Chris Miles »Ich habe wohl generell ein kleines Motivationsproblem.«

Wenn Chris Miles rappt, dann auf Beats, die knurren und drohen, zurückzubeißen, wenn man ihnen zu nahe kommt. Eine Eigenschaft, die sich auch in seinen Texten wiederfinden lässt. ALL GOOD-Autorin Sofie Rathjens stand der Wahl-Hamburger für ein Interview Rede und Antwort.

ChrisMiles

Wäre Rap eine Landschaft, die von ihren Interpreten selbst geformt würde, hätte sie bei Chris Miles tiefe Seen und Moraste zum darin Versinken. Und es würde viel regnen. Wenige Künstler in der Deutschrapszene sehnen sich so sehr nach (musikalischer) Abgeschiedenheit und den dunklen Ecken, die die meisten Menschen eher meiden würden. Wenn Chris Miles rappt, dann beschäftigen ihn vor allem seine eigenen Dämonen. Wer an der Oberfläche kratzt, dem kann schon mal die Fassade zwischen den Fingern zerbröckeln – etwas, das Chris in jedem seiner Songs vom ersten bis zum letzten Takt in Kauf nimmt. »Ihr wisst ja eh besser, was ich brauch, ja / Ihr wisst alles besser, weiß ich auch / Reiß mich zusammen, spar‘ Kraft / Meine Koffer sind gepackt«. Künstlerisch hat Chris Miles das längst getan. Spätestens, als er sich nach seiner Teilnahme am »VBT« 2012 und 2013 aus der üblichen Battle-Rap-Arena zurückzog, um seinen eigenen Weg einzuschlagen – so abseits vom Mainstream, dass man sich des Eindrucks nicht entziehen kann, als Hörer zu den wenigen Auserwählten zu zählen, für die er überhaupt nur auf den Recording-Knopf drückt.

Seit gut einem Jahrzehnt ist Chris Miles Teil der Deutschraplandschaft, und doch erscheint er dabei nahezu ungreifbar, betrifft es sein Auftreten in der Öffentlichkeit. Promomoves oder eine eigene Tour spielen für ihn keine Rolle. Schlichtweg versucht Chris Miles, dem ganz großen Stress, den das Rapbusiness mit sich bringen kann, aus dem Weg zu gehen. Dafür zieht er sich schon mal in seinen ganz persönlichen Untergrund zurück und rappt aus einem imaginären Fahrstuhl, der direkt in die Hölle führt. Nur ab und an taucht er wieder auf, der selbsternannte »Sergeant« mit der markanten Betonung seiner Wörter – und dann kann sich der Zuhörer erst mal über einen realistischen, wenn auch durchaus ernüchternden Lagebericht freuen. Mit »Stripclub« lädt Chris Miles erneut ein, ihn für ein paar Songs in seine Welt aus Skepsis bis Antipathie zu begleiten und zu verstehen, warum es weder gute Laune noch Zivilisation braucht, um als Künstler zu überleben.

  • Wie bist du ursprünglich zur Musik gekommen, was hast du früher so gehört?

  • Ich erinnere mich noch ganz genau an die erste Musik, die ich mir je selbst gekauft habe. Keine Ahnung, warum sich das so eingebrannt hat, aber das werde ich wohl nie vergessen. Das war eine Kassette von Roxette… lassen wir das einfach mal so stehen. Danach habe ich viel NOFX, Dog Eat Dog, Green Day, Bad Religion, Nirvana und solche Sachen gehört. Auch ein wenig Metal wie Sepultura, Manowar, Metallica und viele mehr. Also sagen wir einfach: Gitarrenmusik. Zu Rap bin ich klassisch durch ältere Freunde gekommen und durch Wu-Tang, den ganzen New York-Kram eben. Es gab auch eine kurze Phase Deutschrap mit Künstlern wie R.A.G., Creutzfeld & Jakob, Die Sekte oder Samy Deluxe, bis ich gemerkt habe: »Ey, das kann ich auch!« Ich kann zwar kein Instrument wirklich spielen, bis auf ein paar leichte Klavierstücke, darüber hinaus bin ich eher so der Triangel-Typ. Aber schreiben, das kann ich, aus Worten Bilder machen. So habe ich angefangen, auf random Beats zu freestylen. Ich habe mir in irgendwelchen Gartenlauben mir eine Art »Flow« angeeignet und dann begonnen, Texte zu schreiben. 

