Schwesta Ewa »Ich hab oft von Freiern auf die Fresse bekommen.«

Schwesta Ewas Debüt ist in jeder Hinsicht eine geile Rap-Platte: Beats von trockenem Boombap über gefährlichen Westcoast-Funk bis hin zu clubtauglichen Uptempo-Stampfern. Eine ungekünstelte Delivery ohne Schnörkel. Texte voller Halbwelt-Slang und Ansagen. Und Storys von der Straße, die man lieber nicht selbst erleben will. Ewa keept es nämlich verdammt real.

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Selbst wenn so mancher Rapper, der sich vehement dafür einsetzt, an der korrekten Aussprache scheitert – Authentizität ist der Schlüsselbegriff im Straßenrap. In diesem Sinne hat Schwesta Ewa mit ihrem jüngst erschienenen Album »Kurwa« einen Meilenstein gesetzt: Als wäre es in so einer testosteronschwangeren Umgebung wie der hiesigen Rap-Landschaft nicht schon unerhört genug, sich als Ex-Prostituierte dermaßen selbstbewusst in Szene zu setzen, packt Ewa auf ihrem Albumdebüt noch eine Schippe drauf. Dass sie eine Nutte war, das weiß mittlerweile jeder – vom Feuilletonisten über die Rap-Kollegen bis hin zum gehässigen YouTube-Kiddie mit offener Hose. Aber was so ein Leben im Rotlicht wirklich bedeutet, das erzählt Ewa hier zum ersten Mal en detail. Und so viel sei gesagt: Das kann ganz schön bitter sein.

  • »Kurwa« ist nun endlich fertig. Wie fühlst du dich?

  • Viel, viel besser. Ich hab mir ja so viel Zeit gelassen, aber jetzt bin ich sehr zufrieden damit. Für das, was ich als Schwesta Ewa erreichen kann – ich bin ja noch nicht besonders groß – ist es perfekt geworden. 

  • Ursprünglich sollte das Album »Dr. Entjungferung« heißen. Warum jetzt der Titel »Kurwa«?

  • Der erste Titel ist an der AON-Qualitätskontrolle gescheitert. (lacht) Aber »Kurwa« passt auch sehr gut zu mir. 

  • »Ich habe quasi eine Monopolstellung, was weiblichen Rap in Deutschland angeht – und das alles kann ich noch gar nicht richtig glauben.«Auf Twitter teilen
  • Auf dem Album finden sich Texte, die teils sehr krasse Erlebnisse schildern. Sind das alles eigentlich wahre Geschichten? 

  • Ja, das sind alles Dinge, die mir so passiert sind: »Von Hype zu Ayb« oder auch »Für Elise«, das sind Geschichten aus meinem persönlichen Leben, die mir widerfahren sind.

  • War das schwierig für dich, diese Dinge aufzuschreiben? Manches ist ja geradezu traumatisch – wie zum Beispiel der Übergriff in »Für Elise«.

  • Es ist wirklich so: Wenn ich an Elise denke, dann werden meine Augen immer noch feucht. Mein Umfeld meinte auch, dass dieses Stück die Leute überfordern würde und ich es vielleicht lieber nicht machen sollte. Aber ich liebe diesen Track. Die Geschichte spielt in meiner Anfangszeit als Prostituierte, als ich gerade angefangen hatte zu arbeiten. Ich war vielleicht drei Monate dabei, als ich sie kennen gelernt habe. Wir haben uns zu Beginn nicht wirklich gut verstanden, sie war auch viel älter war als ich. Aber irgendwann waren wir dann doch unzertrennlich. 

  • Wie entstehen denn in so einem Milieu überhaupt Freundschaften? 

