IshDarr »Ich bin noch dabei, meine Geschichte zu erzählen.«
Mit seinem Mixtape »Old Soul, Young Spirit« hat sich der Newcomer IshDarr aus Milwaukee einen Namen in den internationalen HipHop-Blogs gemacht. Auf seiner ersten Deutschland-Tour sprach Naima Limdighri mit dem 19-jährigen Rapper.
Bild: Jaeger
Ishmael Ali, auch bekannt als IshDarr, ist 19 Jahre alt, kommt aus Milwaukee und hat folgende Bilanz: zwei veröffentlichte Tapes (»The Better Life« und »Old Soul, Young Spirit«), ein paar South-by-Southwest-Shows und einen Song (»Too Bad«), der bereits 750.000+ Klicks bei SoundCloud zählt. Etliche Blogs verpassten dem Newcomer das Gütesiegel »wertvoll« und seine erste Europa-Tour hat er soeben beendet. Mittlerweile hat auch das deutsche Publikum Wind von seinen Skills bekommen, sodass er kurzerhand zwei Shows in Hamburg und Berlin spielte. Naima Limdighri hat ihn in Hamburg vor seiner Show zum Interview getroffen und über Milwaukees fehlende HipHop-Identität, Kendricks Ausnahmestellung als Genie sowie das mangelnde Interesse an einem Plattenvertrag gesprochen.
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Deine erste EP hieß »The Better Life«. Was wäre in deinen Augen das »bessere Leben« für dich und deine Community?
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Ehrlich gesagt, das Leben, das ich gerade lebe. Einfach nur mit Freunden und Familie Zeit verbringen. Auf der EP habe ich viel über zuhause gesprochen, weil genau das das bessere Leben für mich ist: mit meiner Familie zu sein.
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Vorgespult zum Mixtape »Old Soul, Young Spirit«. Wie hältst du die Balance dazwischen, jung und offen zu bleiben und nicht zu vergessen, deine Musik ernst zu nehmen und mit einer Aussage zu bepacken?
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Ich finde diese Balance, indem ich einfach ich selbst bin. Ich sehe das so: Ich bin übertrieben jung und habe gerne Spaß. Meine Eltern kümmern sich darum, dass ich die Dinge manchmal ernster nehme. Mein Vater ermahnt uns stets, seriös zu bleiben – sogar jetzt auf Tour (Anm. d. Verf.: IshDarrs Vater ist Tourmanager der europäischen Tour). Jeden Morgen dasselbe Spiel: »Los Leute, aufstehen, wir müssen los!« Dass meine Eltern stets recht streng waren, hat mir dabei sehr geholfen.
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Kommst du denn aus einem prinzipiell eher strengen Haushalt?
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Naja, meine Mutter ist Muslima, also gab es schon mal keinen Alkohol zuhause. Als mein großer Bruder 18 wurde und anfing mehr rauszugehen, weil meine Mutter ihm mehr vertraute, fing sie an, auch mir mehr zu vertrauen. Als ich 17 war, hat sie mich im Endeffekt machen lassen, was ich wollte. Sie musste sich aber nicht wirklich um mich sorgen, ich hatte in der High-School immer mit die besten Noten.
- »Je älter ich wurde, desto mehr merkte ich: Okay, das ist einfach – ich kann das alles machen, wenn ich möchte, aber ich will das gerade nicht.«Auf Twitter teilen
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Fiel dir Schule leicht?
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Ja, es fiel mir extrem leicht – tut es tatsächlich noch immer. Aber je älter ich wurde, desto mehr merkte ich: Okay, das ist einfach – ich kann das alles machen, wenn ich möchte, aber ich will das gerade nicht. Ich habe immer noch gute Noten, bin Einser-Schüler – man muss die Eltern ja glücklich halten. Ich habe das eigentlich sowieso nur gemacht, damit mir meine Eltern nicht in den Ohren liegen. Aber Schule hat mich in dem Sinne nie wirklich interessiert – ich schlafe immer noch in so gut wie jeder Stunde ein, bin aber stets auf der Liste der besten Schüler.
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Machen sich deine Eltern Sorgen um dich oder unterstützen sie deine Entscheidung zur Musik?
