Christian Alsan »Ich muss fühlen, was da in der Musik passiert.«
Christian Alsan ist Regisseur, Writer, Director und Editor und hat Videos für Lance Butters, Casper, Rockstah und Ahzumjot gedreht. ALL GOOD-Autorin Sofie Rathjens sprach mit ihm über durchgemachte Nächte als Tour-Filmer, das Ausloten moralischer Grenzen und warum ein animiertes Musikvideo Fluch und Segen zugleich sein kann.
Kakerlaken kriechen herum, Maden helfen beim Verfall menschlicher Körper, Heuschrecken ziehen in Schwärmen über ein ganzes Dorf hinweg – so sehen Deutschrapvideos aus der Feder von Christian Alsan aus. 2015 setzte der Regisseur mit Lance Butters »Es zieht/Ich zieh« neue Maßstäbe. Darauf folgten weitere erfolgreiche und bis dato im Deutschrap noch nicht da gewesene, preisgekrönte Videoexperimente und ein tiefes Verständnis für die visuelle Ausarbeitung eines musikalischen Charakters.
Als Casper 2016 mit »Lang lebe der Tod« seine Rückkehr anteaserte, gelang ihm das mit einem Video, über das man noch lange sprach. Die in Schwarz-Weiß-Bildern erzählte, gewaltsam auseinander gerissene Liebe zweier junger Menschen zurückversetzt zu Beginn des 20. Jahrhunderts unterschied sich in vielen Punkten vom damaligen Musikvideo-Standart. Kein Hedonismus, keine Spaßkultur, stattdessen das Gegenteil. »Lang lebe der Tod« zeigte, was passiert, wenn Schaulust und Grausamkeit zusammenfinden und der Punkt erreicht wird, an dem Menschen zu Mördern werden. Der kreative Kopf hinter diesem Konzept: Regisseur, Writer, Director und Editor Christian Alsan. Seit gut einem Jahrzehnt überrascht der 32-Jährige mit innovativen Videoideen und arbeite neben Casper auch mit Kraftklub, Rockstah, Ahzumjot und Lance Butters zusammen. Für den gebürtigen Frankfurter spielt nicht nur das richtige Setting eine Rolle, sondern auch ein Schnitttempo, das Song und Artist gerecht wird. Das Resultat seiner einer hingebungsvollen Arbeit: Millionenklicks, Videopreise und langjährige Zusammenarbeiten mit Künstlern.
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Kannst du dich daran erinnern, wann dich die Begeisterung fürs Filmen überkam?
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Das passierte schon in meiner frühen Kindheit, als mein Vater mit seiner Hi8-Kamera filmte und wir uns die Aufnahmen gemeinsam ansahen. Wir gingen auch recht oft ins Kino und meine große Schwester ließ mich heimlich Filme mitgucken. Später bekam ich zur Konfirmation eine eigene Kamera. Ich skatete damals ziemlich viel und drehte die Videos von meinen Kumpels und mir. Dadurch lernte ich auch, dass es solche Dinge wie ein Fisheye gibt, wodurch man andere Einstellungen und Winkel bekommt. Das habe ich eine Weile als Hobby gemacht. Mit 14 machte ich dann ein Praktikum in einer Postproduktionsfirma, in der hauptsächlich Werbung geschnitten wurde. So mit 17 hab ich in einer Metalband gespielt. Da habe ich dann schon unsere Livevideos geschnitten und für andere Bands Fotos und Videos gemacht. Als ich dann mein Abi absolviert hatte, entschied ich mich, am SAE Institut Frankfurt zu studieren. Dort lernte ich von allem etwas, also sowohl Audioproduktion, als auch 3 D, Schnitt, Drehbuch, und so weiter. Nebenbei jobbte ich ganz clichéhaft in einer Videothek. Was genau davon der erste Schritt war, weiß ich nicht. Aber der erste Film, der mir gezeigt hat, dass ein Film mehr sein kann als nur Unterhaltung, war »Requiem for a Dream«.
2011 habe ich dann mein erstes Video für einige Rapper gedreht, einen Trailer für ein Konzert in Frankfurt mit Credibil, Haftbefehl, Celo & Abdi. Später habe ich dann das Video zu der Single »A-Taste« von Rockstah gedreht. Ich kannte zu dem Zeitpunkt kaum Rapvideos, aber das, was mir sofort in den Sinn kam, war Jay-Zs »99 Problems«. So eine Optik wollte ich für Rockstahs Video auch. Vor allem, weil das einen super Kontrast zu Rockstahs Nerd-Charakter schaffte. Daher drehte ich das Video genauso in Schwarz-Weiß-Bildern und mit ähnlicher Schnitttechnik. Das war eigentlich der Beginn von allem. Rockstah spielte danach einige Supportshows für Casper, und ich machte die Fotos für ihn. Casper wurde auf meine Arbeit aufmerksam und schrieb mich irgendwann mal bei Facebook an, seine Nachricht ging jedoch erst einmal in meinem Spamordner unter (lacht). Ihm gefiel, was ich fotografiert hatte, und er fragte, ob ich ihn und seine Band während der kommenden Festivalsaison filmisch begleiten könnte. So entstanden damals um 2012 herum die ersten Casper-Festivalblogs.
