Alyce & Nix »Es sind doch ohnehin alle Geschichten erzählt worden.«

Im vergangenen Herbst hat das Duo Alyce & Nix aus Wuppertal sein Debütalbum »Wer ist das und warum langweilt er mich tot?« veröffentlicht. Darauf zu hören: Flirrendes Unbehagen, klaustrophobe Klanglandschaften und Abgrenzung von allem Alltäglichen – nicht als Pose, sondern als Notwendigkeit. Jan Wehn hat die beiden zum Interview getroffen.

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Lieder, die von Langeweile und liebem Wahnsinn handeln. Vom Aus-der-Reihe-Tanzen und dem Ablegen der Samthandschuhe, von der Penetranz des Alltags und Sommerdepressionen im Dachgeschoss. Poetische Beobachtungen im Innen und Außen, die einem nur gelingen, wenn man mal einen Schritt zurücktritt und das ewig gegenwärtige Grundrauschen verstummen lässt. Inhaltlich, aber auch musikalisch ist »Wer ist das und warum langweilt er mich tot?« dabei ganz anders und eigen, als Rap sich oft gibt oder meint geben zu müssen. Jan Wehn hat das Duo Ende letzten Jahres in Wuppertal getroffen, um nachzufragen, warum das so ist.

Im Gespräch erzählen Noah und Jonathan von ihren Einflüssen zwischen Vince Staples und 21 Savage, über Burial und Andy Stott bis hin zu Monoloc oder Kangding Ray, Grauzone und Die Nerven, aber genauso auch Franz Kafka, Kurt Tucholsky oder Knut Hamsen. Die beiden erklären, warum »Yeezus« eine Initialzündung für sie war, was für ein Problem sie mit Deutschrap oft haben und warum sie sich eher als Vorband von Yves Tumor, als bei einem Rap-Konzert sehen.

  • Wie habt ihr zueinander gefunden?

  • Jonathan: Noah und ich sind seit der 5. Klasse zusammen in der Schule gewesen und seit der 7. Klasse befreundet. Ich würde sagen, das ist die einzige meiner Freundschaften, die sich so lange konstant gehalten und immer weiterentwickelt hat. Ich empfinde es nach all der Zeit immer noch als sehr bereichernd, mich mit ihm zu unterhalten oder gemeinsam etwas zu machen. Auch was die Mucke angeht. Wenn wir neue Musik kennengelernt oder gehört haben, dann waren das fast immer Sachen, die der jeweils andere entdeckt hat.

  • Noah: Auf unseren iPods ist ziemlich genau das Gleiche drauf. (Gelächter) Wir haben schon immer viel gehört und gediggt. Das war eine ähnliche Leidenschaft und ein ähnlicher Drang, neuen Sound zu finden oder neue Künstler zu entdecken. Und irgendwann hatten wir die Idee, selber mal etwas zu machen.

  • Woran erinnert ihr euch in eurer musikalischen Sozialisation?

  • Noah: Das war schon eine Evolution. So mit 12, 13 waren wir noch große Sido-Fans.

  • Jonathan: Auf jeden Fall. Wir waren ganz schlimme Sido-Fans und – so peinlich es ist – auch Prinz-Pi-Fans…

  • Noah:…die »intellektuellere« Sparte eben.

  • Jonathan: Zum Glück haben wir dann irgendwann gemerkt, dass das Zeug gar nicht so smart ist, wie es vorgibt zu sein. Mit 16 oder 17 kamen dann noch Prezident und die Kamikazes dazu.

  • Noah: Rap hat dann aber immer mehr an Stellenwert verloren.

  • Jonathan: Wir haben zum Beispiel das erste Album von Lana del Rey gehört und gemerkt: Es gibt auch abseits von Rap geile Musik. So kam immer mehr dazu: Irgendwelche Post-Punk-Geschichten und krude elektronische Sachen bis zu ekelhaft brutalem Techno-Zeug.

  • Noah: Aber genauso immer noch Lana del Rey – und US-Rap. Bei Deutschrap waren wir früher voll hinterher, aber irgendwann haben wir dann den Faden verloren.

  • Warum?

  • Jonathan: Deutschrap versucht mir zu sehr, mich zu überzeugen. Es wird oft ein Charakter etabliert, der besonders klug, hart, lustig, oder was auch immer sein soll, um mich quasi mit missionarischem Eifer für seine Person zu begeistern. Eine recht anbiedernde Haltung.

  • Noah: Deutschrap benennt auch sehr viel, anstatt es einfach zu tun. Ich fand immer Sachen geil, die wie ein Film funktionieren. Deshalb auch Lana oder aus der Pop-Sparte vielleicht noch die alten Sachen von The Weeknd – das ist Musik, die einen eigenen Kosmos, eine Stimmung kreiert. Nicht bloß eine Ansammlung unzusammenhängender Songs, sondern ein Gesamtkunstwerk. Und bitte keine Tracks, bei denen in der Hook immer wieder das Thema ausgerufen wird.

  • Jonathan: Das ist, als hätte man eine Wundertüte, in der für jeden etwas dabei ist. Da kriege ich immer das Gefühl, dass derjenige das nicht für sich selbst macht oder weil er es geil findet, sondern weil er die Hoffnung hat, dass es jemandem gefallen könnte. So Rattenfänger-Business. Das ist für mich einfach Dreck.

  • Da ist deutscher Rap ja seit jeher sehr gut drin.

  • Jonathan: Wenn du versuchst, mit Musik ein bestimmtes Business am Laufen zu halten, weil du merkst, dass es funktioniert, leidet darunter einfach das künstlerische Produkt. Das fand ich bei dem letzten Album von Zugezogen Maskulin beispielsweise sehr schade.

  • Noah: Du hast bei ganz vielen Deutschrap-Acts diese Tendenz, dass sie ein geiles erstes Album machen, dann werden sie erfolgreich und es kommt noch mal das gleiche Album raus – aber in einfacher und ohne Ecken und Kanten.

  • Jonathan: Es wird dann versucht, die Parts, die gut angekommen sind, zu potenzieren oder zu wiederholen.

  • Noah: Da hilft Spotify einem ja sogar bei. Als wir »Wer ist das und warum langweilt er mich tot?« dort hochgeladen haben, kamen direkt E-Mails in denen es hieß: »Schau mal, welche Songs von dir besonders erfolgreich sind!« Damit wird man als Künstler ja quasi dazu erzogen, genau das noch mal zu machen. (lacht)

  • Welche Deutschrap-Künstler schätzt ihr allgemein noch?

  • Jonathan: Beispielsweise Kamikazes, das neue Negroman-Album oder Ruhe & Bit.

  • Also schon Musik, die eurer recht ähnlich ist.

  • Noah: Auf jeden Fall. Es war ganz witzig, weil ein paar Leute nach der ersten Single fragten, ob wir Ruhe & Bit gehört hätten. Dabei sind die Sachen, die wir jetzt als Album veröffentlicht haben, größtenteils schon vier bis fünf Jahre alt und damals kannten wir die noch gar nicht.

