Adrian Younge »Ich habe die Möglichkeit, das Gesicht der Soulmusik zu verändern!«

Der Produzent Adrian Younge aus Los Angeles hat mit Ghostface Killah und The Delfonics gearbeitet, schreibt Soundtracks zu Filmen, die nur in seinem Kopf existieren, wurde von Timbaland für einen Jay-Z-Hit gesamplet und hat ein neues Album für Souls of Mischief produziert.

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ALL GOOD-Autor Stephan Szillus hat den Musiker getroffen. Zum Gespräch in einer Hotellobby erscheint Younge trotz Berliner Sommerhitze im perfekt geschnittenen dunklen Anzug.

  • Wann und warum hast du angefangen, Musik zu produzieren?

  • Das war 1996. Inspiriert von den großen Produzenten dieser Ära – Premier, RZA, Q-Tip – wollte ich Beats machen. Ich besorgte mir eine MPC 2000 und suchte nach Platten, die ich samplen konnte: Soul, Jazz und Rock aus den späten Sechzigern und frühen Siebzigern. Diese alten Platten, das Quellenmaterial für HipHop, inspirierten mich bald noch mehr als die HipHop-Platten selbst. Es reichte mir nicht mehr, diese Platten zu samplen oder aufzulegen. Ich wollte ihren Klang rekreieren und daher musste ich Instrumente lernen. Außerdem beschäftigte ich mich mit den Aufnahme- und Produktionstechniken dieser Ära. Ich wollte die kompositorischen Ansätze der Sechziger mit der Perspektive eines HipHop-Produzenten der Neunziger verbinden.

  • Und wann hast du angefangen, eigene Musik zu veröffentlichen?

  • Mein erstes Projekt war ein Album, das auf einer fiktionalen Geschichte basierte. Es hieß »Venice Dawn« und ich konzipierte es im Jahr 2000. Ich dachte, ich mache das nur für mich und vielleicht ein paar Liebhaber – aber die Platte verkaufte sich verhältnismäßig gut. Hauptberuflich arbeitete ich die folgenden Jahre vor allem beim Film. Ich wurde mit dem Schnitt von »Black Dynamite« beauftragt. Am Ende habe ich auch den kompletten Soundtrack geschrieben und produziert. Der Film spielte im Jahr 1974, also schrieb ich einen klassischen Blaxploitation-Soundtrack. Da der Film gut lief, hatte ich die Möglichkeit, mich beruflich mehr aufs Musikmachen zu konzentrieren.

  • Meine Lieblingsplatte aus deinem Katalog ist das Instrumental-Album »Something About April« von 2011. Wie ist es entstanden?

  • »Something About April« war ebenfalls ein Soundtrack, allerdings zu einem Film, der nur in meinem Kopf existierte. Für »Something About April« wollte ich einen Sound, der gleichzeitig süß und abgefuckt daherkommt, einen rohen HipHop-Vibe in Verbindung mit einer süßlichen kompositorischen Note, den nur die Produktionen von früher haben. Die Perspektive war die eines HipHop-Produzenten, der ins Jahr 1971 reist und eine Platte mit den damaligen Gegebenheiten aufnimmt. Ich wollte, dass dieses Album meine Sammlung repräsentiert, vor allem die goldene Vintage-Ära von 1968 bis 1973. Motown, Prog Rock, italienische Soundtracks … Songs, die Wu-Tang gesamplet hätten. Oder etwas, das Jay Z in einem Track verwenden würde. Ironischerweise passierte genau das. (grinst) 

  • Dazu kommen wir noch. Erst mal würde ich gerne wissen, wie dein Studio aussieht, in dem du diese Musik produzierst?

  • Mein komplettes Studio ist analog. Alles, was ich zum Aufnehmen benutze, ist altes Equipment. Es gibt keine Computer. 90 Prozent der Instrumente spiele ich selbst, beim Rest hilft mir meine Band Venice Dawn. Ich weiß selbst am besten, wie der Bass oder die Drums klingen müssen. Ich studiere bereits seit den Neunzigern analoge Aufnahmetechnik. Jack Waterson, einer meiner besten Freunde und Teil meiner Band Venice Dawn, besitzt ein Geschäft für alte Musikinstrumente. Er zeigte mir das ganze Equipment, das auf den klassischen Platten benutzt wurde. Außerdem las ich viele Bücher und arbeitete nach dem Trial-and-Error-Prinzip, bis es richtig klang.

  • »Ich halte mich nicht für ein Genie. Ich bin nur extrem diszipliniert. Das ist alles.«Auf Twitter teilen
  • Was unterscheidet dich noch von anderen Produzenten?

