Curse »Ich wollte einfach Musik machen.«

Curse feiert 15 Jahre »Feuerwasser«. Und ALL GOOD feiert mit – mit einer umfassenden Berichterstattung, in der natürlich auch das große Interview mit Curse höchstselbst nicht fehlen darf.

Curse_Feuerwasser

Deutschrap zur Jahrtausendwende. Langsam korrodiert der Einfluss der Rap-Hochburgen Stuttgart und Hamburg. Der Genre-Hype ist im vollen Gange und doch spürt die Szene, dass nicht jede neue Jubel-Nachricht tatsächlich auch ebendieser Szene und der musikalischen Entwicklung zuträglich ist. In diese Stimmung tritt der 22-jährige Mindener Rapper Curse mit seinem Debütalbum »Feuerwasser«.

Aber wie kam es eigentlich dazu? Wann ging das bei Curse, der ja auf »Zehn Rap Gesetze« behauptet, schon seit »zehn Jahren am Mic« zu sein und deshalb »ein bisschen Bescheid« zu wissen, mit dem Rappen eigentlich richtig los? Wie war die Zeit in Amerika? Was fühlt man, wenn einem schon nach einer Handvoll Tracks das Who-is-who der deutschen Rap-Szene auf die Schulter klopft? Wie kam es überhaupt zu dem Deal mit Jive? Und warum heißt »Feuerwasser« eigentlich »Feuerwasser«?

Jan Wehn hat mit Curse anlässlich der Feierlichkeiten rund um das 15-jährige Jubiläum von Curse‘ »Feuerwasser« gesprochen. Das Jubiläum wird von der großen, exklusiv von ALL GOOD präsentierten »Feuerwasser 15«-Tour ab November begleitet. Außerdem erscheint am 20. November eine Re-Edition des Curse-Debütalbums. Neben den üblichen CD- und Vinyl-Formaten wird es auch eine limitierte Collector’s Edition geben, in der neben Sechsfach-Vinyl und allerlei Bonus-Material auch das Buch »Warum hört ihr mir eigentlich zu?« enthalten ist, das die Autoren von ALL GOOD geschrieben haben. Diese limitierte »Feuerwasser 15«-Edition kann man ab sofort hier vorbestellen.

  • Du hast mal gesagt, dass es der größte Traum von dir und Busy war, in Amerika durchzustarten. Woher kam denn dieser Größenwahn?

  • Als wir anfingen, rumzudölmern, gab es noch nicht mal »Fremd im eigenen Land«. Folglich habe ich auch nur amerikanischen Rap und ein bisschen Britcore aus England gehört. Meine Mutter hat ja mehrere Jahre in den USA gelebt und ich wollte auch immer unbedingt dorthin. Minden und Bad Oeynhausen hatten Anfang der Neunziger ja auch keinen Anschluss an irgendeine Form von deutscher HipHop-Szene, die mussten wir selbst machen. Busy hing zu der Zeit dann eher viel mit GIs herum, hatte auch schon eine Platte mit der Gruppe Blaque gemacht und mich auch oft mit zu Shows genommen, bei denen er aufgelegt hat.

  • Wann hast du denn deinen ersten Text auf Deutsch geschrieben?

  • Meine ersten deutschen Texte habe ich quasi aus Spaß geschrieben, als ich 13 oder 14 Jahre alt war. Da sollten wir in der Schule ein Gedicht schreiben und ich habe einen Rap-Text daraus gemacht. Ernst genommen habe ich das aber nicht. Ich habe eigentlich von Anfang an immer auf Englisch geschrieben. Mitte der Neunziger war ich dann in einer Band mit dem Namen Phat-Kicks, in der ich mit meinen Nachbarn zusammen Crossover gemacht habe. Auf unserer ersten CD war ein deutschsprachiger Song mit dem Titel »Zweimal in den Kopf«. Es hätte eigentlich damals schon klingeln sollen – denn immer wenn wir den gespielt haben, sind die Leute auf den Song ausgeflippt. Das war quasi unser Hit. Der Umschwung zum deutschen Rap kam dann dadurch, dass ich in Amerika war und mit Leuten wie Non Phixion, Company Flow oder irgendwelchen Underground-Rappern auf Englisch gecyphert habe und die Leute immer gar nicht glauben konnten, dass ich aus Deutschland kam. Viele wollten dann mal hören, was so in der deutschen Rap-Szene geht. Ich habe dann ein paar Sachen vorgespielt und das Feedback war immer: »Was?! Die flowen nicht mal annähernd so wie du. Warum rappst du nicht auf Deutsch?«

    Lord Scan von Der Klan, der jahrelang mein bester Freund war und mit dem ich sehr viel Zeit verbracht habe, hat damals schon auf Deutsch gerappt. Vor meiner Abreise meinte er auch schon zu mir, ich solle es doch mal versuchen. Aber ich habe mich dann erst in Amerika mit 16 hingesetzt und neben dem Unterricht am College mir quasi noch selber Deutschrap-Unterricht gegeben. Ich habe mich über Wochen und Monate stundenlang hingesetzt und auf Deutsch geschrieben. Es liefen die Tracks von Mobb Deep, Nas, Mic Geronimo, Tragedy Khadafi, Rakim oder Raekwon und ich habe die Lyrics von diesen Songs in meinem Kopf mit deutschen Worten verquickt, Sätze umgeschrieben, Silben anders gesetzt und an Betonungen gefeilt, bis ich das Gefühl hatte, dass das, was ich dort auf Deutsch rappe, sich so anhört, als wär es der New-York-Flow. Im Anschluss habe ich dann drei oder vier Texte geschrieben.

  • Hast du die Texte zurück in Deutschland dann aufgenommen?

  • Nach meinem ersten von zwei Jahren in den USA bin ich zu Busy gegangen und wollte meine deutschsprachigen Sachen recorden. Daraufhin hat Busy dann gesagt, dass er das nicht will. Daraufhin habe ich dann einen Deal mit Busy gemacht. Ich meinte zu ihm: »Ich habe in den USA jetzt MC Serch und eine ganze Menge anderer Rapper kennengelernt. Du gibst mir deine vier besten Beats, auch wenn die schon an deine komischen GI-Freunde vergeben sind. Ich mache vier Tracks auf Deutsch und vier Tracks auf Englisch da drauf. Dann bringe ich das deutsche Zeug hier unter die Leute und das englischsprachige in Amerika und wir gucken, was passiert.« Das war dann in Ordnung für Busy. (lacht) Zu der Zeit hatte Busy ein Studio in der Garage von seinem Cousin. In der Garage gab es einen Raum, in dem die Autos und die Fahrräder standen und einen, in dem das Studio war. Dort stand in einer Ecke das Mikrofon und an der Wand hing ein Pirelli-Kalender.

