Prezident »Ich habe einfach eine bessere Wortwahl.«

Das Tapefabrik-Festival vereint regelmäßig alte HipHop-Größen und Untergrundlegenden. Zum zweiten Mal in Folge war Prezident mit dabei, der nach der »Handfeste EP« sein kommendes Album »Limbus« in der Mache hat. Bei der fünften Ausgabe des Festivals in Wiesbaden sprachen wir den Wuppertaler MC.

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Er ist ja schon ein besonderes Phänomen: Die einen feiern ihn als begnadeten Storyteller, der es wie kaum ein anderer hierzulande vermag, einem mit seiner Kombination aus Kompromisslosigkeit und Humor die Seele aufzuwühlen, bei den anderen rutscht er nach wie vor unter dem Radar herum. Weil er einen »so monotonen« Vortrag hat, weil er immer noch die ganz kleinen Locations bespielt, weil »die zahlreichen Referenzen in seinen Lyrics doch eh keiner mehr checkt«, weil das alles irgendwie zu schwer und zu düster ist, weil… ja, warum eigentlich?

Selbst nach der verhältnismäßig großen Aufmerksamkeit, die ihm nach »Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte« auf Medienseite zuteil wurde, hat Prezident in seiner Musiklaufbahn noch kein einziges richtiges Labelangebot bekommen – und die geht ja nun immerhin schon einige Jährchen. Prezident ist der Steppenwolf im Game. Das ist einfach so. Ein außergewöhnlich starker Texter, der sich lieber intensiv mit seiner Signatur beschäftigt als mit dem nächsten Promo-Move. Ein erfahrener MC, der von Artwork über Vertrieb bis hin zu Pressearbeit und Booking seit vielen Jahren alles komplett selbst stemmt – und damit vielleicht sogar am besten fährt. Wir sprachen mit Prezident über Flow, über Literatur-Ottos, über Haftbefehl featuring Stieber Twins – und darüber, was Schwesta Ewa eigentlich so viel besser macht als den Rest.

  • Du wirfst mit Literatur-Referenzen um dich, bist mit dem Image des »Literaturrappers« aber so gar nicht einverstanden. 

  • Rap hat ja immer dieses postmoderne Phänomen, dass es viele Elemente von außen mit einbringt. Leute wie zum Beispiel Eko haben eine bestimmte Zeit lang wirklich in jeder zweiten Line einen Vergleich zu einem Ami-Rapper aufgebaut. Du hast aber ja auch bei Wu-Tang den Bezug auf die Kung-Fu-Filme… es gibt immer Referenzen auf irgendwelche Filme, auf Popkultur-Erzeugnisse, auf Comics und auch auf bestimmte Literatur-Sachen. Bei mir wurde das aber irgendwann so ein überwältigendes Ding – wenn man mal ein Interview geführt hat, in dessen Fokus das stand, dann schaut sich der nächste Interviewer dieses Interview an, richtet danach seine Fragen aus und auf einmal ist man in einer Nische, die dann plötzlich überhandnimmt. Ich habe ja zum Beispiel auch viele Filmbezüge in meinen Texten, arbeite viel mit Filmsamples, wie Madlib oder MF Doom – aber irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass das dann so ein krasses Thema ist. Irgendwann hat es mich einfach irritiert, dass alle so taten, als wäre ich der erste Rapper, der mal ein Buch gelesen hat und das nicht verheimlicht. Das fand ich doof. »Literaturrapper« klingt ausserdem so streberhaft und weckt bei mir Assoziationen zu so komischen Ottos, die den »Erlkönig« vorrappen – das ist immer todespeinlich. Ich hasse sowas. Dann bin ich mit in dieser Ecke und das ist furchtbar. 

  • Du spielst aber ja schon sehr offensiv mit dem Image des vereinsamten, alkoholkranken Schriftsteller-Typen. 

  • Ja, das stimmt. Allerdings muss es jetzt nicht zwingend der Schriftsteller-Typ sein. Es ist mehr dieses Suffkopp-Image. Dieses der-sich-Gedanken-machende-Suffkopp-Image. 

  • »Irgendwann hat es mich einfach irritiert, dass alle so taten, als wäre ich der erste Rapper, der mal ein Buch gelesen hat und das nicht verheimlicht.«Auf Twitter teilen
  • Wie sieht deine Literatur-Rezeption denn tatsächlich aus?

  • Ich habe die letzten fünf Jahre kaum Prosa gelesen. Stattdessen viel über moderne Pornographie, weil das ein Thema ist, mit dem ich mich gerade hauptsächlich beschäftige. Ich habe irgendwann mal versucht, »Der Mann ohne Eigenschaften« zu lesen, bin aber irgendwo zwischen Seite 300 und 400 stehengeblieben. Ich lese aktuell eher mehr Fachliteratur. 

