Denzel Curry »Ich mag Politik nicht.«

Einst war er Teil des Raider Klans, mittlerweile hat sich Denzel Curry vollends emanzipiert und geht selbstbewusst seinen eigenen Weg als junger politischer Rapper, der gar kein politischer Rapper sein will.

Denzel Curry

Bild: Ashley Verse

Denzel Curry aus Florida ist der Punk-Rocker unter den jungen Rappern. Er stammt – wie auch Rick Ross und Gunplay – aus Carol City, einer Stadt mit vielen Sozialwohnungen und hoher Kriminalität. Ein Fünftel der Bewohner lebt unter der Armutsgrenze, 50 Prozent sind Afro-Amerikaner. Nicht gerade das sonnige Florida, das einem die Reisekataloge versprechen. Denzel Curry hat mit seinen 21 Jahren schon viel Scheiße gesehen. Er ist mit dem 2012 erschossenen Travyon Martin zur Schule gegangen, man kannte sich über Freunde. Currys Musik spiegelt die Frustration und Wut wider, die sich ansammelt, wenn eine ganze Community Jahrzehnte ausgegrenzt und terrorisiert wird – durch Polizeigewalt, Alltagsrassismus und Armut.

Zu Beginn war Curry Mitglied des Raider Klans, der 2008 von Rapper SpaceGhostPurrp als lose Gruppierung von Skatern, Rappern und Hipstern gegründet wurde. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten verließ Curry den Klan aber recht schnell wieder. Mittlerweile ist er Teil von C9 sowie des Federation Mob-Kollektivs. Die erste Single seines kommenden Albums »Imperial« heißt »ULT“ und steht für die Message, die Curry in die Welt trage möchte: »Whatever you choose to pursue in life, make sure you approach it as hard as possible, by any means necessary. Reach your ultimate form and never give up.« Ein Interview über Rap, Politik und Fitness-Tipps von Rick Ross.

  • In dem Song »ULT« rappst du: »The same ones that inspire me/ Be the same ones that wanna retire me«. Bezieht sich der Satz auf die Szene in Florida ?

  • Nein. Ein ehemaliger Freund von mir hat Jahre lang über mich herzogen, vor Kurzem hab ich zurückgeschossen. Das war meine Art ihm zu sagen: »Yo, die Leute, die mich dazu inspiriert haben, diesen Scheiß hier durchzuziehen, sind dieselben Leute, die versuchen, mich gleichzeitig wieder aus dem Game zu nehmen.« Aber das darf nicht passieren! Meine Mission besteht darin, immer weiter vorwärts zu gehen.

  • Der Inhalt deiner Texte war eigentlich von Beginn an teils politisch. Aber er wurde es mit der Zeit immer mehr. Bist du außerhalb deiner Musik politisch aktiv?

  • Politisch aktiv? Ne, ich mag Politik nicht. Ich bin nur ein normaler Typ, der das ganze von außen betrachtet. So sehe ich mich zumindest. Ich bin kein Politiker und mir ist das auch scheißegal. Ich beobachte nur, was abgeht, informiere die Leute darüber und möchte, dass alle anderen sich auch informieren.

  • Also ist es dir auch egal, wie man die politische Kraft von HipHop stärken könnte, etwa durch die National HipHop Convention in Newark?

  • Das ist mir zu aufklärerisch. Ich will, dass die Leute Spaß haben, während ich gleichzeitig Fakten übermittle. Die Zuhörer sollen die Aussage zwar verstanden haben, wenn sie nach Hause gehen, aber die Shows sind als Erlebnis gedacht, um meine Musik noch mehr zu feiern und eben auch dran zu bleiben. So bekommen die Leute beim nächsten Hören vielleicht etwas mit, das sie beim ersten Mal vielleicht gar nicht kapiert haben. Ich sehe mich nicht als politische Figur oder Prediger. Ich bin kein Held, sondern eine ganz normale Person, die denselben Scheiß wie du durchlebt. Ich hab einfach früh geschnallt, was Sache ist, was mein Potential ist, wer ich bin und was die Aufteilung zwischen Hautfarben, Kulturen und Religionen bedeutet. Nämlich gar nichts, weil wir alle gleich sind.

