Harry Quintana »Es gab nie den Plan, meine Identität geheim zu halten.«
Zur Veröffentlichung seines neuen Albums »Blue Sky Szenario« sprach ALL GOOD-Autor Max Brandl mit Deutschraps prominentestem Geheimtipp Harry Quintana.

Harry Quintana: Wer Plan hat, kennt den Namen. 15 mehr oder weniger aktive Rap-Jahre, Untergrund-Hits noch und nöcher und eine höhere fünfstellige Spotify-Hörerschaft ändern nichts daran, dass der frühere RBA-Rapper und Südamerika-Aficionado immer noch als Geheimtipp gehandelt wird – Deutschraps prominentester, womöglich. Warum das so ist, was es mit dem Audi auf sich hat, wie ihm seine Texte einfallen und wer Axel ist, hat er mir in zwei Gesprächen, pünktlich zur Veröffentlichung seines neuen Albums »Blue Sky Szenario« verraten.
Da das Interview sehr ausführlich ist, haben wir es zweigeteilt: Teil 1, in dem wir zurück zu Harrys Anfängen gehen und die Zeit bis heute beleuchten, lest ihr nun hier. Den zweiten Teil, in dem es konkreter um das neue Album geht, findet ihr hier bei laut.de
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Grüß dich, Harry. Wie geht’s dir?
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Gut, danke! Wie lange peilen wir dieses Interview nun schon an? (lacht)
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Ich glaube, es ging 2015 los. Gut fünf Jahre später klappt’s auch schon. Dank Corona per Video-Call. Aber du hattest ohnehin gemeint, dass du nicht in München bist. Sondern?
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Ich bin vor etwa einem Jahr von München zurück nach Landsberg am Lech gezogen, in meine Heimatstadt. Der Plan war eigentlich, hier zusammen mit meiner Frau ein Haus zu bauen. Allerdings lief das alles etwas anders als geplant und daher wird’s uns wohl demnächst doch wieder zurück nach München verschlagen.
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Bevor wir jetzt in der Zeit zurückreisen eine Vorab-Frage zum neuen Album: Es war ein hartes Jahr – du hattest einmal erwähnt, dass du für neue Musik immer eine Auszeit, auch vom Job, bräuchtest. Verdanken wir »Blue Sky Szenario« so gesehen der Pandemie?
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Nein, komischerweise dieses Mal nicht. Ich hatte zwar zwischen April und Mai 2020 auch eine Pause zwischen zwei Jobs, wo es gut reingepasst hätte, auch weil Corona voll eingeschlagen hat. Aber tatsächlich sind in dieser Zeit nur »Aggressive Leader« und »Keine Rolle« entstanden. So richtig Drive hatte ich zu der Zeit noch nicht. Das kam dann erst Ende November. Dort habe ich den Titelsong »Blue Sky Szenario« auf diesem Piano-Beat gemacht. Hast du den gehört?
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Klar. Die Version auf »Circle Reprise« von Phil France.
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Genau. Das war dieses Mal exakt der Punkt, an dem ich wieder Bock auf mehr bekam. Ich kann bis heute noch nicht genau sagen, was eigentlich meine Kreativitätstrigger sind. Hier war’s einfach so, dass ich mit diesem einen Song auch wieder anfing, Beats zu hören – ein paar Texte hatte ich auch noch rumliegen. Im Kern ist das Album dann von etwa Mitte Dezember bis Anfang Januar entstanden, innerhalb von drei Wochen. Ich hatte natürlich auch Freizeit wegen Weihnachten und Neujahr, aber es entstand auch einiges parallel zur Arbeit. Im Home Office geht das alles ein bisschen…entspannter.
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Bevor wir da jetzt tiefer eintauchen, zurück zu deinen Anfängen: du hattest schon angedeutet, dass du als Rapper komplett im Internet sozialisiert bist. Wo und wann begann dein musikalischer Weg? Wer waren deine ersten Inspirationen?
