Kollegah »Ich habe mir Astronomie im autodidaktischen Verfahren beigebracht.«
Wie oft ist sie schon erzählt worden, diese Geschichte vom kleinkriminellen Dealer aus dem Hunsrück, der sich mit einem Headset vor den PC klemmte und ein paar Jahre später einer der erfolgreichsten Rapper des Landes wurde?
Image-Rap hin oder her: So detailliert wurde diese Geschichte jedenfalls noch nicht erzählt. Im Interview spricht Kollegah über seine glorreichen Zeiten im MZEE-Forum, Hyperfokus durch chemische Drogen und darüber, warum der Boss so etwas wie ein Superheld für die Kids ist.
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Erinnerst du dich noch an den ersten Song, den du aufgenommen hast?
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Klar. Da war ich in der 13. Klasse. Den habe ich damals auch direkt ins Internet gestellt. Aber der kam nicht so gut an.
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Wie hieß der?
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Ich glaube, dass der »Waffenfetisch« hieß. Zum Teil wurde der auch gefeiert, für viele war das aber damals noch sehr neu. Ich habe aber schon gewusst, dass das groß werden kann. Und ich habe dann auch in das damals sehr aktive hiphop.de-Forum gepostet: »Passt auf, Leute. Ich werde jetzt Rap-Star, wartet mal ab, wo ich in ein paar Jahren bin.« Auch in der Schule habe ich den anderen gesagt, dass ich zwar noch das Abi mache, aber mir danach eine Rap-Karriere aufbauen werde. Dafür haben sie mich natürlich ausgelacht. Heutzutage rappen die Kinder ja alle. Da kennt jeder jemanden, der das macht. Damals war das nicht so. Aber ich habe die Sache ernst genommen, ein Jahr lang 90 Prozent meiner Zeit ins Texteschreiben und Rappen gesteckt und trainiert, trainiert, trainiert.
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Die Texte, die du bei hiphop.de ins Forum gepostet hast, zeichneten sich ja schon damals durch eine enorm hohe Dichte an Vergleichen, Wortspielen, Humor und Intelligenz aus. Das musst du doch davor auch schon irgendwo ausgelebt haben.
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Ich war schon immer so und eigentlich der lustigste Typ in der Schule. Die ganzen Streber um mich rum haben das zwar nicht gepeilt, die Lehrer dafür aber schon. Die haben meinen Humor damals sehr gefeiert. Und dementsprechend konnte ich mir da viel erlauben. Ich war ein totaler Sympathieträger. Der, der nie lernt und Fehlstundenkönig ist, über die Stränge schlägt und eigentlich von der Schule fliegen müsste – aber eben auch der, von dem die Lehrer wussten, dass er was im Kopf hat und charmant ist. So bin ich immer weitergekommen.
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Hast du vor den Raptexten auch schon Sachen geschrieben?
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(überlegt) Nicht in die Richtung.
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Aber in eine andere. Du hast mal einen Roman mit dem Namen »Herbstabend« angekündigt.
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Ja? (lacht) Das kann gut sein. (überlegt) Ja, der Roman wurde angefangen, dann aber auf Eis gelegt. Ich habe aber vor, mal einen zu schreiben.
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Ich fand es spannend, zu sehen, dass das Feedback der Leute damals recht unterschiedlich ausfiel. Von großem Respekt bis hin zum kompletten Verriss war alles dabei. Wie erklärst du dir das?
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Zum einen lag das daran, dass ich der Zeit ein wenig voraus war. Zum anderen aber sicher auch daran, dass mein Rap zu der Zeit noch sehr monoton war. Ich habe mal einen Song auf den Beat von Aaliyahs »Try Again« gemacht – das war vermutlich der monotonste Track, den es in der Deutschrap-Geschichte je gegeben hat – aber ich selber habe das total gefeiert. Und wenn Kritik kam, habe ich immer gedacht: die Leute haben keine Ahnung und Pech gehabt – sollen sie es sich halt nicht anhören. Ich habe mir meine Musik den ganzen Tag angehört.
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Warum hast du eigentlich so monoton gerappt? Ich hatte manchmal das Gefühl, du musstest auch sehr leise aufnehmen.
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(lacht) Ja, das ist richtig. Ich habe die ersten Sachen noch bei meiner Mutter aufgenommen. Wir wohnten zwar nicht im Sozialbau, hatten aber sehr dünne Wände und man durfte da nicht so laut sein.