  • Wo kommt deine Liebe zur Literatur eigentlich her? Haben Bücher in deinem Elternhaus eine größere Rolle gespielt?

  • Nein. Mein Vater ist Elektriker – er hat allerdings nicht Toaster repariert, sondern irgendetwas mit dem Ausbau von Mobilfunknetzen zu tun gehabt. Er hat mir das mal genauer zu erklären versucht, aber sehr langsam und ausführlich, daher habe ich nicht ganz bis zum Ende folgen können. Meine Mutter hatte diverse Jobs, z. B. Babyschwimmen, heute ist sie Verkäuferin. Die liest schon Romane. Mit acht Jahren habe ich mir »Der Pate« von den Büchern, die rumstanden, gegriffen. Ich hab als Kind viel gelesen – dann länger nichts – und später in der Oberstufe habe ich wieder damit angefangen.

  • Du bist – neben Absztrakkt – einer der wenigen Rapper, die wirklich en détail übers Vögeln schreiben.

  • Das stimmt, da gibt’s sonst nicht viele. Said hatte neulich einen Track, der war so ganz cool, aber den hat halt die Hook versaut. Bei meinen Ficktracks habe ich aus genau diesem Grund auch keine Hook: weil man sich damit ganz schnell auf die Schnauze legt. Außer Run the Jewels – die haben das ganz gut hingekriegt. Aber ich weiß auch nicht, ob das auf Deutsch funktionieren würde.

  • Das ist ja leider oft – siehe R&B – nicht der Fall. Aber weshalb, denkst du, nimmt das im Deutschrap keiner so wirklich in Angriff außer euch? Ist das noch so ein letztes Tabu?

  • Es gibt einfach Sachen, auf die kommen die Leute nicht. 

  • »Diese abgefuckten Stories, die man sich dann wirklich plastisch vorstellen kann, davon gibt es einfach noch richtig wenig.«Auf Twitter teilen
  • Wie kann man denn darauf nicht kommen, bitte?

  • Ich habe neulich das Schwesta-Ewa-Album gehört. Die hat auf jeden Fall krasse Stories drauf. Wenn du das hörst, merkst du, wie wenig einen eigentlich die Stories von anderen Gangsterrappern touchen. Die packt da Geschichten auf den Tisch, da kann auch jemand wie Haftbefehl einfach gar nicht mithalten. Der bringt mal zwei Lines über Ercan, der abgeschoben wird – aber das ist nichts gegen Ewa, die das viel plastischer beschreibt. Etwas absurd Neues, was in Deutschland bisher einfach niemand hingekriegt hat. Es gibt ja eh erst seit Haftbefehl ansatzweise coolen Gangsterrap in Deutschland. Aber diese abgefuckten Stories, die man sich dann wirklich plastisch vorstellen kann, davon gibt es einfach noch richtig wenig. Die ganze Zeit rappen die Leute über ihren Ghettoquatsch, aber eigentlich hat es noch keiner hinbekommen, eine Story zu schreiben, die man wirklich glauben kann, bei der man sich denkt: ›Boah, is’ das eklig.‹ Das hat erst Ewa jetzt hingekriegt.  

  • Hat dich Bukowski zu deinen Fick-Tracks inspiriert, zum Beispiel sein »Das Liebesleben der Hyäne«? 

  • Nicht nur. Es gibt ja neben Bukowski zum Beispiel auch bei Günther Grass Sexszenen, bei denen ich einfach gemerkt habe, dass das etwas ist, was es im Rap so überhaupt nicht gibt. Niemand würde das so angehen. Deswegen wollte ich das mal machen und habe dann damals »Fickfilm« geschrieben.   

  • Mal abgesehen davon, dass Du sehr belesen bist – was macht dich deiner Meinung nach aus?

  • Ich verzichte zum Beispiel auf alberne Hooklines. Oft verkacken Rapper nämlich Hooklines. Ansonsten habe ich einfach eine bessere Wortwahl. Das muss man aber nicht unbedingt direkt merken. 

  • Du bist aber nicht der übertriebene Techniker.

  • Doch. Ich bin technisch hervorragend. (schmunzelt.)

  • Die Kamikazes sagen über dich, was du auch über Bukowski sagst: dass du über Schwäche rappen kannst, ohne dabei Mitleid oder Verachtung zu evozieren.

  • Ja, aber R.A. The Rugged Man kann das ja auch. Das ist nichts völlig Einzigartiges von mir. Aber früher kam ich mir sehr einzigartig damit vor. Das war diese Dipset-Zeit, in der ich das Gefühl hatte, dass das so keiner macht.