  • Elise war zunächst einfach mal eine Frau, die zu mir kam und sagte: »Du bist neu, du kannst nicht hier stehen. Du stellst dich gefälligst da hinten hin.« Aber dann hab ich Probleme mit Freiern gehabt – und da hat sie mir dann geholfen. Das sind einfach die Regeln. Egal, ob man befreundet ist oder nicht: Wenn eine Frau schreit, dann müssen die anderen Nutten da hinlaufen. So haben wir versucht, uns gegenseitig Sicherheit zu bieten. Sie hat mir Tipps gegeben und Tricks gezeigt, wie ich die Freier verarschen kann, ohne die Beine breit zu machen. Wie man die Männer abziehen kann, wie man sie dazu bringt, zum Geldautomaten zu gehen. Sie hat mir einfach alles gezeigt, womit ich in den folgenden Jahren dann Kohle gemacht hab. 

  • In dem Song wird auch ein Überfall beschrieben, der für dich potenziell lebensgefährlich war. Hast du danach nicht überlegt, damit wieder aufzuhören?

  • Quatsch, nein. (lächelt) Daran hab ich nie gedacht. Ich wurde von einem Freier vergewaltigt – und ich habe trotzdem weiter gemacht. Ich hab wirklich sehr oft von Freiern auf die Fresse bekommen, auch häufig total grundlos. Mich hat mal einer verprügelt und mir immer wieder auf den Kopf getreten, aber ich hab nur mit den Füßen meinen Schrank zugehalten, weil da mein Geld drin war. Da dachte ich eben nur: Okay, gib mir. Aber lass bloß den Schrank zu, du Wichser. (lacht) Aber selbst da hab ich keine Sekunde daran gedacht, mit dem Job aufzuhören. 

  • »Ich wurde von einem Freier vergewaltigt – und ich habe trotzdem weiter gemacht.«Auf Twitter teilen
  • Wie hast du denn so was verarbeitet? Dass du das in deiner Musik thematisierst, hat ja auch erst mal ein paar Jahre gebraucht.

  • Ich war einfach irgendwann selbst so eine richtig abgezockte, abgefuckte Nutte. Wenn ein Typ an meinem Puffzimmer vorbeigelaufen ist und blöd gelacht hat, wenn ein Typ auch nur ein bisschen unsympathisch war, dann war ich sofort auf 180 und hatte Lust, den zu schlagen. Ich hab einfach gemerkt, dass ich irgendwann richtig pingelig und aggressiv geworden bin. 

  • Auf deinem Album wird immer wieder thematisiert, dass Prostitution viel mit Drogen zu tun hat – sei es nun der Handel damit oder der Konsum. Braucht man als Nutte Drogen, um mit dem Job zurechtzukommen?

  • Ja, leider schon. Es ist wirklich so, dass viele Mädels nur mit Drogen damit klarkommen. Ich kenne viele Mädels, die machen den Job freiwillig, ohne Zuhälter. Aber die ballern sich trotzdem den ganzen Tag irgendwas, um die 20, 30 Typen zu ertragen, die jeden Tag über sie drüber rutschen. Ich war auch immer auf Nase, Jacky oder Johnny – oder alles drei zusammen. Obwohl eigentlich immer alles zusammen. (lacht) Einfach, weil es so viel leichter fiel. 

  • Hast du die Drogen zusammen mit dem Job hinter dir gelassen?

  • Ja, im Grunde schon. Mit Jacky bin ich immer noch sehr gut befreundet, aber es klappt auch ohne. (lacht) Ich kiffe nicht mehr, ich mache gerade MPU. Ich brauche meinen Führerschein, ohne Auto ist für mich wie ohne Arme und Beine. Klar feiert man auch mal, aber ich war ja früher auf Crack – und verglichen damit bin ich jetzt clean. Mir geht’s gut. (lacht)

  • Warum hast du dich dazu entschieden, deine ganzen Erlebnisse so direkt zu erzählen?

  • Ich bin so, das ist meine Art. Xatar meinte auch zu mir: Ewa, ich war zwar bei vielen Sachen dabei und weiß, was dir passiert ist – aber das hören auch ganz normale, solide Menschen. Das ist denen vielleicht zu hart. Ich will aber auch niemanden abschrecken, ich will das einfach nur loswerden. Deswegen hab ich für das Album auch fast nur Storys geschrieben. Ssio riet mir dann, auch noch ein paar andere Sachen zu schreiben und dafür die ein oder andere Story rauszulassen. Aber das muss einfach raus, ich muss das loswerden. 