    Ich muss da kurz noch ein wenig ausholen. Schon drei Jahre vorher hatte ich ja mit Lord Scan die erste Mindener HipHop-Jam veranstaltet. Dort waren STF, DJ Lifeforce, Raid – also Aphroe und Wiz – und noch eine Menge anderer Leute, die dann alle bei meinen Eltern im Keller gepennt haben. Damals habe ich total mit Fast Forward connectet und ihm mein englischsprachiges Demotape gegeben, was ihm echt gut gefallen hat. Auf der Jam haben sich auch Wiz und Busy angefreundet.

    Als ich 1997 aus den USA zurückkam, war auch Wiz gerade bei Busy zu Gast. Ich bin dann in die Aufnahmekabine, habe meinen ersten deutschen Track, »Alles real«, recordet. Als ich fertig war, meinte Busy: »Ich glaube, da müssen wir mal reden.« Ich: »Hä, wieso das denn?!« Er: »Ich habe das ja gar nicht so auf dem Schirm gehabt, aber der Wiz hat mir eben gesagt, dass ich hier eben die Zukunft des deutschen HipHop aufgenommen habe.« Wiz saß die ganze Zeit nur mit einem Grinsen im Gesicht daneben und meinte: »Nimm sofort die anderen Songs auf. Wir spielen in ein paar Tagen mit Raid auf einer großen Jam in Essen. Da sind Cora E., die Stieber Twins, Die Firma und viele andere. Überspielt die Kassette ein paarmal. Ich nehme dich mit da hin und dann werden wir sehen, was passiert.« Dann bin ich eine Woche später auf diese Jam in Essen gefahren. Wiz hat sich dort sehr für mich eingesetzt und allen Leuten mein Tape vorgespielt. Wir saßen dann im Golf von Martin Stieber und haben das Demotape durchgehört. Ich konnte es nicht fassen. Meine Helden haben meine Musik gefeiert – das war ein unvergesslicher Moment. Ich war damals erst 17 Jahre alt und kam aus dem Nichts. Martin Stieber hat in den darauffolgenden Wochen seine SP eingepackt und ist nach Bad Oeynhausen gefahren, weil er gesagt hat: »Ich will den Typen kennenlernen, der solche Beats macht!« Scope und Fast Forward haben mich dann auch nach Köln eingeladen. In den darauf folgenden Wochen, in denen ich noch Semesterferien hatte und in Deutschland war, hatte ich Angebote von Put Da Needle To Da Records und MZEE Records auf dem Tisch. Ich war auf den Alben den Stieber Twins und Cora E. und Busy hat das Album darüber hinaus auch noch produziert, La Familia wurde gegründet, ich hatte ein Feature auf dem Album von Die Firma. 

  • Aber dann musstest du wieder zurück in die USA ans College.

  • Natürlich war ich auf dem Standpunkt: »Fuck USA, ich gehe auf keinen Fall zurück zum College.« Das haben meine Eltern natürlich etwas anders gesehen und haben einen Deal mit Busy gemacht. Vier Wochen, nachdem er noch mit deutschem Rap nicht so wirklich etwas anfangen konnte, kam er zu mir und meinte: »Ich bin ja jetzt ein gefragter Mann und muss das Cora-E.-Album produzieren. Ich habe sowieso keine Zeit für dich und du musst zurück nach Amerika!« Das hatten meine Eltern geschickt gespielt. Aber heute sage ich: »Danke Mama, danke Papa, danke Busy!« (lacht) Ich bin dann auch wirklich noch mal ein Jahr zurück, aber es kamen viele nette Carepakete und jede Menge Support aus Deutschland. Akim Walta hat mir Jacken, Hoodies und CDs von MZEE in die USA geschickt, Fast Forward hat mir Vinylplatten klargemacht und oft angerufen. Die Stiebers, Torch, Tatwaffe und Scope habe ich dann in New York getroffen, als sie dort zu Besuch waren.

  • Unterschrieben hattest du aber noch nichts, oder?

  • Torch hatte gesagt, ich solle doch zu 360° kommen. Das war eine riesengroße Ehre, aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass das nicht zu tausend Prozent serious sei. Akim Walta von MZEE hat auch immer irgendwie mal Lust signalisiert, aber es gab nie so ein richtig konkretes Angebot und auch wenn zwischen mir und Akim immer alles cool war, wusste ich nicht, ob ich mit ihm als Labelchef arbeiten will. Der Einzige, bei dem es konkreter wurde, war Fast Forward. Peter hatte sein Label mit dem Fast-Forward-Album »Ich und MC Bibabutz« begonnen und wollte auch andere Künstler rausbringen. Mein Demotape sollte dann die erste Maxi auf PDNTDR sein. Peter war auch derjenige, mit dem ich während meiner Zeit in den USA am meisten Kontakt hatte. Er hat mir sein Album, bevor es kam, als Kassette geschickt. Er, aber auch Tuareg und Scope, waren für mich richtige Bezugspersonen. Die Jungs waren genau wie die Stiebers meine großen Brüder. Das war auch der Grund, weshalb ich mit ihm keinen Deal gemacht habe. Ich weiß nicht, ob er das verstanden hat, aber ich meinte: »Wenn ich jetzt bei dir einen Vertrag für eine Maxi unterschreibe, dann fühle ich mich dir verpflichtet. Denn ich weiß, dass man mit einer Maxi kein Geld verdient, sondern Cash nur mit einem Album reinholt. Ich würde mich wie ein Wichser fühlen, wenn ich nach der Maxi einfach abhaue und zu einem Major gehe.« Denn eigentlich war das tatsächlich mein Plan: Ich wollte zu einem Major. Deshalb habe ich die Maxi dann nicht gemacht. Im Nachhinein denke ich: »Schade, das wäre doch geil gewesen!« Aber ich hatte so großen Respekt vor Peter und seiner Sache, dass ich da nicht so opportunistisch erscheinen wollte.

  • »Ich habe immer geglaubt, dass das was ich mache, aber auch deutscher Rap an sich, alles erreichen kann.«Auf Twitter teilen
  • Warum wolltest du einen Majordeal?

