Evidence »Es ist erstaunlich, wieviel man lernt, wenn man den Mund hält.«
Evidence ist der Inbegriff des Grown-Up-Rappers. Mit »Unlearning Vol.1« veröffentlicht er jetzt sein neues Album. ALL GOOD-Autor Fionn Birr hat mit ihm übers Lernen gesprochen.
Man lernt nie aus. Auch Evidence nicht, der gut 25 Jahre nach dem Debüt seiner Crew Dilated Peoples und nochmal über einer Dekade seit seinen Anfängen als Solokünstler um die »Weather«-Trilogie mindestens den Status Underground-Ikone verdient hat. Sein unumstößlicher Ansatz aus Bescheidenheit und Beharrlichkeit haben den Rapper und Produzenten aus Venice Beach quasi zur internationalen Definition von real, aber auch zum Prototypen eines Grown-Up-Rappers werden lassen. Mit seinem neuen Album »Unlearning Vol.1« setzt der 44-Jährige abermals auf die Kunst der Selbstreflexion. In den Kreisen von Gästen wie Conway The Machine oder Boldy James, aber The Alchemist oder Nottz legt Mr. Slow-Flow dabei die Lektionen des Lebens, aber auch die Magie des Umdenkens frei. Zeit für ein Gespräch übers Lernen.
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Dein Album heißt »Unlearning Vol.1«, darum würde ich gerne mit dir über das Lernen sprechen. Hast du während der Lockdowns im letzten Jahr etwas Neues gelernt? Manche hatten sich vorgenommen, sich ein Instrument oder eine Sprache zu beizubringen zum Beispiel.
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Nein, ich habe mir nichts dergleichen vorgenommen und auch nichts gemacht, was ich sonst nicht getan habe. Ich habe aus dieser Situation aber andere Dinge gelernt. Es hat mir ein bisschen den Spiegel darüber vorgehalten, wie ich mich und meine Umgebung wahrnehme und mit ihr interagiere. Das war auf jeden Fall lehrreich für mich. Mein ganzes Leben als Musiker kennt ja nur zwei Extreme: Auf der einen Seite treffe ich sehr viele Menschen auf einmal zum Beispiel bei meinen Konzerten oder bei Presseterminen. Auf der anderen Seite bin ich sehr oft auf mich allein gestellt, wenn ich zum Beispiel im Studio bin. Ich bin mit dem Lockdown also gut zurechtgekommen, denn ich bin in erster Linie jemand, der eher für sich bleibt. Und zweitens eben auch ein Producer. (lacht) Alleinsein gehört zu unserem Beruf.
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Musstest du diese Zwangsläufigkeit akzeptieren lernen oder weißt du diese selbstgewählte Einsamkeit zu schätzen?
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Oh ja, als alles noch normal war – und beten wir mal, dass es das eines Tages irgendwie wieder sein wird – verbringt man ja oft Zeit an belebten Orten und das dann auch eine Funktion von Dekomprimierung für mich, allein im Studio zu sein.
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Wenn man übers Lernen spricht, denkt man erstmal an Schule. Es ist jetzt eine Weile her, seit du zur Schule gegangen bist. Wie erinnerst du dich an deine Schulzeit heute?
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Insgesamt war meine Schulzeit eine gute Zeit. Ich fange gerade an diese Phase des Lebens im Grunde genommen mit meinem Sohn nochmal zu durchleben, weil er in den Kindergarten geht und bald in die Vorschule kommt. Aus dieser Zeit habe ich bei mir selbst aber nur bestimmte Erinnerungen. Das sind eher so kleine Flashbacks, ich kann dir nicht mehr sagen, wie ein Alltag da ausgesehen hat. Erst so ab der Grundschule habe ich lebhaftere Erinnerungen. Ich war auf einer Schule in einer sehr gediegenen Nachbarschaft, habe aber nach der Scheidung meiner Eltern bei meiner Mutter in Venice gewohnt, das zu dieser Zeit im Grunde das direkte Gegenteil davon war. Meine gesamte Schulzeit habe ich im Norden von Santa Monica verbracht mit guten Lehrern und gutem Angebot, das weiß ich bis heute sehr zu schätzen. Wenn ich mit dem Bus nach Hause gefahren bin, war das oft eine Reise in eine andere Welt. Diese Gegensätzlichkeit ist aber auch irgendwie cool zu erleben. Ich denke, es hat mich auch geprägt, wenn vielleicht auch nur unbewusst.
