Gerard »Ich möchte coole Pop-Musik machen, die Substanz und Style hat.«

Nach dem erfolgreichen Vorgänger »Blausicht« veröffentlicht Gerard jetzt als diplomierter Jurist sein neues Album »Neue Welt«, das sich noch mehr vom klassischen (Deutsch-)Rap-Spektrum wegbewegt und vielmehr Pop in den Fokus nimmt. Aber eben den coolen Pop mit Style.

Gerard

Auf Gerards letztem Album »Blausicht« ging es um die Realität. Genauer: Es ging um die Realität eines Mittzwanzigers, der gerade dabei ist, sein Jura-Studium abzuschliessen, und darüber nachdenkt, wie er mit der Realität der vielen Fragen einer Welt umgehen soll, die ihm sperrangelweit offen steht. Auf »Neue Welt«, dem neuen Album von Gerard, geht es um eine Utopie. Gerard, mittlerweile diplomierter Jurist, der seit knapp zwei Jahren nur von der Musik leben kann, zeichnet eine »Neue Welt«, in der alle Menschen die Möglichkeit haben, genau das – und nur das – zu tun, wovon sie träumen.

Ein solches Album mag thematisch vielleicht nicht unbedingt in die aktuelle Zeit passen, dennoch verrät es die Ambitionen des 28-jährigen Wieners und vor allem die Menge an Gedanken, die er in seine Kunst steckt. Auf »Neue Welt« geht es um die Macht von Kunst. Es geht um einen Rapper, der nicht nur vermeintlich nichtigen Generationsfragen entwachsen ist, sondern auch einer simplen Einordnung in Genre-Kategorien. Gerard nahm »Neue Welt« gemeinsam mit Electronica-Ikone Patrick Pulsinger in Wien auf.

  • Gibt es etwas, das dich so richtig aufregt. 

  • Ungerechtigkeit. 

  • Das ist ja fast eine Antwort wie bei einer Miss-Wahl, wenn sich die Damen den Weltfrieden herwünschen. Wie äußert sich deine Aufregung über Ungerechtigkeit in deinem Leben?

  • In meinem Leben habe ich ja glücklicherweise wenig mit Ungerechtigkeit zu tun. Zumindest werde ich eigentlich immer gerecht behandelt. Wenn mich irgendwelche Institutionen verarschen möchten, dann ärgert mich das immer. Aber natürlich ärgert mich auch die Ungerechtigkeit auf der Welt – die ungerechte Vermögensverteilung zum Beispiel. Genauso ärgert mich Ignoranz. 

  • Findet dieser Ärger über Ungerechtigkeiten in deiner Musik statt?

  • Der Ärger weniger. Aber ich möchte in meiner Musik zum Umdenken anregen und Lösungsvorschläge herandenken. Ich möchte andere Leute inspirieren, sodass sie sich etwas gegen Ungerechtigkeit einfallen lassen. Ich kann ja eigentlich auch nur mit meinen Mitteln – also der Kunst und der Musik – versuchen, Leute zu inspirieren, um deren Talent und Leidenschaft herauszukitzeln. Wie ein Domino-Effekt. In dem Song »Ein Gedanke« geht es genau darum – dass man die Welt nicht alleine verändern kann, aber dass man die Inspiration für jemand anderen sein kann und der wiederum eine Inspiration für den nächsten. 

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  • Du glaubst ja sehr stark an die Macht von Kunst. Woher kommt das?

  • Das liegt daran, dass mich Kunst zu dem gemacht hat, der ich bin. Ich hatte die letzten zwei Jahre das schönste Leben, das man haben kann. Kunst hat mich persönlich so beeinflusst, dass ich davon überzeugt bin, dass die Kunst auch andere Menschen ähnlich beeinflussen kann – etwa in ihrem Denken. Ich werde von anderen Künstlern unglaublich inspiriert – und genau das kann Kunst und Musik leisten. Es werden nicht nur Gefühle transportiert, sondern Kunst regt auch zum Denken an. Und dadurch hat Kunst eine große Macht. 

