Kaleo Sansaa »Ich bin wütend! Was jetzt?«
Das Debütalbum der Musikerin Kaleo Sansaa heißt »Solarbased Kwing«. Sie rappt und singt darauf, ihr Sound ist getränkt in Sambischer Sonne und weiblicher Wut. Till Wilhelm hat mit der Künstlerin über ihre Kindheit in Sambia, Spiritualität und kulturelle Aneignung gesprochen.
Die Musik von Kaleo Sansaa dreht sich um die Suche nach der eigenen Identität und dem Streben nach Selbsterfüllung. Der Lösungsweg dieser Aufgabe ist eng verwoben mit der Grundphilosophie der Sängerin: Anstatt sich an Einflüssen von außen zu ergötzen, sucht sie in sich selbst nach dem Licht in der Dunkelheit. Sie zieht Hülle um Hülle von sich ab, um zu verstehen, wer sie ist und was sie möchte. Die Anstrengungen werden belohnt: Sie wird für den Pop NRW-Preis als beste Newcomerin nominiert, geht auf Tour mit dem US-Duo Oshun und gewinnt den Berlin Short Film Festival Award für das beste Musikvideo. Ihr neues Album »Solarbased Kwing« führt diese Suche fort, und beschreitet dabei neue Wege.
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Wie bist du als Kind mit Musik in Berührung gekommen?
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Ich bin mit meinen Großeltern in Sambia aufgewachsen. Wegen meiner Oma bin ich zu Musik gekommen. Ich bin christlich aufgewachsen, jeden Sonntag waren wir in der Kirche. Meine Oma war da sehr aktiv und hat im Chor gesungen. In einem Frauenverein haben sie die Auftritte vorbereitet. Das war als Kind mein Radio. Wenn ich ein Lied in der Kirche gehört habe, habe ich mich unfassbar cool gefühlt, meine Oma war für mich ein Star. Ich dachte, ich säße an der Quelle für die neuesten Hits. Die Lieder habe ich mir dann zuhause nochmal vorsingen lassen, meine Oma war meine Jukebox.
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Du hast eine Weile lang in Bands gespielt. Welche Musik hast du da gemacht?
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Ich fing in einer Schulband an, da haben wir meistens Cover gespielt. Ich habe vor allem Soul-Songs gesungen. Alle haben gesagt, ich hätte eine soulige Stimme, ich habe das dann einfach so akzeptiert. Ich habe gesungen, was mir vorgegeben wurde – hatte aber sehr viel Spaß. Mit Sebastian Lehmann habe ich eine TripHop-Band gegründet, in einer weiteren Formation habe ich Jazz- und Soul-Stücke gesungen. Aber nichts davon war so wirklich meins, deswegen habe ich angefangen, selbst zu produzieren.
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Mit Loop-Station und Kalimba. Wieso gerade dieses Instrument?
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Das war relativ zufällig. Ich war in Sambia und habe auf einem Markt eine Kalimba gekauft. Die Klänge fand ich so schön! Im Süden des Landes spielt das Instrument eine große Rolle in traditionellen Zeremonien. Ich kannte das aus anderen Kontexten, in meiner Kindheit war das überall präsent. Der Reiz war: Ich kann sofort loslegen, das ist super einfach. Ich wollte die Know-how-Barriere umgehen, einfach produzieren. Ich habe mich 2018 mit Loy Beats von Loyal Records zusammen getan und produziere seitdem fast alle meine Tracks mit ihm.
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Du nennst dein Genre »Sun-Drunk Sound«. Das Wort klingt eher nach Good Vibes, deine Musik aber nicht. Wie würdest du diesen Stil beschreiben?
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Das Gefühl, das ich transportieren möchte, ist der Sog. Kennst du das, wenn du ein Objekt starrst und nicht aufhören kannst? Das ist eine Art Trance, aus der man irgendwann aufwacht. Dieses Gefühl ist fast übernatürlich. Dein Kopf ist kurz ausgeschaltet und du bist plötzlich ganz woanders. Dieses Gefühl hat man auch, wenn man meditiert. Oder wenn man in einem künstlerischen Flow ist. Das kann auch einen Ticken unangenehm sein, aber man kann nicht aufhören, sich etwas Unbekanntem hinzugeben. Die Musik ist düster. Es geht aber darum, diese Dunkelheit aus sich selbst heraus zu überwinden. Ich will das Licht sein, ich will im Regen tanzen.
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»Black Light« heißt der Opener auf deinem Album. Dort finden sich Referenzen an Sun Ra. Was fasziniert dich an ihm?
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Circa ein Jahr nachdem ich meinen Namen und mein Genre erdacht hatte, kam ich mit Sun Ra in Berührung. In der Uni, in einem Jazz-Seminar. Ich war total fasziniert. Er hat alles in seinem Namen und in seiner Mission, was ich auch habe. Ich habe mich total klein gefühlt. Ich dachte, mit meinen Grundgedanken wäre ich voll radikal. Auf einmal habe ich gemerkt: Das gab’s schon. Natürlich in einer ganz anderen Form, aber doch mit einigen Gemeinsamkeiten.