  • Jonathan: Aber Zeitgeist trägt sich ja auch weiter. Man muss dieses oder jenes ja nicht gehört haben, um ähnliche Mucke zu machen. Wenn man sich mit ähnlichen Themen beschäftigt oder mit ähnlichen gesellschaftlichen Umständen konfrontiert ist, kommt da tendenziell auch ähnliche Musik bei raus. Wobei diese Vergleiche mit anderen Interpreten trotz gewisser Parallelen natürlich auch hinken.

  • Noah: »Das Krankenhaus ist unendlich« von Illoyal & BassDeaph ist auch ziemlich geil. Oder »Drama Kronkret« von Hiob.

  • Jonathan: grim104. Die alten Sachen von Audio88, wobei…das sagen er und Yassin ja auch auf einem eigenen Song: »Wir sind wie K.I.Z – ihr hört uns nur wegen der Beats.« Die haben wirklich gute Produzenten an der Hand gehabt. Aber das, was sie mittlerweile machen, ist halt einfach ziemlich generische Kackmucke.

  • Aber man kann sich als Künstler ja auch entwickeln, oder?

  • Noah: Doch auf jeden Fall! Aber gerade das fehlt eben sehr oft: Die Entwicklung ist keine ästhetische, sondern eine konsensfähige Wiederholung des Vorherigen. Es gibt aber auch Künstler, die das recht geil und stringent hinbekommen. Jetzt nicht unbedingt im Rap, aber mir fällt spontan Nick Cave ein, der früher so richtig räudige Punk-Musik gemacht hat und heute fast schon nach Ambient klingt.

  • Jonathan: Karies. Die haben früher schrammeligen Post-Punk gemacht und sind mittlerweile viel elektronischer und poppiger geworden, aber das neue Zeug gibt trotzdem immer noch ein stimmiges Gesamtbild ab.

  • Noah: Wenn jemand alles über den Haufen wirft, um etwas ganz anderes zu machen, finde ich das prinzipiell erstmal sympathisch. Aber Leute wie Audio88 & Yassin machen jetzt das, was sie auf den »Herrengedecken« gemacht haben, nur simpler. Dinge, die die Leute verstehen: Gott ist nur eine Verarsche und so. Da gab es früher noch mehr Konflikte und andere Ebenen.

  • Jonathan: Bei dem Versuch, etwas auf einen Konsens runterzubrechen, damit es für alle verständlich wird, geht einfach die ursprüngliche Dringlichkeit verloren.

  • Noah: K.I.Z sind auch ein gutes Beispiel. Über die hat Prezident mal treffend gesagt, dass sie ihm wie »geistige Benjamin Buttons« vorkommen. (Gelächter)

  • Was ist denn die Konsequenz daraus: Muss Kunst das Gegenteil von Konsens und nicht einfach verständlich sein?

  • Jonathan: Nein, muss sie nicht. Aber wenn ich den Eindruck bekomme, dass man künstlerisch Abstriche macht, um es für Andere begreiflicher zu gestalten, verstehe ich nicht, warum man überhaupt Musik macht.

  • Noah: Das hauptsächliche Kriterium ist, dass ich etwas fühle und gut finde.

  • Jonathan: Fühlen funktioniert ja meist auch nicht über das Verstehen. Das finde ich bei Negroman und seinem neuen Album so krass. Der hat es einfach hinbekommen, Themen nicht unbedingt genau zu erklären, sondern lose Assoziationsketten loszutreten, die genau dadurch, dass sie verschiedene Sachverhalte eben nur anreißen, ein Gesamtbild ergeben, das keine intellektuelle, belehrende Abhandlung, sondern das Abbild eines emotionalen Zustands ist. Das macht es halt so spannend. Und wenn man diesen Gefühlszustand dann wiederum als Beschreibung eines Sachverhaltes betrachten will, ist das tatsächlich viel stärker, als eine inhaltliche Erklärung.

  • »Musik ist für mich auch kein politisches Medium.« (Jonathan)Auf Twitter teilen
  • Ich merke auf jeden Fall, dass ich mich nach genauso einer Kunst sehne. Gerade in Zeiten, in denen alles so eindeutig ist – sei es durch plakative Inhalte oder auch die Messbarkeit, was den Erfolg angeht.

  • Jonathan: Es hat ja auch immer diesen Aspekt der Verwertbarkeit. Du hast deine klare Linie, dein klares Bild und deine klare Message. Das kann man gut vermarkten. Dann propagiert man eben eine bestimmte selbst erwählte Wahrheit, aber macht das nur, um andere zu überzeugen. Das finde ich im Rap, aber auch allgemein anstrengend. Wenn Leute so sehr versuchen, dir eine Message einzutrichtern, um dich davon zu überzeugen, dass dieses Ding einen Wert hat. Dabei spricht für mich daraus nur, dass man dem immanenten Wert eines Werks oder einer Idee nicht vertraut.

  • Noah: Du als Schreiberling weißt ja wahrscheinlich auch, wie schwer es ist, ein Album zu beschreiben. Du gibst einem Album bestimmte Attribute, aber das jeweils treffend beschriebene Album kann im Endeffekt trotzdem gut oder schlecht sein. Dass man ein bestimmtes Thema oder eine bestimmte Message hat, sagt noch nichts über die Qualität der Stücke aus.

  • Jonathan: Musik ist für mich auch kein politisches Medium – zumindest nicht vordergründig. Musik ist immer noch ein ästhetisches Medium.

  • Vielleicht noch mal zurück zu eurer eigenen Kunst: Wie seid ihr von gleichen Hörgewohnheiten dann bei Alyce & Nix gelandet?

  • Jonathan: Schwierig, das jetzt im Nachhinein aufzudröseln. Ich erinnere mich auf jeden Fall, dass wir so mit 16, 17 im Urlaub in Holland »Yeezus« gehört haben und diesen aggressiven elektronischen Soundentwurf sehr geil fanden. Das war zumindest eine wichtige Inspiration zu der Zeit, um selber anzufangen, wobei wir da schon auch viel andere Musik sehr interessant fanden. Ich habe mir dann irgendwann FL Studio besorgt, mich rangesetzt und so lange Beats gebaut, bis sie an einem Punkt waren, an dem ich dachte, dass man da auch mal einen Text draufpacken kann.

  • »Yeezus« als Initialzündung, um selbst mit dem Produzieren zu beginnen, finde ich schon krass.

  • Noah: Das ist eigentlich ein gutes Album, um aufzuhören, oder? (lacht)

  • Jonathan: Ich finde halt alles vor »808s & Heartbreak« einfach super scheiße. Das kannst du in die Tonne kloppen. »Yeezus« war einfach so brutal und neu. Er hat damit alles eingerissen und sich vor allem auch so geile Produzenten draufgeholt. Arca, den wir lieben, oder Gesaffelstein, der richtig geile Abfahrten macht. Bei dem Album habe ich das Gefühl, dass Kanye komplett darauf geschissen hat, was Musik soll, was Rap soll und was die Fans wollen. Er hat einfach alles kaputt gemacht. Diese Radikalität fand ich einfach geil. Und es ist unfassbar gut und scheppernd produziert.

