Eli Preiss »Es gibt nichts Schlechtes daran, eine Frau zu sein.«
»LVL UP«, das Debütalbum der Wiener Künstlerin Eli Preiss, findet seine Ästhetik an den Schnittstellen von Retrogames und futuristischer Vision. Bei einem Besuch im Computerspielemuseum spricht sie über die Videospiele ihrer Kindheit, Struggles im Teenager-Alter und ihren Sound der Gegenwart.
Eli Preiss steht im Arcade-Raum des Berliner Computerspielemuseums. Um uns herum blinkt es, es piept und dröhnt, Schulkinder rennen und quasseln. Kein guter Ort für ein Interview. Aber ein guter Ort für den Retrofuturismus, den das am 10. Juni erschienene Debütalbum der Wiener Sängerin und Rapperin versprüht. Die Tracks auf »LVL UP« tragen Namen wie »Regenbogen Boulevard«, »Princess Peach« und »Gameboy« – die virtuellen Pendants sind hier zu finden. Alle paar Meter bleibt sie stehen, um eines der alten Geräte zu betrachten, die damals wie Transformer waren, heute aber klobige Geschichte sind. Hier werden die Zukunftsträume vergangener Generationen ausgestellt, im Archiv der fantastischen Paralleluniversen lässt sich die Zeit vergessen. An einem Automaten fahren wir mit kleinen, verpixelten Panzern umher, irgendwann geht das Benzin aus. An einem Röhrenbildschirm hüpft Eli als 7 Up-Maskottchen »Cool Spot« durch die Wüsten des Sega Mega Drive. Irgendwann setzen wir uns draußen auf eine Parkbank, aus der Gaming-Höhle in die heißen Sonnenstrahlen des Berliner Frühsommers. Zurück in der Gegenwart fühlt sich die 23-Jährige in die endlosen Bildschirmstunden ihrer Kindheit versetzt.
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Dein Debütalbum heißt »LVL UP« und lebt natürlich auch von den Retrogame-Referenzen. Was verbindest du mit dieser Ästhetik?
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Als Kind habe ich mich voll gerne in alternativen Realitäten verloren. Schon damals habe ich luzid geträumt, also waren die surrealen Welten von Videospielen wie für mich gemacht. Auf dem GameCube habe ich eher die girly Games gespielt: ein Bratz-Spiel, »Spyro«, dann die Klassiker: »Super Mario«, »Super Smash Bros.«, »Mario Kart«, »Die Sims«. Und wenn ich dann im realen Leben gerade noch etwas tun wollte, aber es dann wie ausgelöscht war, dann habe ich mich selbst wie bei Sims gefühlt. Wenn man uns von oben beobachtet, wie wir uns süß anziehen, uns winken, uns streiten, dann sehen wir selbst aus wie in einem Computerspiel. Auch die verschiedenen Level an Bedürfnissen: Ein schönes Bild lässt den Glücksbalken wachsen, ungeduscht erscheint die grüne Giftwolke. Als Kind war ich eine typische Gamerin, die stundenlang zuhause saß, während draußen die Sonne schien. Jetzt nicht mehr.
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Wurden in deinem Freund*innenkreis die gleichen Games gespielt?
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Mit sozialen Interaktionen habe ich mir früher häufig schwergetan. Über Musik oder Spiele konnte ich mit Friends connecten, Mario Kart auf der Wii hat uns zusammengeschweißt, Singstar auch. Natürlich hat es auch viel Übung und Unterricht gebraucht, um Singen zu lernen – Aber den Grundstein hat Singstar gelegt.
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Welcher war dein Lieblingssong in dem Spiel?
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Ich glaube, »Papa Don’t Preach« von Madonna. Da habe ich meinen Perfektionsdrang entdeckt, wollte immer die meisten Punkte haben.
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Später warst du auf dem musischen Gymnasium in Wien. Die Gesangskarriere war also schon immer dein Traum?
