse es, wenn ich Alben höre, bei denen ich richtig merke: Okay, da haben sie den Clubtrack, da haben sie den Frauentrack, da den Battletrack und da den Straßentrack. Das sind so Rap- und Pop-Krankheiten. Nach bestimmten Formeln werden da Dinge abgegrast. Und das hat einfach keinen Charakter. Das ist nichts. In meinen Augen ist das ein Haufen Scheiße. Kein Mensch braucht das. 

  • »Ich hab mit der HipHop-Szene de facto so gut wie nix zu tun.«Auf Twitter teilen
  • Mal angenommen, euer neues Album läuft so gut wie erwartet, könnte euch das doch scheißegal sein. Beziehungsweise: Es könnte euch auch so scheißegal sein.

  • Ey, es ist auch scheißegal. Ich rede mich gerne in Rage und ärger mich über solche Sachen. Aber so lange wir cool leben, ist das eh alles egal. Im Endeffekt ist es eigentlich unser Fehler, dass wir uns dieser Szene überhaupt in irgendeiner Form zugehörig fühlen. Natürlich rappen wir. Oder ich. Ich sprech jetzt mal hauptsächlich von mir. Das ist bei den Orsons immer so: Jeder hat eine andere Meinung. Ich weiß gar nicht, warum ich mich überhaupt über andere Künstler aufrege. Scheiß drauf, Alter. Ich hab damit nix zu tun. Ich hab mit der HipHop-Szene de facto so gut wie nix zu tun. Ich finde in den gleichen Medien statt und ich rappe gelegentlich. Aber wir spielen auch auf anderen Festivals. Meine Schnittmenge mit anderen Szenen ist genauso groß. 

  • Aber das war ja durchaus mal anders. Wenn das erste Album bei Royal Bunker und das zweite bei Deluxe Records rauskommt, ist ja klar, dass man da schwer wieder rauskommt. 

  • Was ja auch okay ist. Aber ich müsste mich trotzdem nicht aufregen. Ich mach es einfach gerne.

  • Es ist ja auch verständlich, es ist ja auch ein großer Teil …

  • … von HipHop: Haten. (lacht) 

  • Und es macht ja auch Spaß. 

  • Es gibt auch viele Sachen, die ich aus rein geschmacklichen Gründen nicht hören würde. Sagen wir zum Beispiel mal: Kraftklub. Das ist sicher keine Musik, die ich mir zuhause anhören würde. Es gibt keine Lebenslage, in der ich sag: Jetzt hab ich übelst Bock, Kraftklub zu pumpen. Aber ich kann die trotzdem nicht haten. Weil ich weiß, dass das Typen sind, die sich das überlegt haben. Die machen alles selbst, haben ein Konzept und machen das richtig geil. Dann bin ich so: Jungs, ey. Hammer. Ich hab großen Respekt, macht euer Ding. Super. Das ist das eine. Da werde ich auch nicht haten. Was mich ärgert ist, wenn Sachen einfach so richtig scheiße sind: Nix überlegt, repetitiv wieder das Gleiche gemacht. Kein Konzept, gar nix. Es ist einfach in jeder Hinsicht kacke und findet nur deswegen irgendwo statt, weil der Typ zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Oder weil der Typ irgendeinen Skandal ausgelöst hat. Das ist das, was ich dann hate. Das hat nicht mal mehr was mit Geschmack zu tun. 

    Was Geschmack angeht, bin ich ein furchtbar störrischer Esel. Ich bin auch sehr arrogant, wenn ich sage, dass ich einen guten Geschmack habe. Aber ich sag jetzt mal, dass ich zumindest für mich einen Geschmack gefunden habe. Und ich ärger mich, wenn Leute keinen Geschmack haben. Denn das hat auch einen Grund: Die Menschen, die keinen Geschmack haben, treffen meistens auch keine Wahl. Was ist Geschmack? Geschmack hat eine moralische Komponente. Geschmack ist, eine Wahl zu treffen. Was machen wir in unseren Leben, vor allem in der heutigen Zeit? Wir bauen kein Getreide an oder züchten Tiere. Sondern die meisten von uns treffen die ganze Zeit Entscheidungen. Schick ich diese E-Mail an den? Ist das hier gut oder ist das schlecht? Und wenn die Leute Scheiße feiern, treffen sie keine Wahl. 

  • »Was wir nicht gemacht haben, ist das gleiche Zeug wie alle anderen. Nicht das, was Erfolg und den einfach Weg versprochen hat.« Auf Twitter teilen
  • Das sind dann aber auch keine Leute, die mit irgendjemandem über Musikgeschmack diskutieren. 