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…denen später zahlreiche Festivalblogs anderer Rapacts folgten. Wie fordernd ist es, eine Band tagelang, sogar über einen ganzen Sommer hinweg mit der Kamera zu begleiten?
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Das war schon harte, körperliche Arbeit, weil man die ganze Zeit eben eine Kamera mit sich herumträgt, durch große Menschenmenge hindurchrennt und das, nachdem man die Nacht vorher praktisch nicht geschlafen hat, weil die Show spät war und auch im Tourbus noch gefeiert wird, während man am Laptop die Aufnahmen schneidet. Es war mir aber auch wichtig, den Fans von Casper Einblicke zu liefern, die einzigartig und unterhaltsam sind. Das ging ja von riesigen eigenen Casper-Festivals bis hin zu kleinen verschwitzten Secret Shows. Von allem, was um die Shows herum passiert ist, ganz zu schweigen. Eine Zeit, die ich niemals missen wollen würde. So anstrengend wie es war, so besonders war es auch. Irgendwann musste ich mich aber dazu entscheiden, mich mehr auf die Regiearbeit zu konzentrieren, da beides parallel leider nicht mehr möglich war.
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Für die Zusammenarbeit mit Casper bedeutete dies damals den Auftakt, dem zum Beispiel die »Hinterland«-Kampagne folgte, oder?
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Bei den Videos zum »Hinterland«-Album 2013 habe ich den Schnitt gemacht. Später habe ich dann die Regie für das Video zu »Lang lebe der Tod« übernommen und auch da das Video geschnitten. Es war nicht ganz einfach, die Idee für die Story durchzubekommen. In einer Stelle des Videos, das thematisch bis zu dem Punkt ohnehin schon düster und relativ brutal ist, wird dem Protagonisten das Herz herausgeschnitten. Ein blutiges Herz kommt bei einem Label nicht besonders gut an… Man hatte außerdem die Sorge, dass es nicht durch die FSK käme und auf YouTube gesperrt würde. Aber ich habe an der Szene festgehalten, weil sie wichtig ist, um die Geschichte richtig zu erzählen. Bei »Lang lebe der Tod« wollte ich Gewalt und Poesie zusammenbringen. Casper war zurück – und das sollte mit einem Knall über die Bühne gehen.
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In der Zeit zwischen »Hinterland« und »Lang lebe der Tod« bildete sich auch aus dir und Lance Butters ein besonders gutes Team. 2015 habt ihr im Zuge der »BLAOW«-Kampagne dafür mit dem Splitvideo zu »Deal With It / RAW« einen ersten experimentellen Schritt gemacht.
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Ja, Lance und ich sind wirklich ein gutes Team geworden. Die gesamte »BLAOW«-Kampagne habe ich zusammen mit Carlo Oppermann directed. Wir haben für »Deal With It / RAW« ein wirklich komplexes Konzept erarbeitet, das uns einige Wochen lang den letzten Nerv gekostet hat. Das ganze Video dreht sich, genau wie der Song, hauptsächlich um Lance. Die Kamera fährt dabei immer wieder in Bildschirme hinein und heraus, bis man als Zuschauer nicht mehr versteht, wie das Video entstehen konnte. Es sollte auch so etwas wie ein kleiner Zaubertrick sein, der vom Zuschauer auch was abverlangt.
Für das Video zu »RAW« habe ich tatsächlich einfach auf VHS-Playern herum gehauen, während ich die Kassetten überspielt habe. Inspiration war damals auf jeden Fall Chris Cunningham, der oft so eine verzerrte Optik in seinen Videoarbeiten benutzt. Natürlich ist die Idee, die wir da hatten, nicht komplett neu. Ideen sind selten neu. Man orientiert sich viel mehr an etwas, das man irgendwo schon einmal gesehen und das einem gefallen hat. Aber man lässt etwas Neues daraus entstehen, wenn man die Form und die Details ändert. Manchmal ist es stattdessen auch genau so ein Detail, das man in einem anderen Film oder Video gesehen hat, und baut dann nur dieses einzelne Element in die eigene Arbeit ein. Für das Video zu »Es zieht / Ich zieh«, das darauf folgte, kann ich dir genau sagen, dass uns hier wiederum »Closer« von den Nine Inch Nails als Inspiration diente. Aber auch die Stimmung des Filmes »Sieben« lässt sich hier finden.