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Das begann im Prinzip im »Mzee«-Forum. Ich hab um etwa 2004 herum angefangen, Texte zu schreiben und diese dort zu veröffentlichen. »Typer« nennt sich das heute. Damals waren dort schon extrem gute Leute unterwegs, die auch Rapper wie Kollegah maßgeblich beeinflusst haben, Daffy Duck zum Beispiel. Der war einer der ersten, der das Gangster-Genre eng mit Wortspielen verknüpft hat, was Kollegah dann zu seinem Markenzeichen ausbaute. Und als der 2005 wiederum sein erstes Zuhälter-Tape veröffentlichte, war mir klar: Okay, das ist krass. Das war das erste Mal seit Aggro, dass ich wieder etwas richtig gut fand. Und darüber bin ich dann auf die RBA und dort wiederum auf Leute wie Klubking und Mr. Chissmann aufmerksam geworden, der ja auch zwei Features auf dem ersten Zuhältertape hatte. Das weckte letztlich das Bedürfnis, meine eigenen Texte zu vertonen und selbst rappen zu wollen. Und so hab ich mir 2006 dann auch mein erstes Mic samt Pre-Amp gekauft, in München in der Sonnenstraße, damals. Apropos München: Blumentopf waren auch ein Einfluss für mich. Die haben es sehr gut geschafft, Geschichten in Rap zu verpacken.
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Stichwort RBA: Die hat ja nun Ende 2020 endgültig dicht gemacht. Wie hast du das als ehemals Aktiver erlebt?
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Naja, das ist einerseits schon echt lange her, und es war ja auch ein Sterben auf Raten. Die RBA-Rapper, die ich selbst gehört hab und die mich beeinflusst haben – also eben Kollegah, Mr. Chissmann, Klubking, aber auch J.A.W., BoZ und so weiter –, die waren dort ja auch alle schon ewig nicht mehr aktiv. Und alles, was danach kam, hatte auch nie mehr diese Qualität. Insofern war das emotional keine große Sache für mich. Ich hatte auch gar nicht so viele Battles gemacht in der RBA, da ich relativ schnell dazu übergegangen bin, richtige Tracks zu machen.
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Unter anderem für die »Holiday EP« von 2006, unter dem Namen Mariano. Als Sportler-Referenzen-Profi: War das auf Mariano Gonzales oder Pernía bezogen? Oder hat’s einen ganz anderen Grund?
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Stimmt, da gab’s bei Inter Mailand einen, zu der Zeit. Aber nein, das war total random – die Namenswahl ist ja eh immer super schwer. Ich kann’s ehrlich gesagt nicht mehr rekonstruieren, wie ich auf diesen Namen gekommen bin.
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Ich nehme an, dass du selbst auch Sportler bist und warst?
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Ja, auf jeden Fall. Das ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Tennis, Fußball, Skitouren, viel Bergsteigen auch – bis auf Kampfsport gibt es wenig, was ich nicht zumindest ausprobiert hab.
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Ein paar alte Spuren fand ich auch in einem alten Forum des SSV Jahn Regensburg mit einem Hinweis auf »Raincastle Records«. Was hat es damit auf sich?
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Ich bin 2008, nach dem Abi, für ein halbes Jahr nach Hamburg und anschließend für’s Studium nach Regensburg gezogen. Also alles während meiner aktiven RBA-Zeit. In Regensburg hab ich zwei Jungs aus der RBA persönlich kennengelernt: MPH und Def Kef, mit denen dort dann auch einige Songs entstanden sind. Def Kef hatte eine Ausbildung in dem Bereich und hatte ein kleines Privatstudio für seine Crew Raincastle Records. Und die wiederum waren lose verbandelt mit den SSV-Jahn-Ultras. Das war einerseits sehr cool, weil das alles sehr leidenschaftliche, enthusiastische Menschen waren – aber manchmal wurden unsere Gigs dann auch ein bisschen zu arg, vielleicht… Es war jedenfalls eine gute, wilde Zeit. (lacht) 2010 ging es dann für’s Studium weiter nach München und damit endete dieses Kapitel dann auch.
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Gibt es Dinge, die du aus heutiger Sicht hättest anders machen sollen oder wollen?
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Vielleicht hätte ich ein wenig experimentierfreudiger sein sollen und mehr Ehrgeiz für die ganze Musik-Sache an sich entwickeln können. Aber andererseits ist das bei mir ja fast schon so eine Art roter Faden. (lacht)
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2010 hattest du dann, inzwischen umbenannt zu Prinz Harry, ein Feature auf dem ersten »Hoodtape« von Kollegah. Wie kam denn da der Kontakt zustande?