    Amirap hat da immer mehr Platz eingenommen. Während Deutschrap mehr so etwas wie eine Soap-Sendung war, war Amirap eben der Hollywood-Streifen. Später ist es auch damit langweilig geworden, weil immer das Gleiche serviert wurde. So wurde ich – und auch die Musik – trauriger. Und auch älter. Von da an hab ich mich dann mehr mit Sachen wie Joy Division, Johnny Cash, Lana Del Ray, Marina And The Diamonds, Portugal The Man beschäftigt. Ich ziehe aus allem das, was mir gefällt, egal, welches Genre. Stimmung und Stimme sind für mich ausschlaggebend. Rap kam erst langsam wieder dazu, und jetzt gerade ergibt alles eine gute Mischung in meinem Leben. Ich schätze, es sind so 70 Prozent Diverses, 30 Prozent Rap. 

  • Gab es da auch irgendwelche Konzerte oder Alben, mit denen du groß geworden bist?

  • Also Konzerte eher weniger… bin nie outgoing gewesen. Aber Alben, ja, auf jeden Fall. Ein paar, die ich nennen kann, sind sicher Green Day »Dookie«, Cage »Movies For The Blind« oder Necros »I Need Drugs«. Das sind so Alben, die ich am meisten am Stück gehört habe. Alles andere beschränkt sich auf einzelne Tracks wie zum Beispiel »Hurt« von Johnny Cash. Den habe ich als Solo-Track sicherlich genau so oft gehört wie die ganzen Alben. 

  • Deine Beats produziert fast ausschließlich dein Kumpel Dollar John. Generell haben diese einen hohen Wiedererkennungswert bei dir, sind durchweg eher düster, kriechend. Man hat als Zuhörer schon das Gefühl, dass der Beat und du eine Einheit seid. Sieht es in dir ähnlich dunkel aus, oder ist das einfach die Art von musikalischem Stilelement, die du selbst am meisten hörst und dich inspiriert? 

  • Die Beats spielen auf jeden Fall eine große Rolle, und da gibt es an sich auch keine Zufälle. Ich schreibe eigentlich nur direkt auf die Beats. Also ich gehe auf jeden Break, jede Melodie und jede Pause individuell ein. Das bedeutet, der Beat ist bei mir an sich immer genau das, was auch der Text verspricht.     

  • »All das beschreibt das Auf und Ab der Gefühlswelt innerhalb des Käfigs.«Auf Twitter teilen
  • Um mal eine Line aus einem deiner neuen Songs zu zitieren: »Das ist mein Käfig, hier sterb‘ ich, hier leb‘ ich / Mein Käfig, hier blüh‘ ich auf und hier vergeh ich / Von außen zu und innen eklig«. Das sind ziemlich starke negative Bilder. Jenseits des Mics bekommt man eher einen anderen Eindruck von dir. Hast du das Gefühl von zwei gegensätzlichen Seiten, die du beide unter einen Hut zu bekommen versuchst?

  • Ja und nein. (Überlegt) Für mich sind diese Bilder gar nicht unbedingt negativ. »Hier sterb‘ ich, hier leb‘ ich« heißt: da habe ich mich eher mit abgefunden, während »Hier blüh‘ ich auf« auch durchaus positiv zu werten ist. Wobei natürlich danach gleich der Gegensatz kommt. All das beschreibt das Auf und Ab der Gefühlswelt innerhalb dieses Käfigs. Ich weiß gar nicht, ob ich sonst etwas preisgebe, was nicht in den Tracks bereits offensichtlich ist. Von daher deckt sich das schon mit meiner Stimmung im Alltag. Aber natürlich bin ich nicht 24/7 so drauf wie in den Tracks, das sind ja auch immer Momentaufnahmen. Alles andere wäre ja auch schade!

  • Deine Ablehnhaltung gegenüber dem übrigen Rap-Business, aber auch gegenüber gesellschaftlichen Dogmen zieht sich bis heute wie ein roter Faden durch deine Musik. Gibt es etwas, das du hinsichtlich des Rap-Business oder auch in Bezug auf das Verhalten der Menschen miteinander ändern würdest? 