  • Hast du dir dann Tutorials angeguckt, um von dieser Initialzündung aus Beats bauen zu können, die in eine ähnliche Richtung gehen oder einfach Sachen ins Arrangement geschmissen, bis es sich so angehört hat?

  • Jonathan: Schon eher Letzteres. Aber zwischendurch habe ich mir auch Tutorials angeguckt, wenn ich mit was Technischem nicht weitergekommen bin. Die ersten zwei Jahre wusste ich zum Beispiel nicht, was ein Equalizer macht. Vollkommen dilettantisch.

  • Noah: Wir hatten damals eben niemanden, der uns musiktechnisch etwas gezeigt hätte. Deshalb hat es auch so lange gedauert, obwohl die Songs schon so alt sind. Dann gab es die Beats und die Texte, aber noch kein Mic. Wir mussten nicht nur das Produzieren, sondern auch das Rappen lernen und zum Beispiel erst herausfinden, was man da mit seiner Stimme macht. Ich habe auch mit Beats angefangen und ursprünglich war auch der Plan, dass wir beide rappen.

  • Jonathan: Irgendwann war ich vom Rap-Texten aber abgeturnt, deshalb gibt es von mir nur noch einen Part auf »7012« und ansonsten kommen die Texte alle von Noah und die Beats von mir.

  • Ich finde, ihr geht da eine sehr gute Symbiose ein. Die Raps und die Beats agieren auf Augenhöhe.

  • Noah: Es ist ja eine Unsitte, dass bei vielen Rap-Sachen der Produzent nicht erwähnt wird, weil der Rapper am Ende einfach nur Beats zusammensucht…

  • Jonathan: …und draufwichst.

  • Noah: Aber wir wollen, dass das nicht austauschbar ist und das eine zu dem anderen gehört. Am Ende ist der Produzent auch einfach mindestens so wichtig wie der Rapper.

  • Was hat dich beim Produzieren beeinflusst, Jonathan? Mich hat es sehr stark an Burial oder irgendwelchen Industrial-Kram erinnert.

  • Jonathan: Der Grundton des Albums ist ja schon immer noch Rap. Da kann man als Inspiration vor allem neueren englischsprachigen Rap nennen: Vince Staples, Earl Sweatshirt, 21 Savage, A$AP Rocky…Aber ansonsten sind es Einflüsse wie beispielsweise Burial, Andy Stott, The Bug, Arca…

  • Noah: Auf jeden Fall Arca. Diese Synthie-Ästhetik ist schon eine ähnliche.

  • Jonathan: …Monoloc, Kangding Ray, Smerz – halt experimenteller Electro-Kram, der schon eher hart und düster ist, aber eine schöne Feinfühligkeit und eine Liebe zum Detail besitzt. Ansonsten auch viel deutscher Post-Punk wie die schon genannten Karies. Oder Messer, Nerven und Friends of Gas. Und bei älteren Sachen: Natürlich Joy Division, The Cure, Massive Attack, Grauzone oder Fehlfarben. Bei vielen Leuten die Rap machen, habe ich das Gefühl, dass die nichts anderes als Rap hören. Unfassbar uninteressant. (überlegt) Wir haben zu unserer Musik dann auch schon Sachen gehört wie: »Das ist doch gar kein Rap mehr!«

  • Aber was soll es denn sonst sein? Poetry Slam oder was?!

  • Noah: Ja, eben. Ich empfinde unser Debüt schon als sehr »rappig«. Der Drang ist aber, mit den Sachen, die als nächstes kommen, noch weiter von Rap weg zu gehen.

  • Jonathan: Es ist so lame, sich in der ewigen Reminiszenz auf schon Dagewesenes zu berufen.

  • Noah: Wir haben zwar nicht viele Klicks, aber immerhin so ein paar richtig schöne Hate-Kommentare, von Leuten, die sich mehr »tighte Scratches« wünschen oder Gesellschaftsanalyse an uns geübt haben.

  • Inwiefern?

  • Noah: »Die Gesellschaft wird schwul« war so die Quintessenz.

  • Jonathan: Im Video zu »7012« liegen wir ja gemeinsam im Bett und jemand schrieb dann unter Anderem: »Im Rap geht es darum, ein harter Typ zu sein – und nicht zwei Typen mit nem Harten.« (Gelächter) Das war wirklich das Geilste, was ich seit langem gelesen haben.

  • »Ich bin Maler, Bildhauer, schreibe Lyrik und tätowiere.« (Jonathan)Auf Twitter teilen
  • Was macht ihr abseits der Musik eigentlich noch so? Von dir, Jonathan, weiß ich, dass du Künstler bist.

  • Jonathan: Ja, ich bin Maler, Bildhauer, schreibe Lyrik und tätowiere.

    Noah: Ich habe einen Musikblog, das läuft aber nicht wirklich auf etwas hinaus. Ich glaube, das lesen auch nur 15 Leute.

  • Jonathan: Leider.

  • Noah. Ich fand einfach, dass es an guten Plattformen für etwas abseitigere Soundentwürfe fehlt. Ansonsten halt studieren. 

  • Ist die Lyrik, die du, Jonathan, schreibst, auch etwas, das in eure Musik einfließt?

  • Jonathan: Es hat insofern Überschneidungspunkte, weil uns ähnliche Dinge umtreiben, wir ähnliche Dinge gut und scheiße finden, aber in der künstlerischen Ausdrucksform ist das schon verschieden. Ich mache als Ungemach auch noch solo Mucke, die sich stark von dem unterscheidet, was wir zusammen machen. Das ist gesangslastiger und eher eine Mischung aus Wave, Post-Punk, Techno und TripHop. Wobei sich die Musik, an der ich zurzeit arbeite, noch mehr in Richtung experimenteller Elektronik in Kombination mit deutschem Chanson bewegt.

  • Noah, wie schreibst du Texte? Ich finde beeindruckend, wie nah man dran ist, wenn du erzählst.

  • Noah: Kann ich nicht so genau sagen, aber schön, dass das bei dir so ankommt. Meistens ist es so, dass ich zwischendurch eine Assoziation oder ein Gefühl habe und sich daraus eine Zeile entwickelt, die ich mir merke oder hin und her überlege. Erstmal habe ich nur ein grobes Bild und weiß ungefähr, wie ich dieses Bild verpacken will und schreibe dabei einfach sehr viel. Dann bringe ich die Sachen irgendwie zusammen, weil ich merke, dass dieses Fragment ganz gut zu jenem passt. Dann kommt eine Phase, in der ich den Beat habe und dann versuche, das in eine Form zu bringen. Es ist schon oft so, dass ich ungefähr weiß, was ich sagen will und wenn der Reim sich jetzt nicht sofort rauswürgen lässt, muss er halt fernbleiben. (Gelächter)

  • Aber es sollte nicht zu konkret sein, oder?