  • Da ist er wieder, der Größenwahn (lacht). Als ich angefangen habe, auf deutsch zu schreiben, war mein Ziel ja nicht, ein schönes Liedchen zu machen. Ich wollte der Typ sein, der den amerikanischen Flow im deutschen HipHop einführt. Unter dem deutschen Nas ging für mich nichts! (grinst) Ich habe immer geglaubt, dass das was ich mache, aber auch deutscher Rap an sich, alles erreichen kann. Damals schien einfach alles möglich, der Horizont weit offen. Zu der Zeit haben auch andere Rapper ihre ersten Majordeals gemacht – insofern war das gar nicht unbedingt utopisch. Scope hat damals bei der EMI gearbeitet, wo er gemeinsam mit Stephan Schulmeister, der später der Manager von Gentleman geworden ist, Cora gesignt hat und ich war oft mit den Jungs unterwegs und die hatten somit auf dem Schirm, was ich mache. Wir haben damals auch Neffi getroffen, der zu der Zeit Spax gesignt hat. 

  • Wie kam es denn dann zu dem Deal mit Jive?

  • Scope hat ja damals bei der EMI gearbeitet. Irgendwann ist Götz Gottschalk, der gerade einen Verlag gegründet hatte, dort hereinspaziert und wollte angreifen. Er meinte dann zu Scope und zu Stephan Schulmeister: »Wer ist im deutschen HipHop gerade ein interessanter Newcomer?« Scope hat dann, glaube ich, Aphroe, Afrob und mich genannt. Götz wusste zu dem Zeitpunkt, meine ich, gar nicht so richtig, was wir machen und wollte sich mit uns treffen. Er hat mich dann einen Tag nach meinem Geburtstag angerufen und meinte: »Du hast ja über Scope schon von mir gehört. Ich spreche gerade mit einem Majorlabel, das Rapper sucht – lass uns doch mal treffen.« Ich habe dann auch mit Scope gesprochen, der immer sehr neutral war und meinte: »Ich weiß nicht, was das wird, aber der Typ ist schon seriös.«

    Götz und ich haben uns dann in Köln auf dem Ring beim Schlotzsky’s Sandwich getroffen. Er hat mir von seinem Verlag und seiner Edition erzählt. Ich kam also unter der Prämisse zu dem Treffen, dass dort jemand ist, der mir einen Majordeal geben will. Was er aber wirklich wollte, war, mir einen Verlagsdeal zu geben. Ich weiß nicht mehr genau, wie es war und ich tue ihm sicher unrecht, wenn ich es zusammenkürze. Aber wenn man es in drei Sätzen sagen will, war es so: Götz hat mir einen einseitigen Vertrag hingelegt, auf dem schon alles vorformuliert war, und ich nur noch unterschreiben musste. Dazu hat er gesagt: »Wenn du jetzt diesen Verlagsvertrag mit mir unterschreibst, hast du in zwei Wochen einen Majordeal. Wenn du mit mir über irgendetwas, was hier drinsteht, diskutieren willst, dann machen wir das nicht. Und wenn du hier und heute nicht unterschreibst, dann müssen wir nie wieder miteinander reden.« Ich saß dann da und war etwas ratlos.

    Ich habe dann Scope angerufen und er meinte: »Keine Ahnung, ich kenne mich mit Verlagsdeals nicht gut aus. Ich glaube nicht, dass du da deine Seele an den Teufel verkaufst, würde mich aber auch nicht für irgendetwas verbürgen.« Meine Mutter war ja Richterin, aber hatte auch keine Ahnung von der Situation. Götz hat mir dann von Jive erzählt und gesagt, sie hätten wiederum ihm gesagt, dass er mich ihnen bringen soll. Und wenn ich dort mit meinem Stuff ankommen würde – darauf hätte ich sein Wort – würde ich einen Deal bekommen. Dann habe ich gesagt: »Scheiß drauf, let’s do it.« Schließlich habe ich für den Deal auch 5.000 Mark bekommen. Das war eine Menge Geld, für das ich meinen Fiesta einmal ausbeulen lassen konnte. (grinst) Und dann habe ich, ohne irgendeine Ahnung zu haben, den Verlagsdeal unterschrieben – und zwei Wochen später hatten wir einen Termin bei Jive. Mein Sandwich habe ich aber selber bezahlt. (lacht)

  • Was ist dann bei Jive passiert?

  • Jive hat mir einen First-Option-Deal gegeben, noch mal 5000 Mark gezahlt und mir gesagt, ich hätte ab jetzt drei Monate Zeit ein Demo zu produzieren. Wenn sie es geil fänden, gäbe es einen Deal. Ich dachte dann halt, dass Jive sicherlich Pop-Major-Mucke haben wollte und weil Busy ohnehin manchmal auch gerne R&B und New Jack Swing produziert hat, haben wir drei oder vier schnulzigere und poppigere Nummern produziert. Aus Spaß haben wir dann noch zwei Battle-Rap-Songs drangehangen. Jive hat das Demo gehört und als die beiden Battle-Tracks kamen, ist das ganze Office ausgerastet – was wir natürlich geil fanden! 

  • Also hast du dann deinen Vertrag unterschrieben?

  • (lacht) Das war nämlich der Witz und ich wusste das zu Beginn auch nicht – aber ich hatte ja gar keinen Vertrag mit Jive. Als Götz und ich uns mit den Leuten von Jive im Hallmackenreuther in Köln zum Unterschreiben des Deals getroffen haben, war es folgendermaßen: Götz hat als Premium Blend Productions mit Jive einen Vertrag über mich unterschrieben! Ich musste dann einen Vertrag mit ihm machen. Geschäftlich war das alles vollkommen in Ordnung – aber es war für mich very strange. Von so etwas hatte ich noch nie gehört. Aber im Ergebnis habe ich dann ein Album bei Jive veröffentlicht.

  • Wie habt ihr am Album gearbeitet? Das hat ja schließlich ganz schön lange gedauert.

  • Die Produktion hat gut zweieinhalb oder drei Jahre gedauert. Der Grund dafür war, dass ich mir einen immensen Druck gemacht habe. Denn da war er plötzlich: der Moment, auf den ich zehn Jahre hingearbeitet hatte. Natürlich hatte ich auch eine Vision von dem Album, aber an der bin ich in der Realität immer wieder gescheitert. 

  • »Für mich war klar, dass das Album wie ›Illmatic‹, ›Only Built 4 Cuban Linx‹, ›Reasonable Doubt‹, ›Ready To Die‹ oder ›Infamous‹ klingen sollte.«Auf Twitter teilen
  • Was war das Konzept hinter »Feuerwasser«?

