Sido »Ich wusste schon immer, dass ich einer der besten Texter Deutschlands werden kann.«

Fünf Soloalben hat sido schon veröffentlicht. Am Freitag erscheint mit »VI« sein sechster Streich. Im ausführlichen Interview mit Jan Wehn lässt er den Weg von damals bis heute Revue passieren.

Pressebild Sido 2015 - CMS Source(4)

Zahllose Untergrund-Tapes, sechs Soloalben, diverse Ansagen, die obligatorische Best-of-Platte, ein »MTV Unplugged« – von den Fernsehauftritten und Interviews wollen wir gar nicht erst anfangen. Seit sido 1998 als Teil von Royal TS auf der Deutschrap-Bildfläche auftauchte, ist eine Menge passiert.

Jan Wehn bat den Berliner um eine Rückschau auf seine bisherige Karriere. Vom Tapeverkauf auf dem Ku’damm über den ersten splash!-Auftritt, die Anfänge von Aggro Berlin, etwaige Namen für das Debütalbum »Maske« und das sinnlose Verprassen der ersten 100.000,- Euro.

  • Ich habe mir im Zuge der Vorbereitung noch mal die DVD zur »Aggro Ansage Nr. 1« angesehen. Darin sagst du, dass du ein geborener Entertainer bist. Warst du dir dessen schon immer bewusst?

  • Ja, das war mir schon in der Schule klar. Dort war ich nie der Außenseiter, sondern stand immer im Mittelpunkt. Ich wusste schnell, wie ich dort hinkomme. Weil ich damals schon ein Timing für Pointen hatte. In der Oberschule war ich in der Theater AG und habe bei Auftritten einfach angefangen zu improvisieren. Dafür gab es dann gute Kritiken. Spätestens da habe ich gemerkt, dass ich auf Bühnen und vor Kameras stehen kann, ohne dass mein Gehirn aussetzt oder ich mich schäme. Im Gegenteil: Ich mag es sogar.

  • Ganz zu Beginn deiner Karriere warst du Mitglied einer Crew, die Tripple C Connection hieß. Ich habe mich gefragt, wofür der Name steht.

  • Ohoho, krass! (lacht) Da ist aber jemand informiert. Das ist richtig lange her. Das stand für Capital City Connection. Zu der Crew gehörte damals nicht nur Die Sekte, sondern auch noch eine Band namens V.I.P. und ein paar andere. Ich weiß allerdings nicht mehr, wer genau. Wir waren ja große Fans der Boot Camp Clik aus New York, die ja auch eine Vereinigung mehrerer Gruppen war.

  • Habt ihr als Tripple C Connection auch schon ein Tape aufgenommen?

  • (lacht) Ja, eins. Aber auch wenn es mir einfallen würde, würde ich dir nicht verraten, wem wir es gegeben haben. Derjenige weiß nämlich vermutlich nicht, dass wir das sind. 

  • Du hast gerade die Boot Camp Clik angesprochen. Die Sachen, die zu der Zeit über Duck Down rauskamen, waren eine große Inspiration für euch, oder?

  • Aber wie! Wir waren riesentief drin und haben alles gehört. Die Representativz – und wie sie alle heißen. Früher gab es ja kein Internet und wenn du was von denen hören wolltest, musstest du richtig tief diggen. Wir haben uns auch VHS-Kassetten bestellt und mussten uns auch einen amerikanischen NTSC-Videorekorder dafür besorgen. Wir haben die Videos dann totgeguckt und wussten alles über die Boot Camp Clik.

  • »Paradies« von Die Sekte hat ja auch das gleiche Sample wie »And So«.

  • Ja, aber tatsächlich ist unser Song älter als »And So«. Die Jungs waren eine große Inspiration für uns. Wir mochten dieses gediegene Rappen. Das haben wir dann auch alle gemacht. Natürlich haben wir manchmal auch flotter gerappt, wenn der Beat flotter war. Aber ich war schon immer großer Fan von diesem geshuffelten Flow – und auch geshuffelten Beats. Das habe ich ganz klar von der Boot Camp Clik und insbesondere von Buckshot – aber auch von Biggie.