  • Noah: Ich finde die Sachen, die ich schreibe, eigentlich sehr konkret. (überlegt) Es ist eine schwierige Frage, wie konkret die eigenen Gedanken sind. Ich denke jedenfalls nicht, dass dieses oder jenes zu konkret ist und ich es dann stilistisch verschleiern muss. Die Idee ist da jetzt nicht hinter.

  • Schreibst du nüchtern?

  • Noah: Ich bin immer nüchtern.

  • Jonathan: Er trinkt nicht, er raucht nicht, er kifft nicht.

  • Noah: Ich möchte auf die »Men’s Health«-Titelseite. (Gelächter)

  • Hat Kollegah das nicht mal irgendwo gesagt? »Angespannter Six-Pack, Men’s-Health-Titelseite«?

  • Noah: Keine Ahnung, sowas bekomme ich eher nicht mit.

  • Jonathan: Aber dieses Propaganda-Video kennst du schon. (lacht)

  • Noah: Ja, das war das Einzige, was ich seit Jahren von Kollegah mitbekommen habe.

  • Jonathan: »Hör mal auf zu Boxen!« (Gelächter)

  • Noah: Wie er aus allen Alphas machen will…

  • Jonathan: Das ist fantastisch. (Gelächter) Negroman hat ja bei euch auch ein Interview gegeben, wo er darüber gesprochen hat, dass grade scheinbar jeder ein Alpha sein will und alle die Geilsten sein sollen und dass das als Prinzip nicht funktioniert. Er hat da etwas sehr Profundes gesagt, ich komme aber nicht mehr drauf.

  • Noah: Seine Schlussfolgerung war auf jeden Fall, dass man am besten einfach Frau werden sollte. (überlegt) Bei diesem Electronic-Avantgarde-Kram, der mittlerweile einen Großteil der Musik ausmacht, die wir hören, bist du ja fast schon prüde, wenn du »nur« homosexuell bist. (Gelächter) Da gibt es einfach super viele queere Künstler. Und dass man damit, gemeinsam im Bett zu liegen, Leute provozieren kann, hat man, glaube ich, nur noch im Rap.

  • Jonathan: Wen juckt das denn noch? So eine verquere Vorstellung von Männlichkeit oder das Verlangen nach eindeutiger Zuordnung von Sexualität ist eigentlich überholt.

  • Dass man damit, gemeinsam im Bett zu liegen, Leute provozieren kann, hat man, glaube ich, nur noch im Rap. (Noah)Auf Twitter teilen
  • Ich merke gerade bei solchen Sachen halt, wie ich bei vielem Rap immer weniger vor mir selbst rechtfertigen kann, ihn zu hören. Einfach, weil das Kilometer von meinem eigenen Weltbild und meinen Ansichten entfernt ist.

  • Jonathan: Gut, da hast du in vielen Fällen wohl recht. Aber dann hast du beispielsweise einen A$AP Ferg, der mit »Trap Lord« eines der für mich besten Amirap-Alben veröffentlicht hat und Lines bringt, die nüchtern betrachtet oft widerlich sind, aber die Musik ist einfach gut. Da ist mir dann die moralische Integrität des Künstlers nicht so wichtig, wie das musikalische Produkt. Das regt mich auch immer an diesem pseudo-linksliberalen Diskurs auf: Es soll alles schön geordnet, sauber und für jeden eindeutig links sein. Warum? Diese Widersprüche sollte man aushalten können. Klar kann man an den Texten von A$AP Ferg kritisieren, dass sie sexistisch sind oder in einem gewissen Maße ein fragwürdiges Frauenbild oder eine fehlgeleitete Verherrlichung von kapitalistisch geprägten Idealen transportieren. Aber es ist trotzdem geile Mucke, die sich – wenn man es dann doch interpretieren will – auch fast schon selbst persifliert.

  • Noah: Wobei es auch Sachen gibt, die so eindeutig eklig sind, dass man sie sich trotzdem nicht geben kann.

  • Worum geht es auf »Wer ist das und warum langweilt er mich tot?« eigentlich?

  • Noah: Gute Frage, Isolation, Abgrenzung, Ekel oder eine unbestimmte Sehnsucht sind sicherlich Themen oder Gefühle, die eine Rolle spielen. In einer Zeit, in der man das Gefühl hat, dass man Haltung zeigen oder Flagge bekennen und auf jeden Fall die Dinge verändern muss – was sicherlich sehr legitime starke Impulse sind, die ich gut kenne – ist das Album im Prinzip die neoliberale Antwort auf diese Fragen der Zeit: Ja, Vieles mag schlecht sein, doch der Rahmen bleibt als unveränderlicher Sachzwang. Es gibt keinen Kampf und es gibt kein Kollektiv, nur das isolierte Individuum. Das Album soll quasi ein Standbild des Selbst und der eigenen vier Wände ohne jede Handlung abbilden. Die allgemeine Umbruchszeit als ein Narrativ des Stillstands sozusagen. (überlegt) Das ist schon schwierig für mich zu beschreiben, weil ich das für mich nie so wirklich auf einen inhaltlichen Nenner runtergebrochen habe. Ich habe in erster Linie eher ästhetische Vorstellungen. Ich wollte gerne eine Art Ein-Personen-ein-Raum-Kammerspiel schreiben. Zum Beispiel würde ich nie erwähnen, wie es oft der Fall im Rap ist, dass ich Rap mache und wie der Rap gerade ist. Keine Meta-, sondern pure Ego-Perspektive, keine Erklärungen. Ich finde das Album funktioniert auch stark über so ein Einschließen. Es gibt immer wieder Momente, in denen es nach draußen geht, in denen ein Blick nach draußen geworfen wird. Das ist so eine Konstante – wie weit man drinnen und wie weit man draußen ist, wozu es dann verschiedene Gedankenversatzstücke gibt.

  • In »Balztanz« heißt es »Was euch antreibt, jagt mir Angst ein«. Was ist damit gemeint?

  • Noah: Ich weiß nicht mehr, was der genau Gedanke war, als ich die Zeile geschrieben habe. Aber ich weiß auch nicht, ob eine derartige Aussage nicht auch zur Plattitüde wird, wenn man sie jetzt aus dem Kontext reißt und erklärt. (überlegt) Ich glaube, ich kann da jetzt in diesem Moment nichts zu beisteuern, dass das Gesagte bereichern würde. (zu Jonathan) Du?

  • Jonathan: Noah hat schon recht. Es ist schwierig, so eine Zeile, die sehr offen gestaltet ist und Ausdruck einer allgemeinen Überforderung oder eines Zweifels ist auf ein Statement abzuklopfen.