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Das lief zunächst auch über die RBA. Ich war dort immer noch aktiv, Kollegah nicht mehr. Aber er war wohl noch Zaungast, hat meine Sachen gehört und mich dann über MySpace angeschrieben. Die weitere Zusammenarbeit für das Feature lief dann über ICQ. Das war allerdings die Phase, in der Kollegah beattechnisch nicht ganz so geschmackssicher war. Ich habe ihm dann ein paar Songs von Gucci Mane vorgeschlagen, da war auch ein Song auf auf so einem Trance-Beat dabei. Das wurde dann letztlich die Vorlage für »Gigolos«. Ich hätte den Beat so nicht gepickt, aber hab den Song neulich mal wieder gehört, finde ihn eigentlich ganz nice und bin auch mit meinem Part immer noch zufrieden. Und es war damals für mich einfach eine krasse Auszeichnung, auf einem Song zusammen mit einem meiner größten Idole aus den Anfangstagen sein zu können.
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Das lief komplett online?
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Ja, das lief alles über’s Netz.
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Ab circa 2011 finden sich vermehrt Songs mit der WastedYoutHH-Crew aus Hamburg.
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Das begann auch schon viel früher, auch über »Mzee«. Dort habe ich Chris Miles, wie er sich heute nennt, kennengelernt. 2008 bin ich für eine kurze Zeit zu den Jungs nach Hamburg gezogen. In der Zeit entstanden einige Tracks. WastedYoutHH ist, bzw. war dann später die Crew von Chris Miles, James Cook, Charlie Reen und ThodeBeat. Mit Chris bin ich bis heute in Kontakt und freundschaftlich verbunden. Für mich ging’s dann aber 2009 eben zurück in den Süden, nach Regensburg.
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Ebenfalls 2011 hast du dann die Compilation »Vom Wohlstand verwahrlost« mit losen und teilweise älteren Tracks veröffentlicht. Was hatte dich dazu veranlasst?
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Das war etwa einen Monat nach dem Feature für Kollegah. Das schien ein guter Zeitpunkt für eine Art Werkschau, weil mich da vermutlich ein paar mehr Leute auf dem Schirm hatten. Dafür habe ich dann auch ein paar Songs neu aufgenommen oder alte noch mal umgearbeitet. Man merkt dem Album aber natürlich an, dass das nicht kohärent ist.
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Was sich dort schon abzeichnete, waren deine »zwei Seiten«, über die wir später noch sprechen. Zu dieser Zeit hast du aber bereits endgültig unter dem Namen »Prinz Harry« aber auch »Harry K« firmiert. Wofür stand das K?
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Das war einfach nur eine zusätzliche Silbe, auf die man geil reimen kann und total random. Ich hatte zu der Zeit einfach oft den Einstieg »Harry K / anyway…«. Mir hilft das immer, viele Reime auf meinen Künstlernamen zu finden, das erleichtert vieles beim Schreiben.
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Erst »Mariano«, dann »Prinz Harry« und parallel dazu »Prinz K«, seit 2015 »Harry Quintana«: Du meintest einmal, dass du dich des Südamerika-Bezugs wegen umbenannt hast und weil dir die Reime auf die alten Namen ausgingen. Sind das wirklich Gründe, etwas so Zentrales wie den Künstlernamen zu ändern?
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Im Wesentlichen schon. Was vielleicht noch dazu kam, war, dass ich mich zu der Zeit von diesem reinen Battle-Ding mit seinen 90-bpm-Beats weg entwickelte. Es rückten damals Leute wie A$AP Rocky mit ihrem Sound mehr in den Mittelpunkt, was mich ebenfalls beeinflusste. Und so war’s in Summe für mich der richtige Zeitpunkt für einen neuen Namen und auch einen neuen Soundentwurf.
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»Quintana« des kolumbianischen Rennrad-Profis Nairo Quintana wegen? Oder wie kam es dazu?
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(Lacht) Nairo Quintana ist mir natürlich ein Begriff, aber darauf bezieht sich das nicht. Ich hatte damals einfach den Track »Quintana Pt. 2« von Travis Scott gehört und dachte mir: »Hm. Quintana. Klingt gut.« Und so wurde es dieser Name – auch weil das ein sehr geläufiger südamerikanischer Nachname ist.
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Apropos Namen: Automarken, speziell deutsche, spielen im HipHop eine große Rolle – Audi allerdings nur am Rande. Du hingegen erwähnst die Ingolstädter seit Jahren, dem Quattro hast du sogar einen Song gewidmet. Wieso der Audi?