  • Einiges, ja, nur liegt es nicht in meiner Macht, so etwas zu entscheiden. Ich habe mit dem Rap-Business nur soviel zu tun, wie ich das auch will, und die distanzierte Haltung bezieht sich generell auf Menschen – im privaten als auch im geschäftlichen Sinn. Den Rest muss ich genau wie jeder andere auch akzeptieren. Oder ich wehre mich eben gegen bestimmte Dinge.

  • »Ich wollte damit ein Gefühl von Schweben erzeugen.«Auf Twitter teilen
  • Seit Kurzem gibt es ein Video zu deiner Single »Salome« von deiner EP »Stripclub«. Die Bilder, die man dort zu sehen bekommt, sind neu im Chris Miles-Kosmos: Man sieht jemanden mit dem Rücken zur Kamera stehen, rauchen, aber dabei fast statisch aufs Wasser blicken. Kannst du ein bisschen was über das Video erzählen? Und spielt Wasser eine Rolle für dich?  

  • Die Idee zu dem Video stand sogar schon vor dem Song. Ich wollte damit ein Gefühl von Schweben erzeugen. Gedreht habe ich es mehr oder weniger selbst. In meinem Bekanntenkreis hat jemand ein Boot, damit sind wir einfach die Hamburger Elbe auf und ab gefahren bis zum Sonnenuntergang. Die Kamera wurde am Mast montiert, ich selbst stand vorn auf dem Boot – ja, genauso wie bei »Titanic«!

    Ich mag das Meer, die Stille beim Tauchen. Aber ich mag auch Flüsse – diese Geräusche und diese unberechenbare Kraft dahinter. Und Regen. Regen ist wunderschön.

  • Wie kam es denn zu dem Titel »Stripclub«? In welchem Kontext steht der zum Inhalt der EP?

  • Der Titel stand schon vor dem ersten Track fest, die Idee fürs Cover an sich auch. Der Stripclub, den man so kennt, ist ja auch, überspitzt gesagt, eher ein Platz für gescheiterte Existenzen. Die vor und die an der Stange. (Überlegt) Damit meine ich den Mann, der seine Frau anlügt, sein Geld aus dem Fenster schmeißt, anstatt Zuhause zu sein. Und auf der anderen Seite ist da die Frau, die vielleicht keine andere Wahl hat, Umstände, die sie dazu gebracht haben, diesen Job zu machen. Der Klischee-abgewrackte Hinterhof-Stripclub eben, ein ekliger Ort. Einer, über den man nicht so gerne spricht, den man für sich behält. Gewissermaßen könnte man es auch mit dem »Fightclub« versuchen zu beschreiben: Wir haben hier einen anonymen Kreis von Gleichgesinnten, aus fraglichen Umständen zusammengewürfelt, aber da sind wir nun. Eigentlich wäre die korrekte Schreibweise auch eher »stRIPclub«, was von dem Club-Ding ablenkt, weil der Name absichtlich eine etwas falsche Fährte legen soll. Stripclub bedeutet also in dem Fall, Seelenstrip im Stuhlkreis, aber ich habe das Redekissen. 

  • Zum musikalischen Charakter Chris Miles gehört auch seine Abwesenheit, wenn es um Medienpräsenz oder Auftritte geht. Du hast, auch im Zuge deiner neuen EP, erklärt, du würdest Lance Butters, mit dem du ja auch privat befreundet bist, wieder auf seiner kommenden Tour begleiten, jedoch nicht als Support-Act, sondern wahrscheinlich erneut als Back-Up. Damit bist du einer der sehr wenigen aktiven Rapper, die keine eigenen Shows oder Sets spielen. Welche Gründe hat das?

  • Den musikalischen Charakter und meine reale Person trennt nicht viel. Es gab eine kurze Zeit, da fand ich es aufregend und natürlich auch cool. Meine ersten Live-Auftritte waren ja direkt eine komplette Tour als Voract. Da war ich noch sehr unerfahren, sehr unsicher. Mittlerweile bringt es sogar Spaß, einen Part oder vielleicht sogar einen eigenen Song zu performen. Nur empfinde ich selbst meine Musik absolut nicht als live tauglich. Die Tracks wirken am besten allein, mit Kopfhörern, ohne den ganzen ablenkenden Kram. Sich mal kurz einfach nur mit sich selbst beschäftigen. Bei den Shows gibt es natürlich auch Features von mir, oder ein, zwei Tracks, die live funktionieren. Aber primär bin ich da, um zu helfen.

