Yael »Ich gebe mir selbst den Raum, nicht alles perfekt zu machen.«
»Psychoactive«, das neue Album der Sängerin YAEL, überzeugt mit modernem Sound und viel, viel Introspektion. Dieselbe beweist sie im Interview mit ALL GOOD-Autor Till Wilhelm.
Das neue Album von YAEL ist ein Moment des Innehaltens. Inmitten all des Trubels bleibt die Sängerin stehen und betrachtet das eigene Leben mit all seinen Auf- und Abs. Klar wird, dass Veränderung vonnöten ist. Aber die Aufgabe von »Psychoactive« ist nicht, Ziele zu definieren und klare Aussagen zu treffen. Sondern: den bewusstseinserweiternden Zustand einzufangen, in dem das Bedürfnis nach Neuerung als Epiphanie wahrgenommen wird. Mit Produzent G17 und Songwriter NA2PY hat YAEL endlich das richtige Team gefunden, um diese Erkenntnisse in einen kohärenten Sound zu betten, irgendwo zwischen Hyperpop à la Charli XCX und Erykah Badus Soul. Im Interview mit Till Wilhelm spricht die Wahlberlinerin über das Älterwerden, mentale Gesundheit und den Produktionsprozess von »Psychoactive«.
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In deiner Tracklist ist mir Folgendes aufgefallen: »Veränderung passiert früher als man denkt«. Ist dieser Satz das Grundthema von »Psychoactive«?
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Da bist du tatsächlich der erste, dem es auffällt. »Psychoactive« handelt von einem persönlichen Entwicklungsprozess. Die Veränderung, die man selbst gerne anstreben würde – oder sollte.
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Ab dem ersten Track dominiert Aufbruchstimmung. Woher kommt die?
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Ich hatte ein sehr schweres Jahr, besonders emotional. Ich habe sowieso Mental Health Issues, viel Anxiety. Mit Corona ist das nochmal sehr krass rausgekommen. Ich war an einem Punkt, wo ich dachte: Ich schmeiße jetzt die Karriere. In dieser Zeit musste ich vieles überdenken und entscheiden, wo ich hinwill. Sehr viel dessen hat eine Erfahrung mit meinem Produzenten G17 und NA2PY, der mit mir die Songs geschrieben hat, ausgelöst. Darauf möchte ich nicht im Detail eingehen, aber von da an waren wir drei ein Team. NA2PY und ich haben sehr ähnliche Auffassungen von Musik, auch von deutscher Sprache und wie wir sie verwenden wollen.
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»Psychoactive« handelt zentral davon, dass du viel zu lange alle Zweifel verdrängt hast und dir jetzt einige grundsätzliche Fragen stellen musst. Auf »Tango Tanzen« (2019) hieß es noch: »Wer weiß schon, was die Zukunft bringt?« – Wie blickst du heute in die Zukunft?
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Mein Leben ist in ganz konkrete Abschnitte unterteilt. Ich kann immer sehr deutlich ausmachen, wo Veränderung stattgefunden hat. Dieses Album habe ich gemacht, weil ich gemerkt habe: Ich stehe vor einem neuen Lebensabschnitt. »Story Of A Stranger« war sehr geprägt davon, dass ich neu in Berlin war, Spaß hatte und gefeiert habe. Ich habe mich hinterfragt, aber nie so ehrlich wie jetzt.
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Was magst du am Älterwerden?
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Je älter man wird, desto sicherer ist man. Das mag ich sehr gerne, das genieße ich. Als Teenager ist man von lauter Unsicherheiten geplagt. Alles ist awkward und ganz schlimm und dramatisch. Das Leben scheint vorbei zu sein, wenn man einmal Hausarrest hat. Mit dem Alter kommt die Ruhe, in sich selbst gefestigter. Man lässt die Dinge auf sich zukommen.
- »Es gibt Sachen, die kann man nicht schleifen lassen, weil sie dich irgendwann einholen.«Auf Twitter teilen
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Du merkst auf »Psychoactive« aber auch, dass du Verantwortung für dein Leben übernehmen musst. Gab es Dinge, die du vernachlässigt hast in der Vergangenheit?
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In erster Linie meine mentale Gesundheit. Es gibt Sachen, die kann man nicht schleifen lassen, weil sie dich irgendwann einholen. Damit muss man sich auseinandersetzen. Ich habe das immer noch nicht alles erkannt und verstanden, erstmal war es ein Check-In: Was müsste ich denn überhaupt machen, wo stehe ich und was erwarte ich von mir selbst?
