Kontra K »Ich werde nie zufrieden sein.«

Kontra K ist die fleischgewordene Selbstoptimierung: Eigentlich aus behüteten Verhältnissen stammend, legte der Berliner in jungen Jahren eine schwerkriminelle Karriere hin, die ihn eigentlich die Zukunft hätte kosten müssen – wäre er nicht mit einem außergewöhnlichen Ehrgeiz gesegnet, der es ihm ermöglichte, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.

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Zugegeben, sein Weg aus der Kriminalität in die Charts klingt dermaßen klischeehaft, dass es scheppert, aber im Falle von Kontra K ist das eben genau so passiert: Wer den Rapper/Boxer noch aus finsteren Untergrundzeiten kennt, der dürfte auch mitbekommen haben, dass er früher nicht nur in seiner Musik ein sehr, sehr unangenehmer Zeitgenosse war. Jetzt sitzt dort aber ein ausgesprochen freundlicher, muskelbepackter Leistungssportler auf der Terrasse seines neuen Labels Four Music, der noch lange nicht damit zufrieden ist, dass er sein independent veröffentlichtes Album »12 Runden« letztes Jahr aus dem Stand auf Platz 8 der Charts parken konnte. Auch die jüngst erschienene Major-EP »Wölfe« bedeutet für Kontra eben nur einen weiteren Schritt – nach oben, nach vorne, in eine bessere Zukunft.

  • Was bedeutet Ehrgeiz für dich?

  • Jeden Tag aufstehen und was machen – viel machen! Ich hab extrem viel Ehrgeiz und auch einen sehr hohen Anspruch. Und der wächst auch immer weiter. Ein Beispiel: Ich krieg einen Anruf, dass ich in den Single-Charts auf Platz 19 bin. Eigentlich super geil, aber für mich in dem Moment nur so: Ja, okay. Das war in dem Moment natürlich cool. Aber ich frage mich sofort: Was kommt danach? Ich bin jemand, der nie zufrieden ist. Das ist natürlich auch eine Krankheit, aber es ist auch sehr schön, weil es mich antreibt.

  • Krankheit im übertragenen Sinne oder wirklich ADHS?

  • (lacht) Beides! Aber ich will auch einfach sehr viel und stelle einen sehr hohen Anspruch an mich – und auch an mein Umfeld. Und das ist der Nachteil davon. Ich probiere das, was ich mache, gut zu machen. Ich habe irgendwann bemerkt: Ich wurde belohnt für Dinge, die ich getan hab, und deswegen mache ich immer weiter. Es kann natürlich sein, dass ich irgendwann einen Dämpfer bekomme, weil ich ZU ehrgeizig war. Aber das blieb bisher aus. Jedenfalls hat mich mein Ehrgeiz aus meiner damaligen Situation gerettet.

  • »Ich hab Menschen geschadet, und das ist nichts, worauf man stolz sein sollte.« Auf Twitter teilen
  • Wie hängen Ehrgeiz und Risiko zusammen? Gehst du gerne Risiken ein, um Dinge zu erreichen?

  • Ja und nein. Ja, wenn es mich betrifft. Aber nein, wenn es Menschen betrifft, die ich liebe – denn da will ich einfach nichts aufs Spiel setzen, dafür bin ich zu loyal. Aber wenn es um meinen Werdegang geht, dann sehe ich das so: Ich werde keinen großen Sprung schaffen, wenn ich kein Risiko eingehe. Man muss jedoch vorher abwägen, inwieweit sich das Risiko lohnt.

  • Du hast einen sehr hohen Anspruch an dich selbst. Erwartest du dann auch von anderen, dass sie immer ihr Bestes geben?

  • Ja, Mann. Das ist eben Fluch und Segen an der Sache. Mein Anspruch an mich ist ja gut und schön. Aber jeder Mensch ist anders. Ein guter Freund von mir hat mal gesagt: Ein Freund ist jemand, den du magst, obwohl er so ist, wie er ist. Und so muss man das eigentlich auch nehmen. Ich würde am liebsten die ganze Welt mitziehen, und ich will, dass alle so wie ich mit dem Kopf durch die Wand die Sache angehen. Aber das ist einfach nicht möglich, denn Menschen sind nun mal verschieden. Jeder hat seine Defizite und seine Stärken. Und ich muss mir eingestehen, dass ich noch lernen muss, meine Freunde auch zu akzeptieren, wenn sie mal nicht so sind. Aber den größten Teil motiviere ich und ziehe ich mit.