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Wie hast du denn damals überhaupt aufgenommen?
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Total komisch. Wir hatten ja kein Geld damals. Ich hatte eine Anlage aus den 80ern an meinen uralten PC angeschlossen. Der hatte sehr wenig Leistung und ich musste immer gucken, dass ich 20 oder 30 MB Speicherplatz freihatte, um einen Song aufzunehmen. Dann habe ich Ami-Beats heruntergeladen, die über die Stereoanlage abgespielt und dann das Mikrofon von einem alten Kinderkassettenrekorder an die Box gehalten und wieder aufgenommen. Dann habe ich die Kassette in die Stereoanlage reingesteckt, den aufgenommenen Beat über die Kopfhörer vom Headset ablaufen lassen, darüber gerappt und das Ganze mit Cool Edit Pro aufgenommen… So ganz genau kann ich’s dir auch nicht mehr erklären. Ich hatte ja wirklich von nix ne Ahnung – aber das hat irgendwie funktioniert.
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Es gibt ja so ein paar alte Bilder von dir im Badezimmer und am Couchtisch. Da liegt eine Menge Geld herum. Waren das die Einnahmen aus den Geschäften mit gefälschten Klamotten?
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Ja, die Bilder sind 2003 oder 2004 entstanden. Da war ich noch in der Schule, habe das mit den Klamotten gemacht und nebenbei die ersten Gehversuche im Rap gestartet.
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Im hiphop.de-Forum hast du auch einen Handel mit Handys betrieben.
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Ach, klar. Ich habe alles Mögliche gemacht, um an Geld zu kommen. Playsis, Navis, Handys. Ich habe Sachen weiterverkauft, die irgendwelche Russen aus Lagern geklaut haben und solche Geschichten. Einfach geschaut, dass ich ein bisschen Geld am Start hatte. Das war die Zeit des kleinkriminellen Rumhustlens. (lacht)
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Wie lief das mit den Klamotten genau ab?
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Als ich zu Hause ausgezogen bin und das eher professionell wie einen Job aufgezogen habe, bin ich tatsächlich jede Woche mit dem Reisebus nach Tschechien rübergefahren. Da saß ich dann als einziger Jugendlicher mit Rentnern und Hausfrauen, die ihren Kindern Gartenzwerge kaufen wollten. Auf der Rückfahrt hatte ich dann immer sechs riesige, karierte Tüten dabei. Meine erste Wohnung sah dementsprechend aus wie ein Bekleidungsgeschäft. Da kamen den ganzen Tag Leute aus den umliegenden Dörfern, haben Sachen anprobiert und gekauft.
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Wie viel hast du da so gemacht?
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Die Gewinnspanne war natürlich sehr groß. In Tschechien kostete so ein Jogginganzug 15 Euro – und wenn du 100 Stück genommen hast, sogar nur zehn. Ich habe die dann teilweise für 60 oder 70 Euro verkauft. Das waren diese Plastikanzüge, die DMX auch getragen hat. Die gingen weg wie warme Semmeln. Natürlich waren die Leute im Umkreis von 100 Kilometern dann einheitlich gekleidet, weil es ja nur eine begrenzte Auswahl gab, aber mir war das egal. Ich habe das wie einen Job gesehen. Pro Woche habe ich da schon so 3.000 Euro gemacht. Das war total crazy. Aus dieser Sache hat sich dann ein weiteres Geschäft ergeben: Da habe ich dann Schmuck verkauft.
- »›Vom Bordstein bis zur Skyline‹ war schon geil. Das war eine Entwicklung im Deutschrap, die ich mir immer gewünscht hatte.«Auf Twitter teilen
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Lass uns mal über die RBA reden. Am Anfang hast du dich da noch »Der Kollegah« genannt.
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Das lag eigentlich nur daran, dass »Kollegah« schon besetzt war. (lacht)
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In vielen Battles hast du dich auch »der deutsche Cam’ron« genannt.
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Ich habe zu der Zeit einfach wahnsinnig viel Dipset gehört. Juelz Santana, Cam’ron, die ganzen Pappnasen. Die waren damals ja der Hype schlechthin. Folglich habe ich damals auch des Öfteren erwähnt, dass ich »killa wie Cam’ron« bin. (lacht)
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Für Bushido und seine Beats hattest du aber ebenfalls ein Faible.