  • »Wenn du dich nicht bildest, bist du verloren.«Auf Twitter teilen
  • Trotzdem: In »ULT« ist die Black Panther-Bildsprache nicht zu übersehen – ein paar Shots von Angela Davis zum Beispiel. Die Black Panthers haben für ein Bildungsprogramm, das ihnen ihre »true history« lehren würde, geworben…

  • Ja, genau. Weil: Wenn du dich nicht bildest, bist du verloren. Das ist der Grund, warum Leute immer noch im Ghetto sind, immer noch arm sind: keine Bildung. Und Leute, die sich nicht bilden, streben nicht wirklich nach etwas. Aber wenn du früh genug checkst, was Sache ist, hast du eine Chance. Jeder ist smart genug dafür – schließlich sind wir alle zwölf Jahre zur Schule gegangen. Aber manche Leute checken es einfach nicht. Die Panthers waren dafür, ihre Kinder vernünftig zu bilden und organisiert zu arbeiten – das ist eine Aussage, die ich auch nach außen tragen möchte. Genau das hat mich an den Punkt gebracht, an dem ich jetzt bin. Ich habe keinen Uni-Abschluss, ich habe nur die Highschool fertig gemacht. Ich bin jetzt 21. Ich war mit 18 mit der Schule fertig.

  • Es läuft also alles auf gesunden Menschenverstand hinaus?

  • Exakt. Gesunder Menschenverstand trägt dich so weit. Organisiert sein und mit Strategie und Fokus vorangehen, mit einem Team im Rücken, das dir erlaubt, das alles auch umzusetzen.

  • Hat Angela Davis‘ Schreibe dich in irgendeiner Form spezifisch geprägt?

  • Nicht so sehr Angela Davis, nein. Ich wüde eher sagen: Huey P. Newton , Eldrige Cleaver und Malcolm X.

  • Ich hab von diesem #cultrapbookclub gelesen, den Deniro Farrar scheinbar initiiert hat, wo verschiedene Bücher in den Mittelpunkt genommen und gelesen werden. Was liest du zur Zeit?

  • Das letzte Buch, das ich gelesen habe war »Der Fürst« von Niccolo Machiavelli.

  • Auf »ULT« rappst du auch von »federation my organization« – sprichst du da von einem Kollektiv? Und inwiefern unterscheidet es sich von C9?

  • Das ist das Kollektiv, unter anderem mit CSPG. C9 ist C9, das sind ich, JK The Reaper, Yoshi Thompkins, SDotBraddy, Ronny J, POSHtronaut, Mark Maturah und Rem.

  • Und da kommt auch keiner mehr rein?

  • Nein, da kommt keiner mehr dazu. Das ist sowieso die zweite Generation von C9. Und CSPG… Ich weiß nicht, ob du Metro Zoo kennst, aber Lofty205 von »Flying Nimbus« ist zum Beispiel eines der aktiven Mitglieder von CSPG, Mike Dece und Ruben Slick auch – Ruben ist übrigens gerade im Knast. Dann gibt’s auch noch die New Era Gang. Da sind REll und Nell dabei – Nell ist gerade auch im Gefängnis, er hatte gestern Geburtstag. Keine Ahnung, ob du den Song »Nell«, von Mr. Carmack kennst, aber da hat Mr. Carmack »Bust Ya Head« von ihm gesampled. Ich habe auch Jahre mit ihm gearbeitet, deswegen spielen wir den Song extra für ihn und rasten dazu aus. Er war auch bei »Nostalgic 64« und »32 Zel/Planet Shrooms« dabei und dann ist er in den Knast gewandert. Er gehört auch zur Federation.

  • »In Florida gönnt keiner dem anderen etwas.«Auf Twitter teilen
  • Das sind alles junge Leute in Florida, die Mucke machen, aber man kennt nur Rick Ross und Gunplay… Hat Florida ein ernsthaftes Problem, was die Aufmerksamkeit der eigenen Musikszene angeht?

  • Auf jeden Fall. In Florida gönnt keiner dem anderen etwas. Die Leute erwarten, dass du sie bei allem, was du selbst machst, mitziehst, weil sie das Gefühl haben, dass sie es verdienen – wenn du das nicht tust, wird gehatet. Obwohl es genug Geld gibt, dass alle gleich viel verdienen könnten. 

  • Wem würdest du es aus Florida denn gerade gönnen?

  • Allen. Ich würde es allen gönnen.

  • Du hast neulich Rick Ross in Miami getroffen – über was habt ihr geredet?

  • Im Endeffekt hat Rick Ross zugegeben, dass er mich schon länger beobachtet. Mein Cousin ist ja bei MMG gesignt und hatte mir bereits gesteckt, dass Rick Ross und sein DJ mich auf dem Schirm haben.