  • Denkst du, dieser Glaube an die Kraft der Kunst liegt auch an deiner eher behüteten Herkunft? Du musstest wahrscheinlich nie Hunger leiden, auch ist dir wahrscheinlich nie etwas Schreckliches widerfahren. Dieser Glaube an die Kunst wird wahrscheinlich nicht von allen geteilt, oder?

  • Klar, wenn deine Grundbedürfnisse nicht abgedeckt sind, dann hast du gar nicht den Luxus, dir über so etwas Gedanken zu machen. Insofern: nein. Dieser Glaube gehört wohl in erster Linie denen, die es sich leisten können. 

  • Findest du es interessant, dass du für deine Kunst ein Mittel wie Rap verwendest, dessen Historie ja ganz lange sehr eng mit Menschen verbunden war, deren Grundbedürfnisse nur teilweise abgedeckt waren? Wie ist es für dich, dass du ein einst so revolutionäres Mittel der Kunst wie HipHop dafür verwendest, über Dinge zu sprechen, die jetzt nicht so viel mit Grundbedürfnissen zu tun haben? 

  • Grundsätzlich unterliegt Kunst für mich erstmal keinen Regeln, deswegen muss Kunst nicht zwangsläufig ein Sprachrohr für etwas sein. Ich persönlich mag Kunst, die Inhalt hat. Aber ich bestimme ja auch nicht den Kunstbegriff. Für mich ist Kunst dann Kunst, wenn sie ein Gefühl transportiert oder zum Denken anregt. Aber dieses Denken muss nicht klug sein, sondern kann auch ganz banal sein. In erster Linie geht es um ein Gefühl. Sobald etwas ein Gefühl auslöst, ist es Kunst und hat seine Berechtigung. 

  • Fühlst du dich denn angegriffen, wenn dir jemand vorwirft, dass du in deiner Musik keine wichtigen Inhalte hast? Bei der Veröffentlichung deines letzten Albums hat man immer mal von Themen über Luxusprobleme gesprochen. 

  • Darüber mache ich mir nicht so viele Gedanken. Für mich ist es ja immer ein Gefühl. Meine Kunst kommt meistens aus dem Bauch heraus – ich kann sie also nicht bewusst steuern. Ich nehme mir ja nicht vor, ein Sprachrohr für irgendetwas zu sein, wenn es nicht von alleine aus mir herauskommt. Natürlich habe ich nie gehungert, aber es gibt ja viele Menschen, denen es auch so geht. Und die können sich mit meiner Musik identifizieren. 

  • Dein letztes Album »Blausicht« handeltet von einer Realität, also deiner ganz eigenen Realität, das neue Album spricht von einer Utopie. Hattest du genug davon, dass du von deiner eigenen Lebenswelt berichtest?

  • Nein, das hat sich einfach so entwickelt. Mein Schreibstil hat sich auch verändert. Früher habe ich immer vom ganz Kleinen aufs ganz Große geschlossen. Dieses Mal setze ich eine Stufe höher an und schreibe aus einer Obersicht. Woran das liegt, kann ich gar nicht so genau sagen. Damals war das einfach meine Realität. Mein Struggle war, dass ich neben der Musik noch studieren musste, aber eigentlich weg wollte, um wirklich nur Musik zu machen. Dieses Mal konnte ich den ganzen lieben langen Tag Musik machen. Und das hat mich extrem glücklich gemacht. Ich hatte den Luxus, dass ich nicht neben der Musik Geld verdienen musste, um meine Miete zu zahlen. Ich war in der Lage, über das große Ganze nachzudenken. Ich war durch nichts abgelenkt. 

  • Gibt es ein zentrales Zitat auf »Neue Welt«?

