Lance Butters »Ich habe nur, was in mir ist.«
Nach einer kurzen Ankündigung via Trailer nur wenige Wochen vor Release meldet sich Lance Butters quasi-unvorhergesehen mit der Sommer«-EP aus zwei Jahren Abwesenheit zurück. Lauter, deutlicher und im selben Atemzug reflektierter als je zuvor. ALL GOOD – Autorin Sofie Rathjens sprach mit dem Rapper über Prozesse, die seine Zeit brauchten, und in welche Richtung es heute für ihn geht.
Die letzten paar Sommer damit verbracht, sich nach Dunkelheit und Beats zu sehnen, die den inneren Winter einleiten? Die einen Graben ziehen zwischen der Handymusik aus der letzten Reihe hinten im Bus auf dem Weg zum Club und dem Anspruch, etwas zu hinterlassen, das kaum Gefahr läuft, jemals verwechselt zu werden. Zumindest nicht im Deutschrap, zu dem Lance Butters sich selbst besonders ungern zählt. Aber er ist Teil davon, auch und vor allem mit seinem neuen Output, das an diesem Freitag erscheint, der EP mit dem verheißungsvollen Titel »Sommer«. Keine Warmes-Bier-am-Strand-Vibes, keine romantisierten nächtlichen Ausflüge zu weit auf dem E-Roller.
Damit bricht bereits der gleichnamige Opener, dem mit »Knock Knock« einer der gewaltigsten Tracks auf dieser EP folgt. Schon mal Angst gehabt, mit dem eigenen Kopf allein zu sein? Die Falltür im Boden zu übersehen? Für Lance Butters seit »ANGST« 2018 künstlerischer Normalzustand. Und Kunst ist für gewöhnlich nichts, das sich per Knopf ein- und ausstellen lässt. Nach seinem letzten Release, der »Loner«-EP im April 2020, wurde es erneut ruhig um jemanden, der nicht müde wird, zu betonen, dass er eigentlich nur auf Herausforderer warte. Dass er immer noch für harte Lines und einen Sound steht, der auch in einer Playlist mit hundert anderen Tracks auffällt, zeigt Lance unter anderem mit dem vierten Track auf der EP, »Stille«. Wer sich gefragt hat, ob sich »So schön« aus dem Jahr 2018 noch weiterentwickeln lässt, wird hier seine Antwort erhalten. Es wird dunkel, und für einen Moment wird es vielleicht wie einem Erdbeben gleichkommen. Trotzdem bleibt all das nur ein flüchtiger Einblick in Lance Butters‘ Kopf. Wie es sonst noch darin aussieht, was ihn bewegt, davon erzählt er an diesem Tag in unserem Interview.
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Glückwunsch erst einmal zu dieser Platte. Sieben Songs in siebenundzwanzig Monaten – klingt zunächst nach nicht allzu viel. Wenn man die »Sommer«-EP hört, versteht man, warum alles seine Zeit gebraucht hat. Nichts wirkt einfach zusammengesetzt. Und wie man es von dir kennt, wirkt auch kein Text wie nicht in irgendeiner langen Nacht bis zum Sonnenaufgang solange ausgearbeitet, bis du damit einigermaßen zufrieden warst. Was hat dir »Sommer« tatsächlich abverlangt? Wie fühlt sich das Ergebnis für dich an?
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Danke erstmal für die Glückwünsche! Dieses Mal war die Arbeit an der Platte sehr wirr… Der Plan war eigentlich, nach der »Loner«-EP direkt weiterzumachen mit Musik. Leider ist meine Psyche dann zwei bis drei Monate nach Release ziemlich krass zusammengesackt und ich tat mich extrem schwer, einfach in den kreativen Tunnel zu gehen beziehungsweise dort zu bleiben. Ich habe Tracks wie »Knock Knock« und auch »Stille« zu diesem Zeitpunkt geschrieben und fing dann kurz danach mit einer Therapie an, die mich quasi neun bis zehn Monate komplett eingenommen hat. Alles drehte sich um Self-Care, Ruhe, Reflexion und darum einige Dinge in meinem Kopf vernünftig zu verarbeiten… In der Zwischenzeit hatte ich nur sehr schwer Zugang zu meinem Kreativen-Ich. Wenn ich diesen Zugang mal hatte, ging mir das meiste sehr leicht von der Hand. Die meiste Zeit war ich aber nicht offen dafür, da in mir selbst zu viel los war. Das Ergebnis fühlt sich aber gut an. Da es wirklich meine letzten zwei, drei Jahre beschreibt. Alles, was auf mich in dieser Zeit eingewirkt hat: Geschäftliches, Privates, die innere und die äußere Welt.
