3Plusss »Ich glaube nicht, dass alles gut wird.«

3Plusss ist ein Rapper mit kritischer Haltung. Das unterscheidet ihn von vielen anderen in der Szene. Im Interview mit Till Wilhelm spricht er über die fehlende Diskussionskultur im deutschen HipHop, über Schutzreflexe der Szene und den Umgang mit rechten Tendenzen.

3Plusss

An einem kalten Wintertag in Friedrichshain sitzt 3Plusss auf einer Parkbank am Boxhagener Platz und redet sich um Kopf und Kragen. Er trinkt Glühwein mit ALL GOOD-Autor Till Wilhelm, der das Gespräch aufzeichnet. Der Rapper kam durch Videobattles zu Aufmerksamkeit und hat es geschafft, präsent zu bleiben. Obwohl nun erst nach vier Jahren Sendepause seine neue EP »NSFW« erschien. Denn er tut sich im Diskurs der deutschen Rapszene durch differenzierte, aber klare und kritische Haltungen hervor. 3Plusss ist ein Rapper, der gerne streitet – darin unterscheidet er sich fundamental vom Rest der Szene. Handshakes und Moneymoves, das ist nicht die Welt des gebürtigen Esseners.

  • Du kommst aus der Battletradition, du bist auch auf Social Media mit Kritik präsent. Was ist dein Feindbild?

  • Ich hab da letztens ein paar Lines zu geschrieben, zum Beispiel: »Ich hab’ ein klares Feindbild außer AfD und Freiwild / Und das ist jedes dumme Arschloch, das etwas für sich allein will / Jedes Einzelkind, das lieber sparen will statt teilen / Alles für alle, ist alles, was ich meine« Das kann man natürlich auf der Ebene des Eigentums sehen, ich befürworte Enteignung. Aber es geht mir auch um Ideen. Beispielsweise schlagen mir starke Reaktionen entgegen, ich nehme mich als Anti war. Ich sehe aber Rapper, die sich mit diesem Begriff schmücken, eigentlich aber corporate sind. Das ist Claiming: Etwas für sich alleine zu beanspruchen und dabei Andere unsichtbar zu machen, die wirklich Konsequenzen für ihre Positionen spüren. Bei mir wird das Management angerufen, aber andere ernten die Lorbeeren. 

  • Als Cashmo seinen Song »Alman« veröffentlicht hat, hast du getwittert: »almans haben so wenig probleme dass sie neidisch auf die probleme anderer menschen sind«. Was hat dich an der Single von Cashmo gestört?

  • Einerseits kann ich mich mit dem Song identifizieren. In der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, hatten 48% der Leute einen Migrationshintergrund. In meiner Erfahrung können sich dadurch im Alltag Machtverhältnisse zu deinem Nachteil drehen, wenn du weiß bist. Diese Probleme gibt es natürlich. Ich finde aber: In der Ordnung von Problemen, über die wir sprechen sollten, steht das ganz weit unten. In Zeiten von BlackLivesMatter ist es peinlich, zu schreien: »Almans leben auch!«. BlackLivesMatter hat sich dieses Spotlight mühsam erkämpft. Die Vorgänger:innen dieser Bewegung wurden vor nicht allzu langer Zeit erschossen. Und das einzige, was Cashmo einfällt, ist, sich in den Vordergrund zu drängeln. Das ist ätzend.

  • Ich gehe davon aus, du hast dir seine Statements angeschaut?

  • Ja, die sind zum Kotzen. Seine Verteidigung besteht darin, zu sagen, er sei unpolitisch. Durch diese Behauptung lassen sich seine eindeutig politischen Aussagen aber nicht entpolitisieren. Ich würde mich mit dem Typen nicht an einen Tisch setzen. Es gibt sicher Redebedarf mit Deutschen, die sich politisch vernachlässigt fühlen. Das ist aber keine Einbahnstraße. Cashmo sucht keinen Austausch, sein Song war ein kalkulierter Move. Wer sich in diesen Zeiten so verhält, kann mich am Arsch lecken. 

  • »Der nächste wird kommen und einen größeren Schritt gehen.«Auf Twitter teilen
  • Würdest du klar sagen: »Das ist rechter Rap«?

