Roe Beardie »Ich mache Musik in meinem Elfenbeinturm.« — Teil 2/2

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Da das Gespräch, das Julian Brimmers mit Roman »Roe Beardie« Preylowski führte, nicht nur spannend, sondern auch sehr ausführlich war, haben wir das Interview gesplittet. Hier geht’s zum ersten Teil, in dem Roman unter anderem über seine eigenen und die Anfänge von Headrush, über Walkin’ Large und das legendäre Album »Full House« spricht. Unsere zugehörige Bildstrecke ergänzt die Story um ein paar geschichtsträchtige Deutschrap-Momentaufnahmen.

Und hier nun die zweite Hälfte des Interviews. Zwanzig Jahre deutscher HipHop in einer Nussschale, Teil 2 – let’s go:

  • Bei uns in der Einöde nahe Holland tauchten kurz nach »Full House« die Stammtisch-Tapes von DJ Amir auf und wurden zum heiligen Gral. Man vergisst gerne mal, dass du auch bei den Stammtisch-Leuten deine Finger im Spiel hattest.

  • Wir haben damals gedacht, jetzt sind wir als Headrush halt ein richtiges Label-Label, das selbst alles macht. Groove Attack war der Vertrieb, also brauchten wir Künstler.

  • Da habt ihr euch schön die einfachsten Typen rausgepickt.

  • (lacht) Das war der Hang zum Risiko. Wir hätten auch auf Stuttgart-Modus die netten Jungs aus der Nachbarschaft einladen können, um ein bisschen Rap zu machen, der niemandem wehtut. Wir wollten aber den wilden Haufen vom Stammtisch und haben uns gefreut, dass die sich uns überhaupt geöffnet haben. Das war ja ein sehr eingeschworener Kreis von Menschen, teils mit nicht nachvollziehbaren Herangehensweisen an ihre Kunst. Am Ende musste ich merken: Man scheitert immer an den menschlichen Fähigkeiten – auch an seinen eigenen. Die Jungs dachten, jetzt regnet es Geld von der Plattenfirma. Und ich dachte: »Du kannst gut rappen, wir machen jetzt ohne Ende Platten.« Das hat beides nicht funktioniert.

  • »Just als ich am deutschen Talent verzweifelte, kam Olli um die Ecke und war alles, was man sich wünschen konnte: verlässlich, höchst motiviert, nett und bescheiden.«Auf Twitter teilen
  • Ich überlege grad: Kam das Spontan-Album jemals raus?

  • Das gab es, ja. Der war der Einzige, der diszipliniert genug und in der Lage war, konzeptionell zu arbeiten. Die anderen waren eher so:  »Rappst du heut nicht, rappst du morgen.« (lacht). Mit den Jungs konnte man prima kiffen, saufen und Party feiern, aber mit Rano, Laas und SD konntest du damals keine Schallplatten machen. Ganz liebe, ehrlich gemeinte Grüße an alle, aber ich glaube, das würden die auch selber jederzeit zugeben. Damals habe ich zum ersten Mal aus dieser Plattenfirma-Perspektive erlebt, dass man als Künstler für konstanten Output auch eine generelle Bescheidenheit und Verlässlichkeit im Leben braucht …

  • Und da hast du dich erst mal um Sido gekümmert?

  • (lacht) Nein. Ich wollte grade sagen: … und die hab ich dann ja bei Olli Banjo gefunden. Just als ich am deutschen Talent verzweifelte, kam Olli um die Ecke und war alles, was man sich wünschen konnte: verlässlich, höchst motiviert, nett und bescheiden. Und nebenbei der alles zerstörende Überrapper mit dem Rundum-Paket. Zuerst ist Olli gependelt, hat dann irgendwann bei mir gewohnt und ist schließlich hergezogen. Nach der ersten gemeinsamen Maxi »Rotlicht« rief Richard Wernicke von der EMI an – beleidigt – und meinte: »Jungs, nächstes Mal, wenn ihr so ‚nen Stunt macht, könnt ihr mich dann vorher anrufen?« Mit Songs wie »2 Mäck Ripp, bitte« waren wir dann schon beim Major. Übrigens: Noch mal Props an Richard Wernicke. Dass wir diese Idee eines 60.000-Euro-Videos, in dem der Rapper aus einer Muschi klettert, zum Soundtrack einer textlich und musikalisch garantierten Airplay-Verhinderung finanziert bekommen haben… da sollte die Sonne nämlich nicht auf-, sondern untergehen.