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Um deine Videovorhaben umzusetzen, brauchst du wahrscheinlich auch zunächst mal ein gutes Team um dich herum. Wechselt das bei dir oder ist es dasselbe seit der Anfänge?
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Ohne ein gutes Team geht natürlich gar nichts. Zwar kann ich das meiste auf einem rudimentären Level, aber es gibt eben bessere Kameramänner, Lichtdesigner oder Producer als ich es bin, wie zum Beispiel Sandra Müller, die die ganze »ANGST«-Kampagne produziert hat. Von ihr habe ich sehr viel gelernt, vor allem über Regiearbeit.
Ich würde sagen, etwa 50 Prozent bestehen aus einem festen Pool, die anderen 50 Prozent wechseln. Es ist ganz einfach so: Wenn man immer mit demselben Team zusammenarbeitet, hat man oft dasselbe Ergebnis. Das kann sehr gut sein, aber die Frage ist, ob man das auf Dauer so will. Es findet dann keine Entwicklung in den Projekten statt. Außerdem möchte ich auch jungen, motivierten Kreativen eine Chance geben. Wenn jemand neu ist auf dem Gebiet, aber Talent hat, sollte er es versuchen dürfen und seine eigenen Ideen miteinbringen. Ich glaube, dass ich gut darin bin, anderen am Set eine Richtung aufzuzeigen, an die sie sich halten können, um dann ihren eigenen Input zu geben. Den Austausch mit verschiedenen Departments genieße ich sehr.
- »Wenn der Beat dann musikalisch ausrastet, passiert auch dementsprechend etwas im Bild.«Auf Twitter teilen
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Du bist also inzwischen vor allem Regisseur, aber auch – oder gerade – dieser muss den Artist, für den er ein Video in Szene setzt, verstehen und im Idealfall einen tieferen Einblick in dessen musikalischen Charakter bekommen. Hörst du dich zu Beginn der Zusammenarbeit zunächst durch die Diskografie?
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Auf jeden Fall. Ich muss schon fühlen, was da in der Musik passiert, sonst wird es schwierig, das dem Künstler gegenüber gerecht umzusetzen. Allerdings weiß ich auch: Ich entwerfe den Rahmen. Das Bild male ich nicht selbst, das macht der Künstler.
In einem Künstlerkopf steckt man bestenfalls immer genau so tief mit drin, wie es der Artist zulässt. Wenn es dann um einen konkreten Song geht, zu dem ein Video gedreht werden soll, habe ich meist direkt eine Inspiration und sehe eine Richtung, in die es gehen kann. Die verfeinere ich dann zusammen mit dem Artist. Sollte ich aber nichts wirklich fühlen, kann ich auch keine Standardidee nehmen und einfach reproduzieren. Ich glaube, ich habe kaum Videos gemacht, die einander ähneln. Auch wenn es Elemente gibt, die vereinzelt in verschiedenen Videos auftauchen. Aber so ein Beispiel für so eine Inspiration ist auf jeden Fall »Die Welle« von Ahzumjot und Lance Butters. Der Beat ist super leer. Also habe ich auch erst mal nichts als die Rapper in meinem Kopf gesehen. So klar, wie die Worte zu sehen waren, sollten auch die beiden in einem dunklen Setting klar herausgestellt werden. Wenn der Beat dann musikalisch ausrastet, passiert auch dementsprechend etwas im Bild. Persönlich erzähle ich lieber Geschichten und arbeite abseits von Performance-Videos. Aber es gibt eben auch Songs, bei denen würde eine Story vom Inhalt ablenken und dem Song nicht gerecht werden.
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Eine Grafik, mit der du vor allem 2018 im Zuge vom Lance Butters Album »ANGST« gearbeitet hast, war CGI, also Computer Generated Images. Das war auch noch mal eine neue Herangehensweise.
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CGI ist natürlich immer eine gerne gesehene Sache, um Dinge umzusetzen, die sich nicht jeder leisten kann, zu filmen, oder um Dinge zu erschaffen, die es schlichtweg nicht gibt. Oft war es so, dass wir den Großteil des Budget für den Dreh ausgegeben haben und dann noch Kleinigkeiten am Computer hinzugefügt haben. Aus der Sicht eines Regisseurs war es für mich sehr reizvoll, herauszufinden, was passiert, wenn wir das gesamte Budget in die Erstellung von Bildern am Computer stecken. Irgendwie dachte ich, man könnte dann einfach alles machen. In der Theorie stimmt das auch, doch ich habe ganz klar unterschätzt, wie viel Arbeit das ganze ist.