  • Das ist schwierig, weil wir noch nicht genug Erfahrung mit rechtem Rap haben, um einen genauen Rahmen zu ziehen. Cashmo ist sicher ein erster Schritt. Jemand, der Rechts-Rap den Weg ebnet. Der nächste wird kommen und einen größeren Schritt gehen. Das müsste man sofort unterbinden. 

  • Wo ist die Grenze zwischen Nazi-Rap und Provokation?

  • Die ist sicher fließend. Nicht jeder Rechte ist ein Nazi, aber jeder Nazi ist rechts. Wenn du neurechte Scheiße erzählst, dann spielst du Nazis in die Karten. Cashmo suhlt sich in seinen Klicks und seiner Aufmerksamkeit, das tut ihm augenscheinlich gut. Aber im Nachhinein sollte er sich schon fragen, was er da eigentlich gemacht hat. Man kann ihn sicher nicht in eine Reihe mit Chris Ares stellen. Letzterer verbreitet absichtlich rechtes Gedankengut, bei Cashmo dominiert Ignoranz. Dennoch macht er es Nazi-Rappern einfacher, den Mainstream zu erreichen. 

  • Werden durch solche Songs ganz normale Rap-Hörer:innen radikalisiert?

  • Man kann nur mit dem arbeiten, was schon vorhanden ist. Wenn Leute schon nicht verstehen, warum man die Unterhaltung mit der AfD verweigert, dann sind sie sicherlich auch anfälliger für Tracks wie »Alman«. Wenn sowieso schon Tendenzen zu rechtem Gedankengut bestehen, vielleicht auch Unsicherheiten, dann fühlt man sich abgeholt von dem, was Cashmo rappt. Dadurch entsteht ein Wir-Gefühl. Das sind Leute, die sich für Liberalismus interessieren, auf Discord rumhängen und »Call Of Duty« spielen. Heute hören sie Cashmo, morgen Chris Ares, übermorgen Makss Damage. Schon diesen ersten Schritt sollte man nicht akzeptieren, finde ich.

  • Viele haben geschrieben: »Endlich redet jemand Klartext«. Äußert Cashmo einfach etwas, das normalerweise gedacht wird, aber unausgesprochen bleibt? 

  • Als würde nicht durchgehend sogenannter »Klartext« geredet werden. Als würden ähnliche Ansichten nicht jeden Tag ins Internet gejagt werden. Als bräuchte es jetzt noch einen Cashmo, damit diese Thesen im Raum stehen. Im Gegenteil: Er ist bloß ein Multiplikator von etwas, das schon tausendmal gesagt wurde. Das einzige, was sich ändert, wenn Cashmo es nicht sagen würde, ist, dass Cashmo es nicht sagt. Was er dort verbreitet, sind ja keine neuartigen Erkenntnisse. 

  • »Das Problem ist schon längst unter uns, das verstehen viele erst jetzt.« Auf Twitter teilen
  • »HipHop.de« schrieb, Cashmo ziehe ein Publikum an, das man in der HipHop-Szene nicht haben wolle. Siehst du das ähnlich?

  • Das Publikum ist schon lange da. Das sehen wir nicht zuletzt am riesigen Erfolg von Kollegah. Der verwendet Ästhetik, die aus dem Nationalsozialismus stammt. Kollegah hat einen Song namens »Hurensohn Holocaust« gemacht, im Jahr 2017. Das Problem ist schon längst unter uns, das verstehen viele erst jetzt. Und viele verstehen immer noch nicht, dass man mit diesen Leuten nicht in Verhandlung treten muss. Mr. Rap braucht kein halbstündiges Gespräch mit Cashmo, andere genauso nicht. Stichwort »Cancel Culture«: Wann wird denn endlich gecancelt?

  • Sollte man die HipHop-Szene verteidigen? 

  • Insgesamt? Nein. Schon als Kollegah und Farid Bang trotz klarem Antisemitismus den Echo bekommen haben, ist ein Großteil der Szene ihnen zur Seite gesprungen. Da wurde gesagt: »Die bürgerliche Mitte will uns eh nicht verstehen.« Was gibt es an der Zeile denn bitte nicht zu verstehen? Das war geschmacklos und es steht jedem frei, das zu sagen. In der HipHop-Szene wird nicht genug gestritten. Kritik von außen mutet durchaus häufig klassistisch an. Aber deswegen müssen wir doch nicht Kollegah und Farid Bang in Schutz nehmen. Das bringt gar nichts. Wir verwehren uns der Kritik von außen, auf der anderen Seite klären wir aber nichts innerhalb der Szene. 

