Gianni Suave »Ich will deutschen HipHop langfristig qualitativ prägen.«
Zum Release seiner zweiten EP »Dope« unterhielt sich ALL GOOD-Autor Till Wilhelm mit dem Frankfurter Rapper Gianni Suave über seine Vision, alternde Rapper und natürlich die Musik selbst.
Die Tage vergehen schnell in der Corona-Quarantäne. An irgendeinem dieser Nachmittage rufe ich Gianni Suave per Facetime an. Er sitzt in seinem WG-Zimmer mit Hochbett und die Isolation setzt ihm sichtlich zu. 80 Prozent seiner Zeit verbringt er normalerweise draußen, sagt er. Die erste Viertelstunde kann er still sitzen, den Rest des Telefonats läuft er im Kreis, meistens mit Zigarette im Mund. Angesichts der sich über ihm drehenden Decke wird mir schwindelig. Was Gianni sagt, gibt mir wieder Halt. Er wählt seine Worte präzise, spricht über Anspruch und Vision. Als wäre es selbstverständlich, dass ein Deutschrap-Newcomer heute auch nur eines davon hätte. »Weißt du, was ich meine?« höre ich immer wieder. Ich glaube, ich weiß es. Es geht darum, etwas Neues zu schaffen, abseits vom Mainstream. Progressiv zu denken und dabei trotzdem relatable zu bleiben. Das wirkt einfach, wenn Gianni am Text sitzt, Rio produziert und Funkvater Frank Mix und Mastering übernimmt. Herausgekommen ist ein hervorragendes Tape namens »Dope«, out now.
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2016 hast du den RAPTAGS-Wettbewerb von Universal Urban gewonnen. Wie kams dazu?
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Das war der Startschuss. Ich habe davor schon hobbymäßig gerappt. Während meines Auslandssemesters in China hatte ich endlich Zeit, mich wirklich damit zu beschäftigen. Dort ist ein erstes Tape entstanden, wenn man das so nennen kann, dass nie veröffentlicht wurde. Meine Homies meinten immer, es wäre cool, was ich mache, aber ich wollte unabhängiges Feedback. Deswegen habe ich bei diesem Contest meinen Song eingeschickt. Auf einmal kam ein Video raus, in dem Visa Vie, Niko Backspin und ein paar andere über meinen Song reden. Ich war in den Top 20 des Wettbewerbs gelandet, aus 800-900 Bewerbern. Am Ende haben wir tatsächlich gewonnen, mit meinem ersten richtigen Song.
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Du hast den gewonnenen Vertrag aber nicht unterschrieben.
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Letzten Endes habe ich abgelehnt, um mich selbst als Künstler entwickeln zu können, ohne Major-Deal im Nacken. Als Folge haben wir unser Kollektiv »Don’t Mess With The Weather« gegründet. Wir wollten unser eigenes Ding machen.
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Für viele andere wäre der Major-Vertrag wahrscheinlich der große Traum.
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Das ist eben so ein Thema mit dem Musikbusiness. Jeder muss seinen eigenen Anspruch definieren. Mein Hauptziel ist nicht, Geld zu verdienen. Das wäre krass, aber die Kunst steht an erster Stelle. Ich will deutschen HipHop langfristig qualitativ prägen. Meine Kunst soll progressiv sein, es geht darum, die Trends, Sounds und Hypes, die wir haben, mit meinem Geschmack zu verbinden und weiterzuentwickeln. Auch unser Kollektiv soll ein Ort für progressive Kunst sein, die aus dem Schema F ausbricht und nicht nur produziert wird, um zu funktionieren.
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Du bist in der Frankfurter Nordweststadt aufgewachsen. Wie hat dich die Gegend beeinflusst?