  • Was glaubst du, was ein junges Mädchen über dich und das Geschäft denkt, wenn sie das hört?

  • Das wird wohl so ein 50/50-Ding sein. Manch eine wird sich denken: Geil, ich will auch Nutte werden. Manche schreiben mir bei Facebook, dass sie für mich arbeiten wollen. Andere schreiben mir, dass sie großen Respekt davor haben, dass ich aus der Scheiße rausgefunden habe. Wenn mir irgendwelche Zwölfjährigen erzählen, dass ich ihr Vorbild sei, dann feiere ich das nicht. Außer es geht darum, dass sie mich als Vorbild dafür sehen, wie man es aus so einem Milieu rausschafft. Aber es kommen halt auch Mails von Mädels, die mich fragen, ob ich ihnen einen guten FKK-Club empfehlen kann. Nein, kann ich nicht. (lacht)

  • Wie sind denn die Texte für das Album konkret entstanden?

  • Staiger ist ja gerade dabei, ein Buch über mich zu schreiben. Als ich ihm alle diese Storys erzählt habe, hab ich festgestellt, dass ich meine Erlebnisse keinem konkreten Jahr zuordnen kann und nicht mehr wusste, was wann passiert ist. Ich war ja ständig auf Drogen. Also hab ich alles, woran ich mich noch erinnern konnte, einfach mal aufgeschrieben. Ich will ja, dass das alles im Buch vorkommt. 

  • »Ich bekomme auch Mails von Mädels, die mich fragen, ob ich ihnen einen guten FKK-Club empfehlen kann. Nein, kann ich nicht.«Auf Twitter teilen
  • Inwiefern war das für dich eine Therapie? Weißt du jetzt besser über dich Bescheid als vorher?

  • Hm. Ich weiß es nicht. Ich finde es jedenfalls schön, dass ich das alles so rauslassen konnte. Aber was weiß ich? Ich verstehe mich doch selber nicht. 

  • Deine Texte gegen ja bekanntermaßen durch die AON-Qualitätskontrolle, d.h. Ssio und Xatar lesen alles, was du schreibst. Lief das beim Album immer noch so oder bist du mittlerweile sicherer, was Songwriting angeht?

  • Ich bin wirklich sicherer und hab mich tatsächlich weiterentwickelt. Das freut Ssio und Xatar auch sehr, aber trotzdem muss das durch den Check. Es ist nicht so, dass ich einfach aufnehmen kann, wenn ich einen Text fertig habe – so läuft das nicht. Die beiden haben jetzt weniger Arbeit, da ich besser geworden bin und auch ein paar Sachen kapiert habe. Ich schreibe neuerdings auch auf Beat. (lacht) Was ich ja vorher nicht getan habe und dann immer alles ändern musste, damit es auf den Beat passt. Ich sehe, dass ich mich weiterentwickelt habe, und das freut mich. 

  • Lass uns über das Feedback auf dich und deine Musik sprechen: Wenn man sich bei YouTube und Facebook umschaut, merkt man, dass es nicht mehr ganz so schlimm ist wie früher. 

  • Ja, es ist nicht mehr ganz so schlimm. Es ist ein ganz kleines bisschen besser geworden. 

  • Ärgert dich das negative Feedback noch so stark wie am Anfang?

  • Anfangs war das wirklich schlimm für mich, mittlerweile geht es aber. Es ist nicht so, dass ich mir die Kommentare nicht mehr durchlese – das machen wir ja alle, Mann. Jeder Rapper, den ich kenne, liest sich Kommentare durch. Wenn man was postet, wird danach erst mal ewig gescrollt. (lacht) Wenn jemand behauptet, er würde sich das nicht durchlesen, dann ist das Verarschung. Aber mittlerweile tut es mir nicht weh, wenn da was Schlimmes steht. Und manchmal finde ich auch eine Beleidigung richtig lustig und klicke auf »Gefällt mir«. Mir geht’s jedenfalls gut, ich hab keine Depressionen mehr deswegen. (lacht) 

  • Auch was deine Rap-Kollegen angeht, hat sich die Lage entspannt: Ich habe den Eindruck, dass du als Künstlerin mittlerweile akzeptiert bist. 