  • Chris Ares hat seine Karriere beendet. Wird jetzt endlich wieder alles gut?

  • Ich glaube nicht, dass alles gut wird. 

  • Was bedeutet der Schritt der Industrie, ihn von Streamingdiensten zu verbannen, dennoch?

  • Wir haben jetzt einmal die Erfahrung gemacht: Es geht, es ist so einfach. Die Plattformen haben gezeigt, dass sie auf dieser Ebene an einem Strang ziehen können. Mit zukünftigen Nazi-Rappern können wir das wieder machen. Das gibt uns aber keine Lösung für Künstler:innen mit rechten Tendenzen, die keine ideologischen Nazis sind. Die bürgerliche Rechte bleibt von einem NPD-Verbot unbeeindruckt. Da finde ich es wichtiger, diese Leute nicht zu Interviews einzuladen, ihnen keine Playlist-Placements zu geben. 

  • »Viele haben erkannt, dass es systemische Probleme gibt.«Auf Twitter teilen
  • Auf »Gusto« rappst du: »Du rufst: ›Fick das System‹ / Aber bist das System«. Ist der rebellische Pathos im Deutschrap auch nur ein stumpfes »gegen die da oben«?

  • Im Mainstream findet das sicher statt. Ich denke aber, dass ein Wandel stattfindet. Die Inhalte, die ich in aktuellen Tracks, gerade von Newcomern, höre, sind oft politisch. Vielleicht auch unbewusst. Diese Leute denken in größeren Bahnen. Viele haben erkannt, dass es systemische Probleme gibt, dass es nichts Richtiges im Falschen gibt. 

  • Warum sieht Deutschrap sich immer noch als exklusiv und widerständig?

  • Deutschrap hat sich von der HipHop-Kultur emanzipiert. Trotzdem gibt es ein kulturelles Eigenverständnis. Deutsche Rapper sagen, sie geben einen Fick, machen dann aber genau die Musik, mit der sie auf Platz 1 gehen. Die Anti-Haltung liegt in der DNA von HipHop. Viele Lieder, die wir unter Rap verbuchen, sind eigentlich Popsongs. Auch inhaltlich ist vieles extrem bürgerlich, wird aber als progressiv beworben. 

  • »Ich würde mir mehr Swagger und weniger Krampf wünschen.«Auf Twitter teilen
  • Auf »Sport« rappst du über den Widerspruch, Kunst zu machen, während die Welt untergeht. Warum dann überhaupt noch Musik machen? 

  • Leute brauchen Ablenkung von der Scheiße, die sie umgibt. Wenn dabei ein paar fluffige Punchlines helfen können, ist das cool. Ich bin noch auf der Suche nach meinem Platz in der Welt. Wenn ich gerade Bock auf Rap habe, dann muss ich das scheinbar machen. Irgendwann spürt man natürlich trotzdem einen Anflug von Lächerlichkeit, deshalb wollte ich das erwähnen. Ich würde meine Gedanken zu aktuellen politischen Entwicklungen gerne zukünftig stärker in meine Musik einfließen lassen. Zurzeit sehe ich aber noch keinen coolen Weg für mich. Ich bin angeödet von überwiegend politischen Rapper:innen. Ich würde mir mehr Swagger und weniger Krampf wünschen.

  • Lass uns doch auch darüber sprechen, wie diese Diskussion im deutschen HipHop geführt werden. Was stört dich an der Diskussionskultur?

  • Diese Diskussionen dürfen sich nicht länger nur auf Releases und Personen beziehen. Es geht zu viel um Realness und Relevanz, zu wenig um die eigentlichen Ideen der Kritik. Die Szene hält sich mit Kleinscheiß auf. Dann geht es um einen Twitter-Screenshot, ohne dass der Gedanke dahinter diskutiert wird. Ich möchte über Ideen sprechen. Viele Leute hängen im Kenntnisstand hinterher, das ist auch nachvollziehbar. Auch ich wurde in meiner Jugend kaum politisiert, ich habe keine schlauen Bücher gelesen. Wir müssen zunächst eine gemeinsame, leicht verständliche Diskussionsbasis schaffen. Dafür sind Formate wie der »Machiavelli«-Podcast extrem wichtig. 