  • »Früher gab es ja kein Internet und wenn du was von denen hören wolltest, musstest du richtig tief diggen.« Auf Twitter teilen
  • Nach der Zeit mit Tripple C Connection habt ihr als Teil von Die Sekte weitergemacht und auch Tapes am Ku’damm in Berlin verkauft. Wie macht man das?

  • Kennst du die Leute in New York, die dir ihre Demos andrehen wollen? Genau so haben wir das gemacht. Zu der Zeit war Deutschrap noch keine Nummer und der Großteil der Leute konnte überhaupt nichts damit anfangen. Wir haben es trotzdem versucht und hatten einen Walkman dabei, mit dem wir den Leuten dann die Kassetten vorgespielt haben. Wenn die Leute sich den Kopfhörer aufsetzen ließen, haben sie die Sachen nach einer halben Minute dann auch meistens für gut befunden. 

  • Gibt es Leute aus der Zeit, die heute noch sido-Fans sind?

  • Das weiß ich nicht. Aber mir fällt noch eine andere Anekdote ein. Wir haben die Tapes manchmal auch vor Konzerten von Ami-Rappern verkauft. Wenn wir genug Geld verdient haben, konnten wir uns ein Ticket kaufen und drinnen noch ein Bier trinken. In einem Laden war dann auch MC Rene und wir wollten ihm ein Tape verkaufen. Er meinte dann so ein bisschen überheblich »Na gut, kommt her.« Man hat schon gemerkt, dass wir für ihn nur die kleinen Rapperchens waren. (grinst) Er wollte dann mit einem 100-Mark-Schein zahlen. Natürlich konnten wir nicht wechseln. Also hat MC Rene damals unser Tape nicht gekauft, weil wir ihm seinen 100-Mark-Schein nicht wechseln konnten. (lacht) Mittlerweile sind Rene und ich ja auch cool miteinander. Ich habe ihm das damals auch nicht übel genommen. Obwohl ich natürlich gemerkt habe, dass er ein bisschen auf dicke Hose machen wollte. Vielleicht hätte ich es nicht anders gemacht. (grinst)

  • B-Tight und du, ihr habt – das kann man zur Genüge nachlesen – damals in einer vielbesagten 160-Mark-Wohnung gelebt, in der die Mäuse in der Chipstüte gewohnt haben und es nur eine Toilette auf dem Flur gab. Wovon habt ihr die Bude, aber auch das Essen oder die Drogen, über die ihr gerappt habt, bezahlt?

  • Bobby und ich haben unsere Sozialhilfe zusammengelegt. Irgendwann hat nur noch er welche bekommen, weil ich dort nicht mehr hingegangen bin. Ab und an kam auch mal etwas über Konzerte rein, die wir im JUZ gespielt haben. Aber das waren allerhöchstens 50 oder 100 Mark. Aber dann kam das Internet und wir haben auf einer Homepage unsere Adresse veröffentlicht. Da stand dann, dass Leute uns einen adressierten Rückumschlag mit der Kohle für eines unserer Tapes schicken sollen. Und plötzlich kamen jeden Tag drei Briefe mit mindestens 10 Mark bei uns an. Davon konnten wir uns und unseren Kumpels dann auch mal was zu Essen holen. Einmal haben wir so viel Geld zusammengespart, dass wir davon hundert T-Shirts drucken konnten – allerdings sind wir dann auf einem Großteil der Shirts sitzengeblieben. (lacht)

  • »Specter hat uns dann die richtigen Fragen gestellt.«Auf Twitter teilen
  • Wie kamt ihr denn dann zu Aggro Berlin? Stimmt es, dass du Specter durch Vokalmatador kennengelernt hast?

  • In Berlin gab es an vielen Ecken Freestyle Cafés, die versucht haben, wie der Royal Bunker zu sein. Deshalb bin ich bald nirgendwo mehr hingegangen. Aber als ich doch noch mal bei einem vorbeigeschaut habe – das war ein Laden namens G-Spot in der Gneisenaustraße – kam Specter auch und hat explizit nach der Sekte gesucht. Er kannte unsere Musik, weil wir unsere Musik immer bei Halil abgegeben haben, der sie dann in seinem Laden Downstairs verkauft hat. Specter und Halil haben sich dann mit Spaiche zusammengetan und überlegt, ein Label zu machen. Als es darum ging, wen man signen könnte, haben sie sich alle Tapes durchgehört und sind auf uns gekommen. Specter hat uns dann in unserem Rattenloch besucht. Zu der Zeit kam auch gerade Def Jam Germany an den Start. Man hat gemerkt, dass durchaus Interesse von Seiten einiger Labels besteht und wir uns mal um den nächsten Schritt kümmern sollten – und Specter hat uns dann die richtigen Fragen gestellt.

