Team Avantgarde »Ich wurde von Erwartungen erdrückt.«

Nach sechs Jahren veröffentlichen Team Avantgarde aus Berlin mit »Erwartungen« endlich wieder ein Album. Jan Wehn hat sich mit Rapper Phase getroffen, um mit ihm über die neue Platte, aber auch die Vergangenheit zu sprechen.

Team Avantgarde

Für nicht wenige Rap-Fans war »Absolut«, das zweite Team-Avantgarde-Album aus dem Jahr 2007 eine ganz besondere Platte. Wie die beiden ehemaligen Cryptonasen-Mitglieder Phase und Zenit hier mit ordentlich Schnaps im Kopf Beats aus Krautrock-Samples bauten und Phase mit einer beispiellosen Melancholie in der Stimme Kritik an sich selbst und allem um sich herum übte, hinterließ bleibenden Eindruck. Einen, den die beiden auf dem Nachfolger »Paradox« drei Jahre noch festigten. Sechs Jahre später sind Team Avantgarde mit dem nächsten Album »Erwartungen« zurück. Zeit für ein Gespräch.

  • Wenn man sich die alten Alben anhört und dich jetzt hier so sieht, bekommt man den Eindruck, dass es dir ganz gut zu gehen scheint, oder?

  • Ja, aber das war ein Prozess. Ich habe einfach gemerkt, dass die Erwartungen an mein Leben sich zu etwas entwickelt haben, was mir gar keine Freude mehr am Leben bereitet hat. Ich habe immer nur geguckt, was ich noch schaffen und erledigen muss. Ich wurde wirklich von den Erwartungen erdrückt – ganz egal ob die jetzt von außen oder von mir selbst an mich herangetragen wurden. Es gab dann ein Erlebnis in meinem Leben, das mich total aus der Bahn geworfen hat. Ab dem Zeitpunkt habe ich gesagt: »Ich schmeiße all diese Bilder von mir einfach über Bord und fange noch mal ganz von vorne an.« Ganz ohne Erwartungen geht es natürlich auch nicht, aber ich setze sie viel niedriger als früher an.

  • Zum Beispiel?

  • Das ist jetzt ganz profan, aber nimm alleine die Frage: »Wie hat meine Partnerin auszusehen?« Ich mag Locken, ich mag Frauen, die Ballett tanzen und und und… Dann baust du dir nach und nach einen Menschen aus den unterschiedlichsten Komponenten zusammen, aber wirst niemals so jemanden kennenlernen. Als ich meine jetzige Partnerin und die Mutter meines Kindes kennengelernt habe, habe ich beschlossen, dass ich sie einfach so nehme, wie sie ist – und es war die schlauste Entscheidung, die ich seit langem getroffen habe. Ich habe sie einfach angenommen, wie sie ist, wir haben uns gemeinsam entwickelt und daraus sind wunderschöne Dinge – zum Beispiel unser Sohn – entstanden.

  • »Die meisten Ängste und Wünsche sind heute ja einfach nur noch blind adaptiert.«Auf Twitter teilen
  • Ich frage mich ja immer, wie Erwartungen überhaupt entstehen. Nehmen wir doch das Beispiel Liebe. Da bekommt man bestimmte Verhaltensweisen von seinen Eltern mitgegeben und danach kommen ganz schnell Lieder, Filme oder Geschichten, die einem ein bestimmtes Bild davon geben, wie Beziehung zu laufen und Partner zu sein haben.

  • Klar, und das nehmen wir dann als Normalität an. Vielen Menschen fehlt auch das Abstraktionsvermögen um dann abzugleichen, ob es woanders vielleicht genau so ist oder vielleicht ganz anders geliebt wird. Die meisten Ängste und Wünsche sind heute ja einfach nur noch blind adaptiert. Auf Partnerbörsen kann man sich kennenlernen, weil man die gleichen Turnschuhe mag. Da frage ich mich, wie weit das eigentlich vom eigentlichen Wesen des Menschen entfernt ist. Selbst wenn man die gleichen Schuhe mag, dann ist dieses Mögen von Schuhen ja auch nur adaptiert, weil die Werbung einem sagt, dass das jetzt cool ist.

