Earl Sweatshirt »Ich setze mir keine Ziele. Ich lasse die Zukunft relativ gelassen auf mich zukommen.«
Bei der »Fête de la Musique« im Berliner Mauerpark stand neben Hudson Mohawke und Mark Ronson auch Earl Sweatshirt auf der Bühne. Stephan Szillus stellte ihm vor seinem Auftritt ein paar Fragen.
Earl Sweatshirts im Frühjahr erschienenes drittes Album »I Don’t Like Shit, I Don’t Go Outside« veranlasste Stephan Szillus zu spontanen Jubelausbrüchen und hat auch drei Monate später nichts von seinem Reiz verloren. Auch die Kids bei der letzten großen Red-Bull-Music-Academy-Sause im Berliner Mauerpark feierten seine komplexen Reime auf düster-vertrippten Beats. In einen weißen Thrasher-Hoodie, schwarze Jeans und weiße Shell Toes gewandet, gab der schmächtige Earl eine beeindruckend unaufgeregte Darbietung seiner MC-Kunst vor 20.000 Besuchern. Vor dem Gig bekamen wir die Gelegenheit, dem äußerst entspannten Rapper aus L.A. ein paar schnelle Fragen über Reim- und Produktionstechnik zu stellen.
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Auf deinem neuen Album »I Don’t Like Shit, I Don’t Go Outside« geht es noch mehr um dein seelisches Innenleben als auf dem Vorgänger »Doris«. Welcher Rapper hat deinen Stil am meisten beeinflusst?
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Ich weiß es nicht. Da gibt es zu viele. Da wäre eine Gruppe von ungefähr zehn bis zwölf Rappern, die mich alle gleichermaßen beeinflusst haben. Zum Beispiel Boldy James, ein Underground-Rapper aus Detroit. Seine Tapes hatten großen Einfluss auf mich. Sein Gehirn ist wie ein verrückter Computer. Du musst dazu wissen: Er dealt mit Crack. Daher arbeitet sein Gehirn mathematisch und das hörst du in seiner Rap-Musik. Er arbeitet mathematisch mit seinen Bars und Lines. Jeder Teil einer Line reimt sich mit einem Teil einer anderen Line – nicht nur das letzte Reimwort, sondern jedes verdammte einzelne Wort vom Anfang bis zum Ende einer Line.
Oder auch Styles P, denn sein Flow ist einfach so dreckig. Er lässt dich denken, dass er in eine bestimmte Richtung geht, aber dann dreht er sich plötzlich um und geht woanders hin. Das klingt wie eine Floskel, aber sein Style ist wirklich unorthodox. Es klingt, als würde er einen bestimmten Weg einschlagen, aber dann springt er plötzlich dort drüben hin, nur um fünf Lines später an der Stelle anzuknüpfen, wo er gerade eben noch war. Ich denke, er macht das weniger geplant, sondern einfach von Natur aus. Das ist etwas, was mit der Zeit und der Erfahrung kommt.
Und dann gibt es noch Rapper wie M.O.P., die nicht unbedingt dieses mathematische Ding beherrschen, aber trotzdem perfekte Rap-Musik machen. Sie haben ein Album veröffentlicht, das ich ständig höre: »First Family 4 Life«. Sie sitzen einfach perfekt auf dem Beat, nicht zu sehr und nicht zu wenig.
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Worin haben dich die genannten Rapper und all die anderen, die du jetzt nicht aufzählen kannst, konkret beeinflusst?
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Beim Rappen geht es für mich darum, Verbindungen zu ziehen. Ich denke, das habe ich mit den genannten Rappern gemeinsam. Wir verbinden dieses Reimwort mit jenem, und ein anderes Wort mit dem da drüben. (malt sich überkreuzende Linien in die Luft) Beim Rappen geht es darum, Bilder zu malen, eine Situation zu illustrieren. Du hast diese weiße Leinwand vor dir. Dann malst du hier ein bisschen was und irgendwann gehst du an eine andere Stelle, setzt dort neu an und malst wieder ein bisschen was. Dann verbindest du diese Teile miteinander. Schließlich trittst du ein Stück zurück und schaust dir die verschiedenen Teile zusammen an. Im besten Fall ergeben sie ein zusammenhängendes Bild. Die besten Rapper erschaffen vollständige Bilder, anstatt einfach nur einzelne Lines aneinanderzukleben. Und die, die das meiner Meinung nach am Besten machen, sind diejenigen, über die ich gerade sprach.