  • Was sind die richtigen Fragen?

  • »Was stellt ihr euch vor?« – das ist eine Frage, die dir ein Majorlabel erst mal nicht stellt. Das fanden wir gut. Er hat sich unsere Ideen angehört, sie für gut befunden, aber auch gute Einwände gehabt. Und eine Woche nach unserem Gespräch kam er mit dem ersten Angebot um die Ecke. Wir sollten einen Song mit der Jazzkantine machen, auf dem auch eine unveröffentlichte Strophe von ODB zu hören wäre. Brixx war ursprünglich nicht für den Song eingeplant, kam dann aber auch mit drauf und das war ein Riesenproblem für Vokalmatador und Rhymin Simon. Die hatten beide ein Riesenproblem damit, auf einem Song mit einer rappenden Frau zu sein. (lacht) Für Bobby und mich war scheißegal, wer da noch mitrappt – denn man hat uns 10.000,- Euro dafür angeboten.

  • Zu der Zeit war es in der Rap-Szene noch verpönt, mit seiner Musik Geld verdienen zu wollen. Du und B-Tight, ihr habt aber unmissverständlich klargemacht, dass ihr genau das wollt. Gab es deswegen Reibereien innerhalb der Szene?

  • Die gab es sogar innerhalb der Sekte. Als Aggro Berlin uns dann letzten Endes den Vertrag auf den Tisch gelegt hat, sind Rhymin Simon und Vokalmatador, der jetzt Backup-Rapper von MC Fitti ist, aus der Sekte ausgestiegen. Rhymin Simon hat damals explizit gesagt, dass der Typ, der damals bei den Beginnern ausgestiegen ist (Platin Martin, Anm. d. Verf.), für ihn der größte Held war. Einfach, weil er den Kommerzscheiß nicht mitgemacht hat. Für mich und Bobby war klar, dass wir von der Hand in den Mund leben und es uns einfach scheiße geht. Wir haben das mit dem Rappen natürlich auch wegen dem Geld gemacht. Klar wollten wir unsere Seele auch nicht an den Teufel verkaufen, aber Rap war unser Beruf – deswegen wollten wir damit auch etwas verdienen. Wir haben ganz schnell gemerkt, dass das Leute für verwerflich halten. Für Rhymin Simon, der gerade kurz vor dem Abschluss seines Chemie-Studiums stand und wusste, was er mit seinem Leben anstellen soll, war es da natürlich ein Leichtes, so etwas zu sagen. Wir hatten aber keine andere Perspektive.

  • »Wir haben das mit dem Rappen natürlich auch wegen dem Geld gemacht.«Auf Twitter teilen
  • Bushido hat mir im Interview erzählt, was für ein besonderer Moment es war, als Specter ihm sein Logo und ähnliche Gimmicks überreicht hat. Für ihn war es, als sei er Mitglied bei den Avengers und habe dann seinen Superheldenanzug bekommen. Wie erinnerst du diesen Moment?

  • Ich hatte schon immer eine sehr straighte Vision von mir und meiner Sache. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, aber ich meine sogar, dass ich Aggro Berlin den Namen gegeben habe. Überhaupt war ich von Anfang an sehr in die ganze Sache involviert. Mir und Bobby war immer wichtig, dass uns keiner reinquatscht. Wir wollten uns nicht verstellen oder uns verkleiden. Das war etwas, was in Deutschland immer gut ankam – egal ob Supa Richie oder die Schlümpfe. Wir wollten immer wir selber bleiben. Aber natürlich ging es schon darum, etwas Gutes um uns herumzubauen. Das haben wir als Team sehr gut geschafft. Allerdings hat es nicht bei jedem Künstler so gut geklappt. Fler hängt das Deutschen-Ding immer noch nach. Aber daran sieht man eben auch, dass es nicht nur an Specter gelegen hat.

  • Wie kam es denn eigentlich zu der Maske? Das hattest du bei Ghostface Killah gesehen und wolltest auch eine haben, oder?