  • Ich versuche es so zu sagen, dass es nicht großkotzig klingt: Viele sehen in mir ein Genie. Aber ich halte mich nicht für ein Genie. Ich bin nur extrem diszipliniert. Das ist alles. Ich habe ein krasses Arbeitsethos. Ich arbeite, bis der Song fertig ist und richtig klingt. Ich mache keine Kompromisse. Die meisten Produzenten wollen einen ähnlichen Sound, aber sie sind nicht bereit, diesen Aufwand zu betreiben. Bei »Something About April« habe ich für manche Drumsounds drei Tage gebraucht, bis sie richtig klangen. Der normale HipHop-Produzent hätte nach 45 Minuten die Schnauze voll gehabt.

  • Questlove und die Soulquarians haben in der Electric-Lady-Zeit auch gerne mal eine Woche an einer Snare gearbeitet.

  • Ich habe großen Respekt vor Questlove und seiner Arbeit. Ali Shaheed Muhammad ist einer meiner besten Freunde, wir haben gerade ein komplettes Album zusammen aufgenommen. Das Verrückte ist: Ich treffe meine Helden auf Augenhöhe. Diese Typen sind Fans meiner Musik. Aber eigentlich haben sie mich überhaupt erst dazu inspiriert, Musik zu machen: RZA, Q-Tip, Ali Shaheed, Raphael Saadiq oder Souls of Mischief. Das ist seltsam, wenn man sich dann trifft: »Ich bin ein großer Fan von dir.« »Nein, ich bin ein viel größerer Fan von dir.« »Nein, ich von dir.« (lacht)

  • Du hast auch mit Soul-Legenden aus den Siebzigern gearbeitet, etwa mit den Delfonics. Was war das für eine Erfahrung?

  • Eine ganz besondere. Ich arbeite mit Menschen, für die sich die Industrie nicht mehr interessiert. Ich lerne von ihnen und zeige ihnen gleichzeitig etwas. Und ich will den Menschen zeigen, dass sie immer noch relevant sind. Vergesst die Legenden nicht! Dizzy Gillespie konnte bis zu seinem Tod immer noch Shows spielen. Heute sind die Pioniere nicht mehr gefragt. Nimm jemanden wie Ghostface Killah. Ich treffe immer wieder junge Menschen, die nicht wissen, wer oder was der Wu-Tang Clan ist. Also nehme ich diese genialen Künstler und zeige sie einem neuen Publikum in einem anderen Licht. Das revitalisiert im besten Fall ihre Karriere und fördert meine als Produzent.

  • Du meinst so wie Rick Rubin, als er in den Neunzigern mit Johnny Cash arbeitete, kurz bevor er starb.

  • Absolut. Es geht darum, diese Künstler neu zu inspirieren. Sie müssen die Herausforderung akzeptieren, besser zu werden, als sie jemals vorher waren. Sie müssen die Wichtigkeit ihrer Kunst verstehen. Es ist wichtig, ihren Fans zu signalisieren, dass es sie immer noch interessiert. Ich sage dir ganz ehrlich: Mich hat es nicht besonders interessiert, was Souls of Mischief nach »93 ’til Infinity« gemacht haben. Verstehst du? Aber dieses eine Album ist eines der besten Alben aller Zeiten. Also wollte ich es erreichen, dass sie wieder auf dieses Level gelangen. Das inspiriert mich. Ich will das Beste aus ihnen herausholen. 

  • »Wir hatten moralische Werte, waren gut erzogen und hatten mit unserem Leben was vor. Uns ging es um die positiven Dinge im Leben.«Auf Twitter teilen
  • Wo warst du denn 1993?

  • In Los Angeles. Und dieses Album war groß. Souls of Mischief repräsentierten einen Lifestyle, der im HipHop bis dahin offiziell keine Rolle spielte. Alle machten Musik für die Gangster und Hustler. Auf »93 ’til Infinity« ging es um die coolen Kids aus der Vorstadt, die Mädchen, Klamotten und Skateboarding mochten. Wir hatten moralische Werte, waren gut erzogen und hatten mit unserem Leben was vor. Uns ging es um die positiven Dinge im Leben. Deswegen liebten wir Souls of Mischief. Nur haben sie es nach ihrem ersten Album nie wieder geschafft, ein kohärentes Werk zu erschaffen. Versteh mich nicht falsch: They never sucked. Aber jetzt, auf unserem gemeinsamen Album »There Is Only Now«, fühle ich wieder diese Energie, wie auf dem ersten Album. Als »93 ’til Infinity« erschien, hatten Tribe gerade »Midnight Marauders« draußen. Beide Bands gingen zusammen auf Tour. Für mich gibt es ein bestimmtes Golden-Era-Gefühl, das diese Alben verbindet. Das neu zu erzeugen, war unsere Aufgabe.

  • Hilft es deiner Arbeitsweise, dass du immer ganze Alben für Künstler machst?

