Döll »Ich bin motiviert wie nie zuvor.«
Geht es nach einigen Medienmenschen und Industrie-Insidern, steht dem Darmstädter Rapper Döll eine große Zukunft bevor. Das konnte der kleine Bruder von Mädness bereits auf seiner »Weit Entfernt«-EP unter Beweis stellen. Carlos Steuer traf Döll zum Interview.
Die Rap-City Darmstadt wird gerne vergessen, wenn es um die relevanten Koordinaten der Subkultur dieses Landes geht. Dabei fuhr die südhessische Stadt im Einzugsgebiet zwischen Frankfurt und Heidelberg schon immer ihren ganz eigenen Rapfilm. Döll, der ewige Pendler, ist ein Kind der Stadt, sozialisiert in der Jam-Kultur der frühen 2000er und der kleine Bruder von Mädness. 2011 gewann er die Jam-Session mit Partner Nomis, zog später nach Spanien und veröffentlichte im letzten Jahr die großartige »Weit entfernt«-EP über WSP.
Die Free-EP, die dieser Tage auf Vinyl aufgelegt wird, machte ihn vom langjährigen Battle-Talent zum reflektierten und respektierten Solo-Künstler, der gleich zwei normale Parts auf dem letzten Audio88 & Yassin-Album abliefern durfte. Geht es nach der Meinung einiger Medienmenschen und Industrie-Insidern, steht Döll eine große Zukunft bevor. Wir sprachen mit ihm über Darmstädter Rap-Heroen, Folgen des Deutschrap-Hypes und Roc Marciano.
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»Weit entfernt« entstand programmatisch in der Ferne – du bist damals zwischen Spanien und Deutschland gependelt, richtig?
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Ich bin für mein Studium nach Madrid gezogen, dachte, ich könne da schon irgendwo aufnehmen und habe mir dann ein Mic ins Zimmer gestellt. Wenn aber die Leute, mit denen du zusammen arbeitest, über 2.000 km entfernt leben, ist das schon schwierig. Das war auch der Hauptgrund, dann für zwei Semester nach Stuttgart zu ziehen. Die EP entstand also zwischen Madrid, Stuttgart und Darmstadt und verarbeitet viele Eindrücke dieser Zeit.
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Wir treffen uns gerade in Berlin, wo sehr viele junge Spanier nach der Wirtschaftskrise hinzogen.
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Viele Kommilitonen und Leute, die ich in Madrid kennengelernt habe, sind längst weg. Aus der deutschen Wohlstands-Perspektive kann man sich gar nicht vorstellen, was da abgeht: Über 50 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos. Klar sieht man die Nachrichten, aber das dort zu erleben, ist noch mal was anderes. Das sind Leute mit ein paar Master-Abschlüssen in der Tasche, die Nebenjobs für 3,50 Euro die Stunde annehmen müssen. Richtig abgefuckt, die ganze Situation.
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Lass uns über die Darmstädter HipHop-Szene sprechen. Was waren die ersten Veröffentlichungen aus der Stadt, an die du dich erinnerst?
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Das müsste Manges und Baggefudda gewesen sein. Das waren die ersten, die repräsentierten.
- »›Regenzeit in der Wüste‹ ist für mich bis heute eines der Top-10-Deutschrap-Alben.«Auf Twitter teilen
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Manges Album »Regenzeit in der Wüste« war ein hochgelobtes Kritikeralbum, lief aber immer unter dem Radar.
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»Regenzeit in der Wüste« ist für mich bis heute eines der Top-10-Deutschrap-Alben. Es ist so eigen von der Sample-Auswahl, bis zu der Art, wie er rappt. Wenn man das heute einem 13-jährigen zeigt, fragt der wahrscheinlich: »Wo sind die Triple-Rhymes und Doubletime-Flows?« Aber die braucht Manges auch nicht – im Gegenteil.
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Wobei es so zeitlos ist, dass man das durchaus noch verstehen könnte.
