Ebow »Es ist wichtig, dass es Rapper*innen wie mich gibt. «
Ebru Düzgün ist die Rapperin Ebow und Teil der Gaddafi Gals. ALL GOOD-Autorin Zina Luckow begleitete sie auf dem Reeperbahn Festival in Hamburg zu einem Live-Podcast und einer Live-Show.
Die Wahlwienerin Ebru Düzgün hat es an diesem spätsommerlich milden Wochenende nach Hamburg verschlagen. Dort spielt sich seit Mitte der Woche das 14. Hamburger Reeperbahn Festival ab. Ebru, die unter dem Namen Ebow dieses Jahr ihr bereits drittes Rapalbum »K4L: Kanack for Life« herausbrachte, tritt Freitagabend im Rahmen des Festivals in der Spielbude auf und nimmt mich am Samstag für eine Runde um den Pudding mit, wie man auf norddeutsch so schön sagt. Dabei machen wir viel mehr als nur einen kleinen Spaziergang. Ich darf bei Ebows Live-Podcast Aufnahme für »Machiavelli« dabei sein, sie zu ihrer zweiten Show ins Moondoo begleiten und wir tauschen uns über das nächste Projekt der Gaddafi Gals aus. Denn Ebru ist nicht nur Solokünstlerin, sondern zusammen mit der Sängerin Nalan und ihrem Produzenten Walter aka P99 Arke$tra ein echtes Powertrio, das im Herbst mit dem Debütalbum »Temple« auf Tour geht.
Als ich an diesem Samstagabend vor dem Imperial Theater auf der Reeperbahn auf sie warte, kommt sie sichtlich im Zeitstress dort an. Kurz vorher fand bereits ein Podcast Live Talk für die »Kanackische Welle« zum Thema »Women of Color im Musikgeschäft« statt. Beim Eintreffen werden wir dann von der Managerin des Imperial Theaters geradezu durch den Hintereingang geschoben, mit den Worten, dass in wenigen Minuten die Aufnahmen beginnen. Ich mache es mir also auf den roten Plüschsitzen in der vordersten Reihe gemütlich und lausche gebannt auch dem ersten Teil der Doppelfolge von »Machiavelli«, dem Podcast von Vassili Golod und Jan Kawelke. Zunächst sitzt KeKe als Gast oben auf der Bühne und spricht über das Thema Depressionen. Als dann Ebow anmoderiert wird und »K4L« als Einspieler in dieser beeindruckenden Kulisse aus schweren Sesseln und Plüschvorhängen läuft, bringt das eine Energie mit sich, die den gesamten Podcast über anhalten soll. Es geht auch direkt ins Eingemachte.
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Vassili Golod: Kanack for Life, kann ich das so sagen?
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Das ist schwierig, wenn du das sagst, denn egal in welchem Kontext, es wird immer eine Beleidigung sein, weil du aus einer anderen Position herauskommst.
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Vassili Golod: Also ist das ein Hautfarbe-Ding an dieser Stelle? Dass ich aus der Ukraine komme, wäre egal?
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Du wirst wahrscheinlich eher als weiß gelesen?
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Vassili Golod: Ich heiße Vassili Golod und habe häufiger mal Situationen, die auch nicht so… (stoppt) Aber ja, klar bin ich weiß.
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Wenn du jetzt die Lyrics total nachvollziehen kannst und sagst »Das ist mein ganzes Leben!«, dann sprich es aus. Ich hätte dich jetzt eher als weiß gelesen und weiß nicht, ob das bei dir in der Familie so war, dass Leute dich oder deine Familienangehörigen als Kanacke bezeichnet haben. Wenn ja, dann sag das auf jeden Fall, claim es für dich. Wenn nein, dann ist es vielleicht ein Wort, das du nicht benutzen solltest.
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Vassili Golod: Ne, cool, das war ja nur die Frage. Wir haben halt in der Grundschule auch immer Ausländer gegen Deutsche im Fußball gespielt. Ich war immer im Ausländer-Team (Publikum lacht) und habe mich zugehörig gefühlt. Aber da sind wir ja eigentlich mitten im Thema, bei Rollen. Das ist jetzt eine Rolle, die du mir zugeordnet hast. Wie kamen wir überhaupt da hin? Das ist, was wir heute erfragen wollen.
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Es folgt ein Austausch, in dem »K4L« als Hymne besprochen und das Wort »Kanacke« in den historischen Kontext gestellt wird. Die Stimmung während des Live-Podcasts ist hochkonzentriert, kein Räuspern, kein nervöses Rumrutschen. Man kann den Fokus auf die gesagten Worte geradezu spüren. Es sind keine leichten Themen, die hier in dem Theatersaal behandelt werden, in dem sonst Krimivorführungen stattfinden. Ebows Erzählungen sind keine ausgedachten Krimis, sondern reale Erlebnisse ihrer Familie, wenn sie über Wut, Krieg und Traumata berichtet. Trotz der ergreifenden Stimmung verliert das Gespräch aber nicht an Power…
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Vassili Golod: Wir haben schon ein bisschen über Rollen gestritten. Vielleicht nochmal zurück an den Anfang: Was ist eine Rolle?