- Was auf der »Sommer«-EP stattfindet, was zum Beispiel bei »ANGST« kaum beziehungsweise eigentlich gar nicht vorhanden ist, ist Hoffnung. Auf Twitter teilen
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Auf die Frage nach seinem Tattoo, welches eine Mango zusammen mit einer Maracuja zeigt, erklärte mir vor einiger Zeit jemand, dass diese Symbiose für ihn das perfekte Gleichgewicht aus süß und sauer darstellt. Das kam mir in den Sinn, als ich »Sommer« zuende gehört hatte. Zum dritten Mal. Die Atmosphäre scheint wie die düstere, aber perfekte Mischung aus dem Abgrund auf »ANGST« und der wütenden Energie aus der Antihaltung auf der »Loner«–EP. Hast du an so etwas wie eine Fusion deiner letzten Releases gedacht, als du und dein Produzent Kidney Paradise die Arbeit an »Sommer« aufgenommen habt?
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Ich tu mich immer schwer, so etwas zu behaupten, da es damit dann oft den Anschein macht, als würden Kidney Paradise und ich so total logisch und taktisch an meine Musik gehen. Deshalb sag ich mal: Nein. Es ist viel eher so, dass ich ein Mensch bin. Ich lebe und erlebe. Ich hab Hochs und Tiefs. Diese wirken auf mich ein, wie Dinge im Leben auf jeden irgendwie einwirken. Ich bin vielleicht etwas sensibler in der Wahrnehmung als ein anderer Mensch, dafür aber in anderen Punkten dann wieder weniger. Was auf der »Sommer«-EP stattfindet, was zum Beispiel bei »ANGST« kaum beziehungsweise eigentlich gar nicht vorhanden ist, ist Hoffnung. Dass das hier und da durchkommt, gibt dieses Gleichgewicht. Egal, wie dunkel manche Lines oder Tracks sind, es gibt auch den Gegenpol darauf. Die Tage, an denen ich leichtfüßiger durchs Leben gehe, mehr Selbstbewusstsein habe und/oder mehr Zukunft für mich als Mensch sehe, kommen hier endlich durch, und es zeigt den Leuten bestenfalls, dass man beides haben kann, beides haben darf, und dass beides einen Menschen ausmacht.
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Dein Release-Takt lässt meistens genug Raum, um auf gesellschaftliche Geschehnisse und Entwicklungen einzugehen, und nach der »Loner«-EP ist da draußen eine Menge passiert. Was du davon hältst und was es mit dir gemacht hat, hört man auch auf »Sommer«. Sich rauszuhalten, sich gar nicht erst die nötigen Informationen anzueignen, sondern stoisch weiter zu machen, wie bisher, war für dich noch nie eine Option, oder?
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Ich mache ja weiter. Nur, dass bei meinem »Weitermachen« eben genau der Prozess dazu gehört, sich selbst immer wieder abzufragen, wie man selbst im Leben steht und wie man auch zu Dingen steht. Und um sich das zu beantworten, bedarf es den Faktor Zeit. Die meisten Leute in dieser Szene haben vergessen, dass nicht jeder Gedanke, den man am Tag zu etwas hat, ein guter, aber vor allem ein wichtiger Gedanke ist. Man macht sich doch die ganze Zeit einen Kopf zu allem, was da draußen passiert. Wie willst du aber einen dieser Gedanken zu Ende durchdenken, wenn du in fünf Tagen schon wieder einen Track hochladen musst, um nicht vergessen zu werden? Ich bin dafür, dass, wenn man etwas sagt, wenn man sich selbst repräsentiert, man weiß, wer man ist und für was man steht und auch wie man zu etwas steht. Deshalb stehe ich für etwas. Man muss kein Fan von mir sein, und man muss meine Thematik nicht spannend finden. Aber was ich sage, bin ich. Und diese Attitude spürt man, wenn man sich mit mir befasst.
- Man kann sich glücklich schätzen, wenn man in einer Depression einen Punkt erreicht, an dem man sich helfen lassen möchte. Auf Twitter teilen
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Die Künstlerin Banks sagte einmal in einem Interview, Depression bedeute für sie Tod und Wiedergeburt. Das Thema kreist über »Sommer«, seit ein paar Jahren über deiner ganzen Karriere. Was hälst du von dem Vergleich? Hast du einen Prozess mit ähnlichen Erfahrungen erlebt?