  • Für mich war klar, dass das Album wie »Illmatic«, »Only Built 4 Cuban Linx«, »Reasonable Doubt«, »Ready To Die« oder »Infamous« klingen sollte – im besten Fall natürlich nach all diesen Alben. Gleichzeitig sollte aber auch Minden eine große Rolle spielen und meine introspektive Seite zum Vorschein kommen. Ich wollte davon erzählen, wie ich mit 16 zum College gegangen bin und gleichzeitig auch Songs für die Ladys machen. All das sollte sich in »Feuerwasser« widerspiegeln. Das ist im Nachhinein ein Vorhaben, an dem man als 19-jähriger Typ in seinem Keller in Minden nur verzweifeln kann. Aber wir haben dann alle einfach unser Bestes gegeben. Heutzutage ist es ja so, dass Leute, noch bevor sie ihr erstes Demo aufnehmen, schon eine Social-Media-Strategie konzipiert haben. So etwas gab es damals noch nicht – genauso wenig hatte irgendwer großartig Ahnung von Executive Producing. Auch bei Jive war man eher so: »Mach einfach ein geiles Album!«

  • Wo habt ihr dann wie angefangen?

  • Zu dem Zeitpunkt habe ich ja meine Lyrics immer auf US-Rap-Tracks geschrieben. Also habe ich dann damit begonnen, mir Beats von deutschen Producern zu besorgen, die dazu passen. Einige Songs auf »Feuerwasser« hatten zwischenzeitlich vier verschiedene Beats. Bei »Licht und Schatten« gab es, genau wie bei »Hassliebe« zum Beispiel, drei unterschiedliche Beats. Das war einfach ein Findungsprozess, in dem wir viel herumprobiert haben. Es war ja auch nicht so, dass ich nach Hause gekommen bin und einen geilen Vorschuss in der Tasche hatte – den hatte ja Götz, und davon musste das Album produziert werden. Ich hatte vielleicht 7.000 Mark für die nächsten zwei oder drei Jahre, noch die 5.000 Mark vom Verlagsvorschuss und musste, während ich das Album produziert habe, noch 13 Monate Zivildienst in der Notaufnahme im Krankenhaus schieben. 

  • Wie liefen die Arbeiten im Studio ab?

  • Ich bin nicht jeden Tag zu Busy ins Studio gegangen, sondern wir haben alle paar Tage telefoniert und er hat mir seine neusten Beats vorgespielt. Wenn ich einen geil fand, mussten wir einen Termin finden, an dem ich bei ihm aufnehmen konnte. Dann bin ich ein paar Tage später ins Studio und habe gemerkt, dass der Beat am Telefon doch ein bisschen anders klang als in echt. Aber dann hatte er schon wieder zwei neue, die er mir dann mitgegeben hat. Wir saßen oft stundenlang im Studio, haben Bier getrunken, gequasselt und Beats gehört, ehe ich wieder nach Hause gefahren bin und mal mit Textfetzen probiert habe, ob sie zu den Beats passen. Das ging damals alles über fünf Ecken und es wurde viel gepuzzelt. Es gibt nur einen Track auf »Feuerwasser«, der spezifisch gemacht worden ist. Da hatte Busy ein Instrumental und ich habe all meinen Mut zusammengenommen und ihm vorgeschlagen, ob wir den nicht zusammen ein wenig ausarbeiten könnten.

  • Hat Busy sich da nicht so gerne reinreden lassen?

  • Alter, wenn man Busy vorgeschlagen hat, mal eine Snare zu ändern, dann gab es einen Platzverweis. (grinst) Aber genau so wie ich manchmal Sätze geschrieben habe, die scheiße waren, hat Busy Sachen gemacht, die Quatsch gewesen sind. Aber ist doch auch klar, dass man sich dann persönlich beleidigt fühlt, wenn jemand dein Werk anzweifelt. (grinst) Heute können viele Leute ja total musikalisch reden und auch ausdrücken, was sie jetzt genau an so einer Snare stört. Aber damals hieß es halt: »Die Snare geht gaaar nicht!« und dann war Busy direkt so: »Was? Du kommst hier rein und disst meinen Beat!« Da war der Abend schon gelaufen. (lacht)

  • Busy hatte dann ja auch zunehmend mit anderen Projekten zu tun. Wie sehr war er bei »Feuerwasser« involviert?

  • Das war immer phasenweise. Einmal kam 3P um die Ecke und wollte ihn bei sich ins Team holen, dann hat er Beats auch mal zwei Wochen für Illmat!c gesaved. Grundsätzlich war natürlich klar, dass »Feuerwasser« der Hauptfokus war, aber es kam auch schon mal vor, dass er einen Monat lang mit etwas anderem beschäftigt war, was für ihn dringlicher oder spannender war. Damals haben wir ja auch noch auf ADAT, also digitale Tonbänder, aufgenommen. Und wenn Busy mal keine Zeit hatte, waren wir gekniffen Zum Glück habe ich ja auch noch mit Lord Scan, Iman, Peer und anderen gearbeitet. Insofern war Busy die Schnittstelle, aber ich konnte immer irgendwie ausweichen.

  • Wie wichtig war er für »Feuerwasser«?

  • Busy ist »Feuerwasser«. Busy und ich kannten uns zu dem Zeitpunkt ja auch schon sechs Jahre. Er war derjenige, mit dem ich angefangen habe, professionell Musik zu machen. Er war derjenige, bei dem wir das Dingen im Studio gemacht haben und der das Album gemischt hat. Er hat sich mit Götz und den Produzenten die Nächte um die Ohren geschlagen, als ich arbeiten musste. Außerdem hat er natürlich auch Knowledge an Leute wie Scan weitergegeben – schließlich war er uns allen oft ein wenig voraus, was Sound und Technik anging. Außerdem stammen Beats zu so wichtigen Songs wie »Schlussstrich«, »Licht und Schatten« und »Unter 4 Augen« von ihm. Er war quasi das Herzstück des Albums.

  • Gab es nicht auch eine kleine Konkurrenz zwischen Busy und Scan?

  • Auf jeden Fall. Wir wollten natürlich alle das gleiche, aber wir waren eben auch unterschiedliche Charaktere mit eigenen Köpfen. Am Ende lebt das Album natürlich auch von genau solchen Reibungen. Aber wenn man mittendrin steckt, dann frustriert einen natürlich jeder Stolperstein – und von denen gab es in der Produktion einen ganzen Baggerteich voll.

  • Wie war euer Verhältnis?

  • Busy war schon immer mein Bruder. Früher war er der sehr viel ältere, größere Bruder, der eigentlich keinen Bock hat mit dem kleinen Bruder abzuhängen, aber er muss es machen, weil die Eltern das sagen. Später hat er in mir, glaube ich, den etwas cooleren kleinen Bruder gesehen, den man auch mal mitnehmen und seinen Kumpels vorstellen kann– und irgendwann war es so, dass der Bruder auch erwachsen wird und man sich aneinander reibt, weil der kleine Bruder nicht mehr klein sein will. Das musste sich dann erstmal wieder einpendeln. Aber seit dem das der Fall ist, sind wir Brüder auf Augenhöhe. Aber diese Entwicklung hat es definitiv gegeben. 