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Audi hat mich einerseits jobseitig eine ganze Weile intensiver beschäftigt, vielleicht hat das ein wenig abgefärbt. Und andererseits fuhren meine Eltern schon immer Audi. Ich war als Kind auch mal in Ingolstadt dabei, als wir dort im Werk unser neues Auto abgeholt haben. Vielleicht war das für mich auch ein derart prägendes Erlebnis, dass es heute in meinen Texten wieder hochkommt. Müsste man Sigmund Freud fragen. (lacht)
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Das andere große Harry-Quintana-Motiv: Südamerika. Was ist dein Bezug zu diesem Teil der Welt? Du hast dort unter anderem Sprachunterricht gegeben und als Statist in der Serie »La Ruta Blanca« mitgewirkt, warst dort in Summe mehrere Jahre. Was zieht dich dort an?
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2009 hatte ich meinen ersten Kolumbien-Aufenthalt, zunächst als Rucksack-Tourist in Hostels. Als erstes sind wir nach Bogotá, dann weiter nach Medellín und später dann auch zu entlegeneren Orten, wie zum Beispiel einer verlassenen Eingeborenen-Stadt – ein bisschen die kolumbianische Version von Machu Picchu. Wir waren dort für mehrere Tage mit einem kleinen Treck mit eigenem Koch unterwegs und haben in der Hängematten übernachtet. Das war beeindruckend.
Mich hat das Land, seine Leute und ihre Musik seitdem fasziniert und nicht mehr losgelassen. Und als Künstler verpackt man derlei Eindrücke dann natürlich auch in seiner Musik – bewusst und unbewusst. Vor allem als jemand, der aus einem völlig anderen Kulturkreis kommt. Zumal Kolumbien zu dieser Zeit massentouristisch noch nicht so krass erschlossen und damals auch noch ein relativ heisses Pflaster war. Meine Mum war jedenfalls nicht so begeistert von meinen Plänen, damals. (lacht)
Damals konnte ich auch noch kein Spanisch. Aber diese erste Reise hat mich derart angefixt, dass ich zurück in München 2010 direkt mit einem Spanisch-, beziehungsweise Studium der Übersetzungswissenschaften begonnen und mich seitdem komplett auf diese Kultur eingelassen habe. Und seitdem immer tiefer eingetaucht bin.
Ich sollte vielleicht auch dazu erwähnen, dass meine Frau aus Kolumbien stammt und ich dort daher natürlich auch familiär inzwischen sehr eng eingebunden bin und viele gute Freunde vor Ort gefunden habe. Diese Herzlichkeit und das Sich-aufgenommen-fühlen in dieser Gemeinschaft, das lässt sich schwer beschreiben. Das ist ein tolles Gefühl und etwas völlig anderes als in Deutschland.
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Auf »El Camino« von 2015 nahm dieser Einfluss hörbar Gestalt an. 2017 hast du eine erste Version des Songs »Quito« veröffentlicht, der mir in mehrerlei Hinsicht besonders erscheint. Zwei Jahre reüssierte er, mit neuem Beat, auf »Raro«. Kannst du zu diesem Song vielleicht ein bisschen mehr erzählen? Bist du noch auf der Suche nach der Wahrheit, wie Siddharta?
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Ich glaube, man ist doch sein ganzes Leben auf dieser Suche, oder? Es kommen immer neue Steine, die im Weg liegen, für die man Lösungen suchen muss. Aber du hast Recht, »Quito« ist einer der wenigen Songs, bei dem ich bis heute fast rundum zufrieden bin. Abgesehen von der schlechten Abmische und dem Fakt, dass man mehr hätte draus machen können. Zum Beispiel mit einem Video, das man dazu in Quito hätte drehen können. Dann hätte das Ding vielleicht richtig einschlagen können. Manchmal schicken mir Leute, die grade in Quito sind, Videos, wie sie auf irgendeinem Dach hocken und den Song hören. Offenbar gibt der wirklich einigen Leuten etwas, ja.
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Umgekehrt gibt es bis heute kein einziges Video von dir. Bei »Ingolstadt Village« wär’s aber fast soweit gewesen, oder?
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Ja… (lacht). Das Footage dazu liegt hier seit damals auf meinem Rechner. Ich hab das damals mit einem Kumpel abgedreht und ich hatte es auch schon mehreren Leuten zum Schneiden geschickt. Aber ich bekam immer das Feedback, dass wir zu wenige Szenen für diese Song-Länge hätten. Natürlich könnte ich mir auch ein entsprechendes Programm herunterladen und mich selbst reinfuchsen. Aber dann müsste ich sicher ein ganzes Wochenende dafür verbraten, und es ist nicht gesagt, dass ich am Ende mit dem Ergebnis zufrieden wäre.
