Samy Deluxe »Gossip ist angesagter als Fakten.«

Samy Deluxe hat in seiner mehr als eineinhalb Jahrzehnte währenden MC-Karriere schon hunderte Interviews gegeben und dementsprechend einiges an Erfahrung mit Medien sammeln können. Grund genug, dieses Thema mal mit ihm zu besprechen. Ein Interview zum Thema Interviews.

Samy Deluxe

Als wir uns zum Gespräch in einem edlen Berliner Hotel treffen, neigt sich Samys Pressetag anlässlich seines neuen Albums »Männlich« bereits dem Ende zu. Den ganzen Tag lang hat der Hamburger Hüne sich mit Journalisten unterhalten und Fragen beantwortet, aber Spuren hat das kaum hinterlassen: Samy Deluxe ist trotz des vorangegangenen Quasselmarathons gut gelaunt – und freut sich sichtlich über die inhaltliche Abwechslung, als ich ihm das angedachte Thema des folgenden Interviews erläutere.

Mittlerweile ist Samy Deluxe eben ein, wie man so schön sagt, »Medienprofi«: Er weiß, mit wem er sprechen will, und er weiß auch, mit wem er ganz explizit nicht sprechen will. Er weiß um die Folgen unbedachter Äußerungen in Interviews, er weiß, wie fies das mediale Feedback auf seine Musik ausfallen kann. Er focht öffentlichkeitswirksamen Beef mit HipHop-Medien und Tageszeitungs-Bloggern aus, andererseits konnte er dank diverser Fernsehshows und dem kurzfristigen Rap-Magazinprojekt »Deluxe Records Magazine« auch eigene Erfahrungen in der Herstellung von medialen Formaten sammeln. Also fragen wir doch einfach mal nach, wie er zum Journalismus-Game als solchem steht.

  • Auf deinem Album findet sich die Zeile: »Journalismus ist tot.« Nun sitzt du aber hier, gibst ein Interview nach dem anderen und hast den ganzen Tag mit Journalisten zu tun. Wie ist das zu verstehen?

  • Die Ironie darin ist mir auch schon aufgefallen. Ich hab ja das Glück, dass das, was ich als Künstler behandle und bin, offenbar intelligent genug ist, dass ich nicht wirklich mit schlechtem Journalismus konfrontiert werde. Ich habe auch eine No-go-Liste mit Medien, mit denen ich nichts machen will: »Bild«, »Bravo« etc. Ich sage ja in Interviews schon halbwegs vernünftige, manchmal vielleicht sogar schlaue Sachen, aber in solchen Medien wird das dann auf etwas reduziert, was mich nicht repräsentieren kann. Glücklicherweise treffe ich viele Journalisten, die es schaffen, dass ich nach 20 Jahren immer noch Bock habe, Fragen zu beantworten. Aber die Tatsache, dass Gossip angesagter ist als Fakten, das steht hinter meiner Aussage. Bei mir gibt es einfach die Angst, dass die Medien nur noch von privaten wirtschaftlichen Interessen regiert werden, und es irgendwann nur noch »Bild« und keine Medien mehr mit Bildungsauftrag gibt. Und das ist ja auch ein Problem für Journalisten selbst: Viele würden ja gern schlaue Sachen schreiben, aber wenn sie Geld verdienen wollen, dann müssen sie halt für Boulevardmedien schreiben und nicht zum Beispiel einen geilen Blog über eine Subkultur machen. Jeder von uns ist ja mit diesem Zwiespalt konfrontiert, dass man eigentlich seinen Leidenschaften nachgehen will, aber sich als arbeitender Mensch oft anders entscheiden muss. Wichtig ist dabei, so wenig Kompromisse wie möglich einzugehen. Viele von uns Künstlern können das, aber viele Journalisten enden dann trotzdem in Positionen, wo sie in den simpelsten Worten die simpelsten Fakten transportieren müssen – obwohl sie dadurch nicht mal ihren eigenen Anspruch erfüllen.

  • »Das ist die niederste Form von Journalismus, zu versuchen, jemandem etwas Schlechtes über jemand anderen zu entlocken.«Auf Twitter teilen
  • Wie schafft man es denn, sich aus diesen Gossipmedien rauszuhalten, wenn man ein berühmter Mensch ist?