  • Abgesehen von Lance gab es in den letzten Jahren keinen anderen Feature-Gast auf deinen Songs. Hast du das Gefühl, deine Musik beziehungsweise deine Texte sind nicht für jeden Rapper besonders zugänglich? Oder brauchst du für so eine Zusammenarbeit ein enges Vertrauensverhältnis?

  • Ja, auf jeden Fall. Es gibt da bestimmt zu 98 Prozent keine Schnittmenge, außer, dass wir eben auf den gleichen Beat rappen würden. Das ist für mich generell eher uninteressant. Nicht ausgeschlossen, aber im Normalfall mache ich am liebsten gar keine Features.  

  • Gäbe es dennoch irgendwen, mit dem du dir ein Feature wünschen würdest? Mit einem Lakmann zum Beispiel, oder auch amerikanische Rapper?

  • Lakmann feiere ich tatsächlich als einen der wenigen! Das würde, denke ich, auch gar nicht so schlecht passen. Aber auch ein Rapper wie Lakmann, der selbst relativ »Nische« ist, kennt mich nicht. Was absolut nicht negativ gemeint ist und zum Großteil ja auch meine eigene, nennen wir es mal, Schuld. Wenn es um die Superlative geht, dann würde ich gerne mal mit jemandem wie Lana Del Ray zusammenarbeiten. 

  • Wieso Lana, was fasziniert dich an ihr besonders? 

  • Die Stimmung vor allem. Sie hat dieses Theatralische, diese Melancholie. Außerdem hat sie einen Song gemacht, der »Diet Moutain Dew« heißt. Ich liebe Mountain Dew.

  • »Ich habe wohl generell ein kleines Motivationsproblem.«Auf Twitter teilen
  • Was treibt dich denn abseits von Rap so um?

  • Eigentlich ist es eher so, dass ich Rap abseits der anderen Dingen mache. Beruflich mache ich dieses Übliche »irgendwas mit Medien«. Ich bin also im Bereich Produktgestaltung, Illustrationen, Animation tätig. Das ist einfach nur mein Job, der Antrieb, um halt nicht gekündigt zu werden, um ehrlich zu sein… Aber so mache ich zumindest das, wo ich auch privat ein wenig mit zu tun habe wie Grafiken, Bildbearbeitung und so was. Ich habe wohl generell ein kleines Motivationsproblem, stelle ich gerade fest, haha! Was mich antreibt, ist da dann das Kreative, das freie Arbeiten, wenn man Projekte umsetzen kann und am Ende sagt: ja, den Stress war es wert. 

  • Ist dann überhaupt noch Motivation für weitere Platten von dir in der Zukunft? Dinge, die du bisher nicht angesprochen hast? Oder denkst du, es wird auch in Zukunft ausreichend gesellschaftliche Dinge geben, die dich so stören, dass du darüber rappen wirst? 

  • Ich würde das gar nicht so nennen. Für mich ist das mehr eine Art Tagebuch. Wenn ich mal gerade keine Musik mache, kein Social Media, einfach so rein gaaar nichts, dann kannst du eigentlich davon ausgehen, dass es mir relativ gut geht. Was ich im Alltag herunterschlucke, versuche ich später irgendwie in meinem Kopf zu ordnen. Daraus werden dann meistens Songs. Wenn ich ein Album oder eine EP mache, weiß ich vorher schon in groben Zügen, was da passieren soll. Einen Namen dafür habe ich zumindest immer schon. So funktioniert das bei mir: Ich erlebe etwas, verarbeite Teile davon in einem Track und entscheide dann, ob dieser so allein stehen bleibt oder in ein Konzept passt. Richtig motivieren kann ich mich gar nicht, da es ja logisch gesehen auch gar keinen Grund gibt, warum ich das alles überhaupt machen sollte. Es ist weder mein Job, noch bin ich darauf angewiesen in irgendeiner Weise. Aber, ja, es wird definitiv immer etwas geben.