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Ja, bevor ich gerappt habe. »Vom Bordstein bis zur Skyline« war schon geil. Das war eine Entwicklung im Deutschrap, die ich mir immer gewünscht hatte. Davor gab es nur Blumentopf. Dann kam zwar Savas und hat härteren Battle-Rap gemacht, aber auch schnell wieder damit aufgehört und sich in eine kommerziellere Richtung entwickelt. Bushido hat endlich mal Gangster-Rap auf deutsch gemacht.
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Eigentlich war die RBA doch die perfekte Grundausbildung für deine Karriere als Rapper, oder?
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Klar, keiner wusste, wie du aussiehst und was du im Privatleben so machst. Es ging halt ums Battlen und darum, seine Skills zu trainieren. Die Leute, die da angemeldet waren, kannte man ja auch so ein bisschen. Man wusste über deren Eigenheiten Bescheid. Dementsprechend konnte man da auch einen geilen Gegnerbezug herstellen.
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Hast du da viel recherchiert?
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Nein – ich habe halt Leute gebattlet, die ich interessant fand. Und No Names, die mich herausgefordert haben, habe ich auch genau so behandelt. Die interessantesten Battles waren diejenigen gegen die Leute, die einen großen Namen hatten. BoZ zum Beispiel. Der war ja damals auch schon eine gestandene Größe. Ich hatte, glaube ich, mein zweites Battle gegen ihn und ihn direkt weggewichst.
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Neben deinem Kollegah-Account hattest du auch noch einen mit dem Namen »Young Latino« – für mich eine Art Mischung aus Dipset-Kopie und Kay One.
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(lacht) Ach, das war just for fun. Da habe ich einen Fake-Account erstellt und mit gepitchter Stimme, aber geilem Flow Freestyle-Texte gerappt und trotzdem gewonnen. Ich habe mir Young Latino immer als 13-Jährigen vorgestellt, der ein überkrasser Krimineller aus Südamerika ist, aber plötzlich in die RBA kommt. (lacht)
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Auf einem deiner ersten richtigen Songs, »Edelpuffkiller«, imitierst du einen Jahrmarktschreier oder Boxansager. Und im Intro von »Guck auf die Goldkette« unterhalten sich zwei Luden. Bist das auch du?
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Aber sicher doch. Die beiden hanseatischen Kleinkriminellen haben sich da über den Boss unterhalten.
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Diese verschiedenen Rollen treten auch immer wieder in den RBA-Battles, aber auch in späteren Songs in Erscheinung. Ich würde die gerne mal mit dir durchsprechen. Zum einen gibt es da deine Freundin …
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(guckt irritiert) Ach so, du meinst, wenn ich meine Stimme verstelle? Na, das ist natürlich nie meine feste Freundin. Das ist eher so eine Art Konkubine, die diverse, ich sage mal: Lakaiendienste für mich erledigt und zum Beispiel das Schloss saubermacht oder mir Kaffee kocht.
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Dann gibt es auch noch die Freundin des Hörers.
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Meine Freundin und die des Hörers haben sehr viel gemeinsam. Beide sind unterwürfig und fühlen sich unheimlich zum Boss hingezogen.
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Als nächstes hätten wir den Battle-Gegner.
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(lacht laut) Ich weiß nicht genau, welchen du meinst. Es gibt halt den kleinen Jungen. Der hat so eine hochgepitchte Lauchstimme und nimmt seit sechs Jahren des Öfteren mal die Opferrolle ein. Rizbo hat mich immer gefragt (verstellt seine Stimme): »Wie heißt dieser kleine Junge?« Und seitdem heißt der einfach »Der kleine Junge«. Seinen größten Auftritt hatte der wohl auf dem »Hoodtape«. Und auf »Alphagene« nahm ich ihn ja sogar mit auf eine kleine Spritztour.
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Und dann gibt es noch den hängengebliebenen HipHopper.
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Ja, der Oldschooler. Der ist eigentlich ja auch ein Hater, aber wenn er mir über den Weg läuft, ist er total am Schleimen. Wann trat der eigentlich zuletzt in Erscheinung? Ah, bei »4 Elemente« auf »Jung Brutal Gutaussehend 2«. Da hatte er auch noch einen Freund dabei.
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Ist das eigentlich auch der, in dessen Rolle du bei »Deeper Rap«, einem sehr alten Track, geschlüpft bist?
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Nein. Was viele gar nicht wissen: Auf diesem Rucksackrapper-Song mit dem Namen »Deeper Rap« gebe ich gar nicht meinen eigenen Text zum Besten. Das war ein Themenbattle. Jemand hat einen Text geschrieben und ein anderer musste den eben gut einrappen. Und wer den Text eines Fremden am besten einrappte, hatte eben gewonnen.