  • Busy hat gesagt, ich soll dich unbedingt nach der Bedeutung der Vase in seiner Vocalbooth fragen.

  • (lacht) Das ist habe ich ihm bis heute nicht erzählt! Aber es ist so bescheuert, dass ich es irgendwann durchgezogen habe. Aber ich kläre es jetzt mal auf. Ich habe während der Aufnahmen von »Feuerwasser« eine Zeit lang »Beloved« von Toni Morrison gelesen. In den ersten dreißig oder vierzig Seiten liegt die Großmutter der Familie im Sterben. Toni Morrison beschreibt wunderschön, wie diese alte Frau kein Interesse mehr am Leben, sondern nur noch ein Verlangen nach Farben hatte. Sie hat dann darum gebeten, Lavendel oder eine bestimmte Steppdecke in einer bestimmten Farbe ins Haus zu bringen. Als ich das gelesen habe, habe ich mich in meiner Wohnung umgesehen und mir ist aufgefallen, dass ich alles eigentlich nur wie so ein Dulli in Primärfarben eingerichtet habe. Es sah aus wie bei Miró! Dann ist mir die Vase aufgefallen und ich fand, dass sie an dem Tag meinen Spirit ganz gut widergespiegelt hat. Und dann habe ich sie mit zu Busy genommen und habe sie in die Vocalkabine gestellt. Er kam da überhaupt nicht drauf klar und ich habe ihn ständig auf später vertröstet, wenn er eine Erklärung dafür wollte. Ich dachte immer, dass ich ihm das unmöglich erzählen kann, ohne Hausverbot zu riskieren oder zumindest keine Bratwurst mehr zu bekommen. (grinst) Und weil alle immer danach gefragt haben, habe ich dieses Geheimnis quasi bis heute für mich behalten. (lacht)

  • Du hast gerade die Bratwurst angesprochen. Wie wichtig waren eigentlich Busys Eltern in dem Ganzen?

  • Insbesondere was das Bier anging, haben wir uns reichlich am Vorrat von Busys Papa bedient. Wir haben natürlich alle paar Wochen alibimäßig mal einen Kasten mitgebracht – aber das stand natürlich in keinem Verhältnis zu dem, was wir da weggepichelt haben. (lacht) Essen haben wir meistens bestellt, aber im Sommer hat Busys Papa hin und wieder mal den Grill angeschmissen hat, dann sind wir hoch zu ihm, haben ein paar Würstchen und Scampispieße bekommen, mit ihm den Teich angeguckt und wieder zurück in den Keller. Dass Busys Papa ab und an mal den Grill angeschmissen hat, gehörte irgendwie dazu – und ich weiß wohl, dass Leute wie Peter Fox, Gentleman und die Beatsteaks auch in den Genuss dieser berühmten Bratwurst gekommen sind.

  • Gab es denn eine Sperrstunde?

  • Eigentlich durften wir uns die ganze Nacht austoben. Ganz selten sind seine Mutter oder sein Vater mal runtergekommen und haben gesagt: »Ey Jungs, macht doch mal bitte den Bass leiser.« Aber weitergemacht haben wir trotzdem immer.

  • »Ich habe das mit der Musik sehr ernst genommen. Es war immer klar: Ich mache das jetzt!«Auf Twitter teilen
  • Was war das überhaupt für eine Zeit, in der das Album entstanden ist? Habt ihr viel gefeiert?

  • Für mich war das eine Zeit mit zwei sehr extremen Facetten. Das ist auch einer der Gründe, warum das Album »Feuerwasser« heißt. Es gab die allgemeine Stimmung in Minden und in unserer Clique, und es gab meine innere Welt. Davon, wie ich versucht habe, diese beiden Dinge miteinander zu verbinden, ist ganz viel auf dem Album zu hören. Ich kam gerade aus Amerika zurück und in den zwei Jahren, in denen ich weg war, hatte sich um Scan herum eine Clique von zehn bis 20 Jungs formiert, die immer bei irgendwem gechillt, Bong geraucht und Playstation gespielt, aber auch die ganze Zeit Rapmusik gehört und Graffiti gemalt haben. Scan hat immer neue Beats mit dort hingebracht, es wurde gefreestylet, die Jungs haben Texte geschrieben. Der Klan hatte schon sein erstes Demo gemacht und war auch auf einem Sampler vertreten. Für eine so kleine Stadt wie Minden wurden da schon krasse Talente gebündelt. Dennoch war immer klar: Wir wollen für nichts die Verantwortung übernehmen, unseren Spaß haben, so viel Scheiße bauen, so viel saufen, kiffen, rumhuren und uns mit Leuten hauen wie möglich. Fast immer wenn wir auf Jams gefahren sind, gab es Stress. Regelmäßig, wenn wir auf Privatpartys gegangen sind, wurde sich geboxt oder die Häuser der Gastgeber zu Müll zerlegt.

    Es war aber auch nicht immer so. In erster Linie waren wir dafür bekannt, überall am Start zu sein und die Party zu schmeißen. Die Heidelberger haben sich immer gefreut, wenn wir kamen. Wir waren gern gesehene Gäste. (lacht) Ich habe damals mit meiner damaligen Freundin, die ich in Amerika kennengelernt habe, in unserer eigenen Wohnung gelebt. Ich kam nach zwei Jahren an der Uni zurück und mein Weltbild war ein bisschen anders als das der Jungs. Ich habe mich immer unglaublich amüsiert und wenn ich die Jungs heute sehe, ist es wie damals. Aber es war für mich trotzdem immer klar, dass ich da jetzt nicht so krass mitmischen muss. Klar habe ich auch gekifft wie ein Schlot – aber keine Bong, Eimer oder Erdlöcher, sondern ich bin nach Holland gefahren, habe dort Gras gekauft und dann zuhause Blunts geraucht. Aber auch unabhängig davon habe ich das mit der Musik sehr ernst genommen. Es war immer klar: Ich mache das jetzt! Für mich war das von Anfang an serious business.

  • Du hast eben schon Bücher erwähnt. Was hast du in der Produktionsphase von »Feuerwasser« gelesen?