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Ich hoffe, ich deute die Aussage von ihr richtig. Das Problem ist, dass Depression für viele nämlich einfach nur den Tod bedeutet. Im besten Fall bedeutet es aber, wie sie es sagt, Wiedergeburt… Ich nehme an, dass sie damit etwas meint, wie »stärker zurückkommen« mit neuer Energie und neuen Erkenntnissen. Auch hier gehe ich zum Teil mit ihr. Man sollte aber Wiedergeburt meiner Meinung nach nicht mit Neuanfang verwechseln. Ich kann hier nur von mir sprechen und meiner aktuellen Situation. Ich bin kein neuer Mensch. Ich bin der alte. Allerdings sind in meiner Wahrnehmung die Hochs ein Stückchen höher und die Tiefs nicht mehr ganz so tief. Und das sage ich hier mit purer Dankbarkeit und Wertschätzung, da ich es gerade sehr genieße, so etwas an mir festzustellen. Was ich sagen will: Man kann sich glücklich schätzen, wenn man in einer Depression einen Punkt erreicht, an dem man sich helfen lassen möchte. In dem Fall ist Depression oft das »Ich 2.0«.
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Der Track »2019«, der auch als erste Single veröffentlicht wurde, nimmt im dazugehörigen Video nicht nur mit in die Tiefen eines leeren Schwimmbads, sondern auch in psychische Tiefen. Es geht vor allem um den Verlust von Liebe, gescheitert am Mangel an Selbstliebe, während der Fokus auf dem eigenen Ego als Ausgleich lag. Hast du nach Beendigung des Song heute das Gefühl, damit etwas abgeschlossen zu haben? Funktioniert für dich dieses »von der Seele schreiben«?
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Seit Jahren schreibe ich mir Dinge von der Seele. Das funktioniert für mich sehr. Was nicht heißt, dass ich diese Dinge wie ein verschlossenes Buch in mir halte und nur in meinen Texten behandle. Ich habe ein sehr gutes Umfeld, welchem ich mich komplett anvertraue und bei dem ich mich fallen lassen kann. Manchmal hat man aber keine Lust auf einen Dialog im Freundeskreis, sondern man will dieses Selbstgespräch in sich drin. Damit schaffe ich es oft, die Probleme auf den Punkt zu bringen, und ja, das ist für mich die purste Form von »von der Seele schreiben«. Der Song »2019« heißt ja, wie er heißt, da ich meinen Werdegang beschreibe, den ich innerlich hatte, seit dem Jahr. Ich bin durch verschiedene Erlebnisse, Eindrücke und Entscheidungen psychisch im Jahr 2019 angekommen. Und von dort aus beschreibt es meinen Weg bis in die Gegenwart. Die ganze »Sommer«-EP dreht sich um diesen Song, da er meine harte Arbeit bis hier her am besten widerspiegelt. Es zeigt, wo ich vor paar Jahren noch war und wohin ich auf dem Weg bin. Ob ich da ankomme, weiß ich noch nicht. Aber das ist okay.
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Ein Begriff, der früh in deiner künstlerischen Laufbahn fiel, ist die »Delivery«. Mittlerweile, sagst du, gehe es dir weniger darum, Erfahrungen zu verarbeiten, als mehr, deine Ansichten zu teilen. Kannst du beschreiben, wie sich deine Delivery verändert hat und was sie heute ist?
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Also ich würde es so sagen: Ich bin seit Jahren ein extrem stilsicherer Typ in meiner Musik. Ich habe angefangen mit Musik, die thematisch heute nicht mehr zu vertreten ist. Das kam von den Einflüssen, die ich von Musik hatte. Alles, was ich früher gehört habe, war zu 85% asoziale, frauenfeindliche Musik. Das ist sehr traurig, aber gehört zu mir. Durch meine Herangehensweise in der Musik und meinen Wiedererkennungswert war die Delivery Anfangs das einzige, worum es geht. Ich wusste früher: Ich habe eine gute gute Stimme, kann die gut einsetzen und hab einen nicen Beatgeschmack. Alles, worüber ich mir Gedanken machen musste, waren diese Dinge. Was gesagt wird, ist doch egal, Hauptsache, ich habe ‚ne heftige Delivery. Mit der Zeit wurde das langweilig. Eben weil ich mehr bin als das. In mir war schon immer mehr los als das. Gleichzeitig wird man älter und reifer. Probleme werden ernster und man merkt automatisch, was einem wirklich wichtig ist. Und wenn man an einem Punkt im Leben ankommt, wo man leider keine wirkliche Lockerheit mehr in sich hat, wird ein Mensch wie ich einen Scheiss tun und euch die Lockerheit verkaufen, nur weil das eben immer gut funktioniert hat. Ich sage immer, wenn ich Musik mache: Ich habe nur das, was in mir ist. Und wenn es mir beschissen geht, man mir aber sagt, du hast hier einen Vertrag und du musst ein Album machen, dann bekommen die eben »ANGST« von mir. Denn ich habe nur, was in mir ist. Und das ist das Einzige. Die Delivery wird immer stimmen, solange ich mache, was ich mache, und zulasse, was in mir ist. Somit wird die Delivery zweitrangig.