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Zuletzt ist mir noch dein Sohn aufgefallen.
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(überlegt) Mein »Sohnemann«, ja! (lacht)
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Viele deiner Battles und auch Songs auf dem »Zuhältertape« hast du auf R&B-Beats aufgenommen. Warum?
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Zum einen bieten die sich hervorragend für Doubletimes an, weil sie langsamer sind. Zum anderen klangen die einfach harmonischer. Da erwartet man eigentlich einen Lovesong, aber dann kam ich da mit den Zuhälterstyles. Das fand ich damals total geil. Habe ich lange schon nicht mehr gemacht. Gut, dass du es sagst. Das muss ich auf dem nächsten Album mal wieder machen: Schnulzen-R&B – und dann aber richtig auspacken.
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Lass uns doch mal ein bisschen über Doubletimes reden. Ich war früher viel bei MZEE unterwegs und bin irgendwann mal über eine Diskussion gestolpert, in der H aka N, auch ein Rapper aus dem MZEE-Forum, das Thema beinahe wissenschaftlich behandelt hat. Wie bist du die Sache angegangen?
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Das habe ich nie gelesen! Ich habe einfach herumprobiert. Zu meiner Zeit hat das ja niemand gemacht. Damals gab es eigentlich nur Chablife, was ich aber erst gehört habe, nachdem ich meine ersten Sachen aufgenommen hatte. Ich habe das für mich quasi erfunden. Ich habe auch nie Ami-Schemata übertragen, sondern einfach geschaut, was am besten passt. Und daraus hat sich quasi dieses Triolenschema auf langsame Beats entwickelt. Ich weiß noch, dass ich mal in Spanien im Urlaub war, ein Tape mit Beats dabei hatte und einfach Doubletime darüber gefreestylet habe: irgendwelche Fantasiesilben. Aber es hat gereicht, um Flows auszuprobieren. Dann hatte ich schon mal die Technik und musste die mit Sinn füllen. Es ging erst mal nur um die Aussprache. »Motherfucker« hat sich da sehr gut geeignet. Oder auch »Mutterficker« – um mal ein bisschen Abwechslung reinzubringen. (grinst) Damals war die Zunge natürlich noch nicht so trainiert. Im Lauf der Jahre bin ich aber so gut geworden, dass ich jeden Text Doubletime rappen kann. Wie zum Beispiel den »Erlkönig« im letzten Jahr. Oder dieser Text bei »Galileo« von dem angeblich schnellsten Sprecher der Welt – der er ja auch war, bis ich seinen Rekord mit seinem eigenen Text gebrochen habe.
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Ist das live schwierig?
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Nee, gar nicht. Ich habe ja fast jede Woche einen Auftritt und bringe zwischendurch immer mal wieder ein Acapella, damit die Leute auch sehen, dass das im Studio nicht schneller gemacht wird, sondern auch live funktioniert. Das kann der Boss.
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Gibt es eigentlich eine Formel für einen Text von Kollegah?
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Eloquenz, Intelligenz, zeitgeschichtliches Interesse und rapreferenzielle Sachen. Es ist immer gleich geblieben. Einfach ein Word-Dokument oder einen Text-Editor aufmachen und losschreiben. Wenn ich eine Woche unterwegs war, habe ich auch ein paar Ideen ins Handy eingespeichert. Dann setzt du dich mit einem schönen Kaffee hin und tippst die alle ein und – zack – hast du da drei geile 16er.
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Auf deiner ersten Homepage gab es auch die Texte zum »Zuhältertape«. Manchmal waren da Sachen großgeschrieben. Woran lag das?
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Das mache ich auch heute noch ab und zu. Meist bei komplexeren Texten mit Doubletime-Passagen. Dann weiß ich, wo ich einsetzen muss. Wenn ich auf die Snare einsetze, dann schreibe ich das Wort mit zwei Großbuchstaben. Und Doubletime-Sätze kopple ich mit Bindestrichen statt Leerzeichen durch, damit es besser flowt.
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Gibt es andere Rapper, bei denen du sagen würdest: Die haben auch gute Reime?