    Ollis Debüt »Erste Hilfe« haben wir dann ordentlich auf Chartposition 99 versenkt. Rückwirkend ist diese 99 aber so eindeutig der Plattenfirma zuzuordnen, dass es schon wieder okay war. Da ist etwas im großen Stil zwischen Vertrieb, Marketing et cetera schief gelaufen. In den richtigen Kreisen waren sich ja alle einig, dass der Olli was Besonderes ist. Aber der EMI-Vertrieb hat das überhaupt nicht ernst genommen. Da gab es interne, politische Verstrickungen in der Firma, für die weder unser A&R noch der Product Manager etwas konnten – aber im Endeffekt wurde unser Album an Stellen, auf die wir keinen Einfluss hatten, quasi in-house an die Wand gefahren. Für uns war das der Punkt, zu sagen: Vergesst es, dann machen wir es selber. Beste Entscheidung. Schon »Sparring 1« war unser eigenes Ding, dann kam »Schizogenie«.

  • Ich würde dein Team mit Olli Banjo und die Zusammenarbeit mit Sido gern mal parallel betrachten. Wie bist du überhaupt mit den Berlinern in Kontakt gekommen?

  • Die haben angerufen, ganz klassisch. Als genug Material für Sidos »Maske« beisammen war, hat Aggro ihn gefragt: »Hast du noch Lust, mit irgendwem außerhalb Berlins zu arbeiten?« Er meinte wohl, er wolle es wegen DCS und MC René mal mit mir versuchen. Dann klingelt Freitagnachmittags das Telefon: »Hallo hier ist Spaiche, Aggro Berlin, wir würden gern mal den Sido bei dir rumschicken, wie sieht’s aus?« (lacht) Wir haben direkt für die nächste Woche einen Termin gemacht. Da haben wir uns noch voll den Kopf gemacht, was uns wohl erwartet. Wir dachten: Oh Gott, was kommen denn hier jetzt für Messerstecher vorbei? (lacht) Sobald Sido hier ankam, war es aber sofort super – ich konnte hinter die Messerstecher-Fassade gucken, er hat die aber auch ganz schnell fallen lassen. Es ging einfach nur um Musik.

  • Rein technisch betrachtet hattest du damals schon mit stärkeren Leuten zu tun, oder?

  • Mag sein, aber Sido war sich schon damals, in jungem Alter völlig klar darüber, was er kann und was zu ihm passt. Ich habe davor und danach mit niemandem gearbeitet, der seine eigenen technischen Grenzen so gut kannte und sich der Wichtigkeit seines Charismas derart bewusst war. Der ist auch sehr musikalisch – die meisten seiner eigenen Beats habe ich zumindest gut gefunden, wenn nicht sogar gefeiert. Richtig ausgerastet bin ich bei den Beats, die nie jemand gehört hat. Teilweise hat er mir privat Sachen vorgespielt, wo ich meinte: »Typ, hör‘ auf zu rappen und werd‘ Produzent!« (lacht)

  • »Sido hat verstanden, dass ein MC zuallererst einmal Geschichtenerzähler ist. Der Erfolg hat ihm Recht gegeben.«Auf Twitter teilen
  • Waren das diese PlayStation-Beats von der Sekte?