  • Ich habe mich schon als kleiner Junge für Bücher über Religion und Mythologie interessiert und an der Uni auch Kurse zu diesen Themen belegt. Dementsprechend habe ich auch viel solche Sachen gelesen. Da waren auch viele Bücher bei, deren Themen man allgemein als Esoterik bezeichnen würde. Da waren Bücher über Verschwörungstheorien wie etwas »Behold The Pale Horse« von Milton William Cooper dabei, wo ich mich aber nie so wirklich reingesteigert habe, bis zu Büchern von chassidischen Rabbinern über die Kabbala. Insbesondere dort bin ich sehr eingetaucht und habe sogar versucht, kabbalastische Standardwerke aus dem Mittelalter zu lesen. Ich habe mich aber auch für ägyptische Totenriten oder den Sufismus interessiert. Ich habe »Die Kunst des Krieges« von Sunzi, aber eben auch Toni Morrison oder Groschenromane über die Zuhälter in den 70er Jahren von Iceberg Slim und Bestseller wie »Der Pate« von Mario Puzo gelesen. Zu der Zeit kam dann ja auch das Internet auf und war für alle verfügbar. Dort habe ich auch Stunden und Tage verbracht und mich in diverse Themen reingenerdet. Das hört man auf dem Album auch ganz krass. In einem Song wie »Entwicklungshilfe«, in dem ich sage: »Ich bin analytisch geworden / hab zu viel in Worten und zu wenig in Gefühlen erwartet.« Das spielt auf eine krasse Phase an, in der ich sehr kopflastig unterwegs war. Das war dann die andere Seite, von der ich eben gesprochen habe. 

  • Wann hat sich eigentlich herauskristallisiert, dass das Album »Feuerwasser« heißen soll?

  • Es gab einen Song von Big Pun mit Fat Joe, Armageddon und Raekwon, der »Firewater« hieß. Ich fand diesen Titel unfassbar geil. Phonetisch war das einfach killer. Außerdem hat sich irgendwann herauskristallisiert, dass dieses Album einfach aus diesen beiden Bestandteilen von Feuer und Wasser besteht. Diese beiden Elemente sind aber nicht im Clinch miteinander, sondern ergeben etwas Neues, wenn sie zusammenkommen. Feuerwasser ist auch ein Synonym für Alkohol, was wiederum ein großer Bestandteil des Produktionsprozesses war. Ich habe in der Hälfte der Produktion diesen Namen mal in den Raum geworfen und alle waren so: »Perfekt, das machen wir!« 

  • »Irgendwann hat sich herauskristallisiert, dass dieses Album einfach aus den beiden Bestandteilen Feuer und Wasser besteht.«Auf Twitter teilen
  • Und wann war  klar, dass das Ganze die Form eines Albums angenommen hat?

  • »Licht und Schatten« und »Hassliebe« gab es ja schon. »Entwicklungshilfe« war dann schon ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber »Wahre Liebe« war dann der richtige Knackpunkt. Den Song habe ich Ende 1999 nach meiner ersten Tour mit Die Firma geschrieben. Danach sind dann auch noch solche Kernstücke wie »Schlussstrich« entstanden. Tatsächlich sind ohnehin viele wichtige Stücke in den letzten drei bis sechs Monaten vor Abgabe entstanden. Irgendwann kam dann auch die Ansage von Götz und Jive, ich könne mich noch zehnmal um meinen eigenen Arsch drehen, man wolle langsam aber endlich mal ein Album sehen. Das hat schon alles sehr lange gedauert. Ich war mit vielen Dingen noch unzufrieden und habe »Weserwasser« gefühlte hundert Mal recordet. Wenn ich den Song heute höre, finde ich ihn perfekt. Aber damals habe ich die Vocals gehört und war absolut unzufrieden.

  • Habt ihr denn manchmal an Jive reported?

  • Nö. Ich weiß, dass Götz mit den Leuten gesprochen hat – und das manchmal auch Verzweiflung im Hause Jive herrschte. Irgendwann kamen sie nämlich zu mir und meinten: »Deine Musik ist ja sehr politisch und tagesaktuell, ganz nah am Puls der Zeit. Deshalb haben wir uns überlegt, ob wir nicht mal etwas ganz Neues machen wollen. Statt einem Album könnte man doch auch erst mal vier EPs bringen.« Da war mir klar, dass die dort extreme Paranoia schieben und denken, mein Album würde nicht fertig!

  • Du hast mal gesagt »Die Endphase des Albums war sehr intensiv. Wir alle standen unter großer Anspannung und persönlichem Druck.« Lag das nur an der euch davonrennenden Zeit? 

  • Natürlich! Und bei mir kam noch etwas anderes dazu. Ich hatte zwei Jahre mit meiner ersten großen Liebe zusammengelebt – und sie ist genau in dieser heißen Phase der Albumproduktion zurück nach Amerika gegangen. Erst sollte es nur kurzfristig sein, die Familie besuchen, aber alles war völlig unklar und ich habe sie fast nie erreicht. Als ich sie zur Rückkehr am Flughafen abholen wollte, war sie einfach nicht im Flieger – und als ich sie dann angerufen habe, meinte sie: »Ich will dich nie wieder sehen, verschwinde aus meinem Leben und tu so, als sei ich tot!« Ich war gerade 21 Jahre alt geworden, hatte wegen dem Album schon totalen Psychoterror und war darüber hinaus auch mit meiner privaten Situation komplett überfordert. Ich war dann mit Peer und Busy im Studio, habe die letzte Zeile von »Was ist« aufgenommen, bin um drei Uhr nachts aus dem Studio raus und am nächsten Morgen um 7 Uhr in den Flieger gestiegen, um eine Woche in die USA zu fliegen und die Sache zu klären. Der Einzige, der davon wusste, war Busy. Es war nur eine Woche, aber die Albumabgabe stand kurz bevor und alle sind komplett ausgeflippt. (lacht) 

  • Wann seid ihr denn dann zum Mastern nach New York geflogen?

  • Recht bald. Es hat mir wohl ein bisschen den Kopf gerettet, da alles so stramm durchgetaktet war. Ich war Mitte Dezember in New York, dann an Weihnachten für vier Tage daheim, bin anschließend für fünf Tage nach Südafrika geflogen, um das erste große Video zu »Wahre Liebe« zu drehen. Dort haben wir dann auch die Jahrtausendwende erlebt. Zurück in Deutschland haben wir ein oder zwei Nächte bei Götz gepennt und sind dann schon wieder nach New York, um das Album dort mastern zu lassen – und kam kamen wir aus New York zurück und haben sofort beschossen, ein Video für »Hassliebe« zu drehen. Ich bin noch nachts nach dem Dreh Richtung Berlin gefahren und stand am nächsten Tag um 9 Uhr am Set von »Ich lebe für HipHop« von DJ Tomekk. Dann kam das Album und drei Tage später ging es schon mit der Tour los.