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Seitdem ich sprechen kann, singe ich. Eigentlich schon davor, habe immer im Auto mitgebrabbelt. Musik hat mich immer erfüllt. Es gibt so viel Hässliches auf der Welt, aber Musik verbindet. Meine Mutter hat diesen Traum immer unterstützt. Wenn ich kurz davor war, aufzugeben, dann hat sie mich wieder aufgebaut. Ich weiß nicht, ob ich es ohne sie so weit geschafft hätte. Alleine wegen all der Tanz- und Gesangsstunden, die sie mir mit ihrem letzten Cash ermöglicht hat. Sie hat sich ins Minus geschossen, damit sie mir ein Mikrofon kaufen kann. Das waren schon große Sacrifices.
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Dass du als Teenagerin auch finanziell mithelfen musstest, erwähnst du in »Ziel«.
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Meine Familie hat sehr viele Hoffnungen in mich gesetzt. Es war klar, dass sie selbst nicht mehr wie durch Magie reich werden wird. Eins, zwei Mal konnte ich durch Modeljobs unsere Miete bezahlen. In meiner Klasse waren lauter Rich Kids. Wien ist eine edle Stadt, viele alte Adelsfamilien. Und ich war zu broke für die Klassenfahrt. Meine Mutter musste sich andauernd in der Schule entschuldigen, weil wir irgendwelche Fristen nicht einhalten konnten. Es hätte besser sein können.
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Du hast mit 14 Jahren im Bikini gemodelt. Wie blickst du heute darauf zurück?
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Ich muss ehrlich sagen: Ich find’s extrem weird. Getanzt habe ich auch, war auf Meisterschaften. Heute sehe ich mir das an und denke nur: »What the fuck!?«. Wir mussten eigentlich sexuelle Rollen spielen. Als Kinder, auf der Bühne in Miniröckchen zu Musik von Britney Spears. Ich erinnere mich genau, dass meine Tanzlehrerin damals sagte: »Ich weiß, die meisten von euch hatten niemals Sex, aber ihr müsst euch das jetzt vorstellen.« Viele von uns waren zwischen 10 und 13 Jahren alt. Wir mussten so tun, als wären wir schon sexuelle Wesen, obwohl wir noch Kinder waren. Beim Modeln war es ähnlich. Alles nicht so fancy, wie es vielleicht wirkt. Meine Mutter hat auf mich aufgepasst. Ich bin nie an weirde Leute geraten, aber im Endeffekt war es zu früh, um so krass sexualisiert zu werden. Das Problem: Sexualisiert wirst du als Mädel sowieso. Mit 11 Jahren wurde mir zum ersten Mal auf der Straße hinterhergepfiffen. Auf der Bühne habe ich immerhin die Kontrolle. Jederzeit kann ich wieder runtergehen, mich anziehen und nach Hause fahren.
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Du hast vorhin von »girly Games« gesprochen, eigentlich sind es ja aber diese Casual Games, an denen man nicht acht Stunden pro Tag arbeiten muss.
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Diese Games haben ein Stigma, ja. Mit den Jungs habe ich schon manchmal »Call Of Duty« gespielt, aber ich hatte einfach keine Freude an Ego-Shootern. Es hat mich gestresst. Das gegenseitige Umbringen, selbst im Spiel, trifft mich krass. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch. Als zum ersten Mal ein Sims von mir gestorben ist, habe ich hysterisch geweint. Meine Mutter musste mich so lange beruhigen. Es gibt ein Foto davon: Ich als Kind, mit zwei Zöpfen, einem Choker und Nike-Ohrringen. Und meine Augen sind komplett verheult und verquollen. Das war der Tag, an dem meine Sims-Familie gestorben ist, weil der Toaster durchgebrannt ist. Bei »Call Of Duty« hatte ich dann einfach Angst. Auch die Zombies. Albträume hatte ich als Kind eh genug, das habe ich nicht auch noch gebraucht.
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Welche Parallelen gibt es zwischen Gaming und Rap, mal abgesehen von blöden Sprüchen gegenüber Frauen?
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Ich glaube, die Gaming-Community ist eine nettere als die Deutschrap-Community. In Online-Spielen weiß ja auch niemand, wer am anderen Ende der Leitung sitzt. Deswegen akzeptiert man sich viel eher. Im Deutschrap geht’s nur um dich, dein Ego, deine Herkunft, dein Aussehen. Die Parallele für mich ist eher: Es geht darum, genug Arbeit reinzustecken, um das nächste Level zu erreichen. Das zieht sich durch mein Leben: Von nichts kommt nichts. Deswegen heißt so mein Album: »LVL UP«. Harte Arbeit und ein paar Cheatcodes. Die Vorteile nutzen, die man als Frau manchmal hat.