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Absolut, nur wenn man das von einem reinen Rap-Maßstab her sieht, fällt das schon aus der Zeit. Aber diese einfachen, offensichtlichen Reime waren es, die Manges‘ Stil unter anderem ausmachten. Dieses Album bedeutet mir heute noch sehr viel. Ich glaube, er war längere Zeit aus Darmstadt weg, hat aber dieses Jahr wieder zwei Live-Shows gespielt.
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Das Manges-Album erschien über Kehlkopf Records. Michael Stockum, der damals das Label machte, ist mittlerweile Head of Four Music. Man kann schon sagen, dass Darmstadt seinen Footprint auf der Deutschrap-Karte hinterlassen hat.
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Und was viele Leute nicht wissen: Auch das erste Marteria-Album erschien über ein ehemals Darmstädter Label. Tobias Zumak, der heute, glaube ich, bei Virgin ist, hat das damals auf Magnum12 rausgebracht.
- »Ich nehme mir relativ viel Zeit zum Schreiben. Es kann sein, dass ich einen ganzen Tag an einer Strophe sitze.« Auf Twitter teilen
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Du veröffentlichst mittlerweile über das Heilbronner Label WSP. Haben früher die Strukturen gefehlt, um das entsprechend professionell durchzuziehen?
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Kann man schon so sagen. Kehlkopf an sich existiert ja nicht mehr. Wenn wir unbedingt gewollt hätten, hätten wir schon noch irgendwie darüber veröffentlichen können. Aber die Jungs sind mit anderen Sachen beschäftigt oder nicht mehr wirklich in dem HipHop-Kosmos unterwegs. Der Kontakt zu WSP kam über Dexter, den ich während meiner Stuttgart-Zeit kennenlernte.
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Hat er den »Weit entfernt«-Beat gleich rausgerückt? Ich kann mir vorstellen, dass den viele gepickt hätten.
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Doch, den hatte er extra für mich reserviert. Dexter verschickt auch nicht die gleichen Beats an verschiedene Leute. Also wenn er mir Beats gibt, kann ich sicher sein, dass kein anderer sie hat. Natürlich kann man schnell einen Dropbox-Ordner anlegen, ich mach das ja auch. Wir sind im Jahr 2015 – alles easy. Aber Dexy ist jemand, der Leute zu sich einlädt, Sachen direkt vorspielt, oder zusammen etwas erarbeiten will. Auch wenn ich nicht der Typ bin, der dann in seiner Bude schreibt. Ich nehm‘ das mit nach Hause, schließ‘ mich ein und schau dann, was passiert.
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Wie sieht dein Schreibprozess aus? Du rappst, dass du dich tagelang isolierst und von der Außenwelt abkapselst.
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Vor ein paar Jahren war es ja sehr en vogue, einen Part in fünf Minuten hinzuscheißen. So auf die Art (mit verstellter Dipset-Stimme): »Schau wie krass ich bin, ich rotz‘ 30 Bars in zehn Minuten hin«. Diesen Film fahren Leute heute noch und für manche funktioniert das auch. Das ist aber nicht mein Anspruch. Ich nehme mir relativ viel Zeit zum Schreiben. Es kann sein, dass ich einen ganzen Tag an einer Strophe sitze. Ich mache dann wirklich nichts anderes. Wenn man das mit »Top-Spittern« vergleichen will, ist das vielleicht langsam. Aber ich will das Bestmögliche aus der Strophe rausholen und nicht das Beste aus den fünf Minuten machen.
- »Wir waren uns vor einem Jahr einfach nicht sicher, ob sich mein erstes Solo-Release drei Leute oder ein paar hundert anhören wollen.« Auf Twitter teilen
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Deine Debüt-EP »Weit entfernt« erscheint erst jetzt – ein Jahr nach Release auf Vinyl.
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Ich bin jemand, der Erwartungen eher low hält, anstatt später enttäuscht zu werden. Wir waren uns vor einem Jahr einfach nicht sicher, ob sich mein erstes Solo-Release drei Leute oder ein paar hundert anhören wollen. Deshalb wurde es auch erst mal nicht gepresst.
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Trotz der vielen Produzenten klingt die EP ja sehr kohärent und aus einem Guss.