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Wie waren deine Noten? Würdest du gern wieder zur Schule gehen heute?
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Ich glaube, man kann sagen, meine Noten waren »anständig«. (lacht) Ich würde es so beschreiben, dass ich die Schule so wahrgenommen habe, wie jemand, der es nicht gerade liebt, zur Schule zu gehen, sie aber immerhin ernst nimmt. Einfach »anständig«, halt. In den Fächern und Themen, die mich interessiert haben, war ich gut, in den anderen war ich nicht so gut. Am Ende balanciert sich das eben auf so ein Mittelmaß aus. Ich bin aber froh, nicht mehr zur Schule zu gehen. Ich habe manchmal noch Alpträume, wieder zur Schule zu gehen. Außerdem gehe ich heute jeden Tag in eine andere Schule: Nämlich in Alchemists Studio…
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…den du in der High School getroffen hast. Ich habe ihn vor einer Weile mal interviewet und festgestellt, dass er ein ziemlich witziger Typ ist.
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Hast du eine ernste Antwort aus ihm herausbekommen?
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Nein, er die ganze Zeit Witze gerissen und dumme Sprüche geklopft.
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Dachte ich mir. Ich überlege auch immer, ob ich in Interviews mehr Witze reißen sollte und Bullshit reden, aber so bin ich einfach nicht. Ich strenge mich sehr an, zwei Jokes zu erzählen und dann habe ich schon all mein Pulver verschossen.
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Habt ihr euch über Humor kennengelernt?
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Nein, das war von Anfang an Rap, gemeinsame Freunde und Rap. Es gab zu dieser Zeit nicht allzu viele Leute, die Rap ernst genommen haben im Sinne von, dass man auch Tracks auf Vinyl veröffentlichen kann und Shows spielen. Jede Crew hat immer diesen einen Typen, der so ist, während die anderen es eher als Hobby betreiben. Alchemist war dieser Typ. Seit ich ihn kenne bin ich auch fasziniert von seinem Talent. Fast alles, was ich über Musik weiß, habe ich von ihm gelernt. Ich habe über die Jahre aber auch gelernt, wann ich ihm zuhören sollte und wann ich weghören muss.
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Wann hörst du denn weg? Wenn er ihr einen Ratschlag zu einem Beat geben will?
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Nein, er spricht nicht über so technisches Zeug, das ist ihm komplett scheißegal. Ich meine es eher so: Alchemist hat mir gezeigt, dass die Meinungen anderer einem egal sein sollten. Don’t ask me for shit! Du gehst deinen eigenen Weg und vielleicht finde ich das am Ende gut, aber spielt das für dich eine Rolle? Nur ich weiß, wohin ich will.
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Viele Menschen in der Welt haben zum Beispiel eine vorgefertigte Meinung gegenüber der Bevölkerung der USA. Was hast du auf deinen ersten Reisen außerhalb Amerikas als Rapper gelernt?
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Ich glaube, demütig zu sein, bescheiden zu bleiben, Respekt vor anderen Menschen und anderen Kulturen zu haben, sich auch mal zurückzunehmen und anderen Leuten nicht meine Vorstellung oder meinen Willen aufzuzwingen. Es ist erstaunlich, wieviel man lernt, wenn man einfach mal den Mund hält. (lacht) Meine Erfahrungen im Ausland sind aber auch gar nicht so repräsentativ. Ich glaube, ich hätte diese Eigenschaften alle gar nicht gelernt, wenn ich die ganze Zeit als Backpack-Tourist die Küste von Portugal runtergefahren wäre. Als Musiker landest du meistens in einer fremden Stadt, irgendjemand holt dich ab und bringt dich in eine Schlafunterkunft, zeigt dir anschließend, wo man etwas zu Essen bekommt, spricht im Notfall für dich, wenn es eine Sprachbarriere gibt, irgendwann wirst du zu einer Venue gefahren, spielst ein Konzert und fährst am nächsten Tag wieder weg. Das ist eine andere Erfahrung, als wenn du – nur mal so als fiktives Beispiel – im Zug kontrolliert wirst und der Schaffner an meinem Ausweis erkennt, dass ich US-Staatsbürger bin und mir deswegen mit Vorurteilen gegenübertritt, während ein nettes Schwätzchen mit meiner Begleitung hält, nur weil sie die kanadische Staatsbürgerschaft hat. »Denkst du, ich kriege das nicht mit, oder was?« (lacht). Aber das ist sein Problem. Der Moment, in dem du alles oder andere über einen Kamm scherst, ist einfach dumm.