  • Das hast du mich zum letzten Album schon gefragt! Da habe ich gesagt: »Unmögliches versuchen, um das Möglichste zu schaffen« und du sagtest: »Rausgehen, Welt erobern«. Für das neue Album fällt mir jetzt keine Textstelle ein. Aber der letzte Song »Goldregen« ist recht wichtig. Auf dem schlüssele ich einen Tag in Stunden auf. Den Text habe ich geschrieben, also ich noch gearbeitet habe. Da ist mir aufgefallen, wie wenig Zeit einem in so einem Alltag bleibt für die Sachen, die man gerne macht. Ich komm da auf drei Stunden. »Nur drei für den Rest und sie sagen: Träume wären was fürs Bett« Das war für mich echt ein Knackpunkt, weil mir da aufgefallen ist, wie wenig Zeit einem überhaupt für diese Sachen bleibt. Ich habe drei Stunden für die Sachen, die ich eigentlich will und der Rest der Zeit geht dafür drauf, Geld zu verdienen und in der Gesellschaft meinen Sold zu erfüllen. 

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  • Erfüllst du denn jetzt als Künstler deinen Sold in der Gesellschaft?

  • Ich bemühe mich, dass ich andere Leute inspiriere. Ich hoffe, dass ich andere Leute inspirieren kann, genau so wie mich meine Lieblings-Künstler inspirieren. 

  • Liefern denn Künstler wirklich Antworten auf die großen Fragen?

  • Ja, schon. Du kannst dir ja immer Kleinigkeiten rausziehen. Einer wie Kanye hat natürlich nicht die Wahrheit gepachtet, aber ich habe eine Sache von ihm gelernt: Mir war früher immer extrem wichtig, was andere Leute von mir denken. Und das ist mittlerweile überhaupt nicht mehr so. Mir ist wichtig, was meine Freunde von mir halten. Es gibt dazu auch ein recht schönes Sprichwort in Österreich: »Derjenige, der dir keine Suppe bringt, wenn du krank bist, von dem kann dir egal sein, was er von dir denkt.« Man sollte lieber den Fokus auf die Leute lenken, die einem wichtig sind. Die sollte man zufrieden stellen. Außerdem sollte man sich nicht schlecht fühlen, wenn man andere Träume hat als der Rest. Ich komme nicht aus einem Künstler-Umfeld. Für meine Freunde war es immer unvorstellbar, dass ich Musik machen möchte. Die haben mich immer sehr verunsichert bei meinen Plänen, Musik zu machen. Und jetzt kann ich ihnen sagen, dass es funktioniert hat. Es gibt eben den Berufszweig des Künstlers und du kannst auch davon leben. Ich sehe auch ein wenig meine Aufgabe darin, exemplarisch vorzuleben, dass wirklich alles möglich ist. Dass wenn man etwas wirklich gern macht und sich da reinsteigert und seine Ängste und Zweifel hinter sich lässt, dann kann es zu Erfolg führen. Natürlich ist das eine Frage der Zeit. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass es irgendwann klappt. 

  • Was heißt denn in dem Zusammenhang Erfolg?

  • Persönliches Glück. 

  • Das gilt also auch für den Straßenmusiker, der von der Hand in den Mund lebt?

  • Ja, voll. Das heißt ja nicht, dass jeder Musiker werden soll. Es soll eben jeder nach seiner Façon glücklich werden. Das ist Erfolg! Wenn du aufstehen kannst und dich über dein Leben freust – ganz egal, welches Leben das ist. 

  • Aber genau diese Utopie, die du zeichnest, ist doch sowas von utopisch. Das passt doch vielleicht gar nicht in die Zeit gerade. 

  • Natürlich müssen die Grundbedürfnisse gedeckt sein. Natürlich kann jemand in Syrien nicht so einfach seinen Traum erfüllen, nur wenn er fest genug daran glaubt. Aber ich hoffe eben, dass sich auch da etwas ändert. 

  • »Mir war früher immer extrem wichtig, was andere Leute von mir denken. Und das ist mittlerweile überhaupt nicht mehr so.«Auf Twitter teilen
  • Auf deinem letzten Album gab es einen Song, der hieß »Welt erobern«. Was hat denn diese Welt mit der »Neuen Welt« zu tun?