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Meine Mom unterstützt mich total, für meinen Dad gilt dasselbe auch seit Tag eins. Ich habe meinen Vater stets dabei, er managt diese erste offizielle Tour. Beide standen mir von Beginn an zur Seite und meinten offen und ehrlich: »Wenn du das schon machst: Hab eine Aussage, bleib positiv, wir unterstützen dich, pass auf dich auf.«
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»Old Soul, Young Spirit« – laut eigener Aussage hast du dich auf diesem Mixtape musikalisch sehr frei bewegt. War es für dich ein Lernprozess loszulassen und deiner kreativen Intuition zu vertrauen? Und daran anknüpfend: Wie wichtig ist das, in Anbetracht dessen, dass Milwaukee keine wirklich feste HipHop-Identität hat?
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Klar hat das was miteinander zu tun! Um ehrlich zu sein, war es verdammt komisch, HipHop nach Milwaukee zu bringen. Es gab zwar zu dem Zeitpunkt, an dem ich angefangen habe, viele Künstler, die gerappt haben, in der Stadt bekannt waren und ihr Ding gemacht haben, aber die meisten von denen haben nicht wirklich HipHop gemacht. Wir wollten echten HipHop in Milwaukee machen und haben herumexperimentiert, um ihnen den echten Shit wieder zu bringen. Ich bin der jüngste von allen in der Szene dort, darum hat das auf jeden Fall Bock gemacht.
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Also war’s nicht nur Hingabe, sondern auch ein Funken Glück bei dir?
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Das würde ich so nicht sagen, eher unnachgiebiger Tatendrang. So, wie wir alles gemacht haben, war das alles gar nicht so schwer, das haben wir auch oft genug versucht, den anderen Künstlern in Milwaukee klarzumachen. Mein Techniker und Manager Mag und ich haben alle Tracks und Videos geplant – er ist meine rechte Hand. Wir haben uns hingesetzt und alles professionell aufgezogen: Wir nehmen bis hierhin auf, dann wählen wir aus was wir nehmen, schicken es raus, schauen wie es läuft – und wir hatten nur gute Treffer. Es ist wichtig, einen Plan zu haben und nicht nur zu rappen und ein paar Songs zu veröffentlichen wie der Rest. Uns war völlig klar, dass wir dieses »Old Soul, Young Spirit« pushen müssen – das ist eigentlich alles, worum es geht: Wie gut kannst du dein Projekt in Bewegung setzen? Und das ist auch genau der Punkt, mit dem die anderen Künstler in Milwaukee gefühlt Probleme haben.
- »Der erste aus Milwaukee zu sein, der ein bisschen Wirbel macht, ist ein großer Spaß.«Auf Twitter teilen
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Hat das was mit der fehlenden Infrastruktur für Künstler zu tun? Chicago ist ja so nah – da geht viel und ihr seid vielleicht ein bisschen das Schlusslicht?
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Wir sind total auf der Strecke geblieben. Und wir sind auf dem Film, auf dem wir sagen: »Yo, wir sind hier!« und ich ziehe zur Zeit die ganze fucking Stadt hinter mir her, so nach dem Motto »Leute, los, bewegt euch!« – das weckt derzeit alle ein wenig auf. Wir rennen zur Zeit einfach nur los – und dabei der erste aus Milwaukee zu sein, der ein bisschen Wirbel macht, ist ein großer Spaß.
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Du nennst Kendrick Lamar und TDE recht oft als Inspiration dafür, repräsentativ für deine Stadt zu sein. Wie hast du Kendricks letztes, sehr jazz- und funklastiges Album »To Pimp A Butterfly« wahrgenommen und wie viel Einfluss hat Jazz auf dich und deine Musik?
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Uh, ich mag deine Fragen. Ich habe Zeit gebraucht, um in »To Pimp A Butterfly« so richtig reinzukommen. Es ist ein übertrieben schwarzes Album, super-duper schwarz. Meine Eltern hören diese Art von Musik, dementsprechend war das für unsere jungen Köpfe echt eine Herausforderung. Es immer wieder zu hören und zu reflektieren, worüber er da eigentlich redet, hat dann den Klick im Kopf gebracht und dann dachte ich nur: damn, der Mann ist ein Genie. Das ganze Album ist perfekt. Kendrick wusste was er tut – vom Intro bis zum Outro – und das ist einfach verdammt krank und etwas, das ich selbst noch versuche zu begreifen: Strukturen und dergleichen.