  • Ja, richtig. Ich hatte einfach diese Idee davon, im Bus zu sitzen, von niemanden erkannt zu werden und zu lauschen, wie Leute über dich reden. (überlegt) Wobei das ja eigentlich voll bescheuert ist: Berühmt sein, aber im Bus sitzen. (lacht) Bobby und ich fanden die Idee von einem Mikrofon in Totenkopf-Form schon immer geil. Ich habe Specter davon erzählt und dann kam er mit der Idee und dem Aussehen für die Maske. 

  • Wie ist die Maske dann genau entstanden?

  • Wir sind zu so einem renommierten Typen aus Berlin gegangen, der Masken für Filme herstellt und der einen Abdruck von meinem Gesicht gemacht hat. Ich war dann lange nicht in den Prozess involviert und nach vier Wochen habe ich meine Maske bekommen. 

  • Wie hat die Maske dann auf deinem Kopf gehalten?

  • Hinten war ein breites Gummi befestigt, das die Maske sehr gut auf meinem Kopf fixiert hat. Aber die Maske hat – das muss man im Nachhinein sagen – krass genervt. Ich trag ja normalerweise eine Brille und habe dementsprechend unter der Maske nichts gesehen. Deswegen gibt es auch Fernsehsendungen, in denen ich wie ein Behinderter hin- und hergucke, weil ich nichts fixieren konnte.

  • Und warum hast du immer einen Du-Rag unter der Maske getragen?

  • Weil die Haare sonst aus den Schlitzen herausgeguckt hätten oder man meine Stirn gesehen hat. Manchmal habe ich auch überlegt, ob es nicht schlauer gewesen wäre, meine Augen ringsherum auch noch schwarz zu malen. Aber dann gab es schon die ersten Fotos und wir haben es verplant.

  • Kaete (Managerin von sido, Anm. d. Verf.): Als du das erste Mal bei »MTV TRL« zu Gast warst, hat Patrice gar nicht gerafft, was es mit der Maske auf sich hat. Der hat immer auf die Maske draufgeklopft und gesagt: »Nimm doch endlich mal diesen Helm ab!« (Gelächter)

  • »Die Maske wurde gehütet wie ein Staatsschatz und war stets in guten Händen.«Auf Twitter teilen
  • Von der Maske gab es nur eine einzige, ja?

  • Genau.

  • Und wie habt ihr sie dann transportiert?

  • In einem Case, in dem eigentlich Kameras aufbewahrt werden.

  • Ist irgendwann mal etwas Schlimmes mit der Maske passiert?

  • Nein. Wenn die Maske unterwegs war, gab es immer einen Security, der nur auf die Maske aufgepasst hat. Die Maske wurde gehütet wie ein Staatsschatz und war stets in guten Händen.

  • Gab es eigentlich auch mal die Idee, dass B-Tight auch vermummt auftritt? Auf dem Cover von »Das Mic & Ich« hat man ihn mit einem ins Gesicht gezogenen Du-Rag gesehen. Live ist er am Anfang auch dann und wann so aufgetreten.

  • Nein, das war einfach für die Show.

  • Wessen Idee war es eigentlich, dass dein Logo damals so ein Herzchen hatte?

  • Meine. Das erste Logo war ja an meine Unterschrift angelehnt, in die ich für Frauen immer ein Herzchen reingemalt habe.

  • In einem Interview von 2002 hast du extra mal betont, dass sido kleingeschrieben wird, woran sich leider nur in den wenigsten Fällen jemand gehalten hat. Warum war dir das wichtig?

  • Das sieht einfach besser aus. Mein neues Album heißt »VI« und ich sage »Vau El« anstatt »6«. Das ist eine Frage der Ästhetik. Mich hat immer genervt, dass der Name mit einem großen »S« anfangen sollte und dann kam noch mal der große, hintere Teil vom »D«. Wenn es mit kleinem »s« anfängt, sieht es einfach ästhetischer aus.

  • Wie wichtig war eigentlich damals euer erster Auftritt im Zelt auf dem splash!-Festival 2002?