  • Auf »Welt erobern« wollte ich mein Glück erobern. Und dieses Glück lebe ich jetzt. Ich lebe ja in dieser Utopie und kann wirklich machen, was ich möchte. 

  • Du warst bei dem neuen Album noch mehr an der Produktion beteiligt. 

  • Ja, auch hier liegt der Grund darin, dass ich mehr Zeit dafür hatte. Früher war ich zeitlich einfach sehr begrenzt. Und jetzt hatte ich für alles Zeit, deswegen konnte ich mich überall mehr einbringen. Dadurch hatte ich auch mehr Motivation. Es fühlte sich jetzt auch voll richtig an, dass ich überall beteiligt war. Ich wollte einfach nicht das machen, was alle andere machen. Ich wollte auf allen Ebenen eine noch eigenere Note reinbringen. 

  • »Ich mache Pop-Musik. Aber Pop-Musik wird eben fälschlicherweise immer als sehr oberflächlich und glatt gesehen.«Auf Twitter teilen
  • Haben die neuen Songs mehr oder weniger Struktur als davor? Ich frage, weil ich beim letzten Album das Gefühl hatte, dass du ganz bewusst ein Pop-Album machen wolltest. Und obwohl die neuen Songs – meiner Meinung nach – eine noch klassischere Struktur haben, habe ich beim neuen Album nicht dieses Gefühl. 

  • Das sehe ich als großes Kompliment. 

  • Was? Dass du kein Pop-Album machen wolltest oder dass die Songs eine noch klassischere Struktur haben?

  • Dass man es nicht heraushört, dass ich Pop-Musik machen möchte. Ich mache Pop-Musik. Aber Pop-Musik wird eben fälschlicherweise immer als sehr oberflächlich und glatt gesehen. Aber das ist sie ja nicht. Oder vielmehr möchte ich genau das nicht. Ich möchte coole Pop-Musik machen, die Substanz und Style hat. Deswegen finde ich es sehr gut, dass man es nicht heraushört. Und deswegen ist »Neue Welt« auch viel mehr als eine offensichtliche Pop-Platte. Es hat auf jeden Fall diese poppigen Elemente wie die Refrains oder die Bridges. Bei Miike Snow, die aktuell eine meiner Lieblings-Band sind, finde ich es so geil, dass sie eine Edginess und etwas Anspruchsvolles auch für Musikkenner und Nerds mit eingängigen Melodien verbinden, sodass daraus ein Best of Both Worlds entsteht. Sowohl der Musik-Nerd kann die Musik feiern als auch der Typ von Nebenan, weil der Sound ins Ohr geht. Ich möchte auf jeden Fall international angesehene Musik machen. Wenn man »Neue Welt« einem schwedischen Top-Produzenten gibt, soll der sagen, dass es geil gemacht ist, obwohl er kein Wort versteht. 

  • Meinst du, das ist so?

  • Ja. Thom Yorke hat erst kürzlich in einem Interview gesagt, dass er großer Fan von Patrick Pulsinger ist. Und das ist mein Produzent! Das ist schon auf internationalem Level. Auch als ich Theophilius London damals »Blausicht« vorgespielt habe, hat er auch gesagt, dass er es dope findet, obwohl er kein Wort versteht. Ich glaube nicht, dass ich irgendwann mal international Platten verkaufe, aber der Anspruch ist, dass man da mithalten kann. 

  • Gibt es denn deutsche Pop-Musik mit Style?

  • Hm, noch nicht so, wie ich mir das vorstelle. Es gibt immer wieder Sachen, die ich textlich interessant finde, wo mir aber die Produktionen zu flach sind. Ich störe mich immer ein bisschen an den Produktionen. Aber den einen Künstler, der es von vorne bis hinten richtig macht, gibt es eigentlich nicht. 

  • Wer ist denn der beste deutsche Texter?

  • Judith Holofernes, sie ist die beste deutsche Song-Schreiberin.