  • Ach, gar nicht mal, der hatte eine riesige Bandbreite! Einfach ein richtig talentierter, musikalisch versierter Mensch, der Sido. Und ich will jetzt gar nicht »Defizite« sagen, aber es gab natürlich Grenzen, die er sich teilweise auch selbst gesetzt hat, weil er dieses Sibbedi-Hibbedi-Gespitte nicht machen wollte. Sido hat verstanden, dass ein MC zuallererst einmal Geschichtenerzähler ist. Ich meine keine deepe Kopfscheiße, sondern wirkliche Geschichten. Der Erfolg hat ihm Recht gegeben. Der hat kein bisschen versucht, sich anzubiedern – und der Mainstream ist ausgeflippt.

  • Wenn du das mit Olli vergleichst …

  • Bei Olli war es anders, der war Avantgarde-Jazz, Miles Davis. Sido war der Bruce Springsteen. (lacht) Oder vielleicht eher Dizzee Rascal. Jedenfalls hat er sich keinen Zacken aus der Krone gebrochen und extreme Lifestyles aufgezeigt. Der Olli hat nie einen bestimmten Lifestyle propagiert. Der hat von Anfang an tiefe Einblicke in seine Biografie gegeben. Du wusstest: Olli ist eine christliche, sehr liebenswerte »Kartoffel«. (lacht) Der macht weder auf Ami, noch auf sonst was. Aber er macht einen wahnsinnig musikalischen, komplexen Rap, der auch dadurch zugänglich wird, dass Olli nie den starken Mann markiert hat oder sich über andere stellen wollte. Das hatte er als Ausnahme-Lyricist, der er ja ist, nie nötig. Und rein technisch ist er eine Liga mit Miles Davis, Carlos Santana, Beckenbauer und Karl-Heinz Rummenigge.

    Ich habe damals Xaver Fischer kennengelernt, der ist ein begnadeter Jazzer und der eigentliche Urheber von »The Rise«. Das Stück, das DJ Ara damals gesamplet hat, ist vom Xaver Fischer Trio. Der denkt ähnlich wie Olli: Das sind Menschen, die ihre Kunstform zu 100 Prozent perfekt beherrschen, aber immer wieder die eigenen Grenzen sprengen wollen. Als Jazzer kannst du kein schlechtes Jahr haben, in dem du mal nicht so geil Gitarre spielst. Im HipHop-Kontext war Olli genauso.

  • Wie lange hast du mit den Aggro-Berlinern zusammengearbeitet?

  • Zunächst lief alles richtig gut. Sido hat »Mein Block« original am ersten Tag hier geschrieben. Der kam ins Studio und fragte, ob wir ein paar Beats durchhören wollten. Bei mir ist das schwierig, normalerweise mache ich Beats am liebsten direkt für die Person. Dann haben wir ein paar Sachen angehört – darunter den Beat, der als Albumversion von »Mein Block« auf »Maske« landen sollte. Den habe ich frisch gemacht, während ich auf ihn gewartet hatte. Sido hat allen Ernstes innerhalb von anderthalb Stunden »Mein Block« geschrieben, aufgenommen und sofort selber gerafft, dass er da was ganz Großes hat. Er hat den Song dann direkt nach Berlin gemailt. Dort meinten sie nur: »Das ist das Krasseste, das ist dein Hit. Du bleibst jetzt mal schön ‚ne Woche bei diesem Roman.« (lacht)

  • Was ich ja auch verrückt finde: Wie lange dich »Spüre diesen Groove« schon verfolgt.

  • Ja, Wahnsinn. Hör uff, ey! (lacht)

  • Der Beat ist von dir, René hat den Song bei euch aufgenommen. Später hat Sido einen der lustigsten Skits überhaupt daraus gemacht, und Retrogott & Hulk Hodn spielen den Beat live, nachdem sie fragen, ob MC René tot sei …

  • Und: Letztens schreibt mich der MC René an und fragt, ob ich die Spuren noch hab. Kein Scheiß! Ich weiß nicht mehr genau, was ich bei dem ersten MC-René-Album alles gemacht habe, aber den Song auf jeden Fall. Aber es ist tatsächlich so: Sido war als kleiner Junge ein riesiger Fan von all dem.