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Dendemann habe ich da schon öfter erwähnt. Der hatte immer saubere Reime. Das kann man zwar schwer verallgemeinern, aber er hatte immer gute, schöne, saubere Nomenreime ohne allzu viele Einzelsilben. Ganz stark abgebaut hat auf jeden Fall Samy Deluxe, von dem du fast nur noch Zweckreime um die Ohren gehauen bekommst. Das ist sehr traurig, weil der früher echt ein super Reimer war. Shindy hat auch sehr gute Reime.
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Definitiv. »Guck, wie ich auf der Harley pose/mein bester Freund ist eine Haarspraydose.«
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Wenn man selber rappt, dann hört man, dass das ein schöner Reim ist. Das ist bei ihm eigentlich durchgängig so.
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Lass uns noch mal über das MZEE-Forum sprechen. Eine Zeit lang sind da ja beinahe täglich Threads aufgemacht worden, in denen Leute versucht haben, deinen Style zu imitieren. Ich denke da zum Beispiel an »Daffy mit Uzi«. Oder »Weiberheld«. Wobei – das warst du selbst, oder?
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Das war ich selbst, ja. Die besten Accounts habe ich immer selbst erstellt. Ich hatte da locker zehn Fake-Accounts. Und warum hatte ich die? Weil ich beim Texten so viel Ausschussware hatte, die einfach raus musste. Später habe ich dann manchmal wieder da vorbeigeschaut, einige Reime als sehr gut empfunden und eingerappt.
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Deswegen gab es ja auch mal den Verdacht, dass du bei MZEE Lines klauen würdest.
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Genau, aber es waren ja meine eigenen Texte. Ich war zum Beispiel »Florian der Boss«, »Valentin der Pimp«, »Hänsel der …« – immer diese ganzen Lauchnamen, die aber ein Pimp sein wollten. (grinst) Mittlerweile gucke ich nicht mehr da rein, aber ich erinnere mich, dass da einige »Jens der Hustler« oder »Jochen der Übergangster« dabei waren. Das gibt’s bis heute.
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Sehr populär war bei diesen Charakteren auch das Schildern von Tätigkeiten vor oder nach den Texten. Das wurde dann immer in Sternchen geschrieben. *überdenLaufderAKstreichen* zum Beispiel.
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(lacht) Ja, das in Sternchen setzen, um eine Tätigkeit auszudrücken, die während des Rappens ausgeführt wird, habe ich auch erfunden. Ich meine, ich habe zu Beginn ja nur getextet und auch in Textbattle-Foren alles rasiert. Und um dem Ganzen ein bisschen Pfiff zu verleihen, habe ich mir halt so was ausgedacht.
- »Ich habe über das Internet Debatten mit Professoren von der NASA geführt.«Auf Twitter teilen
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Lass uns mal über dein Auftreten in der Öffentlichkeit sprechen. Bei unseren früheren Interviews wirktest du auf mich zwar nicht schüchtern, aber doch immer sehr in dich gekehrt. Und du hast dich hinter deinem Image und deiner Rolle versteckt. Heute ist das anders. Warum?
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Ich hatte zu der Zeit auch die übelsten Drogenphasen. Ich war mal ein komplettes Jahr auf Pep. Und es gab auch mal komplett depressive Phasen. Aber mit dem Erfolg und der Routine legt man das ab. Da macht das Ganze gleich auch viel mehr Spaß. Man hat auch nicht mehr die gleichen Alltagssorgen. Du musst es ja so sehen: Ich habe echt viel auf eine Karte gesetzt. Klar habe ich das Studium angefangen, aber ich wusste, dass das mit Rap was werden kann. Die Sicherheit hatte man natürlich trotzdem nicht. Und wenn man merkt, dass sich das auszahlt, dann geht man lockerer durchs Leben.
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Im Gespräch mit anderen Leuten über dich fielen oft Begriffe wie »Inselbegabung« oder »Autist«. Ich habe mir auch oft gedacht: Vielleicht lebt der wirklich in seiner eigenen kleinen, genialen Welt.
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Das war sicherlich meine Drogenzeit. Ich war einfach total abgefuckt. Ich hatte da auch ganz viel Scheiße schon hinter mir – und auch eine Art Menschenhass, möchte ich fast sagen. Vor meiner Rapzeit und auch noch währenddessen hatte ich viel im kriminellen Milieu zu tun. Dann hat einer meiner besten Freunde mich verraten. Ich war einfach sehr abgefuckt.
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War das zu der Zeit, als auch der legendäre Splash!-Auftritt war?
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Ja ja, ganz genau.