Ich bräuchte da ganz einfach professionelle Hilfe, am besten natürlich aus dem Bekanntenkreis. Denn ich hab absolut keinen Bock darauf, in irgendeine Stadt zu fahren und mit jemandem zu drehen, den ich null kenne und der mit dann sagt, was ich zu machen hab’ oder möchte, dass ich mit Geldscheinen werfe oder so. (lacht) Ich will da definitiv beteiligt sein, im kreativen Prozess. Und das ist, wie immer, nicht so einfach, hier jemanden zu finden, mit dem es dann sowohl künstlerisch als auch menschlich passt.
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Ein Video-Powerhouse wie zum Beispiel die 100BLACKDOLPHINS kämen für dich insofern nicht infrage?
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Witzig, dass du ausgerechnet die erwähnst. Die hatten mich nach »El Camino« sogar mal angeschrieben und gemeint, dass sie meine Sachen cool finden und ein Video machen möchten. Aber ich hatte zu der Zeit gerade keine neuen Tracks und meinte dann, dass ich mich bei ihnen melde, wenn ich wieder neues Material hab. Kurz danach gingen die dann durch die Decke und machen seitdem echt heftig großes und viel Zeug. Ja, schade! Das war eine Gelegenheit, wo ich vielleicht hätte mutiger sein sollen.
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Wie dürfte man sich denn einen Clip vorstellen, bei dem du die kreative Leitung hättest?
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Ich finde zum Beispiel die Videos, die Kitschkrieg für Trettmann und »DIY« gemacht haben, ästhetisch stark. Konkret schwebt mir das Video zu »Billie Holiday« vor: Clean, vielleicht echt auch schwarz-weiss, ohne viel Tam-Tam. Und ganz wichtig: Landschaftsaufnahmen. Natur. So in der Art könnte ich mir das vorstellen. Es kommt natürlich auch auf den Song an. Aber wenn, dann würde ich ein Video zu einem persönlicheren Lied machen wollen.
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Kämest du selbst in dem Video vor?
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Ja, schon. Also, ich müsste nicht die Hauptrolle spielen. Ich fände besser, wenn die Natur und das Setting die Hauptrolle spielt. Aber verstecken würde ich mich auch nicht.
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Ich frage deswegen, weil es von dir bis vor Kurzem im Prinzip nichts zu sehen, geschweige denn eine gepflegte Social-Media-Präsenz gab. So eine »Unsichtbarkeit« erfordert heute ja fast schon wieder Aufwand. Daher könnte man auf die Idee kommen, dass das eine bewusste Masche ist?
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(Lacht) Nein, das ist definitiv nicht so. Es gab nie den Plan, meine Identität geheim zu halten oder so. Bisher haben sich einfach die Umstände nicht ergeben, ein Video zu drehen. Aber wenn sich das ändert und diese Umstände passen, dann wird’s auch Videos geben. Unter anderem zu diesem Zweck habe ich mich sogar vor einer Woche bei Instagram angemeldet.
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…what?
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(Lacht) Ja, tatsächlich. Ich hab zwar weiterhin keinen Bock darauf, mich großartig selbst darzustellen und diesem Dopamin-Diktat zu unterliegen. Aber ich hab mir einfach gedacht, dass es eben doch ganz wichtig sein könnte, dort präsent zu sein, falls Leute mich anschreiben und mit mir zusammenarbeiten möchten. Da sollte man dann vielleicht auch nicht so anti sein und eine solche Plattform komplett ignorieren. Einfach, weil man sich dann gegebenenfalls coole Momente und Chancen verbaut.
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Wie lautet der Handle?
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@harrykintana, mit K. Mit »Qu« war’s schon weg, weil häufiger Name, wie gesagt. Vielleicht benenn’ ich mich auch insgesamt mal dahingehend um, weil mit K sieht das eigentlich echt auch ganz nice aus.
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Oha, die nächste Umbenennung bahnt sich an, SEO-Manager hassen diesen Trick. Andererseits wäre das frühere »Harry K« damit rückwirkend prophetisch.
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Stimmt!