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Was hast du über Deutschland zum Beispiel gelernt?
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(denkt nach) Jetzt direkt auf Deutschland bezogen? Ihr habt ja auch eine sehr, sagen wir mal, spezielle Geschichte…
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…worauf willst du genau hinaus? (Gelächter)
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Guck, da ist es doch das gleiche: Es geht darum Stereotypen aufzubrechen. Ich hätte ja auch nach Deutschland fahren können mit einer vorgefertigten Meinung auf die Menschen dort zugehen können. Am Ende treffe ich dort aber vielleicht den coolsten Menschen, den es jemals gegeben hat. Was ich meine: Diese Welt ist schlimm genug und immer kommt irgendwo neuer Dreck hochgespült. Ich stamme aus den USA, das darauf gegründet wurde, Indigenen ihr Zuhause, ihre Existenz, ja ihr ganzes Leben wegzunehmen. Dazu kommt die Sklaverei und alles. Was soll man dazu noch sagen? Ich bin mir der Geschichte bewusst, und versuche zu lernen und zu verstehen. Wenn wir mehr aufeinander eingehen, ist das doch viel cooler. Scheiß auf Stereotypen.
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Offenheit ist auch in einem ganz anderen Feld enorm wichtig, nämlich: Sampling. Wieviel Vorwissen war notwendig, als du angefangen hast dich mit Samples und Cratedigging zu beschäftigen?
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Ich habe nie viel darüber nachgedacht. Ich hatte einfach das Glück mich mit Menschen umgeben zu können, die sich damit schon auseinandergesetzt haben und allein deren Umgang damit zu beobachten, ihnen mehr oder weniger über die Schulter zu schauen, war sehr lehrreich. Aber ich habe das nicht mit angesehen wie ein aufmerksamer Schüler, um dabei etwas zu lernen, sondern eher auf die Art, wie man sich Filme ansieht. Schließlich interessiert es dich ja doch irgendwann, wie man das macht. Ab da haben sie mir das noch ein paar Mal vorgemacht bis alle meine Fragen beantwortet waren und dann konnte ich loslegen. Allerdings stellt man schnell fest: Beim Beatmachen und Produzieren lernst du nie aus. Es gibt immer noch Sachen, die ich zum Beispiel gestern erst entdeckt habe. Wir alle nutzen vielleicht 30-40 Prozent von dem, was unser Computer zu leisten im Stande ist. Die MPC 2500 weiß ich sehr für ihre Möglichkeiten sehr zu schätzen, den ASR mag ich für den Sound, Abelton für die Flexibilität, das ist am Ende aber alles völlig egal: Sobald du »Play« drückst und es geil klingt, ist alles erreicht.
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Es gibt eine Theorie, die besagt, dass die Menschheit die meisten ihrer Fähigkeiten durchs Spiele spielen erlernt hat. Auch wenn man sich die Entwicklungsprozesse von beispielsweise PC-Software ansieht, werden Fehler oft über die spielerische Simulation entdeckt. Wieviel spielst du nach 15 Karrierejahren noch herum?
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Ich mache eigentlich nur Faxen. Das hat aber eine einfache Erklärung: Ich mag Arbeit nicht und nichts, was sich wie Arbeit anfühlt. Aber ich liebe es zu arbeiten. Wenn es sich also nicht wie Arbeit anfühlt, bin ich allzeitbereit. Immerhin schafft es diese Strategie, dass ich jeden Tag in einem dunklen, kargen Raum herumsitze. Also kann ich damit nicht so verkehrt liegen. Das hört sich nicht gerade spaßig an, wenn man es damit vergleicht, was ich an einem sonnigen Tag in Venice Beach noch so machen könnte. (lacht) Wenn du das Kind in dir dafür nicht bewahrst, hat sich die Sache ganz schnell erledigt.
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Gerade beim Sampling hört man sehr aufmerksam hin, was in einem Song passiert. Von welcher Platte hast du am meisten gelernt?