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Wurde Sun Ra dann auch zu einem musikalischen Vorbild?
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Es war bestärkend in dem, was ich mache. Zuvor habe ich mich sehr individuell gefühlt, aber auch irgendwie alleine. Ich habe noch meinen Platz und meinen Weg gesucht. Ich hatte Angst, dass meine Kunst auf Ablehnung stoßen würde. Durch Sun Ra habe ich gelernt, dass mein Weg der Richtige ist. Wenn er seinen unkonventionellen Style in den 60ern durchziehen konnte, dann kann ich das auch heute.
- »Sexistische Gewalt passiert auf allen Ebenen, aber wir sollen nett und lieb sein.«Auf Twitter teilen
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Auf eine Art das komplette Gegenstück: Britney Spears. Der Song »Big Boy« ist eine Referenz an »I’m Not A Girl, Not Yet A Woman«. Was verbindest du mit diesem Lied?
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»Big Boy« verhandelt das Recht und Bedürfnis weiblich gelesener Personen, sich wehrhaft und wütend zu zeigen. Sexistische Gewalt passiert auf allen Ebenen, aber wir sollen nett und lieb sein. Im Song geht es um mein 8-jähriges Ich, da war ich das genaue Gegenteil zu diesen Ansprüchen. Ich habe mich immer mit den Leuten angelegt, die mir Unrecht getan haben. Zu dieser Zeit war Britney Spears ein weltweites hyperfeminines Pop-Idol. Als weirdes Tomboy-Mädchen habe ich trotzdem völlig in ihrer Welt gelebt. Deswegen wollte ich eine eigene Version dieses Liedes machen. Früher hat man mir aufgrund meines Verhaltens die Weiblichkeit abgesprochen. Heute sage ich: »I don’t care, I am a fucking Big Boy«. Das ist auch ein Coping-Mechanismus.
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Diese Selbstbezeichnung ist auch etwas Jugendliches. Auf dem Song erwähnst du auch Peter Pan. Fühlst du dich heute erwachsen?
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(überlegt lange) Ich würde sagen, ich bin wahnsinnig stolz auf mich. Ich fühle mich oft überfordert und bin dann überrascht, wie gut ich diese Situationen handhabe. Ich fühle mich verantwortungsbewusst. Erwachsen… ein bisschen erwachsen.
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Bei »Big Boy« zeigt sich, wie extrem Schwarze Frauen von Tone-Policing betroffen sind, oder? Auch in nicht-weißen Gesellschaften. In Deutschland kommt dann die doppelte Diskriminierung.
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Voll. Auch das Stereotyp der Angry Black Woman spielt hier hinein. Ich glaube, viele Schwarze Frauen eignen sich in Deutschland als Konsequenz eine hyper-höfliche Form der Kommunikation an. Sodass man bloß nicht ahnen darf, dass wir wütend sind. Weil uns jegliche Legitimation abgesprochen wird. Aber mit »Big Boy« sage ich: Ich bin wütend! Was jetzt?
- »Aus einer lustigen Idee wurde Systemkritik.«Auf Twitter teilen
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Dazu passt vielleicht auch »Pay Mi In Cash«. Hier geht es um Wertschätzung und faire Bezahlung. Wie ist der Song entstanden?
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Als Trap in Deutschland vor einigen Jahren populär wurde, hat mich der Stil total fasziniert. Die Lyrics waren aber teilweise sehr generisch. Ich wollte seitdem auch einen Trap-Song machen, dachte aber, das wird eine Parodie. Als ich den Song geschrieben habe, hatte ich einige schlechte Erlebnisse mit der Bezahlung von Liveshows. Der Titel war dann sofort in meinem Kopf. Ich dachte aber noch, das wird eine Verarsche. Mit jeder Zeile wurde der Text ernsthafter, ich habe viel Druck abgelassen. Dann kamen Themen wie die Frage nach Reparationen der Kolonialverbrechen hinzu. Außerdem: Nicht nur ich persönlich werde schlechter bezahlt, sondern Schwarze Frauen insgesamt. Schwarze Körper werden ausgebeutet, in der Repräsentation aber ausradiert. Das hat Tradition. Aus einer lustigen Idee wurde Systemkritik.
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In »Mother Of The Sun« sagst du: »I’m that witch practising black girl magic«. Welche Rolle spielt Spiritualität in deinem Leben?
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Spiritualität ist mir sehr wichtig, ich versuche aber gleichzeitig, dieses Thema mit einem Augenzwinkern zu betrachten. Es gibt Dinge, die als Teil dieser Sphäre präsentiert werden, die einfach nur weird und entfremdet sind. In der Welt der Spiritualität nimmt Ego häufig viel Raum ein. Ich wollte mich zeigen, wie ich wirklich bin, mich aber gleichzeitig von all dem Quatsch abgrenzen. Ich merke auch an mir selbst, dass dieser Höhenflug der Seele manchmal in ein übersteigertes Selbstbewusstsein führt. Wir alle springen manchmal Trampolin auf der Grenze zwischen Wokeness und Arroganz.