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Dazu gehört auch, sich selbst verzeihen zu können.
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Mir ist aufgefallen: Wenn man von Unsicherheiten geplagt ist, wird man zu einem unangenehmen Menschen. Man wird egoistisch sein, anderen nicht zuhören, sich von jeder Kleinigkeit angegriffen fühlen. Daran kann man arbeiten, wenn man die Perspektive ändert.
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Achtsamkeit ist so ein verbranntes Wort – Aber dein Album macht den Eindruck, als wäre es dir besonders wichtig, bewusster zu leben.
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Ja. Und auch, Dinge nur für sich selbst zu machen. Ich hatte das immer mit Sport: Ich wollte auf meinen Körper achten und gesund leben. Wenn ich Downer habe und dann zwei Wochen lang regelmäßig Sport mache, wird es besser. Dann mache ich drei Wochen kein Sport und bin wieder depressiv. Meinen Freund:innen sage ich aber: »Ja ja, läuft voll gut.« Das sind kleine Lügen, die man sich selbst erzählt – die eigentlich nur einen selbst betreffen. Man gibt sich selbst ein schlechtes Gefühl.
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Du thematisierst den Aufbruch mehr als deine Ziele. Es gab schon Momente auf dem Album, an denen ich dachte: »Ja, sie ist auf dem Weg. Aber wohin eigentlich?« Ist auf diesem Album der Moment des Stillstands und der Reflexion vielleicht einfach wichtiger als das Abstecken von Zielen?
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»Psychoactive« ist eine Momentaufnahme. Ich gebe mir selbst den Raum, nicht alles perfekt zu machen. Ich möchte Veränderung, aber es wird nicht in einem Tag passieren. Etwas belehrend klingt das stellenweise schon, aber ich spreche auf diesem Album nur zu mir. Es ist ein Reminder an mich selbst. Ein Punkt, an den ich die nächsten Jahre immer zurückkehren kann, um zu fragen: »Und, was hast du bisher gemacht?«. Diese Ehrlichkeit ist schwer zu finden. All diese Themen sind sehr persönlich und stehen manchmal im Konflikt zu einer selbst angestrebten Außenwahrnehmung. Für »Psychoactive« habe ich all das abgelegt und mich nur auf mich selbst konzentriert.
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In »Auge um Auge« zeigst du dich selbstbewusst, singst, die Welt läge dir zu Füßen. Gleichzeitig lässt du Momente der Schwäche immer wieder zu – Momente, in denen du dich verloren fühlst, ganz klein im Universum. Wie passt das zusammen?
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Das sind meine Moods. Meine Gefühle sind sehr extrem, entweder down oder up, up, up, up. Die Zeile in »Auge um Auge« muss man allerdings im Kontext sehen: Ich spreche mir selbst gut zu. Der Song ermutigt mich, mir zu verzeihen. Eigentlich kann ich machen, was ich will – Ich versuche, mich aufzubauen.
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Diese inhaltlichen Gegensätze sind mir insbesondere aufgefallen, weil das Album im Sound sehr kohärent ist – dadurch aber auch weniger abwechslungsreich wird.
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Mir wollten mit der Platte in einem bestimmten musikalischen Vibe bleiben. Wir wollten Songs, die eher heavy sind, in positiv klingende Sounds verpacken.
- »Bezüglich meiner Kunst hatte ich schon immer ein großes Selbstbewusstsein.«Auf Twitter teilen
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Auf »Sensitive« geht es um deine Sensibilität. Wie drückt die sich in deinem Dasein als Künstlerin aus?
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Da musst du meinen Manager fragen, der kriegt davon am meisten mit. Ich kann Kritik beispielsweise gut annehmen, aber sie ist mir relativ egal. Bezüglich meiner Kunst hatte ich schon immer ein großes Selbstbewusstsein. Either you fuck with it or not! Sensibel bin ich, wenn ich merke, ich werde disrespected. Sensibilität wird häufig mit Trauer und Angst verbunden – Bei mir ist es zu 90% der Zeit Wut. Ich muss noch herausfinden, wieso.
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Du schraubst dein Ego auf »Psychoactive« recht stark zurück. Im Gegensatz scheint gerade das Kollektive dich zu Höchstleistungen anzutreiben.
