Kollege Hartmann »Ich produziere etwas mit meinen Händen, das macht mich stolz.«
Der Wahl-Leipziger Kollege Hartmann veröffentlicht sein erstes Album seit fünf Jahren, »Modus Mindestlohn«. Till Wilhelm hat ihn für ALL GOOD interviewt.
Kollege Hartmann ist ein sehr hart arbeitender Rapper. Nicht im Studio, sondern im Betrieb. Das Konto klamm, das Überstundenkonto prall gefüllt. Nach Jahren als Backup-Rapper bei Gossenboss mit Zett und Support-Shows für Danger Dan hat er sich endlich entschieden, ein neues Album zu machen: »Modus Mindestlohn«. Es handelt von Klassenbewusstsein und lilanen Hämatomen, aber auch von Rausch und Kontrollverlust. Im Gespräch mit Till Wilhelm gibt er Aufschluss über seinen Berufsalltag und seine Liebe zu elektronischen Beats und erklärt, warum er sich als Cis-Mann unter Cis-Männern nicht wohlfühlt.
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Wie viele Überstunden hast du gerade?
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Ich habe heute meinen Gehaltszettel bekommen, das kann ich dir genau sagen: Diesen Monat habe ich 32 Überstunden gemacht.
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Was machst du eigentlich hauptberuflich?
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Ich arbeite als Buchbinder. Ich stelle Hardcover her, Einzelstücke, aber auch größere
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Wie viel Geld verdient man damit?
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Gerade hier im Osten ist das Gehaltsgefälle noch deutlich spürbar. Ich liege knapp über dem Mindestlohn. Für die ehrliche Arbeit bekommt man sehr unehrlichen Lohn.
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Wie viele Stunden arbeitest du pro Woche?
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Zu Beginn dieses Jobs habe ich an den Wochenenden noch Konzerte gespielt und bin deswegen mit 28 Wochenstunden eingestiegen. Durch Corona ist natürlich der Verdienst der Konzerte ausgeblieben und ich bin mit den Stunden hochgegangen. Ich muss schließlich Miete zahlen, der Kühlschrank muss gefüllt sein.
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Welcher war dein denkwürdigster Arbeitsunfall?
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Sechs Jahre habe ich in einer Siebdruckerei gearbeitet, das war noch anstrengender, schlechter bezahlt, mehr Überstunden. Einmal habe ich mir dort die Hand eingeklemmt. An der Maschine gibt es einen Druckarm, der auf das Sieb drückt. Dazwischen lag meine Hand. Die Platte drückt mit voller Energie, aber meine Hand verhindert, dass der Sensor erkennt, dass der Druckarm unten ist, somit konnte ich ihn nicht wieder nach oben bewegen. Jemand anderes musste dann den Not-Aus-Schalter betätigen.
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Dein Album heißt »Modus Mindestlohn«. Ist das nur Abfuck oder steckt da ein gewisser Stolz drin?
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Das ist definitiv zweischneidig. Es ist Arbeiter:innenklasse-Stolz. Zu wissen, du stehst jeden Tag auf und schaffst einen Wert. Du verdienst das Geld. Aber Menschen, die nicht arbeiten gehen, verdienen das Geld trotzdem genauso. Bedingungsloses Grundeinkommen wäre viel besser. Der Gegensatz ist eher ein:e Vermieter:in. Die sollten auf keinen Fall stolz auf sich sein, wenn sie sich bei den Mietpreisen austoben, so wie in Berlin. Ich produziere etwas mit meinen Händen, das macht mich stolz.
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Ist dieses Mindset noch ein DDR-Überbleibsel?
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Auf jeden Fall. Meine Großeltern waren Lehrer:innen in der DDR. Die haben mir nicht den Kommunismus gepredigt, aber zwei Hände voll Menschlichkeit mitgegeben. Also: Jede:r Mensch ist wertvoll. Anfang der Neunziger Jahre hatte meine Oma eine rote Flagge im Schrebergarten. Als Kind habe ich sie gefragt, wofür das steht. Sie sagte: »Für die Arbeiter!«. Das fand ich in dem Alter schon cool. Die Arbeiter:innen, das sind doch offensichtlich wichtige Leute.