  • Wessen Idee war es, das Video für »Wahre Liebe« in Südafrika zu drehen?

  • Götz und Jive hatten Grafiker, Fotografen und Videoleute, von denen auch diese Idee kam, klargemacht. Wir waren damals noch nicht so stark in diese Dinge involviert. Ich wollte einfach Musik machen. Mir war es auch unfassbar peinlich, fotografiert zu werden, zu posen und vor der Kamera zu performen. Aber nach Südafrika zu fliegen fand ich natürlich geil!

  • »Es war schön zu sehen, dass diese Jungs alle da waren.«Auf Twitter teilen
  • Wie kam es denn eigentlich zu den zahlreichen Cameos im »Zehn Rap Gesetze«-Video? Im Video waren ja Leute wie Cora E, die Stiebers, Azad aber auch Specter und Spaiche, die später Aggro Berlin gegründet haben, zu sehen.

  • Das Video haben wir in einem alten Stasi-Bau gedreht. Die Idee kam vom Videoregisseure und er meinte, ich solle alle anrufen – und dann sind auch wirklich alle da: Savas, Spaiche, Specter und und und… Als ich zum Dreh gekommen bin, war das auch für mich total überwältigend. Es war schön zu sehen, dass diese Jungs alle da waren. Heutzutage überlegen Rapper sich ja, ob sie für irgendwen einen Shoutout machen, weil das für sie und ihr Image mitunter nicht förderlich sein könnte.

  • Warum war dein Logo, auch vorher schon, eigentlich ein Skorpion?

  • Das mit dem Skorpion stammt von mir. Ich habe zuhause mal rumgedaddelt und fand, dass der Buchstabe C ein wenig wie ein aufgestellter Skorpion aussieht. Ich wollte unbedingt ein Emblem, ein Markenzeichen, haben – so wie der Wu-Tang Clan. Dann haben wir zusammen herumprobiert und irgendwann war das Logo fertig. 

  • Was ist eigentlich die Geschichte hinter dem Artwork? Vom Feuer ist ja etwas zu sehen – aber wo ist das Wasser?

  • Wir sind da gar nicht mit so viel Konzept drangegangen. Das Foto stammte aus einer Session, die wir schon ein Dreivierteljahr vorher gemacht haben. Zu dem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass das Album »Feuerwasser« heißen soll. Für eine neue Session war dann kein Geld mehr da und wir haben überlegt, welches Foto denn für das Cover in Frage kommen könnte. Und es gab dieses eine Bild auf dem ich schreie, das aber verschwommen war – aber irgendwie fand ich es absolut passend, weil es nicht gestellt war und eine rohe Energie hatte. Beim Cover von »Hassliebe« war es ganz ähnlich und wir haben ein Foto genommen, das aus Versehen zu viele Male belichtet worden war. Aber gerade diesen Fehler fand ich gut. Auf dem Cover von »Wahre Liebe« bin ich nur halb zu sehen, aber das mochte ich auch, weil es nicht gestellt war.

  • »Als ich ›Wahre Liebe‹ geschrieben habe, habe mich geschämt, weil der Song so ehrlich war.«Auf Twitter teilen
  • Wie war denn das Feedback auf das Album? 

  • Seit »Wahre Liebe« war da dieses emotionale Feedback, dass sich bis heute fortsetzt. Es sind Leute wie Charnell von Da Fource zu mir gekommen, der mir erzählt hat, dass er den Song mit seinen Jungs im Tourbus rauf- und runtergehört hat. Als ich den Song geschrieben habe, hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm, dass ich solches Feedback bekommen könnte. Ich habe mich vielmehr geschämt, weil der Song so ehrlich war. Das hat bei mir extrem viel verändert. Denn ich habe gemerkt, dass man die Emotionen, die man reingibt, auch von manchen Leuten zurückbekommt. Aber natürlich habe ich auch geschaut, was die Medien geschrieben haben – und das Album hat schon damals sehr polarisiert. Gefühlt kam es sehr positiv an, weil es etwas Neues war. Aber es gab auch genug Leute, die meine persönlichen Texte oder das extrem Prollige als Manko gewertet haben. Eine riesengroße Kontroverse war auch »Zehn Rap Gesetze«. In jedem zweiten Interview wurde ich gefragt, was ich mir mit meinen Anfang 20 anmaßen würde, diese Gesetze aufzustellen. Ich habe das damals überhaupt nicht verstanden! (grinst)

    Aber die Aufmerksamkeit war definitiv da. Samy kam ja zum selben Zeitpunkt wie ich mit seinem Album raus. Bei ihm lief kommerziell alles schon immer besser als bei mir. Ich habe dann natürlich immer zu ihm geguckt und gesehen, dass seine EP in den Charts war – meine aber nicht. Bei unseren jeweiligen ersten Singles war es genau das Gleiche. Ich war immer ein kleines bisschen enttäuscht, was den kommerziellen Erfolg anging. Was heute betrachtet natürlich mega Quatsch ist. (lacht) Nur gab es immer noch meine eigene, persönliche Welt. In der ersten Woche der »Feuerwasser«-Tour wurde mir meine EC-Karte gesperrt und ich konnte meine Miete nicht zahlen. Ich war einfach fucking broke! Dann fing es ja auch mit dem Festival-Sommer an. Ich habe bei Rock am Ring, Rock im Park und auf dem splash!-Festival gespielt. Überall hat man mir auf die Schulter geklopft, und dann kam ich wieder in meine 40 qm Hochparterre. Das war total geil, aber auch einfach strange.

    Ich war ständig unter Leuten, aber auch total einsam. Mein größter Traum hat sich erfüllt. Das Album war da und, was mir auch immer wichtig war, sogar die Kollegen fanden es mega. Aber dann waren da diese kleine Bude, das gesperrte Konto und die persönliche, emotionale Achterbahn. Und während man noch über so etwas nachdenkt, steht jemand mit der E-Klasse vor deiner Tür und sagt: »Los, wir fahren zum HipHop Open! Da stehen 15.000 Leute und warten auf dich.« In der Zeit war irgendwie alles richtig, aber auch alles falsch. Hinzu kam: Ich hatte zwar immer Backup von den Stiebers, Torch oder Cora – aber ich war der Erste mit einem Album in den Top 30 und in manchen Fragen konnten mir meine Mentoren auch einfach nicht weiterhelfen.

  • Wie war die ganze Sache denn eigentlich für deine Eltern?