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Ich würde nicht sagen wollen, welche Platte für mich lehrreich war. Was ich aber gelernt habe: Es geht nicht um dich, es geht nicht um dein Ego. Das heißt zum Beispiel praktisch, dass es nicht immer einen Beat braucht. Wenn du ein Stück Musik findest, das ohnehin richtig krass ist und sich direkt loopen lässt, dann ist das der Beat, den du an diesem Tag gemacht hast. Man braucht nicht zwangsläufig ein (schlägt einen Takt auf den Tisch), es braucht keine Drums, nur um das Gefühl zu haben, etwas beigetragen zu haben. Ich kann es im schlechtesten Fall eh nur verschlimmbessern. In anderen Moment arrangiere ich aber wiederum eine Collage aus meinen Fundstücken, die von ganz unterschiedlichen Orten stammen und so noch niemals aufeinandergetroffen sind. Das ist mindestens genauso schön, wie ein Loop. Summa Summarum: Zu lernen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
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Basierend auf solchen Erkenntnissen wurden Sample-Bibilotheken wie sounds.com oder splice.com erschaffen, die auf die Bedürfnisse von Produzenten stärker eingehen. Was hast du von dort mitgenommen?
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Ich kenne das gar nicht. Aber wenn es dasselbe ist wie tracklib.com – fair enough. Die haben bestimmt richtig tolle Sachen da und es ist total dope, aber das ist nichts für mich. Ich habe keine Lust darauf, dass mir jemand diese Entscheidungen abnimmt. Das ist nicht das, was es für mich interessant macht.
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Aber man kann auch aus den Fehlern oder Erkenntnissen von anderen lernen: Des einen Leid ist des anderen Glück.
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Du kannst aber auch sagen, dass es keine Rolle spielt. Spiel einfach den Song ab und vielleicht mag ich ihn, auch wenn du in deinem ganzen Leben nur Splice benutzt hast und nicht einmal weißt, wie ein Turntable aussieht – viel Spaß damit, kein Hate. Ich glaube sogar, dass dadurch richtig coole Sachen entstehen können. Ich persönlich möchte diese Dinge aber einfach nicht mundgerecht serviert bekommen. Die Entdeckung und der Weg dorthin ist der coolste Teil für mich. HipHop wird immer für mich samplebasiert bleiben, ich muss einfach Diggen.
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Mark Ronson hat einmal gesagt, Beatmaking sei ein Ding für junge Leute. Als er 30 wurde, habe er die jugendliche Naivität dafür verloren. Du bist jetzt Mitte 40. Was lernst du von dieser Aussage?
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Ich denke, wir sollten auf Mark Ronson hören, denn er hat immer und immer wieder bewiesen, dass er weiß, wovon er spricht und was er macht. Es ist eigentlich lustig, weil ich Mark über meinen Freund Ethan Browne kennengelernt habe, der der Sohn von Jackson Browne ist. Jackson Browne ist ein bedeutender US-Rock- und -Bluesmusiker. Ethan gehört zu den ersten Menschen, die mir Rap überhaupt gezeigt haben. Ich habe immer zu ihm aufgeschaut. Als ich Mark durch Ethan getroffen habe, dachte ich aber nicht besonders wohlwollend über ihn. Ich wusste, dass Mark durch seinen Vater [Mick Jones, Frontmann der Rockband Foreigner; Anmerk. d. Verf.] schon halbwegs berühmt und als DJ in New York recht namhaft war. Rückblickend ist es recht cool, ihn so kennengelernt zu haben, weil nicht abzusehen war, was aus ihm werden würde. Oder ich habe es nicht gesehen und alle anderen schon.
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Er hat ja damals auch ein HipHop-Album gemacht…
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(fällt ins Wort) …und Beats auf einer MPC, strictly Boom-Bap-Shit, ja. Die Allergrößten von heute hatten alle genauso eine Phase. Irgendwann sind sie dem aber entwachsen, haben sich anderen Dingen zugewandt und sind bedeutender Künstler*Innen geworden. Sie alle haben aber immer noch die Mentalität, mit der sie vor der MPC gesessen haben und das macht sie so dope.
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Du hast auf »Unlearning Vol.1« trotzdem nur drei Instrumentals selbst produziert, obwohl du 2019 noch »The Squirrle Tape Instrumentals, Vol.1«, eine Compilation mit Beats von dir, veröffentlicht hast. Inwiefern war dies Teil des titelgebenden Umdenkens?