  • Sagen wir so: Ich hätte das gerne. Aber ob das schon wirklich so ist, da bin ich mir nicht sicher. Man akzeptiert mich, ich bin ein Teil von Deutschrap geworden – aber um wirklich von allen akzeptiert zu werden, bis dahin ist es noch ein steiniger Weg. Aber ich wünsche mir das. Im tiefsten Inneren wünscht sich Schwesta Ewa Anerkennung. Es wäre gelogen, wenn ich etwas anderes behaupten würde. 

  • »Ich kenne viele Mädels, die machen den Job freiwillig, ohne Zuhälter. Aber die ballern sich trotzdem den ganzen Tag irgendwas, um die 20, 30 Typen zu ertragen, die jeden Tag über sie drüber rutschen.«Auf Twitter teilen
  • Glaubst du, dass du mit dem Album dieser Anerkennung einen wichtigen Schritt näher kommst?

  • Das Album soll meine Visitenkarte sein. Natürlich habe ich danach noch einen weiteren Weg vor mir, aber es ist ein wichtiger Schritt. Ich bin sehr gespannt, wie das Feedback ausfallen wird, ich rede den ganzen Tag darüber. Mein Problem ist: Ich bin sehr pessimistisch. Und auch wenn ich als Schwesta Ewa immer sehr hart rüberkomme, kann ich in mancher Hinsicht nicht so richtig an mich glauben. Es ist ja auch alles so schnell passiert. Ich habe quasi eine Monopolstellung, was weiblichen Rap in Deutschland angeht – und das alles kann ich noch gar nicht richtig glauben. Ich weiß auch nicht, wie die Leute auf die Musik reagieren werden: Die Boombap-Sachen habe ich nach wie vor drin, aber jetzt eben auch Funk. Und da hab ich Schiss, ob das gut ankommt. (lacht) Für mich ist es jedenfalls eine Weiterentwicklung. 

  • Wenn du so pessimistisch bist, dann gehst du wohl nicht davon aus, dass du in nächster Zeit nur vom Rappen leben kannst. Wie planst du denn deine mittelfristige Zukunft?

  • Ich bin da sehr realistisch. Ich bin nicht darauf vorbereitet, jetzt hunderttausende Platten zu verkaufen. Und selbst wenn das passiert, kennt man ja genug Geschichten von Leuten, die riesengroß geworden sind und für die sich heute kein Schwanz mehr interessiert. Ich setze nicht alles auf Rap, das wäre unvernünftig. 

  • Was hat es denn mit »Pimp My Bitch« auf sich?

  • Das hingegen wird mit Sicherheit riesig! (lacht) Das ist mein Talent, das ist etwas, das ich seit zehn Jahren mache. Zu mir sind schon so einige katastrophale Mädels gekommen, die danach hübsche Prinzessinen wurden. Das wird also lustig. Das Problem ist nur: Wir haben zwei Folgen gedreht, und das war mein erstes Mal vor der Kamera. Deswegen sehe ich jetzt die ganzen Fehler, die ich gemacht habe. Und durch die AON-Schule habe ich ja Perfektionismus gelernt. Und die Idee zur Show ist viel zu geil, als dass ich das nun einfach so raushauen würde. Das wird also nach meinem Album kommen, jetzt ist erst mal Zeit dafür. 

  • Was ist denn das genaue Konzept davon? Sollen das am Ende perfekt aussehende Nutten sein oder einfach schöne Frauen?

  • Nee, nicht schön. Die sollen bitchig aussehen. Overknee-Stiefel, Minirock, Titten quetschen, künstliche Wimpern, Tattoos, Piercing. Also billig, aber sexy. (lacht) Halt so, wie ich mich gerne kleide, wenn ich in die Disko gehe. Wobei das schon teuer war, damit es so billig aussieht. (lacht)