Bei »Yeeeaaah« und »So Schön« hatte ich Anfangs noch viel mehr vor und wurde dann erst mal von den 3D-Artists in die Realität zurückgeholt, was die Renderzeiten betrifft. Wir sprechen hier von mehreren Wochen, in denen die Computer nur gerechnet hätten, um die Bilder zu generieren. Am Ende war es dann zum Glück nur knapp eine Woche. Allerdings habe ich dadurch wie bei keinem anderen Projekten gelernt, Inhalte zu verdichten und viel in einem einzigen Bild zu erzählen. Gerade das »So Schön«-Video ist gespickt mit kleinen Hinweisen zu einer größeren Geschichte, die man entdecken kann, wenn man möchte. Kein Objekt ist zufällig platziert. Was Lisa Faustmann, Björn Dunne und Raoul Wilken mit den beiden Videos in wochenlanger Kleinarbeit auf die Beine gestellt haben, ist unfassbar. Dennoch werde ich in nächster Zeit fürs Erste die Finger von reinen 3D- bzw. Animationsvideos lassen. Dafür genieße ich die Arbeit am Set einfach zu sehr.
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In diesem Jahr gab es nach knapp zwei Jahren auch wieder Output von Lance, als er im April die „Loner«-EP herausbrachte und als zweite Singleauskopplung davon das Video zur gleichnamigen Single veröffentlicht wurde. Du hast dort erneut die Regiearbeit übernommen. Was hat sich geändert seit den Videos zum »ANGST«-Album?
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Bislang haben wir für Lance immer eigene Welten erschaffen, in denen er sich befindet. Wir haben uns bewusst außerhalb der realen Welt bewegt und eher seine Introspektion visualisiert. Bei »Loner« performert Lance in einem lichtdurchfluteten, aber fast leeren Raum. Ein Raum, wie ihn jeder vermutlich schon mal gesehen hat. So liegt die Konzentration hauptsächlich auf ihm als Künstler. In den Videos davor haben wie Lances Performance auch oft unterschnitten. Ich finde seine Art, zu performen, sehr einzigartig und glaube, dass wir das bislang nicht genug in den Fokus gerückt haben. Ihn im OneTake zu zeigen und ohne Ablenkung 360 Grad zu umfahren, ist in meinen Augen die ideale Lösung, der Performance gerecht zu werden. Ich würde sagen, wir haben den musikalischen Charakter Lance Butters in die reale Welt zurückgeholt, nachdem er sich im Laufe der letzten Videos beinahe aufgelöst hat.
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Die Dreharbeiten zu »Loner« fanden im April diesen Jahres statt, also gerade zu der Zeit, als aufgrund der ersten großen Coronawellen Mindestabstände und Kontaktverbote alles beherrschten. Ihr scheint jedoch für euch die optimale Lösung gefunden zu haben, in dem ihr Lance allein in diesem Raum gefilmt habt. Denkst du, dass in Zukunft Musikvideos durch Corona beeinflusst werden könnten, in dem es zum Beispiel erst mal keine Szenen mit größeren Gruppen oder näherem Körperkontakt geben wird?
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Es könnte sein, dass einige in ihren Videos dadurch vielleicht sogar eher provozieren wollen und erst recht solche Gruppenszenen einbauen werden. An sich wird es aber, glaube ich, nicht unbedingt schwerer für den Artist, eher für die Filmemacher. Teams werden kleiner aufgrund der maximalen Personenanzahl in einem Raum. Möglicherweise geht die Orientierung mancher Künstler nun aber auch noch mehr in Richtung animierte Videos – man reduziert sich. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Generell frage ich mich allerdings, wie wichtig die Produktion eines Musikvideos in so einer Zeit wirklich ist, wenn wir da draußen gerade ganz andere Probleme haben.
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Wie sehen denn die Pläne für deine nähere Zukunft aus? Weißt du, wo es für dich noch hingehen wird?
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Wo es hingehen wird, weiß ich nicht. Aber ich weiß, wohin ich möchte. Auf lange Sicht würde ich gerne Filme schreiben und drehen. Filme haben mich schon immer fasziniert, was auch einer der Gründe dafür ist, dass ich bei passenden Songs direkt die Chance ergriffen habe, einen kleinen Film zu drehen oder zumindest eine Geschichte zu erzählen. Allerdings weiß ich auch, dass die Filmlandschaft in Deutschland nicht so viel Platz für kontroverse Stoffe und innovative Ideen hat. Da werde ich also noch einige Türen einrennen müssen. Ich habe ein paar Drehbücher in der Hinterhand und bin gerade dabei, die Produktion eines Kurzfilms anzukurbeln. Was aber nicht bedeutet, dass ich ab und an nicht doch noch ein Musikvideo machen werde.