- Wenn jemand am Anfang nur mit mir ins Studio geht, weil er mich heiß findet, am Ende aber bleibt, weil er mein Talent sieht, dann habe ich trotzdem gewonnen.Auf Twitter teilen
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Welche wären das?
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Wenn jemand am Anfang nur mit mir ins Studio geht, weil er mich heiß findet, am Ende aber bleibt, weil er mein Talent sieht, dann habe ich trotzdem gewonnen.
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Es gibt das Stereotyp von Gamerinnen, die behaupten, eher »wie einer von den Jungs« zu sein. In »Glühheisse Wüste« kritisierst du dieses Mindset in Bezug auf Rap: »Du wirst nicht schlechter, wenn du sagst, dass andere Frauen auch gut sind«.
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Zugegebenermaßen komme ich selber aus dieser Denkweise. Wir alle kriegen dieses Verhalten in die Wiege gelegt. Als Frau muss man irgendwann selbst reflektieren und draufkommen: »Ey, ich bin genau wie alle anderen Frauen und ich bin stolz darauf.« Warum hat man sich eingeredet, man wäre nicht wie andere Frauen? Weil es als etwas Schlechtes stigmatisiert ist, eine Frau zu sein. Das ist super traurig. Es gibt nichts Schlechtes daran, eine Frau zu sein. Ich bin einfach ein Mensch und mache gute Musik, darum soll es am Ende gehen.
- Für mich bedeutet Rap, historisch betrachtet, Probleme anzusprechen, ungefiltert seine eigene Wahrheit auszusprechen.Auf Twitter teilen
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Im gleichen Song heißt es: »Missstände aufzeigen, Real bleiben, Das war Rap / Mit falschen Fakten flexen, Frauen hassen, das is‘ Trap«. Wie meinst du das?
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Für mich bedeutet Rap, historisch betrachtet, Probleme anzusprechen, ungefiltert seine eigene Wahrheit auszusprechen. Egal, wie kritisch das manchmal gegenüber der Gesamtgesellschaft sein mag. Du sagst einfach, wie deine Realität aussieht. Das ist Realness, das ist Rap. Es scheint, als bedeutete Trap gerade, bunte Säfte in Lean-Flaschen zu füllen. Die Leute, die richtig auf harten Gangster machen, sind oft voll die netten Dudes. Super respektvolle, liebe und intelligente Menschen, die krass frauenfeindliche Texte rappen. Eigentlich ist das noch schlimmer.
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Weil sie eben nicht ihre Wahrheit aussprechen?
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Weil sie genau wissen, was sie tun. Und sie sprechen die Wahrheit von irgendwelchen Gangstern aus Amerika aus, die es schon gab. Da gibt es Leute, die sich mit Waffen präsentieren und behaupten, sie shooten diesen oder jenen. Ich bin froh, dass das nicht die Wahrheit ist. Aber: Warum redest du übers Dealen im großen Stil, wenn du bei deiner Mama im Keller wohnst?
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Wenn es auf »LVL UP« sonst um Geschlechterverhältnisse geht, dann mit sehr positiven Vibes. Fühlt sich Rap über Selbstbestimmung besser an als Rap über Diskriminierung?
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In meiner Musik steckt keine politische Intention. Ich stelle mich persönlich gegen Sexismus und Rassismus, also findet das auch in meinen Texten keinen Platz. Ich muss mich nicht bemühen, muss mir das nicht überlegen. Das ist meine Realität. In meiner Welt sind Frauen auf vielen Ebenen genauso stark oder stärker als Männer. Vor allem emotional.
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Dazu präsentierst du in Liedern wie »Gameboy« oder »Endboss« Männlichkeitsbilder, die im Deutschrap nur selten vorkommen.
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Für mich ist es so viel männlicher, wenn ein Mann kein Problem damit hat, wie ich mich anziehe oder mit wem ich raus gehe. Es braucht Selbstbewusstsein, auf meine Loyalität zu vertrauen. Wenn ein Mann seine Frau an der Leine halten will, dann ist das pure Unsicherheit. Das ist kein Mann für mich, das ist ein kleiner Wurm. Ein Mann befriedigt seine Frau und möchte, dass sie scheint und wächst.