    Nachdem das mit Sido also alles so gut lief, wollte Aggro auch die anderen Jungs zu uns schicken. Das hat aber nicht so richtig funktioniert. Ich weiß gar nicht mehr genau, kam B-Tight mal einzeln her? Kann sein. Fler kam rüber, und dann war Bushido auch mal zu Besuch und saß hier auf dem Sofa. Jedenfalls hat Sido mich angerufen und gebeten, bitte nichts mit Bushido zu machen. Da war schon klar, dass anscheinend was im Busch war bei Aggro. Bushido war eh nur zu Besuch hier, weil sein Kumpel Fler hier aufgenommen hatte. Aber am Telefon meinte ich zu Sido: »Siggi, klar, für dich kann ich das bleiben lassen.« Ich war eh nicht so hochmotiviert und Bushido wollte gar keine Musik machen, der wollte nur hier abhängen. Aber als »aufstrebender Aggro-Produzent« hätte ich Bushido ja auch tief in den Arsch kriechen können. Im Endeffekt saß der hier und ich hab kaum ein Wort mit ihm geredet. Aber auch mit den anderen Aggro-Leuten hat es einfach nicht geklickt – auch weil die alle nicht so komplette Künstler waren wie Sido.

    Ich hatte danach noch mal eine sehr kreative Woche in Berlin. Da habe ich bei B-Tight gewohnt. Die Jungs waren voll auf »Hey, komm rüber chillen, dann machen wir ein paar Tage Beats und hängen ab«. Sido habe ich in der Woche zwei Stunden gesehen, da sind wir zusammen Mikrofone kaufen gefahren, und B-Tight ganze zweimal. Den Rest der Zeit habe ich alleine in der Bude verbracht – die hatten so eine kleine Produktionsecke in der Kammer in der Küche, so 1,50 m auf 1,50 m. Aber es war immer Gras da. (lacht) Und da hab ich dann eine Woche lang ganz verrückte Musik gemacht. Unter anderem einen, wie ich finde, sehr guten Headrush-Remix von »Mama ist stolz«, der genau das aufgenommen hat, was auch schon bei Plattenpapzt wichtig war: Der Flow des Künstlers und der Beat mussten eine untrennbare Einheit sein. Aber das war’s dann auch schon fast. Danach gab es für die »Aggro Ansage«-Sampler noch mal Annäherungen, aber das hat alles nicht mehr so hingehauen.

  • »…von heute auf morgen hat es mir wie bei einem Nervenzusammenbruch den Boden unter den Füßen weggezogen.«Auf Twitter teilen
  • Nur um das mal zu klären: Wenn du »Headrush-Remix« sagst, wer war Headrush denn zu der Zeit?

  • Der Emanuel Rehwald und ich. Das war all die Jahre so, bis Olli dazukam und das Ganze zu einem Dreigestirn mit eigenen Aufgabengebieten erweitert hat. Dadurch hat sich das Geschäftsmodell über die Jahre verlagert, von Dienstleister zu Produktionsfirma und vom Label hin zur Band. Wir waren mit Olli ja eine Band.

  • Welche Platte hat in dieser Konstellation am meisten Spaß gemacht?

  • »Schizogenie«, würde ich sagen. »Erste Hilfe« war auch geil, aber bei »Schizogenie« hatten wir den Zuspruch der »Erste Hilfe«-Fans. Zu sagen, wir lassen uns von überhaupt niemandem reinreden und bringen das selber raus, hat bewirkt, dass wir völlig ausflippen konnten. Gleichzeitig hatten wir auch den Willen, das Album in den Charts zu platzieren. Aber wenn ich an den Aufwand denke, den wir für den Videodreh zu »Wie ein Schuss« hatten – das war mit die beste Zeit. Wir hatten die finanziellen Möglichkeiten und gleichzeitig diesen »Jung, wild und frei«-Spirit, keinen A&R mehr vor der Nase, gar nichts.