  • Werden problematische Vorfälle zu schnell verziehen? 

  • Auf Seiten der Künstler:innen und Industrie, auf jeden Fall. Da würde ich mir viel mehr Radikalität wünschen. Auch von mir selbst. Ich weiß, dass ich einige Schritte zu spät gegangen bin. Aber auch, weil ich mich in meiner Radikalität sehr einsam gefühlt habe. 

  • »Ehre und Loyalität existieren in der Musikindustrie nicht.« Auf Twitter teilen
  • Im Deutschrap-Mainstream geht es oft um Ehre und Loyalität. Erschwert das eine offene Diskussion?

  • Ehre und Loyalität sind Worthülsen. Die werden oft bemüht, weil Rapper:innen das für erstrebenswert halten. Ehre und Loyalität existieren in der Musikindustrie nicht. Wenn Artists trotz seiner Aussagen zu Jamule halten, hat das wenig mit Loyalität zu tun. Jamule ist eine Cashcow, wie viele andere auch. Wenn Rapper:innen ihm Rückendeckung geben, sind sicherlich finanzielle Motive mit im Spiel. Dieser Vorfall wird vergessen, Jamule macht wieder Hits und alle anderen können mitverdienen. Ehre und Loyalität… (lacht)

  • Welche Rolle spielt dabei der klassische Beef? Führt Kritik schnell zu persönlichen Konflikten?

  • Das nervt komplett. Es gibt Leute da draußen, die haben mich auf Tracks »Hurensohn« genannt. Ich habe keinen Beef mit denen. An der Stelle merke ich, dass Deutschrap nicht dafür bereit ist, kritisiert zu werden. Mit vielen Leuten und ihren Taten habe ich ein ernsthaftes Problem und sage das auch. Das hat aber nichts mit Beef, nichts mit persönlichem Streit zu tun. Das meine ich, wenn ich sage: Lass uns doch mal über Ideen reden. Aber Beef ist die geilere Story, die geilere Headline. Dass es am Ende immer eine Diskussion um mich gibt, hat mir den Spaß daran genommen, Kritik zu üben. 

  • Wenn Artists öffentlich auf Fehlverhalten hingewiesen werden, sprechen sie häufig von »Cancelling«. Kannst du das verstehen?

  • Wir müssen Outcalls und Kritik normalisieren. Du musst kein Nazi sein, um rechtes Gedankengut zu verbreiten. Du musst nicht mal klassisch rechts sein. Internalisierter Rassismus wird nicht ausreichend diskutiert. Das wird direkt mit Scham verknüpft. Der Kampf gegen Rassismus funktioniert nicht ohne Scham. Wenn ich mich nie schlecht gefühlt hätte, hätte ich mich nie geändert. 

  • Am anderen Ende des Spektrums steht eine beobachtete »Outrage Culture«. Nimmst du das wahr?

  • Dass sich Leute, die eigentlich auf der gleichen Seite stehen, gegenseitig sehr hart angehen, sehe ich. Ich persönlich habe das selten erfahren. Vereinzelt wurden mir Zeilen von vor zehn Jahren vorgeworfen. Da muss man Leuten auch den Raum zur Weiterentwicklung geben. Ich entschuldige mich immer noch und immer wieder für meinen verletzenden Sprachgebrauch in früheren Jahren. Diese Zeiten sind für alle super anstrengend. Die Gemüter sind sehr erhitzt. Ich denke, wir müssen nachsichtiger miteinander sein. Gleichzeitig müssen wir uns auch gegenseitig kritisieren. Es ist gut, dass wir fortschrittliche Unterhaltungen führen. 

  • Jetzt haben wir viel über sehr ärgerliche Themen gesprochen. Zum Abschluss die Frage: Wann hat dich Deutschrap zum letzten Mal richtig positiv überrascht?

  • Deutscher Rap überrascht mich täglich positiv. Wenn Rapper auf Querdenker-Demos rumlaufen, kommt enorm viel Gegenwind. Das freut mich. Mich hat positiv überrascht, wie viele Leute sich zur Causa Jamule geäußert haben. Tracks wie »Newcomer Forever« von Gianni Suave und Jakepot überraschen mich positiv, weil sie Haltung zeigen. Ohne den Zeigefinger zu heben.