  • Indem sich eben von diesen Medien fernhält. (lacht) Man wird ja erst ab einem bestimmten Grad von Bekanntheit für die interessant. Entweder du musst einen derben Skandal haben, was bei mir nie der Fall war. Oder du musst eine TV-Persönlichkeit sein, und in der Hinsicht hab ich fast alle Anfragen abgelehnt: »Popstars«-Jury, »DSDS«-Jury, »Dschungelcamp«. Wenn ich so etwas einmal gemacht hätte, weil ich akut diese sechsstellige Summe brauchen hätte können, dann müsste ich jetzt auch mit den Konsequenzen leben: dass es dann plötzlich jemanden interessiert, mit wem ich zusammen bin, mit wem ich auf welche Partys gehe etc. Aber genau diese Entscheidungen habe ich anders gefällt. Es gibt ja genügend Leute, die sind Promis, aber verkaufen keine Platten, geben keine Konzerte und leben nur davon, dass sie Promis sind. Aber als Künstler sollte man das nicht nötig haben und sich besser aus dieser Welt fernhalten. Bei mir interessiert es halt keinen, was ich privat mache. Die Leute mögen mich als Musiker – oder eben nicht.

  • Ist es anstrengend für dich, Interviews zu geben?

  • Anstrengend ist es nur, wenn man es sich anstrengend macht. Wenn man da sitzt und sich denkt: Die wollen derbe viel von mir wissen, aber ich will eigentlich nix preisgeben – dann sollte man vielleicht einfach keine Interviews geben. Ich lebe mit den Konsequenzen meiner Haltung diesbezüglich: Ich muss es halt hinnehmen, dass weniger Leute über mich schreiben, wenn ich weniger Interviews gebe. Ich habe für mich die Entscheidung getroffen, dass ich nur solche Interviews gebe, die ich auch selbst von Künstlern hören oder lesen will. Wo etwas rüberkommt, wo man erfährt, wie du tickst, wie deine Kunst entsteht – Interviews, die mir persönlich als Leser oder Zuschauer das Gefühl geben, dass ich selber wieder etwas machen will. Ich will mit Interviews das bewirken, was Interviews auch mit mir selbst als Konsument gemacht haben. Es inspiriert mich, Leute reden zu hören. Ich feiere aber auch Künstler, die nie Interviews geben. Frank Ocean hat vielleicht zwei Interviews für richtig gute Musikmagazine gegeben, und das war’s. Aber vom Preis-Leistungs-Verhältnis – wie viel Kraft kostet es und wie viel bringt es mir – lohnt es sich für mich, Interviews zu geben. Außerdem schreibe ich nach solchen Interviewtagen abends immer einen guten Song, weil ich den ganzen Tag so viel über mich nachgedacht hab.

  • Wolltest du schon mal mitten im Interview aufstehen und gehen?

  • Ich hab schon Interviews abgebrochen, wenn ich gemerkt habe, dass das gerade gar keinen Sinn macht. Vielleicht haben das die Leute im konkreten Fall nicht verdient, aber da hat man als Profi schon das Recht dazu. Das sind dann völlig uninformierte Interviewer, Leute, die derbe nervös sind, oder eigentlich »nur« Fans, die aber einen YouTube-Kanal mit drei Zuschauern haben – einfach Situationen, die unangenehm sind und wo auch Fragen gestellt werden, mit denen ich nichts anfangen kann. Da kommt einer nach dem Auftritt zum Interview und fragt mich dann, wie ich mit Musik angefangen habe – wie, du willst jetzt die ganze Geschichte hören? (lacht) Aber wenn du sagst, ihr macht ein neues Online-HipHop-Magazin auf, dann ist das für mich geil. Denn es ist gut für die Kunstform, wenn solche Plattformen existieren. Aber wenn ich auf Tour bin und das eh schon anstrengend ist, dann gebe ich da kein Interview für die lokale HipHop-Seite, die von 350 Leuten besucht wird.