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Würdest du sagen, du bist ein Working Class Hero?
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(Lacht) Hero auf keinen Fall, Working Class: Ja. In dem Punkt ist es dann schon mehr Abfuck als Stolz. Wenn ein Hero bin, würde ich vielleicht doch zu tief drin stecken.
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»Quality Time« beschreibt eine Beziehung, in der sich das Private immer mehr nach der Arbeit ausrichtet.
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Mit Mitte Zwanzig sah mein Leben so aus. Ich hatte Arbeit, eine Freundin, eine Katze, eine Wohnung. Alles war in trockenen Tüchern. »Quality Time« erzählt aus dieser Zeit, die eigentlich schön war, mein junger Geist aber noch nicht bereit. Ich war zu sehr auf Rock’n’Roll gepolt. Das ist heute anders und ich verstehe die Vorzüge dieser Sicherheit. Dazu passt, dass meine jetzige Freundin auf dem Lied die Hook singt.
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Nervt es dich, wenn Vollzeitrapper davon reden, wie hart sie arbeiten?
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Schöne Frage, aber: Nein. Ich weiß, welche Arbeit dahintersteckt, wenn man das Vollzeit macht. Je größer und bekannter, desto mehr Aufgaben kann man sicher auch abgeben. Ich mache gerade alles selbst neben meinem Job. Das ist anstrengend. Bei mir ist zurzeit eher »Modus Müde«. Die Musik frisst auch Geld, ist aber ein Herzensprojekt.
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Wie würdest du dein Verhältnis zur Deutschrapszene beschreiben?
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Ich trete live häufig mit Gossenboss mit Zett auf, der lässt sich auch im Punk verorten. Die Fans sagen: »Ich höre eigentlich kein Rap, aber euch mag ich.« Ich kann mir vorstellen, dass das bei mir ähnlich ist, alleine wegen des Inhalts. Worüber ich rappe, kann sicher über die Szene hinaus funktionieren. Ich verstehe aber auch, dass viele eingefleischte Rapfans kein Interesse an diesen Themen haben.
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Am Wochenende läuft bei dir eher elektronische Musik, oder?
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Total. Ich liebe dieses Geballer. Es ist geil, wenn’s schwerbelt. Ich bin seit einer ganzen Weile Neurofunk-Fan. Mein letztes Release war eine 12“-EP, »Die Maschine/Uhrensohn«. Das waren auch Neurofunk-Beats. Produziert wurden die von Zykro aus Dresden. Mit ihm habe ich einige Nächte zu wirklich heftiger Musik durchgetanzt. Mehrere Herzen schlagen in meiner Brust. Ich schaue mir auch gerne HipHop- oder Punk-Konzerte an.
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Hast du einen Lieblingsclub?
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Hier in Leipzig sicher die Distillery. Die Frage ist schwer, ich war so lange nicht mehr Feiern. Meinen schönsten Auftritt hatte ich im Hamburger Mojo Club. Ich war Vorgruppe für Danger Dan und das Publikum hat schon bei meinen Songs einen Moshpit aufgemacht, das war krass.
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Man merkt auch auf deinem Album, dass du viel Freude am Livegeschäft hast.
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Bei Songs wie »Bike Punk« habe ich natürlich auch die Hoffnung, dass die Leute sich beim Tanzpart ordentlich bewegen. Das ist auch ein Song, der später entstanden ist, auf dem ich versuche, die Songstruktur etwas aufzubrechen. Ich möchte solche Experimente in Zukunft öfter wagen, das ist interessanter als zwei Parts und drei Hooks. Ich hatte ehrlich gesagt den Wunsch, mir für dieses Album im Vorfeld eine Hörer:innenschaft zu erspielen. Das hat durch die Pandemie natürlich nicht geklappt. Vielleicht gibt »Modus Mindestlohn« aber auch zu erkennen, dass es sich lohnt, mich für Konzerte zu buchen.
- »Ich muss weniger Alkohol trinken, damit die Woche wieder erträglicher wird.«Auf Twitter teilen
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Wie gestaltet sich bei dir das Verhältnis zwischen Arbeit und Konsum?
