Ramzey »Ich bin nicht der Einzige, der die Escobar-Stories satt hat.«

Nicht nur die Eintracht ist im Höhenflug, auch die Frankfurter Rap-Szene möchte wieder Champions League spielen. Newcomer Ramzey präsentiert sich auf seiner Debüt-EP »God Bless Zucki« als Spielmacher, im Interview mit ALL GOOD aber vor allem als reflektierter Sprücheklopfer mit Ambitionen.

220225_RAMZEY_8786 -c- Marlin Prauss

Ramzey ist ein Frankfurter Bub. Wer bereits einen Song des Newcomers angehört hat, weiß das sicher. Also findet dieses Treffen im schönen Nordend statt, wo auf dem angrenzenden Stadtplatz die SPD ihr Stadtteilfest mit Bratwurst, Blechkuchen und Best Of-Irgendwas-Coverband feiert. Drei Tage sind zum Zeitpunkt dieses Interviews vergangen, seitdem die Eintracht aus Frankfurt, die Macht vom Main, die launische Diva das Finale der Europa League siegreich überstanden hatte. Noch war unklar, dass Jürgen Klopp mit dem FC Liverpool die englische Meisterschaft gewinnen wird, noch unklarer war, ob er sich auch im Champions League-Finale gegen Real Madrid behaupten kann. Doch wenn all diese schönen Nebensächlichkeiten bald bloß noch Schall und Rauch sind, erscheint am 03. Juni 2022 die Ramzeys Debüt-EP »God Bless Zucki«. Auf sieben Songs, teils butterweicher RnB, teils Bretter hart wie das Leben, öffnet sich der 22-Jährige seinem Publikum, unterstützt von Produzenten wie Funkvater Frank, Rascal und Yaze, letzterer sitzt auch an diesem sonnigen Tag im Café und schlürft seinen Cappuccino. Im Gespräch mit ALL GOOD geht es zuallererst um Fußball. Aber dann auch um die Höchster Zuckschwerdtstraße, um rappende Bauarbeiter und Picasso – Wie hieß der noch gleich mit Vornamen?

  • Die Eintracht hat den Europa League-Pokal geholt. Wie hast du den Spieltag verbracht?

  • Ramzey: Ich habe keine Erinnerung mehr an den Vormittag. Irgendwann haben wir uns getroffen, mein Team und ich und ein paar Schwestern. Abends sind wir in eine Bar gegangen, Maingold an der Konstablerwache. Dort haben wir das Spiel geschaut, ich hatte zwei Gläser Weißwein. Zum Elfmeterschießen sind wir zur Bar gegenüber gerannt, die hatte schnelleres Internet. Dann Elfmeter nach Elfmeter, Heulerei wegen Sieg, SGE. Dann eine Keule, paar Küsschen, Küsschen, dann bin ich schlafen gegangen.

  • Und die Freude hält noch an?

  • Ramzey: Ich bin immer noch perplex. So etwas gab es für Frankfurt noch nie, glaube ich. Ich bin todesstolz auf Frankfurt, auf das, was die Mannschaft geleistet hat. Nächstes Jahr Champions League, komplett geil. Die ganze Stadt ist gerade sehr voll, alle sind arrogant geworden. Jeder ist jetzt Eintracht-Fan!

  • Lass uns noch kurz beim Fußball bleiben. Meinst du, dein Shawty Sterling wird die englische Meisterschaft holen?

  • Ramzey: Hoffentlich nicht. Ich bin kein Fan von Manchester City. Jürgen Klopp, falls du das irgendwann liest: Ich stehe hinter dir. Der ist Frankfurter Bub. Liverpool, ich hoffe, ihr holt den. Vor allem: Sterling sitzt mittlerweile nur noch auf der Bank. Das gefällt mir gar nicht. Jemand sollte Pep Guardiola mal eine Ansage machen.

  • Und trotzdem ist Raheem Sterling für dich eine Legende?

  • Ramzey: Das habe ich meinen Jungs schon 2013, 2014 gesagt: Habt ein Auge auf Sterling, der ist ein Motherfucker, der wird noch richtig was reißen. Keiner hat an meine Einschätzung geglaubt, aber es kamen dann die zwei, drei Jahre, die mir Recht gegeben haben. Ich bin stolz auf Sterling.

  • In »Zehn« bezeichnest du dich als Spielmacher. Was bedeutet das für deine Position?

  • Ramzey: Ein Student, der immer seinen Leuten mit dem Lernen hilft, kann sich als Spielmacher sehen. Oder ein Dealer, der immer seine Packs verteilt. Bei mir bezieht sich das eher auf meine Jungs und ein paar schöne Ladies. Ein Spielmacher ist jemand, der seinen Leuten zu Erfolg verhilft. Du spielst Vorlagen und die anderen treffen.

  • Welches Trikot ist dein Sommer-Essential?

  • Ramzey: Natürlich die Eintracht. Und Real Madrid. Ich sage dir ehrlich: Wenn Eintracht und Real Madrid im Supercup stehen, wird mich nicht interessieren, wer gewinnt. Diese Paarung ist der Peak dessen, was mich im Fußball glücklich machen kann. Vielleicht muss ich danach aufhören, Fußball zu schauen. Besser wird’s nicht mehr.