  • »Viele Journalisten würden ja gern schlaue Sachen schreiben, aber wenn sie Geld verdienen wollen, dann müssen sie halt für Boulevardmedien schreiben und nicht zum Beispiel einen geilen Blog über eine Subkultur machen.«Auf Twitter teilen
  • Interviews auf Tour sind auch für Journalisten schwierig. Oft hat der Künstler vor dem Gig keine Lust oder Zeit. Wenn man auf nach dem Auftritt vertröstet wird, dann findet es meistens eh nicht mehr statt.

  • Nach dem Auftritt ist auch wirklich keine schöne Situation für ein Interview. Ich gebe generell auf Tour lieber keine Interviews. Ich mache halt Pressetage in Berlin, Hamburg, Österreich, dann mach ich ein paar TV-Sachen, dann noch eine Radiotour – wenn die Tour also losgeht, hab ich ohnehin schon mit allen gesprochen. Wenn ich auf Tour also noch was mache, dann muss das schon ein sehr cooles, idealistisches Format sein. Bei manchen Leuten ist es aber selbstverständlich, dass ich ihnen ein Interview gebe: Wenn ich in München bin, dann geh ich natürlich zu Kuchar [Michael Kuchar, Münchner HipHop-Urgestein aus dem Main-Concept-Umfeld, Veranstalter und Radiomoderator, Anm. d. Verf.] in die Radiosendung, weil ich den eben schon ewig kenne. Man muss als Künstler halt wissen, mit wem es sich lohnt, zu reden. Und die Leute in meinem Umfeld, die die Vorauswahl mitbestimmen, die kennen mich schon gut genug, um zu sagen: Bis dahin und nicht weiter. Aber man muss manchmal auch Risiken eingehen, wie als Journalist ja auch. Du kannst ja nicht nur versuchen, es dem Label oder dem Künstler recht zu machen, sondern du musst deinem Anspruch und dem der Leser gerecht werden.

  • Eine beliebte Technik im HipHop-Journalismus ist, einen Künstler nach seiner Meinung zu einem anderen Künstler zu fragen. Nervt dich so was?

  • Ich finde es furchtbar, das zu machen. Denn es zeigt, dass man als Journalist keine besseren Mittel hat. Wie Rapper, die jemanden dissen, um bekannt zu werden. Oder Comedians, die sich auf Beziehungs-Jokes verlassen, weil sie wissen, dass das immer funktioniert. Es ist eben leicht. Aber tiefer in die Materie einzutauchen und etwas mit Niveau zu machen, das ist viel schwieriger. Natürlich erwähne ich trotzdem gern andere Künstler – wenn ich was Gutes über sie zu sagen habe. Wenn nicht, dann versuche ich das zu vermeiden. Das ist ja die niederste Form von Journalismus, zu versuchen, jemandem etwas Schlechtes über jemand anderen zu entlocken. Oft ist es auch so, dass die siebzigste Frage mitten im Interview lautet: Wie findest du das Album von Künstler XY? Und wenn du dann antwortest, dass es dir nicht so gut gefällt, ist das plötzlich die Headline. Deswegen hab ich aufgehört, Interviews von mir zu lesen oder TV-Auftritte von mir anzuschauen. Für mich zählt der Moment und die Zukunft. Die Vergangenheit kann nur als Erfahrungswert zählen.

  • Ist es dir schon passiert, dass du mit einer Aussage zitiert wurdest, die du so gar nicht getätigt hast?

  • »SchwarzWeiss« kam ja in der Woche raus, als Amy Winehouse gestorben ist. Und da wurde ich gefragt, ob das meinen Platz eins in den Charts gefährden und ob mir das Sorgen machen würde. Ich meinte daraufhin, dass man sich wohl keinen Promo-Stunt ausdenken könnte, der einen krasseren Effekt hat, als der Tod von jemandem. Ich hab das schon sehr respektvoll formuliert, aber ich wurde dann so zitiert, als ob ich einfach so gesagt hätte: Ich kann nicht auf die Eins, weil Amy Winehouse jetzt tot ist. Das wurde als die Kernaussage dargestellt, obwohl das nur ein kleiner Teil des Gesprächs war – und obendrein ein Punkt, den ich von mir selbst aus gar nicht thematisiert hätte. Dafür musste ich mich in folgenden Interviews viel rechtfertigen und die Aussage ins rechte Licht rücken.