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Der Konsum hat stark abgenommen in den letzten Jahren. Das musste auch so sein, weil ich bei Auftritten oft der Fahrer bin und dafür verantwortlich, alle sicher nach Hause zu bringen. Deswegen kommt es nur noch selten vor, dass ich mir richtig gönne. Je mehr man säuft, desto mehr hängt man dann auch die nächste Woche über in den Seilen. In meiner Arbeit ist viel los, das kann ich mir nicht leisten. Es gab Zeiten, in denen ich großen Gefallen am Trinken gefunden habe, aber musste feststellen: Ich muss weniger Alkohol trinken, damit die Woche wieder erträglicher wird. Ich habe trotzdem Bekannte, die sich in den Alkohol stürzen. Mir steht es nicht zu, darüber zu urteilen. Aber aus deren Alltag berichte ich auf »Modus Mindestlohn« ebenfalls.
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Eigentlich perfide, dass man das letzte bisschen Spaß zugunsten der Arbeit opfert, oder?
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Auf gewisse Weise ist das traurig. Die Work-Life-Balance kippt wieder Richtung Work, weil ich mich schon in meiner Freizeit für die Arbeit einschränke. Das ist schlimm und wird mir jetzt erst bewusst.
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Auf »Schnief« geht es um chemische Drogen. Es wirkt aber nicht wie Abhängigkeit, sondern eher, als könntest du einfach nicht »Nein« sagen.
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An dem Punkt ist eher Alkohol die Einstiegsdroge. Ich habe nie nüchtern gezogen. Es läuft eher so, dass man sagt: »Heute nehm‘ ich nichts.« Und durchs Saufen geht die Hemmschwelle runter und man macht’s trotzdem. In Backstages kriegt man das Zeug geschenkt, jemand gibt ‚ne Runde aus, weil er einen Großzügigen hat, dann nimmt man’s halt.
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Auf »Genuss« geht es um diese fließenden Grenzen zwischen Genuss und Kontrollverlust.
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Am Ende ärgert man sich über sich selbst, weil man so ausschweifend geworden ist. Diese Vorsätze à la „Ich saufe nie wieder!« halten ja in den seltensten Fällen. Man verarscht sich selbst.
- »Ich habe eine starke Abneigung gegenüber Menschen, bei denen ich das Gefühl habe, ich müsste eine bestimmte Härte oder Coolness an den Tag legen, um zu gefallen.Auf Twitter teilen
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Du rappst, du seist heute »ein Cis-Mann, der sich unter Cis-Männern nicht wohl fühlt«. Wie kam’s dazu?
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Das trage ich seit meiner Jugend mit mir herum. Ich habe eine starke Abneigung gegenüber Menschen, bei denen ich das Gefühl habe, ich müsste eine bestimmte Härte oder Coolness an den Tag legen, um zu gefallen. Manchmal leitet mich dieses Gefühl fehl. Aber meistens sind das Männer, die so ticken. In diesen Situationen ziehe ich mich schnell zurück, schreibe die Leute ab und will nichts mit ihnen zu tun haben. Rückblickend habe ich erkannt, dass ich zwar ein Cis-Mann bin, aber am Ende diesem Dasein nicht in der Form entspreche, wie sie gesellschaftlich zugeschrieben wird.
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Damit spielt auch dein Künstlername?
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Mir ist durchaus bewusst, dass ich weder vom Auftreten her, noch vom Charakter her ein harter Mann bin. Es wäre witzig, auf der Bühne mit »Hartmann« vorgestellt zu werden und das Publikum erkennt beim ersten Blick, dass da etwas nicht stimmt.
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Hast du ein paar abschließende Worte an deinen Chef, falls er hier mitliest?
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(Lacht) Halt mal die Füße still und gib mir mehr Gehalt! Aber vor allem: Danke. Ich weiß, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, in meiner Branche in Teilzeit angestellt zu werden und ich bin sehr froh darüber, dass er es gemacht hat. Nur deswegen kann ich mich überhaupt künstlerisch betätigen.