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Der wurde zu der Zeit ja noch mit einer Grippe erklärt.
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Das war auch so.
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Aber der Gewichtsverlust kam ja nicht nur daher, oder?
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Die Grippe kam eigentlich auch nur wegen mangelnder Ernährung. Das Schlimmste an diesem Splash!-Auftritt war aber gar nicht, dass ich krank oder auf Drogen war und keine Live-Erfahrung hatte. Das Schlimmste war eigentlich, dass ich die Nacht davor kein Auge zubekommen habe, weil ich mit Rizbo, der alten Schnarchnase, in einem Zimmer geschlafen habe. (grinst)
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Aber du sahst schon arg fertig aus.
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Ja, das lag an den Drogen. Auch auf der »Donnerwetter«-Tour damals ging es mir nicht gut. Die K.I.Z.-Jungs haben vermutlich auch gedacht: »Wat is‘ denn los mit dem?« (grinst) Ich hätte ganz dringend mal eine Anti-Drogen-Kur gebraucht. Aber ich habe dann selbst irgendwann einen Schlussstrich gezogen und bin wieder ein normaler Mensch geworden.
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Also warst du zwischendurch doch ein bisschen seltsam.
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Du musst dir das so vorstellen: Ich war in meiner Kindheit der übelste Satansbraten. Ich hab nur Scheiße gebaut. Ich war das blühende Leben, der Klassenclown mit tausend Freunden und einem sorglosen Leben – bis ich das erste Mal in Kontakt mit chemischen Drogen gekommen bin.
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Welche waren das?
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Pep und Speed. Das hat bei mir gewirkt wie bei jemandem, der ADHS hat und Ritalin nimmt. Da findet das Leben plötzlich im Kopf statt. Das hat mir daher etwas gebracht, weil ich dann extrem fokussiert war. Das fiel mir vorher schwer. Mit Pep und Speed habe ich mich gefühlt wie Bradley Cooper in »Ohne Limit«, wo er auf dieser Superdroge ist, mit der man die ganze verfügbare Hirnkapazität nutzen kann. Deshalb bin ich da auch ein bisschen drauf hängengeblieben. Ich habe die übelsten Texte geschrieben und überhaupt krasse Dinge gemacht.
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Zum Beispiel?
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Ich habe mir Astronomie im autodidaktischen Verfahren beigebracht. Oder Physik. Sachen, mit denen ich nie etwas zu tun hatte. Ich habe über das Internet Debatten mit Professoren von der NASA geführt. Da gab es Diskussionen über den Aufbau und alternative Theorien zur Erklärung der Expansion des Universums und die Frage, warum es so aussieht, dass sich alle Sterne von der Erde wegbewegen. Ich war anderthalb Jahre echt im Superbrain-Modus. In der Zeit hatte ich keinen Bock auf Leute. Alles, was ich gemacht habe, war Kopfarbeit. Texte schreiben, Bücher lesen, sich Gedanken machen. Das hatte mit meiner echten Persönlichkeit nichts zu tun. Ich war ein anderer Mensch. Und irgendwann habe ich gemerkt, dass ich keinen Spaß mehr am Leben hatte. Das war es mir nicht wert – und ich habe einen Cut gemacht. Aber das Coole ist: Durch eine Umpolung der Synapsen oder so habe ich immer noch diesen Hyperfokus – nur eben ohne in eine andere Welt abzudriften. Ich weiß nicht, ob andere Leute auch etwas Ähnliches erlebt haben.
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Der Splash!-Auftritt, das »Bossaura«-Album, auch deine sehr hölzernen Bewegungen im »Flex, Sluts & Rock’n’Roll«-Video – ich finde es bemerkenswert, dass niemand mehr über so etwas redet.
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Es ist ja auch nicht schlimm. Kein Mensch kann doch von Anfang an alles können. Es kommt halt darauf an, ob du daran arbeitest und dich verbesserst oder nicht. Und darum geht es doch im Endeffekt im ganzen Leben.
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Wenn wir schon dabei sind, würde ich gerne noch ein paar Mythen ansprechen. Zu der Zeit des ersten »Zuhältertapes« machte auch das Gerücht die Runde, dass du als Jungzuhälter in der Sendung von »Richter Alexander Hold« auftreten solltest. Was war da dran?
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Das war nur ein Gerücht, das ich in die Welt gesetzt habe. Ich habe damals manchmal auch einfach nur Quatsch gelabert.