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Das war das Ziel. Obwohl, wenn man sich die Produzenten einzeln anschaut, fällt auf, dass jeder seinen eigenen Sound hat: Brenk Sinatra, der für das Westcoast-Ding steht. Gibmafuffi, der straighten Sample-Sound macht. Oder Sterio, der wiederum einen ganz anderen Ansatz hat. Aufgenommen habe ich die EP mit den Jungs von Kollege Schnürschuh. Die haben hier und da noch was dazu arrangiert oder umgesetzt und selbst zwei Beats beigesteuert.
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Dein großer Bruder Mädness hat im letzten Jahr mit seiner »Maggo«-EP einen richtigen Hype erzeugt. Er sagte, dass du ihn wieder zum Rappen gebracht hast.
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Ich bin einfach motiviert wie nie zuvor – und das hat wohl wiederum ihn dazu motiviert, endlich wieder zu releasen. Es ist schön zu sehen, dass Mäd so langsam die Beachtung erfährt, die ihm zusteht. Und wenn ich meinen Teil dazu beitragen konnte, dass er wieder was veröffentlicht hat, ehrt mich das sehr. Natürlich spornen wir uns auch gegenseitig an. Und über die Jahre konnte ich eine ganze Menge von ihm lernen.
- »Ich habe keinen Bock, für zwei Wochen der Shit zu sein und danach sich alle fragen, wer der Typ noch mal war.«Auf Twitter teilen
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Dein erstes Release mit Nomis, das Album »Alles Im Kasten«, ist vier Jahre her. Wann hat sich bei dir dieser neue Hunger entwickelt?
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Das war gar nicht der Plan, so lange nichts zu veröffentlichen. Ich dachte, ich gehe nach Madrid und alles läuft weiter wie vorher. Hungrig war ich die ganze Zeit. Die Uni hat nur sehr viel Zeit geschluckt, aber klar habe ich immer parallel an Tracks gearbeitet. Natürlich ist es cool, wenn mich Leute wegen einer Single oder einem Video kennen. Ich habe aber keinen Bock, für zwei Wochen der Shit zu sein und danach sich alle fragen, wer der Typ noch mal war. Ich wünsche mir, dass die Sache weiterhin so gesund wächst wie bisher. Ich will nicht an einem Release festgemacht werden, sondern langfristig dopen Output liefern.
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Hat Mädness vor dir angefangen zu rappen, oder habt ihr HipHop zur gleichen Zeit für euch entdeckt?
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Marco war schon auf dem Rapfilm, als ich noch ein Kind war. Er hat nichts anderes gepumpt. Ich hatte halt das Zimmer neben ihm und fand das immer interessant. Vielleicht auch unter dem Aspekt, dass es der große Bruder und dir immer etwas voraus ist. Marco hat damals besonders viel gefreestylt. Und so fing das für mich auch an. Das war für uns die einfachste Form zu rappen: Beat an und los geht’s. Für mich war das auch eine große Hilfe, was Flows angeht.
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Freestylen ist heute ja fast verpönt.
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Leider ist das so. Freestyle hat natürlich auch mit der Tagesform zu tun. Mal kickt man einen guten Vierzeiler in der Runde, mal verkackt man. Letzten Endes bringt das alles Übung und Erfahrung mit sich. Du kannst dich wie du willst ausprobieren, Taktgefühl und deinen eigenen Rapstyle entwickeln. Früher gab es noch die Freestyle-Battles bei Mixery Raw Deluxe. Unvergessener Move damals: Als ein Rapper eine Flasche auf den Kopf bekam und Rene den Zuschauer spontan richtig hart auseinander nahm.
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Kannst du dich noch an das erste Rap-Album erinnern, dass du auswendig konntest?
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Westberlin Maskulin habe ich sehr früh gehört und das »Deluxe Soundsystem« von Dynamite Deluxe. Das müssten die ersten deutschen Alben gewesen sein, die ich richtig studiert habe. Als ich das erste Mal Taktlo$$ rappen hörte, war ich völlig geflasht. Man wusste damals ja auch nicht, wie die Jungs aussehen. Da war alles noch sehr mystisch. Wenn du dir heute ein paar Minuten Zeit nimmst, kannst du das Privatprofil eines Rappers auf Facebook finden.