  • Das erklärt auch, dass ein Song wie »Ich hab eine Pistole« tatsächlich auf einem Album landen konnte …

  • (lacht) Genau. Alles, was gemacht wurde, konnte auch veröffentlicht werden. Bei »Polizei« haben wir dann doch noch kalte Füße gekriegt und das »Polizist« umgedreht – totaler Blödsinn im Nachhinein.

  • Du machst nicht mehr wirklich Musik mit Olli, oder?

  • Den letzten Beat habe ich für Olli auf dem »Kopfdisko«-Album gemacht, da waren noch ein paar Dinger drauf. Das hat schlichtweg mit meinem eigenen, ganz persönlichen Musikmach-Burnout zu tun. Es gab schon während »Sparring 3« eine Phase, in der ich das Gefühl hatte, jeden Beat schon mal gemacht zu haben. Das Konzept eines Beats hat mich angewidert. Der Gedanke ›Hier muss ja noch eine Hi-hat oder eine Kick hin‹, ›Samplest du was, spielst du was ein?‹ oder auch dieses leere Logic-Fenster haben mich an-ge-wi-dert. Die Vorstellung, dass ich irgendwo hinfahre, mir was ausdenke und da rappt dann einer drauf … dann nimmst du den Rap auf, dann nimmst du die Rap-Dopplerspur auf, dann einen Refrain mit Scratches … von heute auf morgen hat es mir wie bei einem Nervenzusammenbruch den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich wusste, ich will das gar nicht mehr. Es macht keinen Spaß mehr, aber auch keinen Sinn – man konnte nicht mehr davon leben, ein Label und eine Band konnten wir nicht mehr finanzieren.

  • Hast du dich deshalb so in das Rock-Projekt von Olli reingehängt?

  • Genau, da habe ich dann meine neue Berechtigungsgrundlage gesehen: ich wollte Deutschlands verrücktester Rock-Engineer werden, ohne aber die Hausaufgaben dafür gemacht zu haben. Ich wäre schon bereit dazu gewesen, habe mir alles angesehen und in neues Equipment investiert. Aber Olli war produktionstechnisch ebenfalls unbeleckt – der ist zwar Vollblutmusiker und kann mit einer Woche Arbeit jedes Instrument der Welt spielen –, aber diese Proberaumjahre, in denen man sich im Alter von 14 bis 20 durch verschiedene Verstärker probiert, Funktionsweisen von Dioden, Röhren oder Lautsprechermembranen durch Stromschläge am eigenen Leib erfährt, dieser ganze handwerkliche Aspekt der Rockmusik, der hat uns gefehlt. Und das ist ein Riesenfaktor. Die Riffs wiederholen sich seit 50 Jahren im Rock. Aber in welche Ästhetik pack‘ ich die, welchen Sound will ich machen? Da hat uns ein dritter Mann gefehlt. Man hätte eigentlich einen devoten und musikalisch willenlosen Gitarrenmenschen gebraucht, der uns die Flausen aus dem Kopf treibt. (lacht) Mein komisches, angelesenes Wissen und Ollis Vorstellung, er müsse das Equipment seiner Lieblingsbands spielen – da haben wir vier Jahre lang in ganz viele Sackgassen gearbeitet.

  • Aber es kommt doch jetzt ein Rock-Projekt?

  • Ja, aber das macht Olli ganz alleine und ich bin schon wahnsinnig gespannt. Irgendwann hatte ich – vor allem aus Zeitgründen – aufgehört, aus seinen Layouts Lieder zu machen. Wir hatten ja für die ›Produktion‹ nie eine Band und ich habe deshalb ganze Drum-Libraries gekauft und Beats programmiert, die wie Live-Schlagzeug klangen. Eine Heidenarbeit war das. Einen von Deutschlands besten Schlagzeugern, schöne Grüße an Dirk Leibenguth, habe ich sogar fast täuschen können – der fragte mal, wer denn die Drums spielen würde und ich konnte mit leisem Stolz sagen, dass ich das programmiert habe.