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Wurde bei dir zuhause viel Jazz gehört?
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Es gab total viel Jazz, vor allem von meinem Dad. Wir sind oft nach Chicago, da gibt’s zig Jazzclubs und Veranstaltungen. In Milwaukee gibt es was namens »Jazz in the Park« – darauf schwört er. Dementsprechend hatte Jazz einen riesigen Einfluss auf mich. Falls du »They Lost Me« von mir gehört hast: Das Saxofon darin – übrigens ein Vorschlag des Produzenten Canis Major – als ich das gehört habe, war ich hin und weg. Dieser jazzige Sound, das berührt meine Seele einfach.
- »Gedichte sind tot, lasst mich in Frieden mit dem Zeug.«Auf Twitter teilen
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Viele Leute feiern dein Wortspiel, deinen Flow und deine Metaphern. Hast du dich mal für Lyrik interessiert oder kam das eher durch das Freestylen?
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Auf jeden Fall Freestyle vor Lyrik, Gedichte haben mich nie geflasht. Es hat mir auch gar nicht gefallen, als ich angefangen habe zu rappen, dass Leute mich ständig volllaberten, ich sei ein Poet – nein, verdammt, ich bin ein HipHop-Künstler. Gedichte sind tot, lasst mich in Frieden mit dem Zeug. Wahrscheinlich hat Rap immer etwas Lyrisches an sich, aber für mich war Freestylen zu Beats auf jeden Fall einflussreicher in Bezug auf meine Skills.
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Du hast mal gesagt, dein Lebensziel sei es, einen Grammy zu gewinnen. Nach der Macklemore-Kontroverse 2014 hat Snoop Dogg auf Instagram gepostet, dass Macklemore mehr Grammys als viele HipHop-Größen zusammen hat und HipHop seine eigenen Grammys bräuchte. Wie glaubwürdig sind solche Awards noch und sollten – speziell schwarze – HipHop-Künstler, überhaupt derartigen Trophäen entgegenfiebern?
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Ich denke nicht, dass schwarze HipHop-Künstler wirklich danach streben sollten, aber eben auch nicht, dass sie nicht danach streben sollten. Es gibt Gerüchte, dass die Awards manipuliert sind, aber man muss sich auf jeden Fall den Arsch aufreißen, um einen zu bekommen und ich verneige mich vor jedem, der einen bekommen hat – vielleicht kriegen wir eines Tages einen, aber es ist kein Muss. Es macht meine Arbeit nicht gültiger als sie es ist. Ich sehe es mehr als eine Art Backup. Ich will in meinem Leben sagen können: »Ich hab mal einen Grammy bekommen.« Jeder Musiker wird das sagen, egal was sonst so geht.
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Du hast extrem viel mit dem sehr jungen Produzenten Canis Major aus Kanada gearbeitet. Wie kam’s?
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Bevor wir nach Europa für diese Tour kamen, hat er uns tatsächlich für eine Woche nach Kanada geflogen. Dort haben wir uns zum allerersten Mal persönlich getroffen. Davor waren wir gute Freunde via YouTube, Twitter und allen anderen sozialen Medien. Ich habe eher zufällig auf einen seiner Beats gerappt und das Ding hat extrem viel Wind gemacht. Dann haben wir uns zusammengeschlossen und ein Ding nach dem anderen rausgehauen. Es war total krass, ihn und seine Familie zum ersten Mal zu treffen – wir hatten schon so viel zusammen gearbeitet und hin und her gemailt. Mittlerweile ist es so, dass er jeden Beat, den er baut, zuerst mir zuschickt, bevor er irgendwas auf YouTube hochlädt. Wir sind einfach auf derselben Wellenlänge. Ich würde sagen, von all den Produzenten, mit denen ich gearbeitet habe, habe ich mit ihm den unverfälschtesten Vibe. Musikalisch, wie auch persönlich. Als wir »They Lost Me« veröffentlicht haben, verstanden wir uns noch nicht so gut – zu dem Zeitpunkt hat jeder seine Beats benutzt und er war genervt davon, dass ihn niemand dafür bezahlt.