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Zu »El Camino«-Zeiten hat sich auch die Zusammenarbeit mit LGoony intensiviert, es entstand der Hit »Sosa«. Wie kamt ihr beide zusammen?
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Er hatte 2014 sein erstes Tape, »Goonyverse« im Netz veröffentlicht. Und nachdem das auf »Mzee« guten Anklang fand, bin ich auch auf ihn aufmerksam geworden. Er hatte dort dann so eine Art Interview gegeben und bei der Frage, wen er so hört und was ihm gefällt, fiel eben auch mein Name. Das fand ich cool: Ein Newcomer, der meine Sachen diggt und dessen Musik mir auch taugt – ich empfand seine Musik damals als echt frischen Wind. Und als ich Mitte 2015 auch wieder mehr Sachen released hab, gab wiederum er mir Props dafür. Dann hab ich ihn gefragt, ob wir mal was gemeinsam machen wollen. Zu der Zeit arbeitete er gerade am »Grape Tape« und hat mir dann die halbfertige Version von »Sosa« geschickt und gefragt, ob ich Bock hätte, da einen Part drauf zu machen. Und der Rest ist…history. (lacht)
Wir haben bis heute Kontakt, schreiben uns hin und wieder. Er war auch derjenige, der die erste Version von »Blue Sky Szenario« mit dem Klavier-Instrumental für mich gemischt hat, weil ich ein absoluter Noob in Sachen Mix und Mastering bin. Und in dem Zug hatte er mir gezeigt, dass er selbst auch gerade an einem Piano-Beat-Projekt arbeitet. Da hatten wir unabhängig voneinander eine ähnliche Idee. LGoony ist einfach ein cooler, sympathischer Typ, auf dem Boden geblieben. Und ich denk’, dass auch in Zukunft wieder gemeinsame Sachen von uns kommen.
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2018 folgte dann das zweite Feature auf dem »Hoodtape Vol. 3« von Kollegah. Nicht um die Algorithmen endgültig zu verwirren, sondern aufgrund menschlichen Versagens allerdings wieder als »Prinz Harry«. Kann ich mir diese Zusammenarbeit wieder so in der Art wie beim ersten Mal vorstellen, rein virtuell?
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Da hatte mich damals ein ›Agent‹ von Kollegah über das »Mzee«-Forum angeschrieben. Ich glaube, der wollte einfach mal wieder einen gemeinsamen Track von uns hören und hat mir die Nummer von Kollegah gegeben. Kollegah arbeitete zu der Zeit grade an »Monument« und dem zugehörigen Hoodtape und hatte Bock auf das Feature. Er hatte seinen Part und die Hook für »Crystal In Der Town« schon parat und ich meinte dann: »Komm, zahl’ mir die Hälfte von Nas, dann mach’ ich’s.« (lacht)
Und ja, das lief auch alles online. Das fand ich ehrlich gesagt auch ganz gut so, denn Kollegah hatte sich zu der Zeit meiner Meinung nach in eine etwas komische Richtung entwickelt. Ich war mit der Art seiner Aussendarstellung nicht wirklich einverstanden und als Musiker mit einer größeren Reichweite als der meinen hätte ich mir da auch mehr Gedanken über ein Feature gemacht. Aber so, als Quasi-Privatperson im Hobby-Modus konnte ich für mich darüber hinwegsehen, zumal ich den Song auch echt feier’.
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Zwei weitere alte Weggefährten von dir sind Albert Parisien und Lance Carvell. Ersterer hat auch einen kurzen Gastauftritt auf »Blue Sky Szenario«.
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Ja, Albert hat definitiv wieder Lunte gerochen, was ich so rausgehört hab und er ist aktuell auf der Suche nach Produzenten. Leider war ich da mit dem Album so gut wie fertig und so blieb’s bei dem kleinen Cameo, in dem er einen seiner legendären Knowledge-Einschübe droppt.
Was Lance betrifft: Wir kennen uns seit MySpace-Zeiten und haben bis heute lose Kontakt. Laca war ein weiterer deutscher Rapper, den ich nach der Aggro-Welle in meiner RBA-Zeit sehr viel gehört hab. Er hat mit seinem Style schon Maßstäbe gesetzt, als dieser Swag-Rap auf Deutsch noch überhaupt keine Basis hatte. Ich hätte auf jeden Fall Bock, wieder mit ihm zusammenzuarbeiten. Wir wollten um 2012 herum auch eine EP zusammen machen, aber wir haben’s dann leider nicht geschafft. Seine Texte aus den angefangenen Tracks mit mir sind dann auf seinem damaligen Solo-Tape »Fikktive Stories« gelandet.