  • Absztrakkt hat mal gerappt: »Ich habe das Leben anderer gelebt, weil ich selber kein eigenes hatte«.

  • Ja, das passt auf jeden Fall. Wenn du jung bist, merkst du ja gar nicht, dass du während deiner Entwicklung in diese Konsumwelt hineinwächst. Viele Bedürfnisse sind ja auch aus wirtschaftlichen Gründen erst erzeugt worden und setzen dir diese Bilder von dir selbst und der Gesellschaft erst in den Kopf. Ich sage jetzt ja nicht, dass ich ein besonders schlauer Mensch bin und das alles durchblicke. Ich bin ja selber diesen Erwartungen erlegen. In »Fragmente« sage ich ja auch: »Ich resette mein Hirn nochmal zurück auf Kind / diese Maschinerie wird mir nie wieder sagen, wer ich bin.« Genau so ist es.

  • Erinnerst du dich noch daran, wann du das erste Mal eine Art Definition von Liebe mitbekommen hast?

  • (überlegt) Das ist ganz lange her. Meinst du jetzt etwas zwischen Mann und Frau oder vielleicht E.T., der auf die Erde kam und am Schluss alle traurig sind, als er wieder geht? Das ist ja auch eine Art von Liebe. Als ich das gesehen habe, bin ich heulend auf die Kinotoilette gelaufen. Da ging die Sentimentalisierung ja schon los. Oder nimm »La Boom« und »Dirty Dancing«. Klar denken Frauen irgendwann, dass sie den tollen einfühlsamen aber auch harten Tänzer bekommen – und dann sind sie enttäuscht, wenn er Maurer ist, Bier trinkt und Fußball guckt. Ein Satz ist mir während dem Arbeiten am neuen Album im Kopf geblieben und wenn mir Dinge widerfahren, sage ich mir den immer auf: »Etwas erwarten und nicht bekommen: sehr hässlich. Etwas erwarten und bekommen: okay. Etwas nicht erwarten und nicht bekommen: scheißegal. Etwas nicht erwarten und bekommen: das Beste.« Man kennt das doch, wenn man mit seinen Freunden unterwegs ist: Man hat einen richtig guten Abend. Aber wenn man versucht, diesen Abend zu rekonstruieren, wird es nicht klappen. Megaloh hat mal gesagt: »Glück ist Realität minus Erwartung.« Das drückt es ja auf ganz ähnliche Art und Weise aus.

  • Ich finde es spannend, dass Team Avantgarde nur sehr selten Alben veröffentlicht, diese dann aber auch deine Realität auf eindrucksvolle Weise widerspiegeln.

  • Klar. Ich habe immer ein Thema, dass die Zeit vor der Entstehung bestimmt hat und arbeite mich dann Song für Song daran ab. Auch »Nele«, ein Lied über den Selbstmord einer Freundin von mir, handelt davon, dass sie ihre eigenen Erwartungen nicht erfüllen konnte. Auch »Raum 316«, in dem ich von meinen Affären erzähle, hat mit Erwartungen zu tun.

  • »Ich dachte damals wirklich, dass mir die Welt zu Füßen lag.«Auf Twitter teilen
  • Was waren denn deine Erwartungen zu Zeiten von »Absolut«?

  • Da hatte ich noch keine, sondern war einfach frei. Da bin ich mal ein ganzes Semester lang bei einer Frau in Karlsruhe geblieben, obwohl nur ein Wochenende geplant war. Du kannst dir nicht vorstellen, wie mein Briefkasten aussah, als ich wiedergekommen bin. (lacht) Ich dachte damals wirklich, dass mir die Welt zu Füßen lag. Ich habe mich nicht groß um das geschert, was in der Zukunft lag. Aber ich habe eben immer diese Leere gespürt.