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Außerdem habe ich oft gehört, du hättest früher im Sitzen aufgenommen.
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Ja, klar. Das erste »Zuhältertape« habe ich sogar im Knien aufgenommen. Ich hatte das Mikrofon irgendwie an den Schreibtisch gesteckt und musste mich hinknien, um es auf Mundhöhe zu haben.
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Bist du dieser »Let’s Play«-Opa?
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Nein, das ist allerdings ein guter Freund von mir. Aber ich sage nicht, wer.
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Ein weiteres schönes Thema sind deine Catchphrases. Ich denke da an das typische Kollegah-»Ey«, Anreden wie »Kid« oder »Meine Freunde …«, Wendungen wie »Ohne übertriebenes Waffengelaber« oder sogar den Aufbau von ganzen Lines, wie z.B. »Es ist der …«
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(lacht) Sehr gut ist auch »Ich komm mit …«. Das ist halt einfach im Laufe der Zeit entstanden. Und als es dann zum Trademark wurde, habe ich es natürlich immer wieder benutzt. Bis heute entstehen ja immer neue Sachen. Man kann das gleiche Phänomen wie bei meinen Raps auch in den YouTube-Videos beobachten: Wenn ich bosshaft unterwegs bin, entstehen ständig neue Running Gags wie der, dass vom Salat der Bizeps schrumpft. Da habe ich einfach ein Händchen für.
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»Wat is denn los mit dir?« ist ja auch so ein Selbstläufer geworden. Farid Bang hat mich gebeten, dich zu fragen, wie das »Wat is denn los mit dir?« eigentlich entstanden ist.
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(lacht laut und lange) Das kann ich nicht machen. Da kann ich leider nicht drüber reden. (lacht wieder laut und lange) Der Wichser, ey.
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Wenn du mit Majoe unterwegs bist, redet ihr ja gerne auch mit Kinderstimmen und nennt euch Muyo und Tino. So etwas wäre früher undenkbar gewesen. Klar hast du damals in Texten auch schon Ironie als Stilmittel verwendet – etwa bei Angaben über dein Vermögen, die Größe von Schusswaffen oder die Menge an gedealten Drogen. Aber das ist ja schon noch mal ein neuer, selbstironischer Dreh, oder?
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Klar, damals habe ich auch keinen Fick gegeben, ob du die Leute denken, dass das wahr ist. Davon ist auch mehr wahr, als man denkt. Aber ich habe nie verkrampft darauf gepocht, dass dieses oder jenes stimmt. Es ist halt Entertainment. Jeder, der mich kennt, weiß, was ich durchgemacht habe – aber das ist nichts, womit ich mich schmücken will. Das ist nichts, was ich im realen Leben glorifiziere. Das ist ein Teil von mir und der wird in meinen Texten verarbeitet, aber ich muss nicht jedem erklären, dass das stimmt – auch wenn ich Deutscher bin, auch wenn ich nicht so ausgesehen habe. Das ist mir im Endeffekt immer scheißegal gewesen.
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Es gibt viele Leute, die sagen, du hättest nicht das glücklichste Händchen in Sachen Beat-Auswahl. Wie denkst du darüber?
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Naja, das würde ich so nicht sagen. Nimm das erste Tape, da waren Ami-Beats drauf. Auf dem »Zuhältertape 2« waren atmosphärische Dinger, die viele gefeiert haben. Bei »Alphagene« kann ich es verstehen, wenn Leute das nicht mögen. Aber auf dem »Kollegah«-Album war wieder ein anderer Style. Auf »King« habe ich einen richtigen Sample-Sound. Das ist das, was ich eigentlich mag, aber nicht immer umsetzen konnte. Auf den ersten beiden Tapes ging das noch, dann wurde ich aber so bekannt, dass das mit der Samplerei halt schwer umzusetzen war. Deswegen waren da auch Beats bei, die nicht oberster Güteklasse waren oder Ami-Niveau hatten. Aber inzwischen – »Bossaura« mal außen vor gelassen – bin ich dabei, diesen Kreis zu schließen. Bei »JBG 2« waren ja auch schon ein paar schöne Beats dabei. Aber da muss man bedenken, dass ich das Album mit Farid aufgenommen habe und er einen ganz anderen Geschmack als ich hat. Für »King« habe ich das erste Mal richtig aktiv an den Beats mitgearbeitet. Ich habe wie ein Oldschooler Samples gediggt und gemeinsam mit dem Produzenten überlegt, wie man was pitchen kann. Deshalb ist es auch das homogenste Album von mir.