  • Noah: Ein großes Kontrastgefühl wäre zum Beispiel, sich einfach bestimmte gesellschaftliche Institutionen anzusehen. Was Leute feiern, wofür sie Feste veranstalten. Für Junggesellenabschiede, neue Jobs, absolvierte Lebensabschnitte. Ich würde sagen, dass solche Dinge für mich erstmal eher mit Angst und nicht mit Freude behaftet sind. Das ist nichts, worauf ich hinarbeiten möchte. Für mich ist weniger klar abzusehen, worauf ich mit meinem Tun grundsätzlich hinziele. Klarer ist für mich eher, was es nicht ist. 

  • Aber in »Milch und Honig« geht es ja auch darum, dass Feindbilder verloren gehen und es nichts gibt, wogegen man antritt.

  • Noah: Daraus erklären sich ja viele Phänomene: Weltverschwörungstheorien, Antisemitismus. Vieles, was wir gerade beobachten können, ist ein Resultat aus diesem Bedürfnis, einen Feind haben zu wollen oder dieses eine Gebäude, in dem ich die Fenster einschmeiße und danach fließen Milch und Honig wieder.

  • »Mutterkuchen« ist ein Lied, dass von Langeweile und Leere handelt. Wie kann man so etwas begegnen?

  • Noah: Ich beobachte, dass diese sinnleeren Zustände, trotz aller Lebenserfahrung, die ich so angesammelt habe, nicht verschwinden. Ich glaube, was hilft, ist Akzeptanz. Diese Momente in denen das alles, was einen normalerweise antreibt, nicht zieht. In denen die Kraft fehlt und nicht ganz klar wird, was das alles wertvoll machen soll. Ich glaube, Leere ist dann ein recht existenzieller Teil des eigenen Daseins, der sich nie gänzlich negieren lässt. Diese Leere, diese Langeweile ist natürlich nur eine Momentaufnahme. Aber ich glaube nicht, dass dieses Gefühl je gänzlich verschwindet oder dass es konkrete Strategien gibt, mit denen man das eindämmen kann. Es ist besser, das zu akzeptieren. Denn wenn man das nicht tut, sondern es von sich weist oder diesem Gefühl keine Berechtigung gibt, macht es das oft auch schlimmer – zumindest bei mir.

  • Auf »Grüner Zweig« heißt es: »Der Zynismus macht so müde«. Ist das eine Haltung, mit der ihr oft auf die Welt schaut?

  • Noah: Das ist auf jeden Fall ein bestimmter Geist, der mich durch meine Pubertät und mein Heranwachsen begleitet hat. Ich würde ohnehin sagen, dass »Wer ist das und warum langweilt er mich tot« ein Coming-of-Age-Album ist, dass sich mit Teenage Depression auseinandersetzt.

  • Jonathan: Die meisten Texte sind ja auch entstanden, als du 17, 18, 19 warst.

  • Noah: Damals waren für mich ein totaler Nihilismus und Relativismus – ein bestimmender State of Mind. Aber da ist für mich dann die Erkenntnis, dass es eben nur eine Facette, eine Momentaufnahme ist und nicht die Gesamtheit meiner Persönlichkeit auf den Punkt zu bringen vermag. Und auch einfach, weil das müde macht und es kein Zustand ist, in dem man sich dauerhaft breit machen kann.

  • Kunst kann viel erklären, gerade dadurch, dass ein Problem nicht stringent abgearbeitet wird. (Noah) Auf Twitter teilen
  • Gibt es Literarisches, was dich beeinflusst oder beeindruckt?

  • Noah: Es gibt sehr viele Sachen, die ich großartig finde – aber ich weiß nicht, ob es wirklich etwas gibt, was technisch oder von der Perspektive ähnlich funktionieren würde.

  • Jonathan: Naja, aber es gibt viel, was du liest und was vom Vibe her ähnlich ist: Knut Hamsun, Kafka…

  • Noah: Kafka ist natürlich auch ein gutes Beispiel für diese eingangs schon erwähnte, hermetische Welt und die in sie hineingeworfenen Protagonisten. Ich habe kürzlich »Der Ekel« von Sartre gelesen – die Texte auf »Wer ist das und warum langweilt er mich tot?« sind zwar alle schon älter als die Leseerfahrung – doch daran gefällt mir sehr gut, wie wenig Handlung es im Prinzip gibt, aber wie viele Perspektiven auf einen einzelnen Gegenstand.

  • Jonathan: Da geht es dann auch weniger darum, dass dauernd etwas Neues oder Interessantes passiert, sondern vielmehr darum, dass der Protagonist durch eine Alltagssituation schreitet und sie in irgendeiner eigenen Form erlebt – er sieht etwas, er riecht etwas, er bekommt irgendetwas mit – und merkt, was das mit ihm macht. Dann kann es bei »Der Ekel« zum Beispiel auch bloß darum gehen, wie der Protagonist an einer Straßenecke steht und aus einem Viertel heraus in ein immer dunkleres Viertel vordringt und dabei einfach nur die Straße beobachtet und sie beschreibt. Er vertieft sich dabei so in Details, dass er davon sein Gemüt beeinflussen lässt, wodurch ein viel interessanteres Bild von einem menschlichen Gefühlskosmos entsteht, als wenn man einfach nur eine Handlung abreißen würde. Das finde ich meist ohnehin eher uninteressant. Was juckt mich, wer wen abgestochen hat?

  • Noah: Es sind doch ohnehin alle Geschichten erzählt worden. Man kennt die Autoverfolgungsjagden halt schon. Es kommt dann eher darauf an, in welchen Nuancen man wiedergibt. (überlegt) Als Einfluss würde ich auf jeden Fall noch expressionistische Lyrik nennen: Paul Zech, der tatsächlich auch in Wuppertal gelebt hat, Georg Trakl oder Gottfried Benn, die auch eine sehr bildliche, metaphernreiche Sprache haben.

  • Jonathan: Es macht auch einfach so Spaß, einen Kosmos zu erzeugen, in den man sich reinfühlen kann, der nichts erklärt, der dir keine Antworten auf irgendwas gibt. Der hilft dir bei nichts, außer vielleicht dabei, dich besser verstanden zu fühlen. Wobei das auch irrelevant ist. Es ist einfach ein Gefühlsausdruck und da kommen wir wieder zu dem Punkt, was Kunst leisten kann: Nämlich genau das und nichts erklären.

  • Noah: Wobei ich schon sagen würde, dass Kunst erklären kann.

  • Jonathan: Ja gut, aber sie kann keine eindeutigen Antworten liefern.

  • Noah: Kunst kann viel erklären, gerade dadurch, dass ein Problem nicht stringent abgearbeitet wird. Dadurch eröffnen sich neue Perspektiven und es wird ein Verständnis für bestimmte Dinge erzeugt, das vorher so nicht da war. Selbst, wenn es gar nicht benannt wird. Das ist ja das Unvorstellbare in Strukturen, in denen ansonsten alles gebändigt und benannt wird. Und das ist es, was Kunst leisten kann und was ich schon immer an ihr gefühlt und geschätzt habe – und was mich eben an Rap auch immer gestört hat: Der erste und zweite Song sind total gefühlsintensiv und im dritten geht es auf einmal um die Szene. Ich höre Musik definitiv in Albumform, weil ich diesen Spannungsbogen und das Eintauchen sehr schätze – bei sowas bin ich dann total raus.