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Um einen Kollegen von mir, Clark Senger von hiphop.de, zu zitieren: »Rapper haben Angst, vergessen zu werden«. Daher würden sie immer mehr releasen, inzwischen alle paar Wochen. Zugleich entstehen so immer weniger Alben mit einem roten Faden oder gar ganzem Konzept. Dir scheint der Inhalt deiner Legacy noch heute wichtiger zu sein als eine ununterbrochene Präsenz. Hängt das auch mit deinem Umfeld zusammen, also mit Künstlern wie Dissy, Ahzumjot oder auch deinem Produzenten Kidney Paradise, die alle ebenso für ihre sorgfältige, eigenständige Arbeit bekannt sind? Welchen Einfluss hat insbesondere Kidney, der aus einer musikalisch eigentlich völlig anderen Richtung kommt?
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Also vorab muss man hier klar sagen, wenn es um das Wort Legacy geht, lasse ich nicht viele Vergleiche zu. Ohne andere Leute klein zu machen oder ihnen irgendwas absprechen zu wollen, kann man die nicht im selben Satz mit mir erwähnen. Nicht, weil ich der Heftigste bin. Sondern weil es grundverschiedene Herangehensweisen sind und ich oft merke, dass es nicht viel Gleichgesinnte gibt. Ich merke das extra an, weil nicht nur eine Release-Taktung zum Thema Legacy gehört. Es ist viel mehr als das. Es ist die gesamte Haltung, mit der man an die Sache herangeht. Wie man mit seinem Namen und seiner Exklusivität umgeht und mit wieviel Geduld und Glaube man seinen eigenen Weg geht. Ich nehme keine Abkürzungen, weil ich ständig denke, die Zeit rennt mir weg, bis Leute mich eventuell mal auf die Stufe stellen, auf die ich eigentlich denke, zu gehören. Man kann hier einen plumpen Vergleich zu Kendrick Lamar machen. Ohne ein riesiger Fan zu sein oder mich auf die selbe Stufe stellen zu wollen. Es ist Fakt, dass jeder den Mehrwert von seiner Musik kennt. Jeder weiß, wenn Kendrick droppt, ist da was Greifbareres als bei anderen. Message, Haltung etc. Jeder weiß das und jeder will auch genau das von ihm. Die meisten haben aber nicht die Geduld oder den Glauben an sich, um sich nicht selbst komplett zu verheizen. Um aber noch was zu Kidney Paradise zu sagen: Der Einfluss ist groß! Nicht, weil er mich drängt, was zu machen, was ich nicht machen will. Viel mehr kann ich alles zulassen und mit ihm über den bisherigen Tellerrand blicken, experimentieren. Er hat durch seine musikalische »Herkunft« die Skills, das Know-How und nicht zuletzt das Equipment dazu.
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Deine Ästhetik hat sich mit der Zeit verändert, am deutlichsten zu erkennen wohl anhand deiner Videos. Um mit dir zusammen zu arbeiten, muss man deine Welt verstehen. Wie viel davon erklärst du deinem jetzigen Team, damit am Ende etwas dabei herauskommt, das du zu hundert Prozent unterschreiben kannst? Gab es Veränderungen innerhalb dieses Teams, also neue Leute mit neuen Ideen, die hinzugekommen sind?