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Die Rapper aus der Nordi habe ich erst später gehört. Azad, Hanybal und Jonesmann feier ich, aber auf musikalischer Ebene waren das keine Einflüsse. Aber mein ganzes Leben ist geprägt durch die Kindheit in dieser Gegend. Ich habe gesehen, dass Rapper aus meinem Viertel erfolgreich sind. Das gibt Mut. Für meine Lebenseinstellung ist es wichtig, in Frankfurt aufgewachsen zu sein. Hier ist es normal, dass nicht jeder Deutsch ist. Es war immer egal, woher du kommst und wie du aussiehst.
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Welches Konzept steckt hinter »Dope«?
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Ich möchte meine Texte nicht unbedingt erklären. Was ich schreibe, kommt aus meinen Erfahrungen, aber es geht nicht ausschließlich um mich. Die Zuhörer sollen aus meinen Lines mitnehmen, was sie für vernünftig halten. Und auch kritisch hinterfragen, was ich da überhaupt von mir gebe. Der Inhalt soll nicht mundgerecht sein. Es ist cool, wenn jemand über einen Satz stolpert und anfängt, sich selbst Gedanken zu machen. Auf dem Tape sage ich: »Jedes Projekt ist wie ein Gemälde, weil jeder nur das sieht, was er sieht«.
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Auf »Djungle« rappst du »Flip Xannys, flex Facetats, dann schaffst du’s irgendwann«. Wird das von Newcomern erwartet?
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Das lässt sich schon an den Charts festmachen. Es gibt Faktoren, die nichts mit Musik zu tun haben, die Aufsehen erregen. Ich empfinde keinen Druck, diesen Hypes nachzugehen. Die Line ist überspitzt und sinnbildlich. Mein Anspruch ist, über den Tellerrand zu blicken, Erwartungen nicht zu erfüllen, sondern zu brechen. Ich will keine Banger machen, nur weil andere damit Erfolg haben.
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Auf »2DOPE« erwähnst du den Kansas City Shuffle. Was ist das?
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Wenn alle Menschen nach rechts schauen und du links vorbei gehst. Die Metapher kommt aus meinem Lieblingsfilm, »Lucky Number Slevin«. Ich will den jetzt nicht komplett spoilern, die Leute sollen sich den anschauen. Im Endeffekt geht es darum, sich auf Distanz zum Mainstream zu halten, um ehrliche Kunst machen zu können. In dem Film geht es unter anderem um ein Pferderennen, bei dem ein Pferd gedopt ist. Alle setzen auf dieses Pferd. Wir wollen explizit nicht dieses Pferd sein, weil es kurz vor der Ziellinie an einer Überdosis stirbt.
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Du sprichst auch davon, »dass ein sicherer Tipp nicht sicher ist, weil ein Wettspiel halt ein Business ist«.
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Die Labels analysieren zurzeit sehr engagiert, was gut ankommt. Da kommen Songs raus, die durch die Decke gehen, aber es gibt keine Kontinuität. Ein gedoptes Pferd ist einmal gedopt, darauf kann man nicht immer wieder setzen. Du bewertest dann nicht nach Qualität, sondern nach dem Hype. Als Künstler muss man unabhängig sein und sich selbst finden, um langfristige Qualität zu gewährleisten. Das ist meine Vision. Ob ich damit Recht habe, steht auf einem anderen Blatt. Das wird die Zeit zeigen.
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Wo verläuft der Konflikt, den du auf »Kein Land für alte Männer« beschreibst?
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Es gibt zu viele Leute, die sich zu lange an ihre Positionen klammern. Rapper wissen oft nicht, wann Schluss ist. Damit tun sie ihrem Gesamtwerk auch keinen Gefallen. Als Künstler versuchen wir, den Fokus auf uns zu lenken. Aber wenn man Ruhm und Einfluss hat, sollte man die eigene Person zurücknehmen und Räume für andere schaffen, um die Musik weiterzubringen. Das ist natürlich nicht allgemeingültig, jeder hat andere Prioritäten. Aber das ist, was ich machen möchte, wenn die Umstände es erlauben.