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Rolle geht krass mit Identität einher, das ist dann immer vom Kontext abhängig. Wenn ich bei Deutschen in einer Gruppe stehe, bin ich die Türkin. Wenn ich bei Türken stehe, bin ich die Kurdin. Wenn ich bei Kurden in der Gruppe stehe, bin ich die Alevitin. Bei Aleviten bin ich die Queere. Rollen sind immer sehr stark davon abhängig, in welchem Kontext wir stehen.
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Jan Kawelke: Deine Rolle ist dann immer unterschiedlich zu der Gruppe, in der du dich bewegst. Gibt es dann eine Gruppe, zu der du gehörst?
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Es geht gar nicht darum, ob ich dazugehöre oder nicht. Es geht darum, dass ich glaube, dass unsere Rollen nicht von uns selbst festgelegt werden, sondern eine Zuschreibung von außen sind. Und es sehr stark davon abhängig ist, in welchem Kontext ich stehe.
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Ebow erklärt, warum das erste Lied von »K4L« auf Zaza, einer kurdischen Sprache, ist. Das Album soll sich wie ein Film ziehen und dieser fängt bei den eigenen Eltern in Kurdistan an. Nach Kurdistan ist Ebow allerdings seit langer Zeit nicht mehr gefahren. Weil es sie zerreißt, dort zu sein. Das Publikum fühlt bei diesen persönlichen Erzählungen von Ebow spürbar mit.
Inhaltlich geht es um ihre politisch aktive Mutter, Ängste vor Angriffen rechter Türken und Integration. Als letztes bietet Ebow einen starken Ausblick, in dem sie sich für alle Frauen in der Musikszene wünscht, eigene Strukturen aufzubauen, um nicht mehr von einer männlich dominierten Musikindustrie abhängig zu sein, um wirklich etwas zu verändern. Nach 45 Minuten gebanntem Zuhören darf das Publikum endlich klatschen, die Luft im Saal ist dick und schwer, sodass wir uns schnell unseren Weg ins Freie bahnen. Hinter den Kulissen reden Vassili Golod und Ebow noch einmal über den Kickstart zu Beginn der Talkrunde und sind sich einig, dass so ein Austausch gewinnbringend ist. Ebow verabschiedet sich für eine kleine Pause und wir verabreden uns später für ihre zweite Show auf dem Festival.
Inzwischen ist es Abend geworden, die Reeperbahn platzt aus allen Nähten. Feierwütige Touristen mischen sich unter Besucher*innen des Reeperbahn Festivals, die nach drei Tagen Festival nun ihren letzten Abend planen. Als ich Ebow wiedertreffe kommt sie mit einer ganzen Gruppe von Freunden an. Die Stimmung in dem schummrigen Club mit lila beleuchteten Stufen ist ausgelassen. Auf der Bühne steht Ebow sonst mit dem All Black Female DJ-Kollektiv Bad&Boujee. In Hamburg wird sie jedoch von Miriam Davoudvandi aka Cashmiri begleitet. Als Backup unterstützt sie die Sängerin Douniah.
Wer mit Ebow unterwegs ist, ist auf jeden Fall immer von einer große Gruppe ihrer Freunde umgeben. Gemeinsam machen sie die »Punani Power«-Party zu einem gelungenen Happening. Bei all der ganzen Feierei schafft es Ebow dann aber auch wieder on point zu sein. Sie steht mir noch für ein letztes Interview nach der Show im Eingangsbereich des Clubs zur Verfügung…
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Was bedeutet dir das, dass Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah heute Abend mit ihrem Buch »Eure Heimat ist unser Albtraum« zur Primetime einen Slot auf der Konferenz haben?
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Das bedeutet mir unglaublich viel, weil die auf ihrer Autorinnenebene das machen, was ich in der Musik versuche zu machen. Deren Texte beeinflussen auch meine Musik sehr stark. Zu wissen, dass die an Spaces stattfinden, außerhalb von unseren Bubbles, macht mich auch super stolz.
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Deine Musik ist gleichzeitig auch politische Message. Hast du manchmal das Gefühl dem einen oder anderen Part nicht genug gerecht zu werden?
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Es ist auf jeden Fall eine große Herausforderung für mich, diese Balance zu halten. Meine Texte sind zwar politisch, trotzdem muss ich komplexe Inhalte herunterbrechen, sodass es für mehr Leute verständlich wird, als nur für Akademiker oder Leute, die in meiner Bubble sind. Das sehe ich aber auch als meine Aufgabe. Ich finde es schwierig, dass die meisten Diskurse eigentlich nur auf der akademischen Ebene stattfinden und dass die Leute, die wirklich davon betroffen sind, keinen Zugang dazu haben. Ich sehe das Ganze in der Musik auf jeden Fall als Herausforderung. Das ist etwas, womit ich mich am meisten beschäftige, wenn ich Texte schreibe.