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Hat dein Trip ins Ausland deine Perspektive auf das Rap-Game zuhause verändert?
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Diese Tour hat mir die Augen geöffnet. Ich denke, hier wird Musik mehr geschätzt – zuhause wird viel rumgestanden bei Konzerten und nicht so viel Liebe gezeigt. Jetzt ist das natürlich anders, weil ich die Stadt im Griff habe, aber davor war es schon hart. HipHop ist recht neu für Milwaukee und die Leute wissen nicht so ganz, wie sie damit umgehen sollen. Meine Freunde in der High-School haben keinen HipHop gehört, sondern »Jack Music«. Das gibt’s nur bei uns und das sind im Endeffekt Jungs aus der Hood, die auf extrem schnelle, crunkige, basslastige Beats über Geld, Weed und Bitches rappen. Immer turnt up to the max. Dementsprechend wurden wir angefeindet für unsere Musik – nach dem Motto: »Und wie soll man dazu jetzt bitte feiern?« Die Leute sind keine qualitativ hochwertige Musik gewöhnt. Aber langsam wird es besser und ich bin sehr froh, dass wir diese Hürde überwunden haben.
- »Ich muss meine Stimme nach da draußen kriegen, damit die Leute wissen, wer ich bin, woher ich komme und was ich da eigentlich erzähle.«Auf Twitter teilen
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Siehst du deine Musik als Evolution aus vorherigen schwarzen kulturellen und musikalischen Bewegungen oder möchtest du lieber für dich alleine stehen?
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Nein, natürlich wollen wir irgendwann in die Richtung gehen, wo die Musik auf Kultur zurückgreift, aber zur Zeit ist alles noch sehr persönlich. Als ich angefangen habe, habe ich mir über so etwas null Gedanken gemacht, ich hab einfach nur meine Geschichte rappend erzählt. Nach meinen Hausaufgaben habe ich Texte geschrieben und als ich gemerkt habe, dass Leute das feiern, habe ich mehr geschrieben. Jetzt wo ich merke, dass Leute wirklich auch zuhören, ahne ich, dass ich mehr Kontext geben kann. Ich muss meine Stimme nach da draußen kriegen, damit die Leute wissen, wer ich bin, woher ich komme und was ich da eigentlich erzähle – viele können sich damit identifizieren. Manche können es nicht, aber die, die es können, berührt es wirklich und deswegen möchte ich in Zukunft auch mehr in die Tiefe gehen.
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Ein Plattenvertrag war nie das Ziel?
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Ich rappe, spiele Shows und kriege dafür auch noch Geld. »Show money, that’s yo money!« Ich kann einen Vertrag unterschreiben, wann immer ich will – ich habe jedes Label getroffen, die haben mich nach New York und Kalifornien geflogen. Ganz ehrlich: Die Gratisflüge waren geil, aber wenn du es wirklich für die Liebe zur Musik machst, dann signst du, wenn es soweit ist, anstatt es zu überstürzen. Ich bin noch dabei, meine Geschichte zu erzählen und oft ist es so, dass Künstler nach ihrem Signing zu Plänen der Musikindustrie werden, anstatt ihre eigenen zu verfolgen. Wir bleiben erstmal Indie und das gefällt uns so auch sehr gut. Natürlich steht ein Signing zur Debatte, aber es ist einfach nichts, bei dem wir uns abhetzen wollen. Meine Crew und ich bleiben für’s Erste so wie sie sind.
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Du fliegst morgen zurück in die USA: Was nimmst du mit nach Hause und was bringst du beim nächsten Europa-Trip wieder mit?
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Erstens bring ich neue Musik mit. Es ist ganz schön ermüdend, ständig nur ein Mixtape zu performen. Holland hat mich definitiv geflasht, ich habe Bock da mal hinzuziehen. Die Mädels sind wunderschön und das Gras taugt mir natürlich auch. Mit nach Hause nehme ich einen Haufen Erfahrung. Ich meine: Wie zur Hölle kennen mich hier überhaupt Leute? Uns war das egal, ob bei einer Show nur 20 oder 30 Leute auftauchten. Wir haben null erwartet und ich bin einfach übertrieben glücklich, überhaupt hier gewesen zu sein.