  • Ich glaube für meine Eltern, und das ist weder von meiner noch von ihrer Seite böse gemeint, waren immer eher so: »Wenn der Junge davon mal seine Miete bezahlen kann, dann sind wir zufrieden.« Natürlich fanden die das immer ganz okay und haben auch mitbekommen, dass andere Leute mich für talentiert hielten. Aber im Endeffekt waren es die äußeren Ergebnisse. Ich weiß noch, dass mein Vater zum ersten Mal so etwas wie Stolz gezeigt hat, als Leute zu ihm in die Praxis gekommen sind und ihm gesagt haben, sie hätten mich im Fernsehen gesehen, nach dem ich mein erstes Interview mit Patrice auf MTV hatte.

  • Wie hat das Album denn deiner Meinung nach in die damalige Zeit gepasst?

  • In der damaligen Zeit konnte jeder seine eigene Nische belegen. Es gab den Hamburg-Sound, der durch Samy Deluxe und die Beginner belegt wurde. In Stuttgart waren Freundeskreis und die Massiven Töne. Der Frankfurter Sound hat sich durch Azad aus dem 3P-Camp heraus etabliert. Und auch Berlin bekam durch die ersten Savas-Sachen einen Boost. »Unter Tage« von RAG war auch gerade erst erschienen. Zwischen 1999 und 2000 wurden viele Sounds entwickelt und geprägt – und wir hatten eben den Mindener Sound, der zwar Überschneidungen mit diversen Camps hatte, im Grunde aber etwas ganz eigenes war. In der Zeit gab es nichts und niemanden gab, der wie wir geklungen hat.

  • Du hast eben schon Samy Deluxe angesprochen. Falk hat gesagt, es stand immer mal wieder im Raum, dass es ein Battle mit ihm geben solle und für diesen Fall gab es wohl einen Disstrack gegen Samy, aber auch gegen andere.

  • (grinst) Für Samy gab es definitiv keinen! Samy und ich waren damals ja gerade die neuen Typen. Unsere Alben kamen am selben Tag und wurden auch von Außen gegeneinander gepitcht. Zum Beispiel hatte die »Juice« in der damaligen Ausgabe Tony Touch – und weder Samy noch mich – auf dem Cover und der Artikel über Samy war ein Zitat aus »Zehn Rap Gesetze«. Mein heutiger Pressepromoter hat damals auch in der Hamburger Clique gechillt und hat mir erst neulich erzählt, dass sie immer auf Party waren, gechillt haben und keine Probleme im Leben hatten, sich aber immer gefragt haben: »Was hat dieser Curse eigentlich für Probleme?!« Wir fanden wiederum die Leute, die nur vom Kiffen und Ladidadida-Party reden komisch. Ich habe aber nie schlecht über Samy geredet – im Gegenteil: Ich habe ihn immer hart respektiert und natürlich auch seine Sachen gehört, weil er einfach ein unfassbarer Rapper war.

    Er hat dann mal in einem Fernseh-Interview gesagt, er sei nicht der Typ, der sein Privatleben offenlegt. Da war ich dann schon so: »You talkin’ ’bout me?!« Daraufhin habe ich dann mal in einem Interview gesagt, dass ich nicht der Typ sei, der die ganze Zeit davon redet, wie stoned er ist. Aber das war nie ein Problem und wenn wir uns wegen der Stiebers, die mit uns beiden down waren, gesehen hat, war immer alles super cool. Aber für andere Leute, ein paar andere MCs, gab es definitiv Lyrics. Das war nie öffentlich, aber intern sind hier und da manchmal Sachen passiert, bei denen ich mir dachte: »Wenn da noch irgendetwas kommt, bin ich ready!«

  • Inwieweit hat das Album die Szene denn beeinflusst?

  • Das Sprechen über Gefühle, der Inhalt und das Emotionale war sicherlich das eine, aber ich glaube, dass das Album die Szene durch Songs das extreme Technikgeflexe auf Songs wie »Auf uns ist Verlass« auch aufgerüttelt hat. Auf solchen Tracks war Rap ein Event. Aber auch andere einzelne Songs haben die Szene sicherlich beeinflusst – seien es »Wahre Liebe« oder »Zehn Rap Gesetze«. »Leavin’ Las Vegas« und die asoziale Mindener-Saufkultur wurde dann ja von Der Klan noch mal auf Albumlänge ausgeführt.

  • Es gab ja auch einen eigenen Slang.

  • In Minden gibt es diese Buttjersprache, die stark durch Romanes, also die Sprache der Sinti und Roma geprägt ist, die wiederum aber auch regional immer anders gesprochen wird und mit plattdeutschen Elementen vermischt wurde. Wir sind eben damit aufgewachsen und das war Teil unserer eigenen Identität. Immer wenn wir irgendwo hingekommen sind, haben die Leute das krass gefeiert. Die Heidelberger haben sich da einzelne Begriffe rausgepickt und die Frankfurter fanden es wiederum geil, weil wir geredet haben wie sie.

  • Wie ist das Album in deinen Ohren denn gealtert?

  • »Wahre Liebe«, »Zehn Rap Gesetze« und »Schlussstrich« oder »Unter 4 Augen« sind immer noch Lieblingssongs von mir. Bei denen denke ich mir, dass ich sie, mit egal wie viel Knowledge, nie anders gemacht hätte – und heute vielleicht nicht mehr so gut machen könnte, weil mir die Unschuld oder Naivität fehlen würde. Ich höre mir das Album heute noch gerne an und habe eigentlich immer wieder das gleiche Gefühl. Das Album ist ein krasser Rohdiamant, der für mich sehr viel Potential und Talent ausstrahlt. Vielleicht habe ich hier und da mal daneben gegriffen oder bin eine Sache nicht ganz richtig angegangen. Aber die Art und Weise, wie wir es gemacht haben und mit welcher Überzeugung ich die Sätze gesagt habe, waren der Wahnsinn. Natürlich hat das Album Ecken und Kanten, aber in all diesen Ecken und Kanten höre ich ein riesiges Potential heraus – und ich weiß ja, wo es mit dem nächsten Album »Von Innen nach Außen« dann hingegangen ist. 

  • Die exklusiv von ALL GOOD präsentierte »Feuerwasser15«-Tour startet am 20. November in Minden. Tickets gibt’s hier.

    Ebenfalls am 20. November erscheinen die verschiedenen Re-Editions von »Feuerwasser 15«. Die limitierte Collector’s Box enthält unter anderem das 100-seitige, von ALL GOOD geschriebene Liner-Notes-Buch »Warum hört ihr mir überhaupt zu?« – hier geht’s zur Vorbestellung.