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Ich war auf einer Veranstaltung, auf der gesagt wurde, dass die Zeit im Musikbusiness gerade sogar manchmal von Vorteil für BPOC ist, weil mehr auf Diversität geachtet wird. Was sagst du dazu?
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Auf jeden Fall. Ich habe nur ein bisschen Angst, dass es so ein Trend ist. Ich denke man muss das auch ausnutzen, um seine eigenen Strukturen zu bilden, in dem man bessere Beats macht, indem man seinen eigenen Wert erkennt. Die brauchen dich! Das sollte man ausnutzen.
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Sind die Rapperin Ebow und Ebru als Teil von Gaddafi Gals eigentlich zwei verschiedene Kunstfiguren?
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Auf jeden Fall. Ebow ist sehr persönlich für mich, dadurch, dass es auch mein eigenes Projekt ist. Und Gaddafi Gals ist etwas, das ich mit Freund*innen zusammen mache. Wir folgen da einer Soundästhetik, auf die wir Bock haben. Wir kommen alle drei aus verschiedenen Szenen. Nalan kommt aus der Indie-Richtung, unser Produzent kommt aus dem Memphis HipHop, ich komme auch noch aus einer anderen Schiene. Das lassen wir miteinander verschmelzen. Da geht es um ganz andere Dinge. Es ist experimenteller, auch mal düster.
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Eure Musik wird auch gern als Future R&B bezeichnet. Was hältst du davon?
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Ja, uns fällt es selbst sehr schwer unsere Musik in irgendeine Kategorie zu stecken. Ich glaube Future R&B passt, wobei es auch nicht immer R&B ist. Wir haben auch eine zeitlang gesagt, es ist Avantgarde HipHop. Es ist schwierig, aber ich finde es auch unnötig, dass durch irgendeine Begrifflichkeit den Leuten klar zu machen.
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Ich finde auf dem neuen Album »Temple« sorgen die Interludes und das Outro für eine gewisse Erdung, fast schon Erschöpfung nach der geballten Masse an musikalischer Hingabe.
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Das Album heißt auch »Temple«, weil es wie ein Ritual sein soll, wenn du dir es anhörst. Es hat ein Konzept. Es soll dich abholen, wieder runterbringen. Es hat etwas sehr filmisches. Teilweise gibt es nur Beats oder einen eigenständigen Beat. Dadurch, dass wir das konzeptionell gemacht haben, hat das alles seinen richtigen Platz.
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Als ich »Smoked Out Laced Out« anhörte, musste ich schmunzeln. Wusstet ihr, dass der der Bonner Rapper Sylabil Spill in seinem Song »Augenblick« ebenfalls den Prolog, aus dem 1965 gedrehten Schwarz-Weiß-Film »Faster, Pussycat! Kill! Kill!« für sein Intro nutzt?
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Nein? (überlegt) Ahh, das! Schick mir mal das andere Lied!
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Ich habe einen ganz persönlichen Gedanken, der mich viel beschäftigt hat. Wenn weiße Kids auf eine Schule mit 80 Prozent nicht-weißen Kids gehen und ihr Alltag von Worten wie »Lan« oder »Çüş« geprägt ist, dann finde ich es schwierig ihnen diese Worte zu verbieten oder es als kulturelle Aneignung darzustellen.
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Auf jeden Fall. Ich habe ja auch Freunde, die nur mit Kanacks aufgewachsen sind. Ich übernehme ja auch Wörter aus anderen Sprachen, wie arabisch oder kroatisch, von Leuten, mit denen ich aufgewachsen bin. Wenn ich in »AMK« darüber rappe: »Mach nicht auf Kanacke!«, dann meine ich die Leute, die jetzt erst damit anfangen, diesen Gangster Rap cool zu finden. Du merkst halt, dass die sich das aneignen oder ihre Sprache switchen, wenn sie zum Beispiel mit mir in Kontakt sind. Ich weiß aber, er hat vor zehn Sekunden mit seinem Homie noch ganz anders geredet.
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Du struggelst ja auch schon lange für deine Karriere. Hat sich das einfach so entwickelt und war das Ziel immer ganz klar: immer weiter, immer höher?
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Ich habe immer schon Musik gemacht. Ich habe das nie gemacht, weil ich dachte ich will damit rich werden. Ich bin ein Hustler. Wenn ich Geld brauche, mache ich schon irgendwie Geld. Ich habe das Privileg. Ich lebe in Deutschland. Ich spreche die Sprache. Ich habe einen gewissen akademischen Background. Ich werde schon irgendwie Geld verdienen. Ich bin aber schon immer Musikerin gewesen und es war mir schon wichtig, dass ich damit mein Geld verdiene und das es immer weiter geht. Und gar nicht wegen dem Fame. Das hört sich jetzt vielleicht arrogant an, aber: Es ist wichtig, dass es Rapper*innen wie mich gibt. Das es mehr wie mich geben sollte. Es geht gar nicht darum, die krasseste Rapperin zu werden. Ich will diese Spaces einnehmen, die sonst irgendwelche ätzenden Typen einnehmen.