  • »Haftbefehl hat ja flowtechnisch quasi wieder an die Stiebers angeknüpft.«Auf Twitter teilen
  • Wie sieht dein Schreibprozess aus?

  • Ich rappe immer auf Beat, rappe immer laut. Und quasi immer Wort für Wort. Ich hab Sachen auch schon vorgeschrieben – aber schreibe das komplett runter, um den Fluss zu erhalten. Es gab eine Zeit, da hat man sehr stark gemerkt, dass die Leute sich Punchlines aufschreiben und die dann aneinanderreihen. Das finde ich furchtbar, weil es einen sehr eindimensionalen Flow ergibt. Man muss die Sachen immer funky halten – wie bei den Stieber Twins oder Haftbefehl. Haftbefehl hat ja flowtechnisch quasi wieder an die Stiebers angeknüpft. Er könnte voll gut einen Part in »Malaria« haben – das würde gar nicht auffallen. (fängt an in Stieber-Manier zu rappen

    »Scheiß auf Gesellschaft … dddd … ich geh‘ zu Steve, der für Kies auf der Straße breakt. HipHop lebt, wenn sich auch dein Arsch mitbewegt … « (lacht

    Auch wie die die Sachen ausgesprochen haben! Da kannste dir voll gut Haftbefehl hinter vorstellen: 

    »Der Bomber in den USA / das Klima in Hiroshima / doch eins ist klar, egal ob dein Scheiß oben oder unten war / Evergreens sind immer da, der Rest Drosophila.« Da kommt Haftbefehl rein: »Ahh! Attention! Attention, Stieber Twins, Haftbefehl! Weißes Mehl, Gargamel!« 

    Ich hätte den ja auch voll gern auf meinem Navi, ey… »Frankfurt – Hauptbahnhof.«

  • Die ersten Beats, auf die du gerappt hast, waren von Cypress Hill.

  • Ja genau. Damals kam grad »Kingpin« raus, was in der Retrospektive sowas wie das heutige »GTA« war. Kingpin war ein Egoshooter-Spiel, das schon damals diesen HipHop-Gangster-Flavour hatte. Als Soundtrack hatte das drei Tracks von Cypress Hill – und das komplette scheiß Spiel über liefen auch wirklich nur diese drei Tracks (lacht). Voll eintönig. Aber damals war das was Neues. Diese Instrumentals waren mit die ersten, auf die ich gerappt habe.

  • Wo würdest du dich selbst denn inzwischen musikalisch verorten?

  • Dieses Mobb-Deep- und Wu-Tang-Ding, dieser dreckige New-York-90er-Rap ist ja eigentlich das, wo ich herkomme. Daran habe ich mich früher orientiert – gleichzeitig habe ich aber immer versucht, es nicht eins zu eins zu reproduzieren. Das hab ich dann allerdings irgendwann aufgegeben und diese Wu-Tang-Referenz-Beats gar nirgends mehr so richtig reingelassen. Aber mittlerweile ist das HipHop-Game, in dem sich Leute quer durch Beats picken, eh sehr melting-pot-mäßig geworden. Da macht Freddie Gibbs im einen Jahr das Ober-Trap-Album und direkt danach eins mit Madlib. Insofern bin ich da auch aufgelockert, versuche aber trotzdem noch, diesen düsteren HipHop-Vibe, der einfach mein Lieblings-Vibe ist, ein bisschen frisch und nicht so betont retro zu halten. Ich mag den Sound von damals einfach. Aber »Kleiner Katechismus« zum Beispiel war ja voll mit diesen Halftime-Beats und Nine-Inch-Nails-Drums. Das sollte ja nicht so klingen, als hätte das ein »Enter the Wu-Tang«-Leftover-Track sein können.

  • Du hast mal gesagt, dass es dir wichtig ist, das Spektrum deines Ausdrucks möglichst breit zu halten. Welchen Anspruch stellst du an dich und deine Musik?

  • Sagen wir mal so: wenn man sich erst mal auf so eine Ironie- oder Spaß-Rap-Schiene eingelassen hat, ist man schnell darauf festgefahren. Ich dachte, mit der Art wie ich rappe, kann man vieles ausdrücken, ohne etwas komplett anderes machen oder sich hinter Alter Egos verschanzen zu müssen. So kann in einer Person einerseits Konsistenz liegen, auf der anderen Seite hat man die Möglichkeit, trotzdem über verschiedene Themen zu reden. Ich mag ja daher auch Nas sehr gerne. Hab ich im letzten Jahr kaum gehört, aber eigentlich war das ja immer mein Lieblingsrapper.

  • Wo positionierst du dich selbst in der Szene? 

  • Naja. Ich bin ganz unten auf dem Tapefabrik-Flyer. Der, der mit den Jungs auftritt, die nicht drauf sind. (lacht)