  • War das nicht irgendwie klar? Du warst bereits vor Jahren in einem Video von Gunplay zu sehen…

  • Ja, normal, aber die haben es nicht offen gezeigt und zugegeben, dass sie mich kennen. Ich habe Ross’ DJ Sam Sneak zuerst getroffen. Er hat eine Show gespielt und danach sind wir feiern gegangen. Da habe ich meinen Cousin getroffen, der mich wiederum zu Ross gelotst hat. Er hat uns gesagt, dass er die Energie unserer Musik feiert und hat uns ein paar Ratschläge auf den Weg gegeben. Wir sind bis heute in Kontakt – er ist korrekt.

  • Welchen Rat hat er dir mitgegeben?

  • Ehrlich gesagt, das meiste Zeug was er mir gesagt hat, war mir schon klar: Gesund essen, sportlich bleiben – solche Sachen halt.

  • »Ich zelebriere die Tatsache, dass ich schwarz bin.«Auf Twitter teilen
  • In einer rassistischen Gesellschaft ist ein Song wie »Knottyhead«, den du gemeinsam mit Rick Ross gemacht hast und auf dem du deine naturgegebenen Merkmale zelebrierst und sehr pro-black bist, eine klare Ansage an die weiße Vorherrschaft und dessen Status Quo. Ist das dein Ansatz? Einfach unmissverständlich schwarz und du selbst sein? Stichwort »black self-love«?

  • Exakt. Wobei ich eher sagen würde »all self-love«. Was auch immer du bist, das solltest du mit offenen Armen begrüßen. Ich feiere meine Dreads, ich zelebriere die Tatsache, dass ich schwarz bin, dass ich Afroamerikaner bin – du kannst mich nicht hassen, nur weil ich geboren wurde. Ich habe nicht um diese Farbe gebeten, du hast nicht um deine gebeten. Er hat nicht nach seiner gefragt, er hat nicht um seine Kultur gebeten. Keiner hat danach gefragt. Wir sind einfach so geboren worden und beobachten die Reaktionen anderer Leute. Ich bin stolz auf mich und ich will, dass alle anderen es auch sind – gerade in Zeiten wie diesen, in denen viel Angst herrscht. Ich habe den Track »Knottyhead« gemacht, um Leuten zu zeigen, dass ich stolz darauf bin, zu sein wie ich eben bin. Ich wünsche mir für den Rest dasselbe.

  • Eine Sache fand ich seltsam: Einerseits sind dein Ansatz und deine Aussage in deiner Musik sehr bewusst gewählt und durchaus inspirierend. Trotzdem sieht man in deinen Videos, wie du dich neben halb nackten Frauen präsentierst. Die Frauen sind Stereotype, ohne eigene Stimme – klassische, sexistische Dekoration also. Ich frage mich, wie das zusammenpasst.

  • Wenn du mal zurückschaust… Jesus hing mit den Leuten ab – mit Prostituierten, mit Killern, mit Thugs, mit Predigern und mit allen anderen. Warum kann ich das nicht? Auch wenn sie strippt, ist sie doch immer noch ein Mensch, oder?

  • Nein, du verstehst mich falsch. Ich rede davon, dass jede Unterdrückung miteinander verbunden ist: Rassismus, Sexismus, Homophobie. Wenn du dich gegen Rassismus stellst, aber gleichzeitig sexistische Bilder zeichnest, tust du dir ja selbst keinen Gefallen.

  • Ich sehe mich nicht als Sexist.

  • Das sagt ja auch kein Mensch, aber die Bilder sind sexistisch: Halb nackte Frauen, ohne Stimme, ohne Gesicht, ohne Auftrag, nur Background-Deko – das ist sexistisch.

  • Ach, du meinst »Ice Age«. Das ist halt meine Umgebung – ich bin aus Miami. Dort sind manche Frauen eben so. Aber dann gibt es andere Songs von mir, in denen ich erkläre, warum das so ist. Wenn du dir mal das »ULT«-Video anschaust – die Hauptfigur ist eine Frau, oder? In meinen Augen bin ich kein Sexist, nur weil das zum damaligen Zeitpunkt eben mein Umfeld war.

  • Was ist deine ultimative Angst?

  • Das ist schwer. Ganz ehrlich, harte Frage… Ich habe vor mir selbst am meisten Angst.

  • Wer ist dein ultimativer Feind?

  • Ich selbst.