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Falk Schacht meinte mal, dass ihn Rapper, die wie du ihre Musik parallel zu einem regulären Job machen, oft fragen, ob sie das Risiko wagen sollten, sich zu 100 Prozent auf die Musik zu konzentrieren. Ist das ein Gedanke, den du auch kennst?
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(Denkt nach) Also ja, in letzter Zeit tatsächlich, manchmal. Weil die Zahlen inzwischen so sind, dass es mit ein bisschen mehr Aufwand vielleicht sogar finanziell passen könnte, denke ich mir. Zumindest könnte man seinen Erst-Job stundenmäßig reduzieren.
Aber ich hätte andererseits Angst, dass dadurch dann ein Schaffensdruck entsteht. Weil dann musst du ja quasi liefern, dann musst du Geld verdienen. Dann geht’s nicht, dass du mal ein halbes oder ganzes Jahr einfach gar nix machst. Wenn dann aber nicht zufrieden bist mit den Sachen, sie aber raushaun’ musst, des Geldes wegen… Die Vorstellung ist Horror für mich.
Ich hab einfach die Befürchtung, dass mir der Ehrgeiz fehlt und ich das ganz schnell wieder abblasen würde, weil ich nicht zu 100 Prozent dahinter stehe. Ich fürchte mögliche Schreibblockaden oder ein Abgefucktsein von dem ganzen Business so sehr, das ich bis dato einen so radikalen Schritt einfach nicht wage.
Und noch ein anderer Gedanke dazu: Ich habe in den letzten Wochen, in denen ich mich für das Album wieder intensiver mit Rap und der Kunst beschäftigt hab, gemerkt, dass man so irre viele Eindrücke aufnimmt, ob man will oder nicht. Alles was man sieht, könnte ja möglicher Input für die Kunst sein. Das verursacht in meinem Kopf furchtbare Unruhe. Ich bin dann ständig am Filtern und Suchen und am Aufschreiben. Das nervt mich oft auch. Ich glaube, wenn man das vollzeitmäßig macht, muss man erst lernen, auch Zeiten zu haben, in denen man sich gar nicht damit beschäftigt, damit man wieder aufnahmefähig wird. Ich empfinde es wirklich als anstrengend, ständig aus allen Sachen, die mir begegnen, etwas für die Kunst ziehen zu müssen.
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Diese explizite Distanzierung vom Rapper, der es ernst meint, ist ja auch ein wiederkehrendes Thema in deiner Musik.
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Das Ding ist halt, dass es nicht damit getan ist, gut rappen zu können oder gute Texte zu schreiben. Du musst dich selbst inszenieren können, du musst dir ein Netzwerk an Leuten aufbauen und erhalten, für Grafik, für Videos, für das ganze Drumherum und die Organisation. Wie viel bleibt denn dann noch für die Musik übrig? Und wie viel Leute köderst du im Vergleich dazu über deine Instagram-Präsenz und den ganzen Social-Network-Unterbau? Es dürfte schwer sein, das in Zahlen zu fassen, aber ich würde sagen, dass bestimmt 70 bis 80 Prozent der Aufmerksamkeit – und damit Umsatz – nur darüber generiert wird.
Schau dir zum Beispiel so Leute wie Pashanim aus Berlin an. Der hat glaub ich grad mal drei Tracks draussen, da aber zweistellig Millionen Plays drauf. Einfach, weil er neben der zugegebenermaßen guten Mucke das ganze Social-Media-Game gut spielt und coole Videos hat. Dann kann so etwas funktionieren. Aber ich müsste da jetzt bei Null anfangen. Sich diese ganzen Strukturen aufzubauen, das dauert Jahre. Und da müsste ich jetzt erst mal lange rein investieren und an Türen klopfen. Und ob es das dann wirklich wert ist und ich als Ergebnis glücklicher wäre, ist fraglich. Es könnte halt auch ganz leicht sein, dass ich einfach nur den Spaß an der Sache verliere.
Allerdings würde ich sehr gerne kreativer arbeiten. In dem Job, den ich jetzt mache, ist das Level an Kreativität nicht so hoch, wie ich mir das wünsche. Von daher könnte ich mir zum Beispiel auch sehr gut vorstellen, Ghostwriting oder Songskizzen für andere Künstler anzubieten.