    Eine andere Geschichte ist bei »Dis wo ich herkomm« passiert, als ein Autor auf einem Blog auf der Seite der »taz« das Album komplett verrissen hat. Der Typ hat diese ganzen Statements über Deutschland, »Hitler ist doch eigentlich Österreicher« etc. so transportiert, als hätte ich mir selbst niemals die Frage gestellt, ob ich das so sagen kann. Das Augenzwinkern in den Lyrics hat der Typ halt nicht verstanden. Falk wollte damals den Typen und mich die Sache bei »Mixery Raw Deluxe« ausdiskutieren lassen. Ich hätte mich dieser Diskussion gestellt und wäre da auch auf keinen Fall als der dumme Idiot und Schulabbrecher rübergekommen, als den er mich dargestellt hat. Er hat aber dann den Schwanz eingezogen. Wenn du als Journalist die Eier hast, so krasse Sachen öffentlich zu schreiben, dann musst du doch auch die Eier haben, das öffentlich auszudiskutieren!

  • »Natürlich erwähne ich gern andere Künstler in Interviews – wenn ich etwas Gutes über sie zu sagen habe.«Auf Twitter teilen
  • Wirst du eigentlich oft nach Dingen gefragt, die schon ewig her sind?

  • Wenn Visa Vie im Interview komplett durch meine ganze Geschichte geht und da diese Azad-Sache aufkommt, dann ist es ja klar, dass ich über diese Sache noch mal spreche. Und mittlerweile kann ich aus einer erwachsenen Perspektive über das Thema reden – und auch eine gute HipHop-Moral mitgeben: Es war ja einfach nur ein Battle. Du disst mich, ich diss dich – und jeder kann für sich entscheiden, wer gewonnen hat. Keiner ist zu Schaden gekommen, wir sind cool miteinander. Ich mag es aber nicht, wenn ich merke, dass die Leute Fragen nicht deshalb stellen, weil es sie interessiert, sondern weil es die leichteste Art ist, mit mir ein Interview zu führen. Nach dem Motto: Ich frag dich nach drei anderen Rappern, von denen ich denke, du wirst sie nicht mögen. Ich mag es nicht, wenn es sich Leute so leicht machen. Ich will lieber vernünftige Fragen gestellt bekommen oder über ein bestimmtes Thema sprechen.

  • Was war denn die häufigste Frage, die dir im Zuge von »Männlich« gestellt wurde?

  • Fast alle weiblichen Interviewer haben mich gleich zu Beginn gefragt, ob man denn als Rapper größenwahnsinnig sein muss. (lacht) Keine Ahnung, ob das einfach keine HipHop-Chicks waren oder ob die nur noch nicht verstanden haben, dass das eine Grundessenz von HipHop ist, erst mal zu behaupten, dass man der Krasseste ist – und dann erst über andere Themen zu sprechen. Und viele versuchen natürlich, aus mir eine Definition von »männlich« rauszukitzeln. Was ist denn nun männlich? Da kann ich nur antworten: Ich hab dieses Thema für mich und die Hörer zur Debatte gestellt – und habe keine Antwort darauf. Das sage ich auf dem Album, das sage ich im Pressetext, das sage ich im Interview. Das ist keine Definition, sondern eine Spielwiese, um sich thematisch auszutoben. Aber viele wollen, dass man es ihnen leicht macht. Am besten mit einem Intro vor jedem Song: Dieser Song ist auf dem Album, weil er jenes Thema behandelt.

  • Hast du zum Abschluss noch eine persönliche Medienempfehlung für uns?

  • Ja. Dieses »Crate Diggers«-Format, das hat mich neulich total geflasht. Da erzählen Leute Anekdoten, wie sie zum Plattensammeln gekommen sind. Als HipHop-Fan ist das super inspirierend. Ich hatte danach sofort Bock, Platten zu kaufen und die auch daheim so aufzustellen, dass man sie sieht. Diese ganze Ästhetik ist ein sehr schöner Aspekt der HipHop-Kultur: Tonträger auf Vinyl. Das schöne Paar Sneakers in der Vitrine. Ich will übrigens unbedingt diese Dilla-Spielfiguren haben. Dafür würde ich alles geben.