- »Ich kann bei den Kids viel mehr bewegen als so manche Mutter.«Auf Twitter teilen
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Homogen auch insofern, als dass du mittlerweile auch physisch wie ein King aussiehst. Wann hattest du eigentlich den Wunsch, so auszusehen wie heute?
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Der war schon immer da. Mit acht Jahren habe ich mit Judo angefangen, später kamen dann Karate, Taekwondo und Kickboxen dazu. Ich bin mit Jean-Claude van Damme und den ganzen Pappnasen aufgewachsen und fand das einfach cool. Ich hatte schon immer hohe Testosteronwerte. (lacht) Mir ging es damals aber eigentlich nur um die Discomuskeln. Der Rest war mir egal.
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So richtig bemerkbar gemacht hat sich der Wandel dann zu »JBG 2«-Zeiten, oder?
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Ja, ich sah da auch schon gut aus, aber habe mir das alles selbst beigebracht. Und irgendwann hab ich gemerkt, dass Fitness doch eine größere Wissenschaft ist, als man denkt. Und da kann man viel mehr rausholen, wenn man sich einmal theoretisches Wissen aneignet und weiß, wie der Körper und anatomische Prozesse ablaufen. Dann macht man nämlich nicht den Fehler und vergeudet seine Zeit im Fitnessstudio. Also habe ich Bücher gelesen und mich mit Experten zusammengetan. Ich wollte endlich mal ripped sein und auch ein Sixpack haben, was ich vorher nie hatte. Im Sommer letzten Jahres sah ich noch ganz anders aus und habe dann innerhalb kürzester Zeit meinen Körper transformiert: mehr Muskelmasse aufgebaut und den Körperfettanteil reduziert. Da habe ich gemerkt, was möglich ist und eigentlich niemand weiß. Viele meiner Freunde gehen da sehr planlos ran. Die machen mal eine Kreatinkur, dann essen sie aber bei Burger King und machen im Studio Bizeps und Brust. Aber das ist Zeitverschwendung. Fitness ist mehr als Eiweiß und schwere Gewichte pumpen.
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Zumal sich ja auch das Idealbild von einem ästhetischen Körper verändert hat.
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Genau. Es geht schon immer noch um gute Muskelmasse, aber der Körperfettanteil soll bei vielen unter 10 Prozent sinken. Und da mich ja viele Leute anschreiben und ich eine Vorbildfunktion habe, habe ich die »Bosstransformation« erfunden. Ich wusste, dass das Ding viel Hate generieren wird, weil es nach Abzocke aussieht. Aber ich wusste auch, dass es Leuten helfen wird. Ich habe mittlerweile ungefähr 600 zufriedene Kunden, die mir Vorher-/Nachher-Bilder schicken und schreiben, wie sehr ihnen die Transformation geholfen hat. Du wirst körperlich fitter und gesünder, du gewinnst aber auch mehr Disziplin im Laufe der drei Monate. Und das zahlt sich in jedem anderen Aspekt deines Lebens aus. Du machst etwas aus dir. Du gehst mit einem ganz anderen Gefühl durchs Leben.
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Dein neuer Pressetext spielt ja auch mit der Idee, dass Kollegah ein Superheld für die Kids ist.
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Klar. Kollegah ist motivierend und vermittelt ein Du-kannst-alles-schaffen-Denken. Ich versuche die Jugend dazu zu bewegen, das Beste aus sich zu machen – sowohl körperlich als auch mental. Das heißt konkret: Sich immer weiterbilden, schauen, wo die eigenen Talente und Stärken liegen und die dann ausbauen.
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Brauchen die Kids das denn?
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Definitiv. Denn von den Eltern bekommen sie das nicht mit. Du weißt doch, wie das ist. Man denkt, die haben keine Ahnung. Und da komme ich dann ins Spiel. Einer, der viel näher an den Jugendlichen dran ist und auf den sie hören. Da kann ich viel mehr bewegen als so manche Mutter.
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Sicher?
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Klar. Ich bekomme täglich Mails, wo die Kids und Jugendlichen mir erzählen, was sie für Erfahrungen gemacht haben und wie sehr sie sich durch meine Musik oder meine Art zum Positiven verändert haben. Ich motiviere die Leute ja, zur Schule zu gehen und sage ihnen, dass Lernen und Bildung keine schlechten Dinge, sondern sehr bosshaft sind.