  • Wieso wirst du mit 22 Jahren eigentlich Onkel genannt?

  • Ramzey: Ich wurde Onkel, da war ich sechs Jahre alt. Als ich irgendwann einen Instagram-Handle gesucht habe, kam ich darauf. Seitdem trage ich das mit mir rum. Und: Es ist kein Cap. Ich liebe meine Neffen über alles. Grüße an Elias und Rabbi!

  • In »Sonne« rappst du von Schwierigkeiten, dich zu öffnen. Ändert sich das gerade?

  • Ramzey: Mein Anspruch an die Texte verändert sich. Ich werde älter, mache neue Erfahrungen, lebe Leben und der Kopf entwickelt sich. Vor fünf Jahren habe ich noch gesagt, ich werde niemals Trinken, werde niemals Smoken, werde niemals Rauchen. Fünf Jahre später, ich mach alles. Nicht, dass ich deswegen jetzt ein schlechterer Mensch wäre… (fängt an zu singen) »Wir war’n Kids, jetzt sind wir sooo« – Verstehst du? Genau das ist passiert.

    Yaze: Es ist nicht neu, dass Ramzey sich auf Songs öffnet, aber es ist neu, dass wir diese Songs veröffentlichen. Texte über sein Innenleben gab es schon, bevor wir angefangen haben, zusammen zu arbeiten.

    Ramzey: Stimmt. Meine Texte waren schon sehr früh sehr persönlich. Auf der einen Seite bin ich der Typ, der Banger schreibt, auf der anderen auch gefühlvoll, reflektiert und melancholisch. Die Banger haben wir immer veröffentlicht.

  • Warum die anderen dann nicht?

  • Ramzey: Ich denke, es kam nie der richtige Zeitpunkt. Die härteren Tracks haben sich immer besser angefühlt. Jetzt fühlt es sich gut an, auch mal deep zu werden.

  • Wo wärst du heute, wenn du kein Rapper wärst?

  • Ramzey: Ich wäre auf jeden Fall unglücklich des Grauens. Vielleicht irgendwas mit Sport? Als Kind habe ich im Verein gespielt, dann aufgehört und sofort kam Musik. Das mache ich schon so lange, dass ich mir nicht vorstellen, was ich ohne Rap geworden wäre. Mein großer Bruder ist Rapper, Shoutout DreGotDreams!

  • Der hat dich im Kinderzimmer zum Rapper gemacht?

  • Ramzey: Er hat mich entdeckt! Das Ding ist, er hat davor schon Musik gemacht und auch bei uns im Kinderzimmer aufgenommen. Schon als Kind konnte ich alle Raptexte auswendig. Ich hab die gerappt, als hätte ich sie geschrieben! Irgendwann hat mein Bruder mir den Push gegeben, es selbst zu probieren.

  • Was charakterisiert Frankfurt für dich?

  • Ramzey: Es ist die Roughness. Und der Unterschied zwischen Geld und kein Geld. Und ich glaube, Migration ist ganz wichtig. (Jemand im Eintracht-Trikot fährt auf dem Fahrrad vorbei, ruft: »Was ist Europas beste Mannschaft?!«) FRANKFUUUURT!!! Da war es jetzt. Genau, Migration. Ich komme aus Frankfurt-Höchst. Meine ersten deutschen Freunde hatte ich in der fünften Klasse. Meine ersten richtig engen deutschen Freunde hatte ich erst ab dem Abitur. Du bist umgeben von Leuten mit Migrationshintergrund, ich gehöre ja selbst dazu. Dann verbündest du dich erstmal mit denen, weil ihr viele seid und untereinander.

  • Wie wächst man in Höchst auf?

  • Ramzey: Ich bin dort zur Schule gegangen, Grundschule, Mittel- und Oberstufe. Außerhalb dessen habe ich dort nicht viel Zeit verbracht. Was ich auf jeden Fall sagen würde, ist: Großer Ausländeranteil. Es gibt Straßen in Höchst, da hörst du kein Wort Deutsch. So viele Kulturen auf einem Fleck, das hat mich geprägt. Ein eigener Mikrokosmos. Außerdem ist Höchst Bahnhof das Zentrum des echten Frankfurter Westens. Alle aus Zeilsheim, Sindlingen, Unterliederbach, Griesheim, Nied, Sossenheim sind da. Alles passiert am Höchster Bahnhof. Ich habe auch keinen Vergleich. Ich weiß nicht, wie es ist, im Nordend aufzuwachsen.

  • Aber du kennst doch sicher Leute, die in anderen Vierteln aufgewachsen sind.

  • Ramzey: Ja, die sind ein bisschen… Ich kann mich sehr gut benehmen, aber die sind etwas vorsichtiger, respektvoller. Die benehmen sich einen Ticken mehr. Wenn etwas schief läuft, versuchen die, das nett zu regeln. In Höchst sagt man sofort: »Halt die Fresse!«

  • Auf »Squeeze« betonst du dann auch gleich, Sohn von Immigranten zu sein. Ist das für dich ein Antrieb?