  • Ja, die Leute sind eine Herde Schafe. Und das finde ich echt beängstigend. Ich neige dazu, solche Dinge ins Unendliche zu treiben. Daher finde ich es – ich sags jetzt mal so – moralisch verwerflich, wenn man Scheißmusik macht. (lacht) Ich kriege ein schlechtes Gefühl, wenn ich Musik höre, die total dafür gemacht ist, dass Dummköpfe dumm bleiben und das geil finden. Das fühlt sich für mich alles eklig an. Ich habe da einen gewissen Berufsethos. Ich bin da wie so ein Maurer, der sagt: Du kannst doch da nicht so ‚ne verkackte Mauer hinstellen. Was sollen denn die Leute von uns Maurern denken? Da arbeitet neben mir einer, der hat einen Riesenbetrieb und mauert wie ein Hurensohn. (lacht) Der kann nur deswegen solche Mauern da hinstellen, weil die Leute zu doof sind, sich die mal selber anzuschauen. So kommt es halt zustande, dass ich wert auf Dinge lege, die anderen egal sind.

    Ich weiß aber nicht, ob wir einen Geschmacksverfall haben. Ich bin auch zu jung, um das wirklich im Kontext betrachten zu können. Ich glaube, es gibt mal bessere und mal schlechtere Phasen im Musikgeschäft. Aber wenn in der Gesellschaft ein Geschmacksverfall eintritt, sagen wir mal ein Kulturverlust, durch den alles durchmengter und trashiger wird, dann verliert man auch an Moralität und Werten. Ich klinge jetzt wie ein total reaktionärer Typ. Aber für mich hat Kultur halt was mit der Identität der Leute zu tun. Ich finde, das kann man nicht trennen. Und ich kann es nicht leiden, wenn Leute sagen, sie seien Rapper, um damit ganz viel Verantwortung abzugeben. »Ey, das ist doch nur Rap.« Ich seh uns als Orsons woanders. Das ist mir zu wenig. Ich will da nicht mitspielen. Ich sehe das eher bei … Musik als Ganzes. Kultur oder was auch immer. 

    Oh, Gott. Das darf man nicht schreiben. Das klingt ja furchtbar. Du sortierst bitte die Sachen aus, die zu eklig klingen. (lacht) Ich hab so Angst, dass ich wieder so Elite-Scheiß rede. Aber ich fühl mich auch so, Dicker! Das ist gerade so eigenartig. Ich mag diese Elite-Leute eigentlich nicht. Ich bin einfach Gargamel: ein Typ auf ‚nem Berg, der so vor sich hingrimmelt, ein bisschen sauer ist. Manchmal kommt jemand vorbei und sagt: »Ach, das sind ja schöne Glaskanister, die du hier machst.« Dann bin ich kurz froh. Und dann grummel ich wieder, weil die im Dorf eine viel erfolgreichere Riesenfabrik betreiben. 

  • Aber dass euer Schaffen nur wenige Menschen interessiert, kann man mittlerweile auch nicht mehr behaupten. 

  • Das stimmt natürlich. Ich bin auch echt um jeden Meter dankbar. Und ich sage auch: Ich bin stolz. Was die Tua-Sachen betrifft, natürlich nochmal ein bisschen mehr, aber auch was die Orsons betrifft. Wir haben mit Ausnahme von ein, zwei Songs auf dem letzten Album immer ziemlich straight das gemacht, was wir wollten. Auch wenn das nicht immer das war, was ich wollte, war es schon ziemlich kompromisslos das, was wir als Gruppe wollten. Es war echt in jeder Hinsicht künstlerisch. Entweder haben wir totalen Punk gemacht oder anspruchsvolles Zeug. Was wir nicht gemacht haben, ist das gleiche Zeug wie alle anderen. Nicht das, was Erfolg und den einfach Weg versprochen hat. 

    Umso mehr bin ich auf jeden Meter und auf jeden Fan stolz. Denn wir haben es auf unsere Art und Weise gemacht – und werden hoffentlich noch eine Weile weiter machen. Und so Gott will, werden wir auch auf den größten Bühnen den Unsinn erzählen, den wir halt erzählen. Es ist schön, dass man die Leute auch irgendwie erziehen kann. Wenn man nervig genug ist, bringt man sie dazu, auch die sperrigeren Sachen zu feiern. Zum Dank feiern einen die Leute auch auf ganz andere Art und Weise. Ich hab echt oft Gespräche mit Leuten gehabt, bei denen ich das Gefühl hatte, dass sie es wirklich verstanden und sich damit beschäftigt haben. Sie haben was draus gezogen und konnten mir wirklich profund sagen, warum. Solche Gespräche sind richtig geil.