Chan Le »Es wäre undankbar, wenn ich nicht alles geben würde.«

Wer ist Vollzeitstudentin und nebenbei eine der heißesten Newcomerinnen? Wer übernimmt ihr eigenes Management, plant Modekollektionen und betreibt täglich Kampfsport? Wer schreibt mit 22 schon an der eigenen Autobiografie? »CHAN LE, Tokyo Drift!«

cover-ep-front-16-9

»Still CHAN LE, ich bin es immer noch«, rappt die Newcomerin auf dem letzten Song ihrer Debüt-EP, die vor kurzem in Eigenregie veröffentlicht wurde. Gerade mal 22 Jahre ist CHAN LE alt und hört sich doch routiniert an, kein jugendliches Chaos, sondern durch und durch professionelle Attitude. Das ist umso bemerkenswerter, je näher man die Geschichte der Frankfurterin kennenlernt. Vom Abhängen auf den Straßen und Schwierigkeiten in der Schule zu Studium mit Stipendium und Rapkarriere. Das Leben selbst in die Hand zu nehmen, wie CHAN LE es tut, kostet seinen Preis. Mit ALL GOOD-Autor Till Wilhelm spricht sie über ihren Werdegang, Burnout-Ängste und verschiedene Cashflows.

  • Was ich dich schon immer mal fragen wollte: Wie du dein Geld machst und wodurch du Erfolg hast?

  • Ich war schon immer eine Macherin und bin wirklich 24/7 am Hustlen, sei es jetzt für die Musik, Kampfsport, Uni oder alles Weitere. Ich investiere und habe verschiedene Cashflows. Welche Aktien, Wertpapiere oder Assets das genau sind, verrate ich nicht.

  • Wie hat der Aktienhandel dein Interesse geweckt?

  • Das hat tatsächlich mit dem Studium angefangen. Dort habe ich mich beispielsweise mit Immobilienfinanzierung, Kapital- und Zinsmärkten beschäftigt, dann habe ich mich zusätzlich selbst schlau gemacht: Was ist sicher und wo kann ich ein bisschen spielen? Spielgeld und sichere Anlagen, dann schaut man halt.

  • Ich weiß, du hast Abitur gemacht, bist Vollzeitstudentin…

  • …aber weißt du auch, dass ich von der Schule geflogen bin? Und fast von noch einer. Ich war ein richtiges Problemkind, konnte mich nie an irgendwelche Regeln halten und hatte sogar 0 Punkte in Mathe. Meine Lehrerin hat mir geraten, mich vom Abitur abzumelden. Sie konnte mir keinen einzigen Punkt geben. Dann habe ich krass Gas gegeben, statt Ferien zu machen, habe ich gelernt. Ich habe einen Punkt geschafft und dann die Schule gewechselt. Was will ich bei Lehrern, die mich runter machen? Danach wurde ich Klassenbeste. Heute bin ich angehende Akademikerin und habe ein Stipendium.

  • Was war der ausschlaggebende Moment für diese Veränderung?

  • Damals habe ich nicht einmal eine Ausbildung gefunden. Nur Absagen, paar Vorstellungsgespräche, aber auch das ist nichts geworden. Ich musste mich fragen: Was mache ich aus meinem Leben? Soll ich jetzt weiterhin drei Jobs arbeiten, um durchzukommen? Ist meine Mutter nur dafür mit mir nach Deutschland gekommen? Ich musste irgendwas erreichen, also erstmal Abitur. Es hat sehr lange gebraucht, um auf die gerade Bahn zu kommen. Niemand, wirklich niemand hat zu dem Zeitpunkt an mich geglaubt – nicht mal mein eigener Vater. Mehr dazu in meiner Autobiografie.

  • Erzähl mir doch ein bisschen was darüber, wie du in Frankfurt aufgewachsen bist und wie dich das geprägt hat.

  • Mit zwölf, dreizehn Jahren war ich jeden Tag draußen. Zuhause gab’s nur Stress, keine schöne Atmosphäre. Von diesem Elend wollte ich nichts mitbekommen. Man hat angefangen, Sachen auszuprobieren. Jeden Tag draußen, jeden Tag Blödsinn, meine ganze Jugend. Ein gelber Brief nach dem anderen, Disziplinarausschüsse, sowas hatten andere Kinder nicht. Ich habe irgendwann mit allem aufgehört, weil ich MPU machen musste, bevor ich den Führerschein überhaupt hatte. Zwei Mal sogar. Ich war gezwungen, klarzukommen.

  • Es liegt einfach in meinem Wesen, dass ich mich jeden Tag aufs Neue fordere.Auf Twitter teilen
  • Denkst du, du bist eine Overperformerin?

  • In gewisser Weise auf jeden Fall. Ich mache ich mir den Druck immer selbst, der kommt nicht primär von außen. Ich habe niemanden, der mir irgendwas sagt, ich bin ja… CEO (lacht). Keine Ahnung, wo ich die Motivation immer hernehme. Es liegt einfach in meinem Wesen, dass ich mich jeden Tag aufs Neue fordere.