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Versuch du mal mit Alchemist befreundet zu bleiben, wenn du von ihm oder von den ganzen anderen Homies, die im Studio vorbeischauen, Beats angeboten bekommst und dann immer sagst: »Geh mir weg damit, ich mache nur Tracks auf meinen eigenen!« (Gelächter) Außerdem garantiere ich dir, dass – egal mit welcher Frage du auf die Tracklist und die Credits schaust – niemand der Beteiligten jetzt noch überhaupt weiß, wer da was genau gemacht hat. Garantiert! An anderer Stelle ist es auch manchmal inspirierender für mich als Texter, nicht so genau zu wissen, wie das Arrangement des Instrumentals technisch aufgebaut ist. Übrigens, »The Squirrel Tape Instrumentals, Vol. 2« kommt Ende Juli, Anfang August raus, ich sitze schon auf den fertigen Tape- und Vinyl-Pressungen hier.
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Was lernst du aus deinen ersten Releases, wenn du sie heute anhörst?
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Ich finde es dope. Ich mag die Naivität in den Tracks, den Experimentiergeist: »What the fuck, die 808 ist an einer Stelle, wo sie überhaupt nicht hingehört!« (lacht) Ich liebe es zum Beispiel auch, dass an manchen Stellen der Bass falsch gespielt ist, wir es aber so gelassen haben, weil es sich eben richtig angefühlt hat. Ich hatte immer ein gutes Gehör, glaube ich. Meine Ohren waren besser als meine technischen Fähigkeiten und erst jetzt beginne ich darin mehr Know-How zu entwickeln. Es ist aber auch nur in der Nähe eines Levels, wo mich alles zufriedenstellt. Ich betone, es kommt langsam in der Nähe, ich bin längst nicht angekommen.
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Welche Rolle spielt Gras in so einem Lernprozess?
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Eine große. Weed ermöglicht es mir, 12 Stunden lang ruhig in einem Stuhl zu sitzen. Jedes Mal, wenn du einen Joint anzündest, ist es, als würde dein übernatürlicher Freund hereinkommen und dir high five geben (Gelächter). Dann chillen wir, nur ich und er, und machen Beats. Weed macht alles lustiger. Aber nur solange du welches da hast. Wenn es leer wird, hast du ein Problem. Glücklicherweise wohne ich in Kalifornien. Allerdings lege ich auch Pausen ein, wenn ich zum Beispiel mit meinem Sohn zusammen bin. Ich bin nicht abhängig. Nervig ist eigentlich nur der Kater, den du noch zwei oder drei Tage nach dem letzten Joint mit dir herumschleppst. Darauf hat niemand Bock, aber danach geht es total klar. Es ist halt auch nur Gras. Ich bin aber auch kein Trinker. Ich habe es ein paar Mal versucht.
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Moment, du hast versucht, das Trinken zu lernen?!
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Moment, so würde ich das nicht sagen. (lacht) Ich bin halt der Typ, der sein Bier nicht austrinkt. Keine Ahnung, ich bin da einfach nicht besonders gut drin.
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Du hast gerade über deinen Graskonsum gesprochen und dass du diesen ausbalancierst. Eine deiner Singles »Pardon Me« handelt ebenfalls von Balance und vor allem Selbstakzeptanz. Wie hast du gelernt mit dir selbst umgehen?
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Es ist ein fortlaufender Weg, immer in Arbeit. Ich werde aber immer selbstsicherer mit allem. Just in diesem Moment, wo wir beide uns unterhalten, fühlt sich das für mich zum Beispiel nicht anders als, als das, was auf meinem Album passiert. Ich bin ich. Es hat mich vielleicht ein paar Lektionen gelehrt, dass ich als junges Kid immer mehr mit Älteren zu tun hatte und von diesen akzeptiert werden wollte, in dem ich etwa meine Stimme etwas tiefer verstellt oder ein bisschen härter gerappt habe als die anderen. Also, bestimmte Formen von Überkompensation. Aber ich bin immer ich geblieben letztlich. Ich habe mir keine Story ausgedacht. Je älter ich werde, desto mehr bemerke ich, dass viele solcher Dinge aus einer Unsicherheit heraus entstanden sind oder einer gewissen Verbissenheit geschuldet waren, also versuche ich daran zu arbeiten und selbstsicherer zu werden. Das meine ich aber im guten wie im schlechten Sinne, das gehört alles zu mir.