  • Überkrass. Die Berliner durften damals noch nicht auf der Hauptbühne spielen, weshalb es für sie ein Zelt gab. (grinst) Dort haben wir eigentlich den ganzen Tag verbracht. Bei den Auftritten der anderen standen immer allerhöchstens 200 oder 300 Leute. Als wir dann dran waren, standen wir Backstage und haben gehört, wie es immer lauter wurde. Als dann der Beat anging und ich auf die Bühne bin, war das ganze Zelt mit Leuten voll. Ich wollte total cool mit Wasserflasche performen, aber die ist mir dann sofort aus der Hand gefallen. Auch der Merchandise war innerhalb von einem Tag leergekauft – und das, obwohl wir mit einem LKW dort hingefahren sind. Alle, die vom splash! nach Hause gefahren sind, haben über uns geredet. Das war ein sehr wichtiger Moment für unsere Karriere.

  • 2003 habt ihr dann alle auf der Hauptbühne gespielt.

  • Das war aber nicht mehr so geil. Der Slot war scheiße, was ich nicht verstanden habe – denn schließlich haben wir das Jahr davor krass abgerissen. Von den Journalisten wurden wir das ganze Wochenende über ignoriert, was mich sehr genervt hat. Außerdem war es viel zu heiß und ich war riesendruff. Ich war am Nachmittag schon so fertig, dass ich, während Bobby eine seiner Strophen gerappt hat, hinter die Bühne musste, dort gekotzt habe und wieder nach vorne bin.

  • Eure Beats klangen schon zu Royal-TS-Zeiten – aber auch später – immer wieder sehr elektronisch. Lag das am Music Maker, mit dem ihr auf der Playstation Beats gemacht habt? In der ersten Version konnte man ja nur programmeigene Samples verwenden. Erst in der zweiten Auflage gab es dann die Möglichkeit, eigene Fragmente in die Produktionen einfließen zu lassen.

  • Das stimmt. In erster Linie haben wir aber Drums gesamplet. Es war uns immer wichtig, dass die Drums eigen klangen. Später haben wir dann für Songs wie »So High Teil 2« auch »Flying High« von Captain Hollywood Project, also übelsten Eurodance, und dergleichen gesamplet.

  • »Westberlin« hatte nach hinten raus ja sogar einen Drum’n’Bass-Part der, genau wie die Bassline auf »Bei Nacht« von Bushido von Bommer stammt, oder?

  • Genau, ja.

  • Wie wichtig war elektronische Musik damals für euch?

  • Im Märkischen Viertel war Techno die Musik. Wenn man Deutschrap gehört hat, war man ein Alien. Alle sind nur zu Techno feiern gegangen und haben dazu Pillen genommen. Ich war auch auf Partys von Westbam unterwegs. Wir haben dazu gefeiert, aber Techno selbst fand ich allerdings nie sonderlich geil. Der Electro von Leuten wie Lexy & K-Paul hat mir da schon besser gefallen.

  • »Wenn man Deutschrap gehört hat, war man ein Alien.«Auf Twitter teilen
  • Einverstanden, dass du derjenige bist, der die Droge Ecstasy im deutschen Rap eingeführt hat?

  • (überlegt) Da habe ich noch nie drüber nachgedacht. Aber wahrscheinlich stimmt es, dass wir die ersten waren, die als Rapper darüber geredet haben. Schließlich waren Tabletten bis dahin als Techno-Droge verpönt. 

  • Wessen Idee war es eigentlich, dass es den »Weihnachtssong« in zwei verschiedenen Versionen gab? Einmal hast du gerappt, dass du MTV siehst, einmal Mixery.

  • Die Idee kam von Universal. Zu der Zeit haben wir gerade die ersten Gespräche mit Universal geführt. Für uns war klar, dass wir ein bisschen mit denen labern, sie für unsere Zwecke nutzen, aber noch keine Geschäfte mit ihnen machen. Wir haben dann über Monate auch Autos und Tankkarten bekommen, weil sie ein bisschen auf dicke Hose machen wollten. Im Rahmen dessen meinte Neffi Temur von Universal dann auch zu uns, dass sich MTV und Viva sicher gebauchpinselt fühlen würden, wenn wir für jeden Sender eine Version des »Weihnachtssong« machen würden. Das war eine sehr gute Strategie.

  • Nach der »Aggro Ansage Nr. 3« kam dann dein Debütalbum »Maske« raus. Das Album sollte ursprünglich mal »Buh!« heißen. Warum?