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Ist »LVL UP« intimer als deine bisherigen Releases?
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Irgendwann werde ich tot sein, dann bleiben nur meine Songs. Deswegen will ich darin meine Realität so gut wie möglich verpacken. Egal, wie verletzlich ich mich dadurch mache. Mir war es sehr wichtig, ein paar Themen anzusprechen, die früher oder später eh ins Licht kommen. Ich habe so viele Facetten, auch schon so viel Scheiße gebaut. Das möchte ich in die Welt hinaustragen, bevor die Welt es mir vorwirft. Zuerst muss ich sagen, wer ich bin, bevor es Andere bestimmen können. Auf meine Vergangenheit wollte ich eingehen, auch auf meine Manifestationen für die Zukunft. Alles, was man aussendet, bleibt in der Welt.
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Auf »LVL UP« gibt es diese Ambivalenz zwischen der popkulturellen Nostalgie und den Utopien, die du beispielsweise in »Bleib Still« entwirfst. »2022« ist vielleicht noch der gegenwärtigste Song.
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Den habe ich aber wirklich im Januar geschrieben. Damit wollte ich manifestieren, wie das Ende des Jahres aussehen wird. Ich behaupte ja, dass ich reich wäre, heute ist das noch nicht der Fall. Besonders das Video zu »Endboss« hat beides: Die Retro-Nostalgie mit futuristischen Elementen, die eines Tages Realität sein könnten.
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Du erwähnst auch die Black Eyed Peas. Die waren schon damals retrofuturistisch.
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Die Black Eyed Peas haben mich mega geprägt. Und die Red Hot Chili Peppers. Das lief in meinem Kinderzimmer jeden Tag. Weil wir uns keinen Babysitter leisten konnten, musste ich immer stundenlang auf meine Mutter warten und mich selbst beschäftigen. Auf Dailymotion habe ich mir dann Musikvideos reingezogen, am liebsten mochte ich »Californication«. Das war schon animiert wie ein Adventure-Spiel, wie »GTA«! Das hat mich mega geprägt. Auch die Animationsvideos von den Gorillaz, dieses utopische Feeling. Weil ich von vielem, was heute erscheint, nicht besonders inspiriert bin, schaue ich gerne in die Vergangenheit. Und versuche, etwas Neues zu formen, was die Zukunft sein könnte.
- Langsam ist es an der Zeit, die tausendfach recycelten Trap-Beats ein wenig zu brechen.Auf Twitter teilen
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Dein Album vermengt Rap mit R’n’B und elektronischer Musik, es gibt UK Garage-Anleihen und 4 To The Floor-Beats. Wie kommt diese Mischung zustande?
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Mein Musikgeschmack ist total genreübergreifend. Ich mochte diese Soundcloud-Phase unfassbar gern, mit Artists wie Chet Faker und Flume und generell dieser Remix-Kultur. Früher bin ich jeden Donnerstag ins Wiener Flex fortgegangen, da gab es eine Drum and Bass-Partyreihe, »Beat It«. Langsam ist es an der Zeit, die tausendfach recycelten Trap-Beats ein wenig zu brechen. Der New Wave-Sound muss auf andere Beats.
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Hat dieser Sound speziell etwas mit Wien zu tun?
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Gefühlt kommen aus Wien gerade die interessanteren Acts. Zwar ist alles noch nicht ganz rund, weil die krassen Audio Engineers fehlen. Aber die Ideen, die Kreativität dahinter ist viel größer. In Wien ist einfach alles entspannter. Da gibt es nicht so viele Autos, du fährst mit der Bahn nicht eine Stunde von A nach B. Du kannst spazieren gehen, das Wetter genießen und einfach mal chillen. Wien hat eine krasse Offenheit, das Deutsche im Hip Hop ist oft verkrampft. Hartes Gangstertum und »Früher war alles besser«-Mentalität, das kommt mir so verbittert vor. Wenn es früher so viel besser war, hör halt die Musik von früher. Beam dich zurück und bleib dort. Wenn du’s wirklich so viel besser machst, warum vergleichst du dich so krass mit Anderen?