  • Jonathan: Für mich ist literarisch auf jeden Fall Tucholsky ein großer Punkt. Aber die Texte kommen ja bis auf den einen nicht von mir. (lacht)

  • Aber vielleicht ist das ja trotzdem dafür verantwortlich, wie du einen Knopf drückst.

  • Jonathan: Joah, schon. Es formt vielleicht mehr eine allgemeine Ästhetik oder ein Gefühl für sie – und die schlägt sich dann natürlich irgendwie darin nieder, wie die Musik klingt. Aber nicht als direkte Erinnerung daran oder als ein Verweis darauf.

  • Hat Wuppertal auch einen Einfluss darauf?

  • Noah: Man kennt es ja nicht anders, ne?

  • Jonathan: Du hast eine Zeit lang auch in Köln gewohnt, da war es auch nicht groß anders, oder?

  • Noah: Ich meine, die Stadt ist natürlich schon ein ganz elementarer Teil des Kontextes, aus dem man kommt. Aber so ein direkter Einfluss? Ich weiß nicht.

  • Jonathan: Wir haben auf jeden Fall beide in der Südtstadt recht weit oben auf dem Berg gewohnt, wo man in ein paar Minuten im Wald ist. In Wuppertal ist es ja recht oft regnerisch und düster und ich fand es immer schön, einfach durch den Wald zu laufen und diese karge Tristesse zu schätzen.

  • Noah: Das hat mir auch schon immer viel gegeben. Es ist nass und kalt, aber irgendwie auch schön. Es gibt ja auch Leute, die sagen, dass sie keine traurige Musik hören können. Aber man hört die ja nicht, weil man sich hasst und sich Schmerzen zufügen will, sondern es schön findet, sich in dieser Stimmung zu verlieren, die dann auch nicht zwingend »traurig« ist.

  • Jonathan: Ich habe von einigen Stellen schon gehört, dass das Album depressiv sei oder wir sehr deprimiert klingen würden, aber das ist gar nicht der Punkt. Diese Traurigkeit – wenn man sie so nennen will – ist ein Gefühl, das Teil des menschlichen Emotionsspektrums ist, in welchem ich mich sehr aufgehoben fühle und welches ich für sehr ehrlich halte.

  • Noah: Man ist auch einem permanenten Zwang zu lächeln ausgesetzt. Vielen Leuten geht es ein bisschen ab, sich vorstellen zu können, dass es auch Formen von Wohlbefinden gibt, die nicht mit einem Dauergrinsen verbunden sind und es auch ein Dauergrinsen gibt, das nicht mit einer Form von Wohlbefinden verbunden ist. Aber noch mal zum Einfluss der Stadt: Das soziale Umfeld ist auf jeden Fall sehr prägend gewesen. Da oben, wo wir zur Schule gegangen sind, war schon vorstädtisches Einzugsgebiet. Da gab es eigentlich nur Deutsche mit einer sehr ähnlichen Sozialisation, einem sehr ähnlichen Weltbild. Alle haben im Grunde im gleichen Haus gewohnt und das gleiche Leben geführt. Ich glaube, daraus hat sich sehr früh eine gewisse Antihaltung und der Wunsch nach Abgrenzung gespeist – gegenüber Konformität, bestimmten Formen des Verbringens eines Freitagabends und einem Wir-Gefühl, das ich für eher verdächtig halte. Unsere Jugend war auf jeden Fall von einer sehr starken Antihaltung geprägt.

  • Jonathan: Eine, die sich jetzt auch noch weiterführt. Was mir sehr oft auffällt: Ich verstehe nicht, dass der Exzess so extrem hoch gepriesen wird. Man schießt sich heftig ab, es passieren augenscheinlich krasse Dinge – aber dieses über die Stränge schlagen ist eigentlich super langweilig, weil dem eine totale Berechenbarkeit innewohnt. Ich schätze dann viel mehr die Abende, an denen man einfach nur stundenlang am Tisch, oder irgendwo draußen sitzt, trinkt und miteinander quatscht. Das gibt mir viel mehr Input und Lebensfreude. Der Exzess ist einfach auserzählt.

  • Noah: Exzess ist auch etwas, das nur im Kontrast funktioniert, und zwar innerhalb eines bestimmten Narrativs: Dein Leben ist größtenteils scheiße, am Wochenende ist Exzess und dann ist es wieder scheiße – das ist natürlich eine sehr ernüchternde Vorstellung von Belohnung, die nur an einen Wochentag oder das Besaufen gekoppelt ist. Oft ist das ja auch nur ein Scheinexzess: Man betäubt sich soweit, dass man gar nicht mehr mitbekommt, dass es eigentlich gar nicht so krass ist, an die Laterne zu pissen oder auf das Auto zu kacken. So krass und rebellisch ist das am Ende gar nicht.

  • Ich finde es in einer Freundschaft sehr uninteressant, wenn man sich die ganze Zeit recht gibt. (Noah) Auf Twitter teilen
  • Was ist verdächtig am Wir-Gefühl?

  • Noah: Man begibt sich da schnell in eine Position, in der man ganz viele Dinge einfach unreflektiert übernimmt und sich von der Dummheit eines Kollektivs vereinnahmen lässt.

  • Jonathan: Ich glaube, wenn man so ein Kollektiv braucht, um sich in seiner Person gestärkt zu fühlen, ist einem selbst nicht genug bewusst, welche Sachen einem tatsächlich wichtig sind. Dann schließt man lieber Sachen aus, die einem vielleicht gefallen könnten, die du gerne machen oder auch kritisieren würdest, lässt sie aber vom Tisch fallen, weil du Angst hast, dann auf einmal nicht mehr zur Gruppe dazuzugehören. Das finde ich super uninteressant. Da bin ich lieber kein Teil dieser Gruppe.

  • Noah: Viele kommen dann auch nicht mehr klar ohne das Wir. Wenn du nicht ständig jemanden an deiner Seite hast, der dich bestätigt. Ich finde es in einer Freundschaft sehr uninteressant, wenn man sich die ganze Zeit recht gibt. Man teilt natürlich viele gemeinsame Ansichten, aber wenn das dazu führt, dass man sich gar nicht mehr widersprechen kann, dann fehlt die Reibung.

  • Das merkt man ja auch bei euch beiden, finde ich.