  • »Die Vorstellung, eine Woche an einem dreiminütigen Instrumentalstück zu sitzen, das dann als eines von 10.000 auf YouTube endet, macht mich fertig.«Auf Twitter teilen
  • Was ist mit dem Material passiert?

  • Im Verhältnis hat Olli 20 Lieder gemacht hat und vier davon haben wir so ausproduziert, dass man mal zu einer Plattenfirma gehen konnte. Dort wurde das aber alles noch nicht für gut befunden. In dieser Phase hat Ollis Selbstverständnis von dem, war er eigentlich machen möchte, wöchentlich gewechselt. In den vier Jahren, in denen wir an der Rockplatte gearbeitet haben, hat Olli ungelogen drei bis vier sehr gute Zehn-Song-Alben für drei komplett verschiedene Rockbands geschrieben. Vor Wunderkynd gab es ja auch noch Dein Freund, komplett mit Website, Mailverteiler-Aufriss, 18.000 Flyer auf dem Splash verteilen und so weiter. Da waren ganz viele Ansätze, die aufgrund unserer gemeinsamen Unerfahrenheit nicht in die richtige Richtung manövriert wurden. Manchmal denke ich, Olli hätte sich vielleicht von Anfang an an einen Rockproduzenten wenden sollen. Da wäre nur die Frage gewesen: Hätte der ihn so ernst genommen wie ich? Für mich und meinen »Ich kann keinen HipHop mehr machen«-Ekel bot sich da eine ganz neue musikalische Zukunft. Ich wusste ja, wozu Olli imstande ist. Mir wäre auch egal gewesen, da erst mal nur der Live-Tontechniker zu sein. Hauptsache, mal wieder raus aus dem Studio, ein anderes Gefühl erfahren, als Kickdrum-Akten abzuarbeiten.

  • Ironischerweise wurdest du von der »Juice« also zu einem Zeitpunkt zum besten Deutschrap-Producer aller Zeiten gewählt, als du Logic seit Monaten nicht mehr geöffnet hattest?

  • Ja, das hat mich auch überrascht. Es ist ja doch ein recht schnelllebiges Geschäft und der Produzentenstatus in Deutschland ist nie ein sehr großer gewesen. Ich hätte auch eher gedacht, dass da jemand gewählt wird, der die letzten drei Jahre die großen Hits gehabt hat. Dass aber an mich gedacht wurde, hat mich überrascht und auch wirklich fast zu Tränen gerührt. Du musst dir vorstellen, da sitzt du und willst mit dem ganzen Scheiß gar nichts mehr zu tun haben. Du kannst so etwas wie ein Lebenswerk vorweisen, aber du hast nichts davon; weder hatte ich Geld auf der Bank, noch war ich als Musikschaffender in Deutschland in anderen Sparten relevant – geschweige denn international. Wir haben alles auf ein Pferdchen gesetzt und 20 tolle Jahre gehabt – aber am Ende ist nichts davon übrig geblieben. Und dann wird aus dem Nichts dein Lebenswerk in dieser Weise vom damaligen Zentralorgan der Szene gewürdigt. Das war richtig emotional für mich.

  • Zumal diese Würdigung in eine Zeit fiel, in der Producer gerade anfingen, sich selbst verstärkt als eigenständige Künstler zu vermarkten.

  • Noch nicht mal vermarkten – aber sie haben endlich angefangen, nebenher als DJs aufzulegen! Der größte Fehler meines Lebens ist …

  • … nicht Auflegen gelernt zu haben?

  • Ach, gelernt… Ich hab instinktiv schon besser aufgelegt als 80 Prozent aller HipHop-DJs. (lacht) Aber ja: dass ich nie DJ war, lag auch daran, dass ich sehr, sehr häuslich mit meinem Studio umgegangen bin. Das war mein Elfenbeinturm, da habe ich mich daheim gefühlt. Die Vorstellung, nach so einer Woche im Studio, wo man nichts als Musik, Drogen und Alkohol zelebriert hatte, noch mal die Tasche zu packen und das Gleiche in noch extremerer Form durchzumachen, war für mich nicht vorstellbar.