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Und welcher Rapper macht das momentan am Besten?
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Mein Kumpel Vince [Staples]. Du spürst einfach, dass er ganz genau weiß, was er da macht, während er es macht. Er schreibt einen Reim, der zunächst wirkt wie eine ganz normale Line, aber dann packt er etwas Überraschendes ans Ende und kommt mit etwas ganz anderem daher. Dann merkst du wiederum, dass sich dieser Teil auf etwas bezieht, was er früher im Text gesagt hat. Es ist alles Teil des größeren Bildes, das er zeichnet.
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Viele denken ja immer noch, dass MF DOOM dein größter Einfluss war und ist.
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Ja, das stimmt aber nur noch bedingt. DOOM hat in meinen Augen die gleiche Begabung, die auch Boldy James hat. Bei ihm reimt sich jedes Wort in einer Line mit einem Wort in der nächsten Line, oder aber die Worte reimen sich innerhalb einer Line untereinander. Er geht da sehr wissenschaftlich ran. Als ich klein war, hat mich das extrem beeindruckt, vor allem weil es wirklich lange dauert, bis man seine Reime und Texte entschlüsselt hat. Als ich älter wurde – und das ist wirklich in keiner Weise respektlos gemeint – bin ich wohl irgendwie aus seiner Musik rausgewachsen. Boldy James sagte mir dann inhaltlich mehr, einfach weil er über Scheiße redet, die da draußen wirklich passiert. Nicht dass DOOM das nicht auch tun würde, aber da ist eben auch immer dieses Cartoon-Element in seiner Musik. Das wiederum macht er sehr gut, er ist tatsächlich ein glaubwürdiger Super-Bösewicht. Aber heute will ich lieber etwas über den echten, ehrlichen Schmerz eines Bruders hören. (lacht)
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Bist du ein größerer Fan von Pusha T oder von (No) Malice?
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Da muss ich schon mit Pusha gehen. Ich meine, es gibt ein paar frühe Malice-Strophen, die einfach nur pure Hitze waren. Malice ist ein bisschen direkter, aber Pusha war für mich immer der krassere Rapper. Clipse ist übrigens auch so ein Ding wie DOOM: Als ich jünger war, waren sie das Allergrößte für mich, aber dann wurde ich erwachsen. Versteh mich nicht falsch: Pusha T ist immer noch ein unglaublicher Rapper, aber du spürst einfach, wenn … »schauspielern« wäre jetzt das falsche Wort, aber wenn er sich sehr darüber bewusst ist, dass er jetzt den Rapper mimen muss. Du merkst es spätestens dann, wenn er das hier macht (starrt mich aggressiv mit weit aufgerissenen Augen an). Trotzdem gibt er beim Rappen alles. Ich weiß nicht, ob du je den Song »Comedy Central« auf dem »Lord Willin’«-Album gehört hast, diesen Song mit Fabolous? Verdammt, auf dem Song ist Pusha richtig durchgedreht. Es gibt noch ein paar solche Strophen von ihm. Er ist einfach unbestreitbar.
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Welches ist dein liebstes Wu-Tang-Mitglied?