  • Trotzdem ist es ja so, dass »Absolut« sehr vielen Leute – inklusive mir – sehr viel bedeutet hat

  • Ja, das habe ich schon von vielen Leuten gehört, die teilweise auch jünger sind als ich. Vielleicht liegt es daran, dass die Leute sich einerseits ertappt gefühlt haben, weil sie einen ganz ähnlichen Lifestyle hatten, andererseits aber auch meine Erkenntnis zu ihrer eigenen gemacht haben. »Absolut« hat diesen Moment der Erkenntnis genau wie zum Beispiel »Liebe«. Ich hoffe, dass es bei »Erwartungen« wieder ganz ähnlich wird. Das größte Kompliment wäre, wenn Leute zum Beispiel den Song »Sicherheit« hören und danach zu ihrem Partner sagen: »Ey, da hat er recht gehabt. Lass uns ein Kind machen!«

  • Gut möglich. So, wie mich damals »Absolut« durch mein Studium begleitet hat, finde ich jetzt auch auf dem neuen Album immer wieder Zeilen, die ich auf meine aktuelle Lebenssituation als Fast-30-Jähriger beziehen kann. Es gibt viel zu wenig guten Grown-Man-Rap in Deutschland. Aber du machst definitiv welchen.

  • grim104 von Zugezogen Maskulin hat etwas zu mir gesagt, das mich unfassbar stolz gemacht hat. Er meinte: »Dieses Album gefällt mir so gut, weil es von einem erwachsenen Mann kommt und dabei an keiner Stelle peinlich klingt.« Das hat mich wirklich berührt. Ich will mich ja auch nicht wie andere Künstler mit Mitte oder Ende Dreißig bei jüngeren Leuten einschleimen und dann Konzerte spielen, die nur bis 22 Uhr gehen, weil die 16-jährigen Fans dann wieder nach Hause müssen. Vielleicht holen diese Leute später mal »Erwartungen« aus dem Regal ihres Vaters, hören es an und merken: »Krass, so ging es mir auch mal.« Denn diese Sache mit den Erwartungen wird früher oder später jedem mal widerfahren.

  • Glaubst du, dass du deine Musik so machst, wie du sie eben machst, weil du einem anderen Beruf nachgehst und nicht darauf angewiesen bist, damit Geld zu verdienen?

  • Ja, auf jeden Fall. Wenn es nicht so wäre, hätte ich nach »Ein bisschen Koks« genau dort weitergemacht, wo wir mit dem Song aufgehört haben. Da wusste ich, wie es funktioniert. Es gab nie ein Video zu dem Song und wir hatten trotzdem unglaublich viele Plays. Der Song ist zur Hochphase von MySpace erschienen und jeder hatte den in seinem Player. Ich hätte locker ein ganzes Album in diesem Stil machen können. Aber das wollte ich nicht. Die Songs werden sich auch so durchsetzen.

  • Die Beats auf »Erwartungen« kommen von DJ s.R., auf den Alben davor von Zenit. Warum?

  • Zenit hat sich nach dem letzten Album beruflich umorientiert. Da läuft es jetzt gut und er hat schon gesagt, dass er beim nächsten Projekt wieder mit dabei sein wird. Ich glaube, wir brauchten aber auch beide mal eine Pause voneinander. Aber jetzt ist wieder alles cool. Das nächste Album machen wir dann auch zusammen mit DJ s.R.…

  • …und mit Nesin, der ja früher auch Teil eurer ersten gemeinsamen Crew Cryptonasen war und auf »Erwartungen« Kontrabass spielt.

  • Die größte Freude des Albums ist für mich wirklich, wenn man es mit Kopfhörern hört und dann diese Dichte des Kontrabasses vernimmt. Nesin ist bis heute mein bester Freund und es macht mich richtig stolz, mit so einem großen Musiker wie ihm zusammengearbeitet zu haben.

  • Wie hast du denn DJ s.R. kennengelernt?