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Du behauptest auf dem Track, dass Rapper nicht authentisch sind. Ist das heutzutage noch ein Anklagepunkt für Deutschrap?
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Ich sage ja »Step back Kiddy, dein Text nicht real, weil ihr seid jetzt Bonzen«. Es gibt ja auch coolen, authentischen Gangsterrap. Aber wenn du seit Jahren reich bist, kaufe ich dir dein Straßenrap-Album nicht ab. Diese Leute sind Multimillionäre und rappen von Straßenkämpfen. Das geht mir auf die Nerven. Ein Haftbefehl ist davon nicht ausgenommen. Ich bin gespannt, was das neue Album bringt. Der hat sich hingegen auch wirklich in den letzten Jahren zurückgezogen und in Frankfurt ein riesiges Movement und haufenweise neue Artists aufgebaut.
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Auf »Blanka« sagst du, dein Patronus ist ein schwarzer Panther. Was meinst du damit?
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Die Line zeichnet ein Bild. Black Panther war ja eigentlich eine Bewegung für Schwarze Unabhängigkeit. Zu Zeiten von Kendricks »To Pimp A Butterfly« wurde die Diskussion um Gleichberechtigung und Antirassismus wieder zentral. Dieses Bild steht für mich für einen kritischen Geist, dafür, Normalität zu hinterfragen. Ich wähle die Metaphern in meinen Texten danach, ob sie im gesamten Kontext meine Haltung klarmachen.
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Wieso rappst du so viel über Filme?
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Filme und Serien begeistern mich und geben mir Inspiration. Dort werden alltägliche Probleme so dargestellt, dass sich am Ende jeder Gedanken darüber macht. Filme zeigen uns neue Perspektiven auf die Normalität. »Joker« zum Beispiel behandelt unter anderem die Außenwahrnehmung einer eher verwahrlosten armen Person, die man auf der Straße sieht. Dieser Effekt hat mich dazu gebracht, mein eigenes Verhalten zu hinterfragen. In meinen Texten finden sich viele Anspielungen auf Filme, die mich geprägt haben, aber ich versuche auch, dass so in meiner Musik zu bewirken. Den Zuhörern eine Möglichkeit geben, zu reflektieren.
- »Rap ist Selbstdarstellung, das kann einem schnell zu Kopf steigen.«Auf Twitter teilen
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Du rappst: »Ich trete die Tür ein und werf für die, die nach mir kommen, einen riesengroßen Schatten«. Siehst du dich als Vorreiter?
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Schwierig. Was bedeutet es denn, Rapper zu sein, Person des öffentlichen Lebens zu sein? Rap ist Selbstdarstellung, das kann einem schnell zu Kopf steigen. Der Wettbewerbsgedanke ist wichtiger Teil von HipHop, aber ich will mich nicht auf ein Podest stellen. Ich habe eine Vision und eine spezielle Verbindung zur Musik. Ich will etwas Neues schaffen und ein Beispiel sein für Leute, die ähnlich denken. Ich möchte zeigen, dass es geht. Es würde mich freuen, wenn irgendwann mein Name fällt, wenn man darüber spricht, dass Rap in Deutschland sich zum Positiven entwickelt hat.
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Nach deiner EP »Dope« wird es langsam Zeit für ein Debütalbum. Wie stark wird sich dein Sound noch verändern?
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Jedes Projekt soll eine neue Welt eröffnen und eine Weiterentwicklung darstellen. »Butter« funktioniert an einigen Stellen besser als »Dope« und umgekehrt. Was ich an den beiden EPs gut finde, nehme ich in die Albumproduktion mit und der Rest entsteht neu. »Dope« ist auf jeder Ebene experimentell und macht meinen Standpunkt klar. Jetzt will ich weg von Rap über Rap, weg von »Hallo, ich bin Gianni Suave…«. Die Kunst steht jetzt im Vordergrund.