  • Deine Musik strotzt vor Attitude. Ist dein Ego im Alltag ebenso riesig?

  • Ego ist etwas ganz, ganz Schlechtes. Ein Buch kann ich dir empfehlen: »Dein Ego ist dein Feind« von Ryan Holiday. Auf »Wifey« sage ich zwar »Großes Ego ohne High Heels«, aber Ego ist gar nicht cool. Die Attitude ist da, unabhängig von meinem Ego. Meine Motivation ziehe ich safe nicht daraus.

  • Wenn du rappst, spürt man ja auch schon Street Credibility. Ist das komisch für dich, mit deinem Background einerseits Rap-Newcomerin zu sein und andererseits Vollzeit in der Uni zu sitzen?

  • Ja, voll. Es ist ein ständiges Doppelleben. Man könnte auch sagen, dass ich zwei Persönlichkeiten habe. (lacht) Man denkt es vielleicht nicht, aber ich bin voll die Außenseiterin. In der Uni sitze ich alleine an ‚nem Tisch. Ich war schon immer Einzelgängerin. Meine Kommilitonen kennen dieses Leben auf der Straße nicht. Die meisten kommen aus Akademikerfamilien, ich bin in meiner Familie die erste, die studiert. In der Uni muss ich doppelt so viel geben, damit ich das überhaupt schaffe.

  • Du rappst, studierst, planst eine Modekollektion, eine Autobiografie, machst dein eigenes Management und Kampfsport – Bleibt da überhaupt Zeit für Freund:innen und Familie?

  • Nein, absolut nicht. Ich bin froh, wenn ich die Zeit finde, sonntags mit meiner Fam Mittag zu essen. Ab und zu gehe ich mit Freunden ins Restaurant, aber das war’s.

  • Checkt deine Familie, was du machst und erreichen willst?

  • Meine Mama ist sehr stolz auf mich, ich bin die jüngste von vier Kindern. Die disst manchmal meine Geschwister (lacht) – weil ausgerechnet ich die Familie versorge. Aber in Thailand haben die natürlich nicht die gleichen Möglichkeiten wie ich. Fast meine ganze Familie wohnt dort. Deswegen mache ich mir diesen Druck: Es wäre undankbar, wenn ich nicht alles geben würde.

  • Das klingt alles nach super viel Aufwand. Hast du keine Angst vorm Burnout?

  • Ich war so oft so kurz davor. Gerade in den Klausurenphasen ist es echt schwierig, das alles zu handlen. Ich plane und bereite den gesamten Content vor, damit ich in dieser Zeit nur noch posten muss. Krasses Zeitmanagement.

  • Was tust du, um den Stress zu reduzieren?

  • Boah… Das Problem ist meine To Do-Liste, die nie kürzer wird. Jeden Tag kommt mehr dazu und ich kann nie alles abarbeiten. Das macht mich ein bisschen krank. Die Auszeit ist für mich der Kampfsport, deswegen nehme ich mir die Zeit dafür.

  • Du investierst viel Kraft, um dich selbst zu optimieren – um extrem viel Leistung erbringen zu können. Was ist dein Ziel?

  • Ich will erfolgreich sein in allem, was ich tue. Sei es Musik oder Mode. Ich sehe meine Berufung im künstlerischen Bereich. Ich studiere Internationales Immobilienmanagement, aber sehe mich nicht in einem Angestelltenverhältnis. Trotzdem bekomme ich das Know-How, mich auch in diesem Bereich selbstständig machen zu können. Man muss das Risiko streuen, nicht alles auf die Musik oder das Immobiliengeschäft setzen.

  • Und wer weiß, wann die Wohnkonzerne enteignet werden…

  • Man weiß gerade gar nichts. Das ist auch ein bisschen schwierig und erschreckend.

  • Was ist dir wichtiger als Geld?

  • Meine Familie. Aber meine Persönlichkeit und ihre Entwicklung steht eigentlich an erster Stelle. Ich beschäftige mich viel mit mir selbst, lese viel, bilde mich persönlich weiter. Das ist mir viel wichtiger als Geld, auch Kampfsport gehört dazu.

  • Du bist Buddhistin, richtig? Inwiefern spielt das eine Rolle in deinem Alltag?

  • Meine Mutter hat mich so erzogen. Ich sehe das weniger als Religion, mehr als Lebensphilosophie. Es geht um Grundsätze, wie zum Beispiel: Dass alles, was dich emotional verändert, ein Ausdruck von Leid ist. Sei es Wut, Ärger oder Traurigkeit. Davon will ich mich nicht leiten lassen, sondern versuche, ruhig und klar zu bleiben. Das ist die Königsdisziplin. Egal, was passiert, du bleibst gelassen und gibst dich deinen Emotionen und Trieben nicht hin. Neuerdings beschäftige ich mich auch mit dem Stoizismus, das ist die Philosophie der Gelassenheit. Diese Bewegung ist zwar schon 300 v. Chr. in Griechenland entstanden, aber so zeitlos!