  • Das muss 2010 gewesen sein. Er wollte damals einen Song von uns remixen. Wir wollten das damals aber nicht, weil wir zu der Zeit grundsätzlich keine Sachen einfach so rausgegeben haben. Als er uns dann ein paar Referenzen geschickt hat, haben wir ihm dann doch ein Acapella geschickt und er hat seinen Remix gemacht. Danach haben wir aber keine weitere Musik gemacht, sondern sind erst mal Freunde geworden. Ich bin mit ihm in den Sommerurlaub gefahren und wir waren gemeinsam in Cuxhaven. s.R. ist einfach ein wahnsinnig guter Mensch – dass er darüberhinaus auch ein sehr talentierter Produzent ist, kam erfreulicherweise noch dazu. (grinst) Bevor es darum ging, dass ich ein neues Album mache, habe ich ihn 2013 schon gefragt, ob er Teil von Team Avantgarde werden möchte.

  • Ich finde, dass seine Beats denen von Zenit eigentlich in nichts nachstehen.

  • Das liegt vermutlich daran, dass er die Sachen von uns immer sehr mochte. Er hat es echt gut hinbekommen, sich in diesen Sound hineinzufühlen. »l« könnte zum Beispiel 1:1 von Zenit sein. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass Zenit am Schluss noch mal über die Sachen drübergeschaut hat.

  • »Wir haben damals nächtelang gesoffen und uns alles angehört, was wir kriegen konnten.«Auf Twitter teilen
  • Wie würdest du diesen Sound, der euch ja irgendwie ausmacht, eigentlich beschreiben?

  • Das kann ich gar nicht genau sagen. Ich glaube, es fing damals damit an, dass Zenit und ich, der damals auch noch produziert hat, gemeinsam das »Reine Nervensache«-Album gemacht haben. Zu der Zeit sind wir total auf Krautrock ausgerastet. Wir haben wirklich nächtelang gesoffen und uns alles angehört, was wir kriegen konnten. Man muss wirklich sagen, dass wir wirklich das erste Deutschrap-Album mit diesen Einflüssen gemacht haben. Damals hat keiner daran gedacht, so etwas überhaupt in Angriff zu nehmen. Das haben wir dann immer weitergeführt. Zenit stand auch total auf Progressive-Rock aus Italien und dadurch, dass er Pole ist, hat er auch viele Sachen aus der Richtung angeschleppt. Wir hatten zu der Zeit beide Depressionen, haben viel getrunken und all das in Kombination hat dafür gesorgt, dass unserer Musik eine ungemeine Melancholie innewohnte. Dazu kam, dass Nesin damals auch schon hin und wieder Kontrabass für uns eingespielt hat und wir so schon früh synthetische Sounds mit Samples und echten Instrumenten verbunden haben.

  • Der Sound passt auch sehr gut zu deiner Stimme, die auch nicht unbedingt gewöhnlich ist.

  • Ich rede witzigerweise oft mit Leuten über meine Stimme und ich nehme sie ja ganz normal wahr.

  • Naja, aber in deiner Stimmte schwingt schon oft eine gewisse Melancholie und Traurigkeit mit – auch, wenn du über schöne Dinge redest. Das macht diese Dinge nicht weniger schön, aber verleiht ihnen vielleicht eine gewisse Vergänglichkeit.

  • Ich bin ja riesengroßer Chet-Baker-Fan. Bei ihm geht es mir ganz ähnlich. An Tagen, an denen ich ganz traurig war, habe ich mich hingelegt, Chet Baker gehört und habe sofort das Gefühl bekommen, dass dieser Typ mich mit seiner Musik umarmen kann. Vielleicht habe ich diese nie endendende Traurigkeit auch in mir und sie spiegelt sich dann in meiner Stimme wider. Nimm doch »Vogel«: Das ist eigentlich ja ein schönes Lied. Loslassen und Freiheit sind eigentlich ja schöner als Zusammensein. Aber eine Partnerschaft ist ja auch etwas Tolles – und so wie der Song zwischen diesen Gefühlen hin- und herpendelt, tut es auch meine Stimme.