  • Wie sollte das Album heißen?

  • »Buh!«.

  • (überlegt) Alter, krass, was du alles weißt. Du bist der deutsche Nardwuar. Jetzt packst du richtig aus, oder?

  • Ein weiterer Arbeitstitel vor »Buh!« war, wenn ich richtig informiert bin, auch noch »Für die Ladies«.

  • Ja, weil es genau das Gegenteil davon war, hatten wir das mal angedacht. »Buh!« hat mir sehr gut gefallen. Das hat mich immer an Casper den Hausgeist erinnert, der alle erschreckt hat. Aber »Maske« war die wirtschaftlich bessere Entscheidung und hat außerdem auch dafür gesorgt, dass wir hinterher eine Trilogie daraus machen konnten

  • Was bei Aggro schon früh aufgefallen ist, waren die enorm guten Videos. Die wurden aber nicht nur von Specter, sondern auch von einem gewissen Daniel Harder gedreht.

  • Daniel Harder war derjenige, der Specter das Filmgeschäft beigebracht hat. Specter hatte das Auge, aber nicht das Know-how. Also brauchte er jemanden, der ihm das beibringt. Daniel Harder hatte davor schon Videos für die Beatsteaks oder Seeed gedreht und war dementsprechend so etwas wie der technische Dienstleister für Specter.

  • Die beiden haben zum Beispiel auch das Video für »Fuffis im Club« gedreht. Im Intro dieses Songs hört man dich, wie du eine Neuinterpretation von »Spüre diesen Groove« von MC Rene vorträgst. Wie kam es dazu?

  • Als MC Rene damals »Renevolution« herausgebracht hat, war das für mich ein krasses Album. Einfach, weil Rene für mich so locker und unverkrampft rüberkam. Er stand genau für das, was für mich einen Rapper ausmacht. Außerdem ist sein Song damals ja bei Roe Beardie entstanden. Und weil ich mich so gefreut habe, auch dort aufzunehmen, habe ich eben diese kleine Hommage gemacht. »Spüre diesen Groove« fand ich dann aber für einen sido etwas zu real…

  • Roe Beardie meinte im Interview mit uns vor kurzem, er habe »davor und danach mit niemandem gearbeitet, der seine eigenen technischen Grenzen so gut kannte und sich der Wichtigkeit seines Charismas derart bewusst war«.

  • Ja. Klingt gut, oder? (grinst)

  • Außerdem hat er gesagt: »Richtig ausgerastet bin ich bei den Beats, die nie jemand gehört hat. Teilweise hat er mir privat Sachen vorgespielt, wo ich meinte: ›Typ, hör‘ auf zu rappen und werd‘ Produzent!‹«

  • Ich war damals nicht der versierteste Rapper. Mittlerweile bin ich tausend Mal krasser. Aber meine Texte, meine Attitüde, meine Themenwahl und mein Wortwitz waren das, was es ausgemacht hat. Ich habe früher nicht wirklich Augenmerk auf Flows gelegt. Einfach, weil ich kein Hibbedihobbedi-Rapper sein, sondern etwas sagen wollte. Das war mir immer das Wichtigste. Da kann ich verstehen, dass Roman, der nur mit Olli Banjo, der ja ein richtig krass abgehender Rapper war, zusammengearbeitet hat, zu mir sagte, dass ich Beats machen solle. Ich mache ja auch gute Beats! Aber ich wusste schon immer, dass ich einer der besten Texter Deutschlands werden kann. Ich bin nicht nur ein guter Rapper, sondern auch einer der besten Texter dieses Landes.

  • »Ich bin nicht nur ein guter Rapper, sondern auch einer der besten Texter dieses Landes.«Auf Twitter teilen
  • Produzierst du heute immer noch?

  • Ja, das ist für mich wie Kochen: Entspannung. Ich sitze gerne unten im Studio und produziere ein bisschen. Ich habe dann so viele Beats angesammelt, dass ich irgendwann mal einem Kumpel, DerRusse, gesagt habe, er solle doch rappen. Und dann habe ich das gesamte Album für ihn produziert.

  • Hat es dich eigentlich genervt, dass die Leute dich und Harris als Deine Lieblingsrapper auf dem splash! ausgebuht haben?