    Ich war immer sehr glücklich darüber, mein Business im Hintergrund zu halten. Rückblickend aber hätte ich diese DJ-Sache, für die man sich einmal im Monat bewusst die weite Hose an- und die New Era aufzieht und Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache betreibt, machen sollen. Das bereue ich sehr, alles andere war mir recht – keine Interviewanfragen, keine Fototermine et cetera. Einfach, weil mich das nicht so interessiert hat. Torch hat mal diese klare Unterteilung ausgegeben, in diejenigen, die etwas erschaffen und die, die darüber schreiben. Das so strikt zu sehen, hat seiner Karriere ja auch nicht gerade geholfen. (lacht) Aber ich war auf genau der gleichen Arroganzschiene: Ich mache Musik in meinem Elfenbeinturm und ob ihr das gut findet oder nicht, ist mir egal.

  • »Und wenn ein Smudo da sitzt und ganz große Ohren kriegt, wenn er ›King of Rap‹ hört, dann merkst du, du bist da grad an was Großem dran.«Auf Twitter teilen
  • Hast du die Angst vor den leeren Logic-Spuren denn mittlerweile überwunden?

  • Es juckt bloß noch in den Momenten, wenn ich weiß, dass ich hinterher irgendetwas Relevantes aus dem Sequencer rausbekomme oder – schlimmerweise – wenn ich hinterher eine Rechnung schreiben kann. Ich habe letztes Jahr für Carolin Kebekus drei HipHop-Sound-Alikes gemacht für eine Laudatio. Das war eine Dienstleistung, in der ich meine Fähigkeit vollständig nutzen konnte, aber zu keinem Zeitpunkt einen kreativen Druck verspürte. Ich musste den ganzen Young Cats nicht zeigen, wo der Hammer hängt. Ich musste nicht mit Dexter und Suff Daddy in Konkurrenz treten, oder hoffen, dass Olski das für MPM interessant findet. Ich musste einfach nur etwas machen, wovon der Kunde sagt: »Das hast du aber gut gemacht, gib‘ uns deine Bankverbindung.« Solche Momente würde ich mir als Sachverständiger dieser Musik öfter wünschen. Da schaue ich mich gerade um, in Richtung Film und Fernsehen, Weiterverwertungsebenen der Musik sozusagen. Mich hinzusetzen und selber eine musikalische Sprache zu finden, die die Leute vor den Kopf stößt? Da bin ich aktuell ehrlich gesagt zu eingeschüchtert von dem ganzen geilen Scheiß, den es weltweit gibt.

  • Was begeistert dich momentan?

  • Ich höre gerade wieder sehr viel Beatmusik. Ich sag’ mal: die »schönen Kinder« des Trap. Trap ist ja sehr stumpf, aber diese Ästhetik – unten ganz viel Bass und 808-Claps, oben Jazz-Akkorde und 8-Bit-Synthese drüber – das höre ich wahnsinnig gern. Oft sitze ich stundenlang da, höre Musik und weiß einfach: das könnte ich nicht. Allein von der Energie her. Ich weiß ja, wie lang die daran sitzen. Die Vorstellung, eine Woche an einem dreiminütigen Instrumentalstück zu sitzen, das dann als eines von 10.000 auf YouTube endet, macht mich fertig.