  • »Mein Backup-MC hat 110 Kilo gewogen, jetzt wiegt er 80, macht Sport und besteht nur noch aus Muskeln. Warum? Ich hab ihn gezwungen.«Auf Twitter teilen
  • Wendest du viel Energie auf, um deine Freunde und dein Umfeld zu motivieren?

  • Wenn es nix bringt, dann lasse ich das. Die Kraft ist es mir nicht wert, wenn jemand einfach nicht will. Ich helfe jedem gerne, aber umsonst Kraft investieren ist überhaupt nicht meins. Wenn das Freunde von mir sind, dann macht mich das aber oft kaputt, weil ich will, dass sie denselben Weg gehen wie ich. Weil ich weiß, dass es machbar ist. Ich weiß, dass jeder kann, wenn er nur will. Mein Backup-MC hat 110 Kilo gewogen, jetzt wiegt er 80, macht Sport und besteht nur noch aus Muskeln. Warum? Ich hab ihn gezwungen. Ich hab ihm gesagt: Ich will nicht, dass so ein fetter, saufender und kiffender Typ mein Kind im Arm hält – das läuft nicht. Dann bist du nicht mehr der Freund, den ich an meiner Seite haben will. Ich will dich nicht verändern, aber du solltest selber diesen Anspruch an dich haben. Und das haben wir geschafft: Er hat Bock, ihm geht’s besser. Aber oft erwarte ich auch einfach zu viel. Aber ich habe halt Mindestanforderungen: Nur Hängen und Chillen geht gar nicht. Auch Lügen geht gar nicht. Das gehört für mich auch zu Ehrgeiz: Ehrlich zu sein und vor jemandem grade zu stehen.

  • Nun könnte man meinen, dass du als Rapper und Boxer eigentlich ein Einzelkämpfer sein müsstest. Ist das nicht so?

  • Jein. Als Künstler ist es so: Ich kann meine Jungs ja nur so weit mitziehen, wie sie es zulassen. Ich kann ihnen ja nicht meinen Weg aufzwingen. Und natürlich sind in meine Musik auch noch andere involviert. Aber ich als Kontra bin halt Kontra, ich bin alleine. Und die Geschichte, für die Kontra steht, bin ich ja auch alleine. Aber als Boxer erlebe ich das gar nicht so. Ich hab ja bald meinen Trainerschein, und meine vier, fünf Jungs im Verein, mit denen ich fünf Tage die Woche drei, vier Stunden trainiere. Ich mach das gerne, weil ich weiß: Ich bin gut in dem, was ich mache – und dadurch werden meine Jungs noch besser. Und das ist ja dann auch mein Erfolg. In der Musik versuche ich das auch, z.B. mit Skinny Al. Den kennt jetzt nicht jeder, aber er ist einer meiner besten Freunde, macht seine Sachen, hat sich verändert, ist nicht mehr kriminell – daran haben wir lang gearbeitet. Und ich kümmere mich um alles, was seine Musik angeht.

  • Apropos Skinny Al: Seit ich ihn vor ewigen Zeiten auf der »Splater Generation«-DVD von Kaisa gesehen hab, war das für mich eine der unheimlichsten Gestalten in dieser Untergrundszene, aus der du ja auch kommst. Wie schafft man es von da eigentlich zu einem Majorlabel?

  • (lacht) Das war ja nicht mal Untergrund, das war richtig gangster. Kein Gangster-Rapper war so gangster wie dieser Zirkel von Leuten damals. Ich hatte früher auch Schiss vor ihm. Aber ich bin dann in dieselbe Richtung gegangen wie er und hab ihn sogar noch tiefer in die Scheiße geritten. Und aus diesem Loch haben wir es rausgeschafft. Er ist mittlerweile ein richtig guter Mensch geworden, er ist Vater und macht seine Sachen vernünftig. Was Musik angeht: Ich wollte damals so Musik machen, wie ich gelebt habe. Ich wollte ein Gangster sein, ich wollte hart sein, wenn möglich härter als alle anderen – und das auch sofort beweisen, wenn es sein muss. Das hat mir aber nur gezeigt, dass das scheiße ist; dass ich damit auf die Schnauze falle. Wir waren einfach unhöfliche, aggressive Leute, die nicht wussten, wohin. Das hat nichts mit Gangster sein zu tun, das war einfach nur peinlich, wenn ich jetzt zurückblicke. Ich hab Menschen geschadet, und das ist nichts, worauf man stolz sein sollte. Jetzt versuche ich, das Gegenteil davon zu sein.