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Safe. Jemanden in meiner Musik mitschreiben zu lassen, war für mich immer unvorstellbar. Das war immer hundertprozentig meins, ich musste das machen. Als ich NA2PY und G17 kennengelernt habe, musste ich lernen, Teamwork zuzulassen. Aber ich habe mich noch nie mit jemandem musikalisch so auf Anhieb verstanden. Die beiden respektiere ich sehr und sie respektieren und verstehen mich. Wir sind extrem eng zusammengewachsen. Die Zusammenarbeit macht so viel Spaß, wenn du sofort verstehst, was der Andere sagen will. Das ist kein klassisches Songwriting, wir helfen uns gegenseitig.
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Der Sound eures Albums ist sehr kohärent und unique. Wie habt ihr den erarbeitet?
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Zu einem Teil ist es sicherlich der Signature-Sound von G17. Danach habe ich seit Jahren gesucht. Dieses Gefühl konnte mir noch kein Produzent geben! Er musste sich natürlich trotzdem stark an mich anpassen, wir haben einen krassen Mittelweg gefunden. Ich werde mit G17 auch das nächste Album machen, hoffentlich auch das übernächste.
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Was war denn deine Vision?
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Man könnte schon Hyperpop sagen. Meine Idee war psychedelischer Neo-RnB mit Trap-Einflüssen. Ich liebe Popmusik, bestimmte Popmusik. In Deutschland ist das ein schwieriges Thema, sehr einfallslos. Da würde ich gerne etwas reinsliden und meinen Senf dazugeben.
- »Wenn wir Musik machen, haben wir keinen Bock auf Minimalismus.«Auf Twitter teilen
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Ich musste auch sofort an Hyperpop denken, aber organischer. Irgendwo zwischen Charli XCX und Hiatus Kaiyote.
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Ich glaube, das hat viel mit meinem Aufwachsen zu tun. Ich habe krasse Favorites in der New School, aber meine Lieblingskünstler:innen werden für immer Erykah Badu und D’Angelo sein. Es geht um Instrumente und geilen Vibe. Das haben wir schon als Referenz verwendet, weil G17 wirklich alle Instrumente spielt. Bass, Schlagzeug, Gitarre und Klavier. Früher hatte ich auch eine Band. Wenn wir Musik machen, haben wir keinen Bock auf Minimalismus.
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Das hatte mich überrascht: Dass die Beats so voll sind.
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Wir lieben die Kunst der hundert Samples in einem Track. Entweder lieben das die Leute oder sie sind komplett überfordert. Ich wollte das Album schon trippy gestalten. Eine psychedelische Erfahrung ist nicht immer angenehm, sondern kann sehr schnell sehr intensiv und überfordernd werden. Da gehen viele Dinge auf einmal ab. Ich habe das Gefühl, nach Jahren der Suche endlich meinen Sound gefunden zu haben.
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Ich finde es auch spannend, wie du deine Stimme einsetzt. Viel weniger klar, viel verträumter, teils gehaucht.
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Ich wollte die Art, wie wir Autotune benutzen, verändern. Die schnelle Reaktion des Plugins im Gesang nervt mich. G17 ist auch noch einer der krassesten Sänger, die ich kenne. Der hat mir sieben Monate lang Gesangsunterricht gegeben, die gesamte Produktionsphase. Meine Stimmlage und Range hat sich krass verbessert. Die Songs sind so geschrieben, dass ich sie live ohne Autotune spielen kann. Wir haben genau die Stimmlage gefunden, die bei mir organisch funktioniert.
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Bedeutet das auch, die Stimme mehr als Instrument einzusetzen?
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Die kommt zwischen den hundert Samples noch in den Mix. Da geht es um die Melodie, mir sind die Lyrics trotzdem wichtig. Noch nie war ich so zufrieden mit den Texten. Ich war in dieser Welt, die ich nicht verlassen wollte. Meine Lieblingskünstler:innen haben alle einen ganz eigenen Wortschatz. Darin bin ich noch klarer geworden, die Leute sollen sich daran gewöhnen. Deswegen gibt es Worte, die auf »Psychoactive« immer wieder auftreten.
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Eine letzte Frage bezüglich »Time Of Your Life«: Wann warst du zum letzten Mal stärker, als du glaubtest?
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Vor ein paar Monaten hatte ich eine Trennung, die sehr schlimm für mich war. Ein Teil dieser Erfahrung hat es sicher aufs Album geschafft. Emotional war das sehr schwierig, aber am Ende dachte ich: Boah, dass ich das geschafft habe, ohne in alte selbstzerstörerische Muster zu fallen – das war krass. Ich war richtig stolz auf mich.