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Ich schwanke da immer zwischen Method Man, Ghostface Killah und Ol‘ Dirty Bastard. Das sind diejenigen, mit denen ich mich wirklich über längere Zeit beschäftigt habe. Wobei, RZA eigentlich auch. Nur sind seine Raps manchmal einfach etwas zu grob und ruppig. (lacht) Eines meiner absoluten Lieblingsalben aus dem gesamten Wu-Kosmos ist »Return To The 36 Chambers«. In der Mittelschule habe ich das Teil rauf- und runtergehört. Dann kam »Tical« von Method Man, da war ich in der neunten oder zehnten Klasse und entdeckte diese Platte. Mann, diese Scheiße war vielleicht abgefuckt! Ja, und dann stieß ich schließlich auf »Supreme Clientele«, das unglaublichste Ghostface-Album, und damit war alles klar. Diese drei Platten sind meine Lieblingsalben aus dem Wu-Katalog.
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Auf »Doris« hast du ungefähr die Hälfte der Beats selbst gemacht, dazu kamen Produktionen von Christian Rich, RZA, Alchemist oder Pharrell. Dein neues Album hast du bis auf einen Beat von Left Brain komplett selbst produziert. Ich habe gelesen, dass dich Flying Lotus dazu ermutigt hat, als du eigentlich Beats bei ihm picken wolltest.
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Ja, er war der erste. Das war lange bevor ich anfing, an diesem Album zu arbeiten. Ich glaube, das war sogar schon während der Aufnahmen zu »Doris«. Ich hatte gerade erst angefangen, Beats zu machen und hatte nur ein paar Skizzen dabei. Er sagte: »Du brauchst keine Beats von mir, du musst dein eigenes Zeug produzieren. Du hast das Zeug dazu.« Es war aber zunächst sehr schwierig für mich, auf meine eigenen Beats zu rappen. Ich glaube, das geht jedem Rapper so, der mit dem Produzieren anfängt. Plötzlich hörst du deinen Stuff anders, nämlich als Produzent. Daran bist du nicht gewöhnt. Es ist anders, als wenn du deine Musik nur als Autor hörst. Es gibt bestimmte Teile in einem Beat, die dich als Rapper ansprechen, aber als Produzent achtest du auf ganz andere Details. Und wenn du den Beat von Anfang an selbst baust, dann ist es sehr schwer, den Beat am Ende noch mal so zu hören, als würdest du ihn zum ersten Mal hören. Weißt du, wenn du einen Beat von einem anderen Produzenten hörst, dann gibt es diesen Moment von drei oder vier Sekunden, den du vom Kopf her nicht verstehst, aber wo der Beat dich einfach erwischt. Diesen Moment hast du bei deinen eigenen Beats eher nicht.
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Ich finde die Beats auf dem neuen Album trotzdem sehr beeindruckend, weil sie sehr Lo-Fi klingen, aber gleichzeitig einen sehr eigenen Vibe und eine beklemmende Atmosphäre haben. Welche Produzenten haben dich konkret beeinflusst?
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Wieder zu viele, um sie alle zu nennen. Ich höre wirklich viel Musik. Spontan würde ich sagen: Als ich anfing, Beats zu machen, da klang eine Menge meiner Sachen wie das alte Zeug von Tyler. Einfach weil er halt der Typ war, dem ich schon immer dabei zugesehen hatte, wenn er Beats machte. Und dann wurde es mit der Zeit einfach die typische Liste von Produzenten, die jetzt jeder nennen würde: Madlib, Kanye… vor allem aber Madlib. Wenn ich mich auf einen Producer festlegen müsste, dann wäre er es. Das Ding ist: Es gibt keinen spezifischen Madlib-Sound, obwohl es schon ganz klar einen spezifischen Madlib-Sound gibt. Was ich meine: Du hörst immer sofort, dass es ein Madlib-Beat ist, obwohl es vom Prinzip her alles mögliche sein kann.
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Nachdem dein Album im Frühjahr erst erschienen ist, was sind deine Pläne für die nähere Zukunft?
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Ich bin schon beinahe berüchtigt dafür, keine Pläne zu haben. Ich setze mir keine Ziele. Ich versuche einfach nur, bereit zu sein für alles, was ich möglicherweise tun muss. Aber ganz konkrete Ideen und Vorstellungen von meiner Zukunft habe ich aktuell nicht. Ich lasse sie relativ gelassen auf mich zukommen.