  • Ramzey: Auf jeden Fall. Für uns ist es viel härter. Meine Mutter kommt aus dem Kongo, hatte dort ein Diplom und eine eigene Schneiderei. Jetzt lebt sie in Deutschland und muss hier putzen. Im Monat haben wir dann 1.500 Euro, ich habe noch zwei ältere Brüder. Drei Jungs und eine Mutter. Der Geldmangel ist der ausschlaggebende Unterschied. Ich will meinen Eltern zeigen, dass sich all die Opfer gelohnt haben. Was ich aus deren Kindheit und Jugend weiß, ist nie positiv gewesen. Viele Traumata, viele ekelhafte Sachen. Wenn ich jetzt nicht die Chancen nutzen würde, die meine Eltern mir ermöglicht haben, das wäre nicht fair. Ich arbeite hart, weil: Eines Tages will ich meiner Mutter alles zurück geben.

  • »Lemonade« handelt von spontanen Flirts, »Luca Toni« von der romantischen Langfristigkeit. Was denn jetzt?

  • Ramzey: Mein Kopf steht unter Dauerstrom. Nur wenn ich mit meinem Girl unterwegs bin, kann ich durchatmen, das ist »Lemonade«. Weil ich dann nur sie im Kopf habe. Aber das ist auch wieder ein anderer Hustle, emotional! Ich glaube, jeder Real N**** sehnt sich nach der wahren Liebe. Ich will diesem Traum aber nicht auf Krampf hinterherjagen. Wenn sie kommt, kommt sie, wenn nicht, dann mach‘ ich mein Ding. Wenn dazu gehört, dass ich auf spontan mit einer schönen netten Dame auf den Balkon oder ins Zimmer gehe, dann ist das so. Wahre Liebe, irgendwann. Wenn da draußen eine schöne Frau ist, die mich süß findet, vallah, melde dich!

  • Du rappst: »Alle machen mir auf Pablo, wann macht Einer wieder Kunst?«. Welcher Pablo?

  • Ramzey: Pablo Escobar, Pablo Escobar! Ist doch klar.

  • Naja, oder Pablo Picasso. Oder Apostel Paulus.

  • Ramzey: Bro, ich habe nicht eine Millisekunde an Picasso gedacht. Ich wusste nicht, dass der Pablo heißt. Aber zurück zur Line: Wir sind in Frankfurt. Jeder, der hier rappt, ist ein Gangster. So langsam reicht es mir. Ich habe Bock auf geile Musik und ehrliche Texte. Die sehen eine Nikon und fangen an mit Acting, das sage ich in »Zehn«. Leute riechen ein bisschen Fame und Aufmerksamkeit und verstellen sich für Clout. Ich feier sowas nicht. Die Jungs, die wirklich Dinger drehen, rappen nicht.

  • Im Deutschrap kriegen immer wieder Künstler große Aufmerksamkeit, weil sie einfach nur die krassesten True Crime-Lines rappen.

  • Ramzey: Früher oder später wird es einen Shift geben. Ich bin nicht der Einzige, der die Escobar-Stories satt hat. Die haben wir alle tausendfach gehört. Ich kenne doch schon alle Varianten, wie du jemanden abziehen kannst. Es ist selten, dass da jemand auf etwas kommt, was mich noch abholt. Wenn du ein Bauarbeiter bist, der diese Geschichten geil verpackt, finde ich das viel interessanter als »Ich habe fünf Kilo Koks im Kofferraum, ich habe eine Pistole, dies, das«. Wenn der Gewinner von der letzten Staffel »Bauer Sucht Frau« mir ein schönes Lied über seine Bauersfrau singt, dann ist das geiler als die hundertste Klischee-Gangstergeschichte. Und wenn, dann muss sie schon richtig Shock Value haben.

  • Dein Weg ist allerdings ein anderer.

  • Ramzey: Ach was, ich schockier‘ die Leute auch, aber auf meine Weise. Ich bin kein Gangster, ich bin ein gesetzestreuer Bürger. Alles Mögliche kann schockieren, Drama gibt es immer. Dann ist es für mich eine Frage der Verpackung, nicht des Inhalts.

  • Auf »Sonne« reflektierst du deinen bisherigen Weg. Verlierst du manchmal aus den Augen, was du schon alles erreicht hast?

  • Ramzey: Das klingt so, als hätte ich irgendwas Großes gerissen, aber das stimmt ja nicht. Der Song wirft ein Auge darauf, wo wir gerade sind – und wo wir angefangen haben. Ja, mäßisch. Ich habe Schwierigkeiten damit, mich nicht kleinzureden. Ich weiß, wer ich bin und was ich geschafft habe, aber wenn man sich vergleicht… Es ist ein Teufelskreis. Ich schaff‘ was, denke mir: »Aller, da geht noch mehr«. Und dann fühlt es sich an, als hätte ich nichts geschafft. Es ist noch sehr viel Luft nach oben, irgendwann kommt »Sonne« Teil zwei, drei, vier, fünf. Und dann erzähl ich die Stories, Bruder.