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Ich würde nicht sagen, dass sich meine Ästhetik geändert hat, die war schon immer ähnlich dunkel und diffus. Sowohl im Sound als auch in Videos. Gerade, weil du die Videos hervorhebst, würde ich eher sagen, dass sich die Ästhetik dort verschärft hat. Eben weil ich mit Christian Alsan, meinem Director und besten Freund, jemanden seit sieben, acht Jahren an meiner Seite habe, mit dem ich die ganze visuelle Welt von Lance Butters jedesmal auf’s Neue analysieren und beleuchten kann. Es gibt hier niemanden in meinem gesamten Team, dem ich so viel zu verdanken habe, was die öffentliche Darstellung um meinen Namen angeht, wie ihm. Er versteht die Welt komplett und gibt einen so wichtigen Teil dazu, um meinen Charakter zu schärfen. Man darf aber nicht nur die Welt von dem Künstler Lance Butters darunter verstehen, wenn man »meine Welt« sagt – sondern es geht auch um mich als Mensch… Menschen, mit denen ich seit Jahren arbeite, kennen mich. Das sind keine puren Geschäftspartner! Der enge Kreis um mich sind Freunde. Das ist auch der Grund, wieso das alles so schwer läuft bei mir. Weil ich einfach ein Typ bin, der Werte hat und auf Werte achtet im gemeinsamen Miteinander. Die Industrie funktioniert aber anders, und da ich es mir ungern leicht mache, hustle ich für meine Kunst.
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Du beschriebst 2018 mal als das Jahr, das du einfach nur noch abhaken wolltest. Es ist auch das Jahr, in dem XXXTentacion gestorben ist, der zu den wenigen Künstlern gehört, die häufiger bei dir Erwähnung finden. Abgesehen von seinem Temperament erinnert man sich heute vor allem auch an seine selbstbestimmten Ideen und seine Haltung. Hatte X Einfluss auf dich und deine Musik beziehungsweise hat er es heute noch?
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Ich glaube den größten Einfluss, den X auf mich hatte, war, dass er mir von allen Künstlern, die ich vor ihm schon gehört hatte, am besten zeigen konnte, dass beide Seiten in einem existieren können. Er konnte einfach rappen und Ansagen machen und gleichzeitig auf dem nächsten Track depressiv vor sich hersingen, wie am Arsch er ist. Und man dachte sich nie dabei: ja was denn nun? Erst machst du auf hart und jetzt heulst du rum… Wie gesagt, ist er damit nicht der Erste gewesen. Das gibt es schon ewig in allen Genres. Aber er hat mir das am besten gezeigt. Das war ein heftiger Input für mich auf der »ANGST«-Platte. Andere würden mit der Erkenntnis losgehen und ein Album wie das von XXXTentacion machen. Ich nahm die Authentizität von ihm als Künstler und gab mir selbst das Vertrauen, dass ich diese depressive Seite an mir in meiner Musik rauslassen kann, und es zugleich nicht heißt, dass ich dadurch weniger stark bin.
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Ein letztes Thema, über das wir vielleicht noch sprechen sollten, ist das Comeback von Chissmann, das auch dir nicht entgangen ist. Nicht wenige hatten lange Zeit darauf gehofft, trotzdem kam sein Wiederauftauchen im Deutschrapgame Ende des letzten Jahres fast überraschend. Auf »Sommer« gibt es zwar, im Gegensatz zur »Selfish«-EP, die gerade zehn Jahre alt wurde, kein erneutes Feature mit ihm, aber hast du dich über sein Lebenszeichen gefreut? Wie bewertest du seinen neuen Output?
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Krasse letzte Frage. (lacht) Also Chissmann ist der Rapper für mich gewesen damals. Man, was habe ich ihn vergöttert! Und auf zwei Releases Features von ihm zu haben, ist etwas, was mir einfach niemand jemals wegnehmen kann … Das Ding an Chiss ist, dass er für mich eben nur als dieses Mysterium funktioniert. Ich muss mich bei einem Chissmann fragen, was der gerade so macht. An welchem Punkt er in seinem Leben ist, ob jemals mal wieder was kommt, etc. Er hat für mich noch nie als richtiger Rapper funktioniert, der dann so bei Labels signt und Videos macht und solche Interviews gibt. Nicht, weil er nicht das Zeug dazu hat. Sondern weil diese Figur die er ist, nur so funktioniert, dass man sich denkt: kein Plan wer das ist, kein Plan was daran real ist, vieles wahrscheinlich nicht, aber fuck it, was für geile Mucke! Der braucht diffuse low- quality Bilder von sich, die nur grob erahnen lassen, wie er aussieht, und free Beats mit eigener Homemische. Wäre Chissmann greifbarer, wäre das hier sicherlich auch nicht die letzte Frage in unserem Interview, oder? Ich habe alles im allem aber keine große Hoffnung, dass da noch viel Neues kommt … Einerseits, weil ich es echt nicht glaube, andererseits, weil ich mich auch selbst austricksen will, damit ich wieder hyped as fuck bin, wenn was kommt. Fingers Crossed.