    Diese Liebhaberei des eigenen Musikschaffens ist bei mir auf minimaler Flamme am Köcheln. Ich denke aber, wenn ich jetzt nicht irgendwas anderes Verrücktes machen müsste – Müll runterbringen, etwas lesen, eine Serie schauen – oder wenn das Internet für einen Monat kaputt ginge, dann würde ich wieder anfangen, Musik zu machen. (lacht) Ich müsste aber erst mal aus der Begeisterungsschleife für all diese Millionen Producer rauskommen. Diese ganzen Typen, die unfassbar hochwertige Musik im Internet veröffentlichen, ohne dass es groß jemand mitkriegt. Das ist Musik, die auf allen Ebenen einfach geil ist und die hat dann 602 Klicks und der Typ heißt Sporax, oder wie irgendeine andere Pokemon-Figur. (lacht) Ich habe gestern noch einen Typen gehört, der heißt Skrude – da dachte ich, ich hab‘ grad den besten Beat der Welt gehört und keiner wird es erfahren. Und wenn ich das bei Facebook teile, interessiert es auch keinen. (lacht)

    Aber ich will doch als Musikschaffender das Gefühl haben, dass nicht nur zehn Kumpels mir auf die Schulter klopfen und sagen: »Das haste aber fein gemacht.« Bei einem »Full House«-Album wusste ich: Alle gucken drauf. Und wenn ein Smudo da sitzt und ganz große Ohren kriegt, wenn er »King of Rap« hört, dann merkst du, du bist da grad an was Großem dran. Anderes gutes Beispiel: Als ich auf dem Jonesmann- und Banjo-Album »Vögel« gemacht habe, wusste ich insgeheim: Da habt ihr jetzt alle das nächste Jahr noch dran zu knabbern, Leute. (lacht) All das sehe ich im Moment bei mir nicht. Ich liebäugle zusammen mit Benny Blanco damit, etwas für Veedel Kaztro zu produzieren. Wir haben uns bierselig darauf geeinigt, dass wir den spannend finden und an diesem jugendlichen Eifer teilhaben möchten. (lacht)

    Ich würde aber nicht mehr krampfhaft versuchen, etwas Extremes zu machen. Es gibt doch alles schon. In den 20 Jahren meiner Karriere hatte immer wieder die Möglichkeit, in das Nadelöhr des persönlichen Geschmacks – so möchte ich es mal nennen – mit viel zu dicken Seilen reinzustochern. Aber das hat sich im Moment glaube ich erledigt. Ich bräuchte dafür a) weniger andere spannende Dinge, mit denen ich mich beruflich beschäftige als jetzt gerade, und b) vielleicht eine durchgedrehte Sängerin, einen Cellisten oder einen Alpenhorn-Spieler. Irgendjemand, der mir nicht das Gefühl gibt, ich müsse mich hinsetzen und die richtige 808 suchen. (lacht) Da geht’s mir wie Jaki Liebezeit (legendärer Krautrock-Drummer von Can, Anm. d. Verf.), der aufgehört hat, mit Kickdrum zu spielen, weil das postkapitalistischer Amerikanismus oder so was sei. Könnte ich Klavier spielen, würde es mir vielleicht Spaß machen, slowakische Underground-Filme zu vertonen. Damit hätten wir das zweite Manko meiner Musikerkarriere: dass ich niemals ein Instrument gelernt habe. Wenn ich also morgen im Lotto gewinne, kaufe ich mir Klavier, Schlagzeug und Gitarre, nehme in allem Unterricht und dann würdet ihr mich alle ein Jahr lang nicht sehen – und dann würde ich’s trotzdem keinem zeigen. (lacht) 

    Ich habe also definitiv kein »Detox« in der Mache, erfreue mich aber ähnlich wie Dr. Dre wieder sehr am tontechnischen Aspekt, also dem Mixen. Da gab’s ein Jay-Z-Album, wo nur ein oder zwei Beats von ihm drauf waren, das er dafür aber komplett gemischt hat. Ich finde, so etwas ergibt total Sinn, wenn die Beat-Muse grad einen großen Bogen um einen macht. In dieser Hinsicht fing mein Jahr mit dem kompletten Mix von Ollis aktuellem Album mehr als spannend an – und im Moment genieße ich ein paar sehr angenehme und vor allem lustige Wochen mit der Antilopen Gang. Das Game will mich halt doch nicht in Ruhe lassen. (lacht)