  • Oh ja. Frank Sinatra hat für seine Alben doch auch nicht mit zehn verschiedenen Produzenten zusammengearbeitet. Das ist bescheuert. Wenn man schon ein Album macht, dann will man ein ganzheitliches Konzept, ein lineares Kunstwerk erschaffen. Für gewisse Teile der Popkultur funktioniert es anders, einfach weil die Kids es heute so gewohnt sind. Ich finde das dumm, aber das ist nur meine persönliche Meinung.

  • Jetzt erzähl mal: Wie kam es dazu, dass Timbaland deinen Song »Sirens« für »Picasso Baby« samplete?

  • Ach, das ist eine kurze Geschichte. Du kennst sicher den A&R-Manager Hip Hop [Kyambo »Hip Hop« Joshua war A&R bei Roc-A-Fella und Manager von Kanye West und Lil Wayne, Anm. d. Verf.]. Er gab Timbalands Leuten zwei meiner Songs. Dann bekam ich einen Anruf: »Jay Z will deinen Song samplen.« Und ich so: »Aight, cool.« (lacht) Das war es schon. Ich habe mich natürlich sehr gefreut, weil mein Plan aufgegangen ist.

  • Mochtest du die Art und Weise, wie dein Song verwendet wurde?

  • Ich denke, sie haben einen guten Job gemacht. Es ist einfach ein hochgepitchter Loop, kein komplexer Song mit vielen Akkordwechseln oder sowas. Für das, was es sein soll, finde ich es gut und ich bin froh darüber. Denn auf diese Weise zeigten sie meine Musik einem riesigen Publikum. Vorher musstest du ein echter Head sein, um mein Zeug zu kennen. Nun kennt es die ganze Welt. Ich bin quasi das Original-Break zu einem modernen Klassiker.

  • »Für mich steht die Kunst immer an erster Stelle. Geld zu haben ist gut, aber Geld kommt und geht. Ich habe die Möglichkeit, das Gesicht der Soulmusik zu verändern!«Auf Twitter teilen
  • Hat dir diese Verwendung auch neue Türen geöffnet?

  • Definitiv. Seit »Picasso Baby« bekomme ich ständig Anfragen von Majors, aber viele davon lehne ich ab. Ich arbeite gerade mit Bilal, Raphael Saadiq, Ali Shaheed, Maxwell, Common, Marsha Ambrosius … und noch mit vielen anderen talentierten Künstlern, über die ich hier nicht sprechen darf. Ich will Fortsetzungen zu »12 Reasons To Die« und zu »Something About April« machen. Ich mache so viel, dass mir dieser Big-Money-Shit nur in die Quere kommt. Für mich steht die Kunst immer an erster Stelle. Geld zu haben ist gut, aber Geld kommt und geht. Ich habe die Möglichkeit, das Gesicht der Soulmusik zu verändern! Ich kann ihr Komposition und Seele zurückgeben. Ich bin so aufgeregt, dass ich das alles machen darf. Aber wenn mich ein Major fragt, ob ich für irgendeine seelenlose Hupfdole einen dummen Auto-Tune-Drumroll-Trap-Song produzieren will – warum zur Hölle sollte ich das machen? Wenn ich mal Geld brauche, dann mache ich es als Auftragsarbeit unter einem Pseudonym. Aber ich werde es nur tun, wenn es um Summen geht, die mein Leben verändern.

  • Du hast mit vielen Legenden gearbeitet, die deutlich älter als du selbst sind. Hast du auch mal überlegt, mit ganz jungen Künstlern zu arbeiten?

  • Du meinst wirklich jung? Schwierig. Ich arbeite nur mit Menschen, die meine Kunst verstehen. Sie müssen sich mit alter Musik auskennen. Wenn ich einen Künstler kennen lerne und merke, dass er nur moderne Musik hört, ist das für mich der ultimative Abturn. Ich kann mit so jemandem nicht arbeiten. Wenn ich ihm alles erklären muss, dann inspiriert mich das einfach nicht. Ich halte keinem Kind die Hand. Aber es gibt natürlich Ausnahmen. Ich habe gerade eine weiße, 16-jährige Sängerin entdeckt, mit der ich arbeiten werde, einfach weil sie klingt wie Grace Slick von Jefferson Airplane.

  • Was ist mit Earl Sweatshirt? Er ist ein großer Fan deiner Musik.

  • (lacht) Klar, ich liebe ihn doch auch. Ich denke, wir könnten großartige Musik miteinander machen. Aber vielleicht muss er dafür noch etwas reifen. Wenn ich mit jemandem ins Studio gehe, dann um zu arbeiten und nicht um herumzualbern. Earl bringt immer seine Posse mit und die Typen haben nur Unfug im Kopf. Für die Scheiße habe ich keine Zeit. (lacht) Aber natürlich ist er extrem talentiert. Er kapiert es. Er kennt alte Musik und studiert sie. Wenn es mehr junge Typen wie ihn gäbe, wäre das Level heutiger Musik viel höher.