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Du hast im Podcast von Talib Kweli gesagt, dass du als Rapper immer besser werden willst. Das ist auch eine gewisse Form von Verbissenheit.
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Ich bin kein Typ, der sich an seinem eigenen Werk ergötzt. Ich höre es mir an, bis es rausgekommen ist und danach performe ich es noch on stage. Ich bin immer am nächsten Ding dran, um wieder etwas Neues zu entdecken. Ich hänge auch nicht mit Leuten rum, die sich den ganzen Tag für ihren Scheiß abfeiern. Die machen es fertig, schauen es sich nochmal zufrieden an und dann geht es schon zum nächsten Projekt. Wir hängen nicht im Studio, lassen die Korken knallen und klopfen uns gegenseitig auf die Schulter. Das kann auch cool sein, weil du dadurch ein bisschen Selbstvertrauen gewinnen kannst. Wenn du andauernd zu dir selbst sagst, dass du der Größte bist, wirst du es vielleicht auch irgendwann. Ich glaube aber für mich ist es ein produktiver und vernünftigerer Weg, sich nicht die ganze Zeit mit den eigenen Errungenschaften zu beschäftigen.
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Ein deutscher Rapper hat mir einmal erzählt, er habe Bücher wie »How To Write A Song« gelesen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er allerdings schon zwei recht respektable Alben veröffentlicht.
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Das erinnert mich an Reverse Engineering, bei dem man ein fertiges Produkt oder Objekt nimmt und den Produktionsvorgang nachvollzieht, um daraus Erkenntnisse für seine eigenen Ideen zu ziehen. Ich finde das ist eine coole Idee. Nur weil du ein Flugzeug gebaut hast, das tatsächlich fliegt, heißt das ja nicht, dass du alles übers Fliegen weißt und dir Bücher darüber nicht helfen können. Ich höre zum Beispiel auch Leuten zu, die ich respektiere und schätze, um von ihnen Sichtweisen und Ratschlägen etwas zu lernen. Ich lese jetzt aber nicht unbedingt solche Bücher. Ich habe andere Bücher wie z.B. »The Big Book Of Juices« oder natürlich auch »The Little Book Of Butts«.
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…da fehlt dir ja nur noch »The Little Big Penis Book«.
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Ja, das habe ich versucht zu kriegen, aber leider nicht bekommen. (Gelächter)
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Man kann dich mittlerweile als eine Art Rap-Veteran bezeichnen. Was ziehst du für dich aus der Zusammenarbeit mit den Griselda-Jungs, die zwar auch nicht die jüngsten, aber doch etwas jünger als du sind?
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Dass echtes Talent sich am Ende immer durchsetzen wird. Du kannst eine Menge aus dem Werdegang von Conway oder Westside Gunn lernen über Entschlossenheit oder Arbeitsmoral, aber auch wann es angebracht ist, arrogant und wann demütig zu sein. Ich fühle mich geehrt, dass ich mich mit solchen Leuten umgeben darf und zu schauen, welche Wege sie gehen und inwiefern sich diese von den Routen unterscheiden, die mir damals aufgezeigt wurden. Es interessiert mich nicht, was vorher mit wem wo passiert ist. Es ist völlig egal für das hier und jetzt. Shoutout auch an Daringer, Boldy James, Fly Anakin und alle, die mit auf meinem Album vertreten sind.
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Jemand, der auch etwas jünger ist als du, ist dein Sohn. Was hast du von ihm gelernt?
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Alles. Mein Sohn bringt mir zum Beispiel bei, wie man ein Vater ist. (lacht) Ernsthaft, er ist mein verdammter Lehrer, Das ist eigentlich total verrückt, wenn man darüber nachdenkt. Ich bin manchmal dazu verleitet, Situationen oder Perspektiven aus meiner eigenen Kindheit mit den seinen zu vergleichen. Es ist aber viel komplexer als damit so umzugehen. Das durchdringt alles, jede Emotion, die du gefühlt hast. Aber weißt du was? Wir reden nochmal darüber, wenn du auch ein Kind hast, okay?
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Abgemacht.