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Steht Spiritualität in einem Zusammenhang zu deinem Selbstverständnis als Schwarze Frau?
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In meiner musikalischen Reise geht es auch darum, Traditionen zu erkunden. Wenn Schwarze Menschen die ersten Menschen waren, dann war die Schwarze Frau die erste Mutter. Daraus hat sich ergeben: Wir haben diese Welt bevölkert, wir haben so große Werke geleistet. Diese Erkenntnis hat meine Wahrnehmung für mich als Schwarze Frau auf ein anderes Level gebracht, mit dem auch Verantwortung einhergeht. Die Verbundenheit mit den Ursprüngen und der Natur geht Hand in Hand mit meinem Selbstverständnis. Es ist wichtig, zu verstehen: Wer waren meine Vorfahren? Welche Mütter haben diese Welt erbaut? Und: Wo positioniere ich mich in diesem Zusammenhang? Wie passe ich phänotypisch und geistig in diese Welt? Welche Traumata und Geschenke erhalte ich durch diese Traditionen? All das verhandle ich mit mir selbst und in meiner Musik.
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Auch unter jungen weißen Menschen gibt es einen immer größeren Trend zur Spiritualität. Dazu gehören beispielsweise Forderungen nach Naturverbundenheit und eine Romantisierung vermeintlich »einfacher« Lebensstile. Findest du das problematisch?
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Ich glaube, alles, was diese Welt in Richtung Achtsamkeit und Konsumkritik bewegt, ist erstmal positiv. Auch wenn das erstmal performativ ist, haben diese Bewegungen einen heilenden Einfluss auf unsere Welt. Die Grenze ziehe ich da, wo diese Trends zur Verdrängung von Menschen führen. Und wo diese Trends Dinge kommerzialisieren, die schon vorher da waren. Der Minimalismus, den du angesprochen hast, hinterlässt einen bitteren Beigeschmack, weil er mit vielen Privilegien verbunden ist.
- »Menschen sehen das Endergebnis meine Identität, aber nicht die Arbeit dahinter.«Auf Twitter teilen
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Dass kulturelle Aneignung häufig aus einem gefühlten Defizit der eigenen Identität heraus passiert, behandelst du auch auf dem Song »Eat«.
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Auf dem Song sage ich: »generate energy daily, feeding my belly […] and they envy«. Menschen sehen das Endergebnis meine Identität, aber nicht die Arbeit dahinter. Wenn jede:r diese Arbeit machen würden, müssten sie sich nicht an fremden Identitäten bedienen. Weiße Menschen können uns alles nehmen, aber sie werden nie Schwarz sein. Und uns auch niemals auslöschen können. Meine kreativen Ressourcen sind endlos, nehmt ruhig. Aber ihr werdet irgendwann merken, dass dieser Weg falsch ist. Wir sitzen an der Quelle für Innovation. Da könnten weiße Menschen auch hinkommen, nehmen aber lieber den Umweg durch uns. Wir werden immer einen Schritt weiter sein.
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Weiße Menschen müssten also von Schwarzen Menschen lernen, ohne sie auszubeuten?
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Wenn sie das Richtige appropriaten würden, wäre die Welt eine bessere. Wenn weiße Menschen sich die Ubuntu-Philosophie aus dem südlichen Afrika aneignen würden, würden sie auf ihre Umwelt, auf sich selbst und ihre Beziehung zum Kosmos achten. Da geht es um Menschlichkeit und Respekt. Alles wäre friedlicher und gesünder. Stattdessen nehmen sie uns den sinnlosesten Scheiß.
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In Deutschland gab es die Diskussion um Afrotrap: Schwarze Künstler:innen haben kritisiert, dass ihre Musik in den Charts sind, sie aber nicht.
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Das ist genau die Grenze. Wenn euch Afrotrap gefällt: Konsumiert ruhig! Aber wenn die Aneignung dazu führt, dass die Schwarze Tradition des Genres ausradiert wird, haben wir ein Problem. HipHop kann man teilweise echt gut kulturell übersetzen, gerade, wenn wir über Klassismus sprechen: Ghettos weltweit besitzen ähnliche Strukturen. Aber Afrobeat wird in Deutschland komplett aus seinem Kontext gelöst.
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Du bist in Sambia aufgewachsen, hast in Köln gewohnt, jetzt in Berlin. Denkst du, dein Sound passt zu dem Ort, an dem du lebst?
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Ich glaube, die Musik passt zu dem, wo ich hier bin (deutet auf Herz) und wo ich hier bin (deutet auf Kopf). In der Musik geht es darum, zu verhandeln: Was liegt vor mir und was möchte ich? Dadurch erschaffe ich eine parallele Welt, die ich mit Inhalten fülle. Die meisten Dinge, die ich kreiere, gehen auf meine Kindheit zurück. Ich versetze mich an einen Ort meiner Kindheit. Als ich so lange in der Sonne gespielt habe, bis mir schwindlig wurde.