  • »Ich muss schreiben, sonst schieße ich mir irgendwann den Kopf weg.«Auf Twitter teilen
  • Über diesen Weg sprichst du ja auch oft in deiner Musik. Wie sehr ist Musik für dich ein Ventil oder ein Tagebuch?

  • Beides hundertprozentig. Denn jeder Song, den ich schreibe, entsteht aus genau dieser Motivation heraus. Ich wollte ja mal aufhören mit der Musik, weil ich damit sehr schlimme Dinge verbunden hab. Anstatt wirklich Musik zu machen, haben wir nur schwer, schwer dumme Sachen gemacht. Ich bin damals abgehauen aus Berlin, weil ich hier zu viele Feinde und einfach keinen Bock mehr hatte. Aber dann hab ich hab gemerkt: Ich muss schreiben, sonst schieße ich mir irgendwann den Kopf weg. Ich kann mich nicht mit Menschen hinsetzen, denen mein Herz ausschütten, ein bisschen weinen und gut is‘. Das kann ich nicht. Mein Leben hat mich so geformt, dass ich Schwäche auf diese Art nicht zeigen kann. Das ist ein Nachteil, aber in der Musik kann ich das. Da kann ich mich nackt machen – und dann geht es mir auch wieder gut. Das ist komplette Eigentherapie. Und wenn ich es schaffe, dass andere das noch mitfühlen können, dann ist es für mich umso besser.

  • Dementsprechend dürftest du, wenn du alte Sachen von dir hörst, mit einem alten Selbst konfrontiert sein, dass dir vielleicht gar nicht mehr so zusagt. Beschäftigst du dich überhaupt noch damit oder bist du nach dem Schreiben »fertig« mit dem jeweiligen Thema?

  • Ich würde mal sagen: Das letzte Album und ein Song von dem Album davor, da sage ich: Das bin ich noch. Das spiele ich auch gerne, damit beschäftige ich mich auch. Aber alles andere, was ich früher geschrieben habe, das fasse ich nicht mehr an. Das war eine andere Zeit. Wenn Leute jetzt noch alte Sachen von mir anhören, dann ist das okay, aber für mich ist das vorbei. Und keiner von den Fans, die jetzt jammern, ich hätte mich verändert, war damals dabei, keiner hat das miterlebt. Dann setz dich doch mit meinem alten Ego hin! Du willst keine halbe Stunde mit dem im Raum sein, weil dir nur Scheiße passieren wird. Ich würde mit meinem alten Ego auch nicht in einem Raum sein wollen, weil das voll der Spast war. Ich würde den jetzt ohrfeigen wollen. (lacht) Deswegen blicke ich nicht zurück. Ich tanke zwar noch oft aus Vergangenheit, ich kann daraus die Kredibilität ziehen, dass ich jemandem sagen kann: So war das bei mir. Und ich kann dir sagen, dass das nicht gut für dich ist. Aber sonst hab ich damit abgeschlossen.

  • 2015 soll ja das nächste Album kommen. Wo willst du mittelfristig hin mit deiner Musik?

  • Einerseits sehe ich es so: Es ist mir nicht wichtig, auf Platz 1 zu gehen. Hauptsache, ich erreiche viele Menschen. Ich will, dass sie die Musik so wahrnehmen, wie ich sie schreibe – und sie nicht daran bemessen, ob ich erfolgreich bin oder nicht. Wenn ich damit dann auf die Eins gehe, dann freue ich mich natürlich. Und das nicht nur, weil den Leuten meine Musik gefällt. Sondern da freut sich auch der Arbeiter in mir – bei der ganzen Zeit und Mühe, die da drin steckt. Und das ist dann die Belohnung. Ich hab einen hohen Anspruch und freue mich über alles, was kommt. Aber ich werde nie zufrieden sein.

  • Wo siehst du dich denn in zehn Jahren?

  • Ich hab ein Haus, am besten nicht in Deutschland. Ich habe eine Wohnung in Berlin und komme nur her, um zu arbeiten. Ansonsten chille ich mit meiner großen Familie, meinen sechs Hunden und allen meinen Freunden in einem Haus in der Toskana – und alle sind glücklich. Da sehe ich mich in zehn Jahren. Und wenn das nicht der Fall ist, dann ist das das Ziel für in 15 Jahren.