  • Stärke und Unabhängigkeit ist das Zentrum. Auf Twitter teilen
  • Vorhin hatten wir kurz über Attitude gesprochen. Wieso ist es dir überhaupt wichtig, in der Musik so viel Stärke zu zeigen?

  • Stärke und Unabhängigkeit ist das Zentrum. Das war schon immer meine Persönlichkeit. Natürlich habe ich auch eine sehr verletzliche Seite, ich bin nicht nur icy. Die kriegt aber niemand zu sehen, damit gehe ich sehr sparsam um. Man darf nicht zu viel Gesicht zeigen, so ist es leider heutzutage.

  • Selbst auf dem Lovesong »Easy« rappst du davon, wie bossy du bist. Dabei ist das Thema ja wie gemacht für Sensibilität.

  • Das mache ich gerne. (lacht) Keine Sorge: Es wird auch noch ein emotionales Tape kommen, da geht es nur um Gefühle. Aber das ist erst das übernächste Projekt.

  • Dein thailändischer Background, deine Weiblichkeit und deine Street-Erfahrungen nehmen viel Raum in deiner Kunst ein. Also machst du alles, was dich gesellschaftlich in eine Opferrolle bringen könnte, zum Alleinstellungsmerkmal. War das schon immer deine Bewältigungsstrategie?

  • Die Kunst ist, sich gar nicht erst in die Opferrolle stecken zu lassen. Es geht um Selbstvertrauen: Du weißt, was du bist. Du weißt, was du kannst. Dann lässt du dich gar nicht erst in die Ecke drängen. Ich lass das gar nicht an mich ran, mich juckt das einfach nicht.

  • Seit deiner ersten Single bleibst du dem Drill-Sound mehr oder weniger treu. Wie bist du zu diesem Subgenre gekommen?

  • Mit 13 bin ich auf Drill gestoßen. Mit Chicago Drill habe ich angefangen, dann auch schnell UK Drill entdeckt. Aber was mich geprägt hat, war Chief Keef, Fredo Santana, Lil Durk, Waka Flocka und später natürlich Pop Smoke. Das habe ich jeden Tag gehört und deshalb sollte meine erste Single auch ein Drill-Song sein.

  • Was muss ein:e Künstler:in haben, damit du Fan wirst?

  • Authentizität. Ich kann nur etwas fühlen, womit ich mich identifiziere. Das ist Flexen, auf emotionaler Basis. Wenn du es schaffst, mir Gänsehaut zu machen oder Lines zu droppen, bei denen man denkt: »Krass, hat sie nicht gesagt!«

  • Du rappst über Trüffel, Birkin Bags und Ferraris. Welche Identifikationsfläche bietet das?

  • Das ist für mich die Deko. Ohne Luxus wäre ich trotzdem CHAN LE, trotzdem authentisch. Das sind Assets, die kann ich weglassen und es wäre trotzdem krass. Ich fahre ja auch nicht jeden Tag mit einem Ferrari rum.

  • Denkst du, du hast schon deinen eigenen Sound gefunden?

  • Ich will Vielfalt zeigen. Ich mache gern Rap, Drill, auch emotionale und softe Sachen, R&B. Mein Soundbild ist gefächert, aber schon eher trappig und frech.

  • Mir ist bei Songs wie »Easy«, »Sis« und »Keine Diva« schon aufgefallen, dass du dich noch sehr stark auf die Referenzen und Vorbilder verlässt.

  • Krass, dass du das sagst. Mir ist das gar nicht so aufgefallen. Mich persönlich stört an der EP aber etwas anderes: dass der rote Faden fehlt. Die Songs wurden bunt zusammengewürfelt. In Zukunft wünsche ich mir mehr Struktur. Aber klar, ich habe mich ausprobiert, ich bin independent. Kein Label, kein Plan, das ist learning by doing. »Still CHAN LE« ist nur ein Sample, eine Stichprobe.

  • Bei Falk Schacht hast du erzählt, dass in deinem Elternhaus früher ständig gesungen und getanzt wurde. Was war das für Musik?

  • Das war noch in Thailand mit meinen Brüdern, nur da fühle ich das richtige Familienleben. Wir haben immer thailändische Musik gesungen, ich würde auch gerne irgendwann auf Thailändisch rappen. Erstmal in Deutschland erfolgreich werden, dann auch dort was reißen.

  • Welches ist das schönste Lied aus dieser Zeit?

  • (singt auf Thailändisch) Das ist das schönste Lied, das ich kenne. Nicht wegen dem Text, sondern weil ich damit so viel verbinde: Meine Brüder, meine Familie. Das macht mich emotional. Das sind Erinnerungen, die ich für immer in meinem Herzen trage.