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Bist du da so stalkermäßig unterwegs?
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Soziale Netzwerke haben ganz klar ihre Vorteile. Für mich als Künstler ist das natürlich cool. Ich kann Sachen kommunizieren, wenn ich live spiele oder neue Tracks rausbringe. Nur: Die Leute übertreten teilweise eine Grenze, die echt krass ist. Wenn mich Leute ohne Anrede anschreiben: »Dölle, mach ma Gästeliste für Berlin nächste Woche klar. Ich plus 5!« und man dann nicht antwortet, kommt sowas wie: »Du Hurensohn, Aller.« (lacht)
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Inwieweit verfolgst du denn die ganzen Beef-Geschichten, News-Seiten und Video-Interviews der heutigen Generation?
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Man hat ja mittlerweile die Möglichkeit, sich in seiner kompletten Freizeit von Rap-Formaten berieseln zu lassen. Auf der einen Seite ist das cool. Dass da aber eine Menge Schmodder mit rum kommt, ist natürlich auch klar. Ich geb‘ mir schon ziemlich viel. Ich weiß gar nicht, ob man in Interviews noch sagt, dass man keinen Rap hört. Aber ich hör schon brutal viel Rap. Und ich habe TV Straßensound abonniert. (lacht) Man sollte diese ganze Rapupdate-Problematik nicht überbewerten. Immerhin lesen ja auch krass viele Leute die »Bild Zeitung« und die funktioniert nach dem selben Prinzip. Leider Gottes ist es so, dass Mixtapes und Alben kaum Aufmerksamkeit bekommen, wenn nicht auch noch ein Video dazu erscheint. Ich merke das auch an meinem Konsumverhalten: Wenn man zehn Minuten Zeit hat und was essen will, entscheidet man sich doch eher für den Track, der mit Video erschien, als für das Audio-File.
- »Ich habe früher alle Songtexte ausgedruckt, mitgelesen und genau darauf geachtet, wie was aufgebaut ist.« Auf Twitter teilen
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Was sind aktuelle amerikanische Rapper, die dich inspirieren?
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Nach wie vor: Roc Marciano. »Marci Beaucoup«, »Reloaded«, »Pimpire Strikes Back« – alles super Alben. Er gibt keinen Fick, rappt teilweise einfach auf Samples ohne Drums. Viele, denen ich das zeige, checken es nicht und denken, der redet ja nur über den Beat. Wenn man sich aber mit ihm beschäftigt, merkt man, dass das krasse Pimp-Poesie ist. Er schreibt sehr minimalistisch – wie er das aber rappt und inhaltlich verpackt, ist krass. Und Ghostface höre ich in letzter Zeit wieder öfters.
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Analysierst du auch richtig deren Reimpatterns?
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Ich habe früher schon alle möglichen Songtexte ausgedruckt, mitgelesen und genau darauf geachtet, wie was aufgebaut ist. Sowas interessiert mich nach wie vor. Und ich checke auch heute noch online, wenn ich irgendwelche Zeilen oder Querverweise nicht verstehe.
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Inwiefern wirkt sich für Künstler wie dich und deinen erweiterten Freundeskreis um Audio88 & Yassin und Morlockk Dilemma der Hype um Deutschrap eigentlich aus?
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Es gibt schon eine Tendenz, dass sich in Deutschland einiges zum Besseren wendet. Wenn ich Leuten vor einigen Jahren noch erzählt habe, dass ich rappe, war die Reaktion meistens: »Yo yo yo« und die Leute haben komische Gangzeichen nachgemacht. Da hat sich schon was getan. Ich glaube vor allem, dass es noch weiter wächst und kein kurzer Hype ist. Die Sachen sind einfach zu gut, als dass es untergehen würde. Und Strukturen sind mittlerweile auch geschaffen, so dass die wirtschaftliche Ebene nicht einknickt. Deutschrap ist in gewisser Weise angekommen.