  • Klar, übelst. Ich habe dann aber auch direkt die Musik ausmachen lassen und gesagt: »Jetzt werft, ihr Hurensöhne!« Dann kam auch direkt was – unter anderem ein Bodyguard, der mich von der Bühne geholt hat. Ich kann es verstehen, wenn Leute einen scheiße finden. Aber für den Großteil des Publikums, die einfach nur Spaß hatten, war es genau so behindert.

  • Und wie ist das heute? Fühlst du dich noch als Teil der Szene? Immerhin sind mit Dillon Cooper, Olexesh und Estikay junge, aufstrebende Rapper auf deinem Album vertreten. Aber auch dafür musst du dir dann anhören, dass du dich nur an die Szene ranschmeißen willst.

  • Das ist überhaupt nicht meine Intention. Ich will in erster Linie Newcomer pushen, von denen ich glaube, dass sie es wert sind und dass sie diese Plattform gut gebrauchen können. Ich habe nicht den Anspruch, in der HipHop-Szene anerkannt zu werden. Das war ich doch auch noch nie. Seit meinem ersten Album war ich von der Szene verpönt und der Großteil meines Klientels hat mit der Szene auch gar nichts zu tun. Das ärgert mich heute aber nicht mehr. Ich kann sagen, dass ich – egal wo ich war – die Fahne für HipHop hochgehalten habe. Ich habe immer und überall gesagt, dass ich Rapper bin. Aber ich finde es auch schön, dass HipHop mittlerweile als Musikrichtung und nicht mehr nur als Jugendkultur anerkannt wird. 

  • Spätestens als »Maske« erschienen ist, war der Scheinwerfer immer auf dich gerichtet und du warst in allen großen TV-Sendungen zu Gast und wurdest von den großen Zeitungen und Magazinen interviewt. Hast du jemals so etwas wie ein Medientraining bekommen?

  • Mit mir konnte man so etwas ja nicht machen. Aber ich habe ab und an Kaete an die Seite gestellt bekommen.

  • Kaete: Ich erinnere mich auch, dass ich manchmal Interviewtraining mit dir gemacht habe. Da saßen wir uns vor einer Kamera gegenüber und haben miteinander geredet.

  • Ich hatte da aber eigentlich nie Interesse dran – im Endeffekt war es sowieso egal. Ich galt zu der Zeit als unberechenbar und hätte jederzeit auch mit einer Flasche Jägermeister irgendwo reinspazieren können. 

  • Erinnerst du dich überhaupt noch an viele Sachen aus der Zeit?

  • Ich war leider nicht immer bei vollstem Bewusstsein. Das bereue ich ein wenig.

  • »Es muss eine Möglichkeit für erwachsene Leute geben, relevanten HipHop zu machen, der nicht peinlich ist.«Auf Twitter teilen
  • Du hast mal gesagt, dass du das Berühmtsein so richtig bemerkt hast, als du dir vernünftiges Essen kaufen konntest. Was hast du dir gegönnt?

  • Jeden Scheiß. Alles, von dem gesagt wurde, dass es gut ist: Hummer, Muscheln, teures Filet oder Sushi. Und Teppanyaki, wo das Essen vor deinen Augen zubereitet wird. Das mache ich aber auch bis heute. Wenn wir irgendwo hin verreisen, ist das Hauptkriterium, welches Essen es dort gibt. (grinst)

  • Bist du sonst auch mal richtig verschwenderisch mit deinem Geld umgegangen?

  • Die ersten 100.000,- Euro waren einfach weg.

  • Wie weg?

  • Für Scheiße ausgegeben – auf Partys versoffen oder in meiner Nase gelandet. Ich hatte nicht mal ein Auto, geschweige denn die Welt gesehen.

  • In vielen Interviews aus der »Maske«–Zeit ist davon die Rede, dass du mit 35 nicht mehr rappen willst.

  • Ich versuche da gerade eine neue Sparte aufzumachen. Ich finde es peinlich, als 35-Jähriger zu rappen wie ein 20-Jähriger und dessen Probleme zu behandeln. Das soll es alles geben und ist für 20-Jährige auch vollkommen legitim. Aber das wäre mir peinlich. Es muss eine Möglichkeit für erwachsene Leute geben, relevanten HipHop zu machen, der nicht peinlich ist – und das ist mein Anspruch.