  • Jonathan: Das ist auch ein Punkt unseres Freundeskreises: Es finden sich da viele verschiedene, streitbare Charaktere zusammen, und es besteht – würde ich zumindest behaupten – eine Diskussionskultur, die nicht auf einer hysterischen Ebene basiert, sondern darauf, sich auszutauschen und zu schauen, wie man selbst zu diesem oder jenem Thema steht – und auch damit klarzukommen, dass man auch mal an einem Punkt Scheiße gelabert hat, was aber nicht schlimm ist, weil man dann seinen eigenen Standpunkt hinterfragen und möglicherweise ändern kann. Da kommen wir wieder zu den klaren Antworten auf alles. Es gibt oft dieses schöne fertige linke Weltbild, in dem man alles in Gut und Böse unterteilt…

  • Noah:…was ja eigentlich ziemlich unlinks ist…

  • Jonathan:…und die Bereitschaft, die eigenen Meinungen und die von anderen zu hinterfragen – nicht in dem Sinne, dass du das Ding zerstören, sondern herausfinden willst, was es noch für Schwachpunkte gibt und ob es überhaupt welche sind oder nicht – fällt dann dabei weg. Wenn man irgendwann an den Punkt kommt, dass man etwas nur noch in »gut« oder »schlecht« unterteilt, negiert man einfach die relevanten Graustufen dazwischen.

  • Noah: Die Leute wollen eine neue Reflexionsstufe erreichen, aber nehmen die erstbeste Abkürzung dorthin. So nach dem Motto »Die Welt ist schlecht und meine Antwort darauf lautet: Ich bin Vegetarier.« Ja, Fleischkonsum kann man problematisch finden – aber da hört der Denkprozess ja noch nicht auf. Sonst ist das nur eine neue Komfortzone, die im Grunde die gleiche, wie die der Leute ist, die Fleisch essen und sich darüber noch nie Gedanken gemacht haben. Und eine Lösung ist das sicherlich auch noch nicht, sondern erstmal nur eine moralische Lifestyle-Optimierung.

  • Jonathan: Da kommt dann ein ganz trügerisches Gefühl von Sicherheit auf. Man meint allgemeingültige Antworten gefunden zu haben, die ein gesetztes, moralisches Weltbild begründen, das dann keiner weiteren Entwicklung bedarf.

  • Noah: Wer sich tiefer mit einem Phänomen beschäftigt, merkt in der Regel doch recht schnell, wie absurd es ist, zu glauben, dass man viel verstanden hätte. Ich verstehe auch gar nicht, wie dieses Gefühl zustande kommt. Es gibt so viele kluge Denker, die kluge Dinge sagen, aber immer noch höchst fehlbar sind. Man muss seinen Fokus schon stark verengen, um sagen zu können »So ist es.«

  • Wenn »Wer ist das und warum langweilt er mich tot« eher ein Coming-of-Age-Album war, wovon handeln dann die neuen Stücke, an denen ihr gerade arbeitet?

  • Noah: Es gibt auf jeden Fall mehr Feindbilder. Ich fand früher die Konsum- oder Kapitalismusthematik in der Kunst prinzipiell sehr cheesy. Vor allem, wenn es nicht über ein Bild davon hinauskommt, dass einer viel und einer wenig Geld hat – das war in meinen Augen immer eine sehr abgedroschene und sich selbst genügende Erzählung. Aber letzten Endes spielt dieser Grundbezug, in einer kapitalistischen Welt zu leben, doch eine große Rolle. Aber nach wie vor soll nichts erklärt und mehr gefühlt werden, Kritik ist das höchstens implizit.

  • Jonathan: Ein Freund von uns, der das Album schon in Gänze gehört hat, meinte: Der Typ vom ersten Album, der die ganze Zeit drinnen verbracht hat und nur mit sich selbst beschäftigt war, ist jetzt mal rausgegangen – und dort ist alles noch viel beschissener. Die Beschreibung fand ich auf jeden Fall ganz gut (lacht) Ein Konflikt, der sich bei mir permanent auftut und immer schwieriger auszuhalten ist: Dadurch, dass man, wenn man will, extrem gut informiert sein kann, bekommt man immer mehr mit, wie viele tausende Missstände einen direkt, oder auch global gesehen umgeben – und daraus erwächst natürlich eine gewisse Ohnmacht. Das ist etwas, das dem ersten Album schon stark innegewohnt hat. Die Zeit, in der wir leben, ist so unglaublich prekär. Ich verstehe nicht, wie man da eigentlich noch Befindlichkeitsmusik machen kann, die sich nur auf sich selbst bezieht. Im gleichen Moment finde ich aber genau diese Musik wichtig, weil sie mich an einem emotionalen Punkt abholt. Das ist für mich ein Konflikt, der gerade krass besteht.

  • Noah: Durch dieses Auf-sich-beziehen und dem Ganzen eine emotionale Komponente geben, werden Aspekte zu Tage gefördert, die jetzt nicht durch eine bloße deskriptive Darstellung zu erreichen sind und dann vielleicht auch übergeordnete strukturelle Aspekte, die sich in dieser kleinen Form widerspiegeln.

  • Jonathan: Es wäre ja auch bescheuert zu sagen, dass man, nur weil man Kunst macht, die sich auf die eigene Person bezieht, nicht auch Spiegel dessen sein kann, was größere Gesellschaftsteile beschäftigt. Es ist halt nur schwierig, dafür einen Beweis zu haben. Es ist natürlich leichter und sicherer zu sagen: Ich prangere Dinge ganz plakativ an und beschreibe, wie sie sind, weil man sich dadurch auch von seiner eigenen Person distanziert und den Inhalt nach klaren Maßstäben bewertbar macht. Ich halte es aber für viel stärker, ein Gesamtproblem oder eine Unschlüssigkeit dadurch darzustellen, dass man es aus der eigenen Sicht beschreibt.

  • Noah: Dadurch kann man ja noch viel größere Widersprüche konstruieren, die nicht sofort aufgelöst werden.

  • Jonathan: Nur erfordert das einfach eine Art von Selbstvertrauen und Selbstsicherheit, dass der Ausdruck dessen, was dich umtreibt, auch tatsächlich stark genug und intensiv genug ist, um…

  • Noah:…hinauszugehen über Teenage Depression und Tagebuchführung. (überlegt) Eine Sache, die sich auch verändert hat, ist die Technik des Erzählens. Teilweise gibt es ein stringenteres Narrativ. Man könnte auf ein paar Tracks fast von Storytelling reden.

  • Und musikalisch?

  • Noah: Ich würde sagen, die Arrangements sind komplexer geworden. Und analoger.

  • Jonathan: Es ist nicht mehr so stark von Rap oder – so blöd dieser Begriff auch ist – Trap geprägt. Klar fußt das alles immer noch im Rap, aber ist vielmehr von abgefuckter elektronisch-experimenteller Musik und Genres geprägt, die eigentlich nicht dafür prädestiniert sind, darauf zu rappen. Zumindest gibt es das in der Form eher selten. Trotzdem ist es definitiv kein Crossover-Ding, in dem Sinne, dass wir eigentlich gar keinen Industrial-Techno hören, aber ihn jetzt mit Rap-Texten zusammenbringen. Wir hören diese Musik, das sind unsere Einflüsse. Für mich ist zum Beispiel der Soundtrack zu »Faust«, diesem Stück von Anne Imhof krass. Da geht es ja nicht mehr darum, einen Banger zu bauen, sondern eine starke, eigenständige Stimmung zu schaffen, die auch mal darüber hinausgehen kann, permanent einen Beat runterzuleiern, wo jemand einen Text draufpackt.