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Apropos Künstler: Auf »Weiter« von »Raro« rappst du die Line: »Vielleicht bin ich Künstler/sollt es nicht leugnen.« Was meinst du damit?
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Das soll ausdrücken, dass ich mich selbst und meine Kunst vielleicht mal ein klein wenig ernster nehmen sollte. Nicht bierernst, wie viele das machen. Aber ich sollte mein Talent eben auch nicht so mit Füßen treten, es nicht so stiefmütterlich behandeln. Sondern mehr Ehrgeiz entwickeln und mich um so vermeintlich kleine Sachen wie zum Beispiel die Abmischung kümmern. Ich mach’ seit 15 Jahren Musik, aber ich hab immer noch keine Ahnung davon. Das finde ich traurig und ist auch meiner Kunst gegenüber ein Schlag ins Gesicht. Das hat sie nicht verdient. Das waren so die Gedanken hinter dieser Zeile.
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Immerhin gibt es große Teile deiner Musik aber inzwischen auf den gängigen Streamingplattformen. Darum kümmerst du dich selbst?
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Ja. Ich lad’ die Sachen über DistroKid hoch und dann ist das innerhalb von maximal 48 Stunden auf Spotify, Apple Music, YouTube und so weiter. Ich bezahle dort nur die Jahresgebühr, die Streaming-Einnahmen landen dann zu 100% bei mir. So betrachtet ergäbe die Zusammenarbeit mit einem Label für einen Künstler wie mich, der keine Videos und so weiter hat, auch wenig Sinn.
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Ich würde gerne kurz über deine Cover-Artworks sprechen. Du nutzt dafür häufig nur ein Foto, ohne Grafik oder Text, was meines Erachtens wesentlich zur Eigenheit vieler deiner Releases beiträgt. Als Beispiel deine Best-Of namens »1517«: Was hat es mit diesem Kind auf sich?
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Das Bild ist bei meinem ersten Kolumbien-Aufenthalt entstanden, während dieser Ruinen-Exkursion, von der ich vorhin sprach. In der Sierra Nevada de Santa Marta wohnt der Stamm der Kogi, eines der letzten Urwald-Völker Südamerikas. Ich finde, das Kind »schwebt« in diesem Bild förmlich in einer anderen Welt. In seinem Gesicht sieht man nichts, was mit unserer heutigen Welt zu tun hat. Es ruht komplett in sich. Ich möchte wirklich nicht großspurig wirken, aber ich glaube tatsächlich, dass dieses Bild Preise gewinnen könnte. Eben weil es diesen Blick ins Nichts so gut einfängt. Der Rest der Bilder von diesem Trip ist nicht ansatzweise so gelungen, ich hatte da einfach Glück. Aber manchmal trifft man eben den perfekten Moment.
Ich verstehe von Cover-Gestaltung nicht so viel, aber versuche, mit meinen bescheidenen Mitteln etwas zusammenzustellen, das man sich ansehen kann. Es gibt Leute, die verbraten dafür vierstellige Beträge und es sieht unmöglich aus, weil sie einfach kein Gespür für Ästhetik haben.
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Zum Ende dieser Zeitreise kehren wir nach München zurück: Warum denkst du, hat die Stadt heute ein so geringes Gewicht im HipHop? Und wer ist eigentlich Axel?
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Ich würde mich selbst nicht mal als Münchner bezeichnen. Ich hatte in der Phase nach dem Abitur einen Kumpel, der war ein bisschen in dieser Münchner Schickeria-Szene drin. Viele meiner Lines entstammen dieser Zeit und Geschichten, die ich aber gar nicht mal zwingend alle selbst erlebt habe oder bei denen ich nur am Rande beteiligt war. Aber ich hatte auch lange Zeit gar nix mit München zu tun. Ich bin ja erst 2015 wieder dorthin gezogen. Und ich hatte auch davor nie wirklich Kontakt zu Münchner Rappern. Warum in München so wenig geht, weiss ich nicht und ich hab auch nie versucht, hier mit irgendwem zu connecten. Einfach, weil ich immer viel unterwegs war und mir daher auch nie eine Basis aufbauen konnte. Der einzige Münchner, mit dem ich ein bisschen was mach’, ist auch auf dem aktuellen Album: Blanko Malte. Aber der ist Sänger, kein Rapper.
Und Axel ist Axel Schulz, um das kurz aufzuklären. (lacht)
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