  • Noah: Die Beat-Struktur wird auf jeden Fall stärker aufgebrochen und dabei komplexer. Das Ziel ist, kein klares Intro oder Outro zu haben und dazwischen steht der Part im Mittelpunkt. Es gibt vielmehr einen Flow, in dem die verschiedenen Teile des Songs wirklich ineinanderfließen und gleichberechtigt existieren, ohne, dass der Fokus zu sehr auf den Vocals liegt.

  • Jonathan: Für mich war ein grundsätzlicher Unterschied in der Arbeitsweise, dass ich auf dem Album davor tatsächlich immer im Kopf hatte, dass das jetzt ein Rap-Beat werden muss und mich dementsprechend an solchen Sachen orientiert habe. Wenn ich jetzt produziere, experimentiere ich viel mehr mit Effektpedalen, gechoppten Samples und solchen Dingen herum. Ich mache erstmal etwas, das mir gefällt und schaue dann, wie ich das in eine interessante Struktur bringen kann. Dadurch entsteht ein viel interessanteres Soundbild.

  • Noah, inwiefern wird der Text eigentlich auch durch die Musik beeinflusst, wenn du schreibst?

  • Noah: Bei den Songs, die wir schon veröffentlich haben, war es so, dass ich unabhängig von der Musik geschrieben habe. Ich habe Fragmente angesammelt und versucht, meine Gefühle und Gedanken in einem immerwährenden Prozess in Form zu bringen. Eine sehr lose Form. Erst im nächsten Schritt habe ich das dann in eine geschlossene Form gegossen und mit dem Instrumental in Einklang gebracht. Für die neuen Songs, die bald kommen werden, haben wir auch mit anderen Arbeitsweisen herumexperimentiert. In dem Sinne, dass wir auch öfter zusammen Sessions machen. Und das scheint sehr fruchtbar zu sein.

  • Jonathan, denkst du die Stimmung von Noah mit? 

  • Jonathan: Gute Frage. Natürlich haben wir sehr ähnliche ästhetische Vorstellungen, weshalb auch die Texte mit der Musik relativ gut zusammenpassen. Auch achte ich beim Beats bauen darauf, was man an welchen Stellen macht und welche Art von Flow, Setzung und Stimmung man einbringen könnte. Aber ich glaube, das ist ein recht natürliches Ding. Bei den neueren Sachen haben wir gemerkt, dass es sinnvoll ist, sich der Instrumentals nochmal gemeinsam anzunehmen. Langsam arbeite ich auch ein bisschen offener in dem Sinne, dass ich bereit bin, einen Part, den ich geil oder musikalisch sinnvoll fand, der aber nicht zu Stimme oder dem Lied passt, dann ändere. Noah genauso. Wenn irgendein Text oder eine Zeile dann auch zu viel war oder man sie an der Stelle nicht braucht oder der Beat genug spricht, haben wir auch schon Zeilen herausgestrichen.

  • Noah: Bei den neueren Sachen ist das eine Art Dialog. Es gibt verschiedene Stufen des Prozesses, in denen geschaut wird, was dazu kommt, was weg kann. Im Fokus steht das Gesamtprodukt – für das sich dann manchmal auch einzelne Teile zurücknehmen müssen.

  • Geht der Austausch auch von der Ästhetischen und Musikalischen Ebene auf die textliche und inhaltliche? Anders gesagt: Gehst du, Jonathan, immer mit dem d’accord, was Noah schreibt.

  • Jonathan: Natürlich. Wir stehen ja ohnehin in einem starken Austausch und uns beschäftigen auch abseits von der Musik ganz ähnliche Themen. Das ist dann nicht unbedingt immer die Art, wie ich es formulieren würde. Aber grundsätzlich bin ich immer mit dabei. Ich grätsche höchstens mal rein, wenn etwas zu verschwurbelt ist, wenn Noah sich wiederholt oder das Bild nicht so stark ist, wie es sein könnte.

  • Noah: Wobei ich sagen würde, dass das am Ende trotzdem ästhetische Entscheidungen sind. Ich glaube aber, dass das etwas ist, was vielen Rappern fehlt. Es ist schwierig, wenn zu den Texten, die ja oft auch sehr intim sind und immer noch aus einer Emotion oder wichtigen Gedanken entstanden sind, jemand dann sagt, dass das nicht so geil ist. Aber wenn man Kritik zulässt, was ja auch ein Lernprozess ist, findet dann auch eine andere, kritische Auseinandersetzung damit statt. Ich denke, dass die neuen Texte dadurch noch mal um einiges besser geworden sind. Einfach, weil der eigene Narzissmus und die eigene Selbstzufriedenheit ausgemerzt worden sind. 

  • Ihr hattet neulich ja euren ersten Auftritt. Wie war das?

  • Noah: Es hat, bis auf ein paar technische Probleme, auf jeden Fall Spaß gemacht.

  • Jonathan: Wir haben da auf jeden Fall beide große Lust drauf, das mehr und öfter zu machen – aber die Gelegenheit bietet sich halt nicht so oft, weil uns niemand fragt. (lacht)

  • Der Auftritt fand ja im Rahmen des Rundgangs der Kunstakademie Düsseldorf statt. Wollt ihr dort stattfinden? Oder eher im Rap-Kontext? Ist euch das egal?

  • Noah: Wir hatten mal die Idee, eine Kunstakademien-Tour zu machen. (Gelächter) Tatsächlich haben wir da neulich drüber geredet. Bei so einer klassischen Rap-Jam sehen wir uns eher nicht. Das Medium ist vielleicht von der Vortragsweise das gleiche, aber was den Vibe angeht, gibt es dann andere Sachen, die uns näherliegen oder denen wir uns verbundener fühlen. Dieses straighte, engstirnige, tradierte, übermaskuline HipHop-Publikum will uns wahrscheinlich ja auch gar nicht. Und wir wollen keine erhobenen, mechanisch den Takt nachahmenden Arme in unseren Gesichtern rumfuchteln haben.

  • Jonathan: Ich sehe uns auf jeden Fall eher als Vorband von Yves Tumor, als bei einer Untergrund-Deutschrap-Veranstaltung.

  • Noah: Ich finde es vom Konzept her auch spannend, wenn Labels nicht nur Musik aus einem Genre rausbringen, sondern der Fokus auf einen ähnlichen Vibe und eine ähnliche Herangehensweise gelegt wird. Ich denke auch nicht, dass es erstrebenswert ist, sich nur Musik aus einem Genre anzuhören.