Kamikazes »Erfahrungen zwischen Zerstörung, Selbstzerstörung und Weihe des Lebens.«

Mit »Hohes Fest« haben die Kamikazes kürzlich ihr erstes Rapalbum seit knapp neun Jahren veröffentlicht. Im Interview mit Noah Sonnenschein reflektieren Mythos und Antagonist ihre Musik, die instrumentell wie textlich mit eingespielten Genre-Mustern bricht.

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»Hohes Fest« klingt unverkennbar nach Kamikazes – und doch ganz anders als der Vorgänger »Kleiner Vogel«. Die elektronischen Klangexperimente ihres »Zukunft 2«-Projektes hallen noch nach und reichern den Sound merklich an. Textlich wie raptechnisch haben die beiden Brüder ihr Profil geschärft: Die Unterschiede zwischen ihnen sind definierter, wovon das große Ganze wiederum profitiert und an Stimmigkeit gewinnt. Im Videogespräch erzählen Mythos und Antagonist, inwiefern »Hohes Fest« ein Produkt langjähriger Gärung ist, wie sich biografische und künstlerische Entwicklungen auf ihren Schaffensprozess auswirken und weshalb ihre Musik ohne den jeweils anderen und die gemeinsame Arbeit nicht denkbar wäre. Was heißt es, im Schönen die Abgründe mitzudenken, anstatt beides fein säuberlich zu trennen? Die Welt auf dünnem Eis tanzen zu sehen, doch selbst auf eine Zuschauerrolle zurückgeworfen zu sein? Das komplizierte Verhältnis zur eigenen Künstlerpersona zu konfrontieren?

  • Euer letztes Album ist 2014 erschienen. Seitdem habt ihr einerseits Rap-EPs mit Prezident und Degenhardt veröffentlicht und seid andererseits vor allem mit eurem Instrumental-Projekt »Zukunft 2« in Erscheinung getreten. Jetzt veröffentlicht ihr ein neues Rapalbum, was für mich zwei Fragen aufwirft: Was hat dazu geführt, dass ihr so lange kein Rapalbum veröffentlicht habt und was dazu, dass nun wieder ein neues erscheint?

  • Mythos: Die meisten Tracks sind gar nicht so aktuell, sondern über diese lange Zeitspanne entstanden. Es ist nicht so, als hätten wir uns vor einem Jahr hingesetzt und gesagt: »Jetzt müssen wir mal wieder ein Rapalbum machen«. Die Tracks entwickeln sich schon seit Jahren und waren zum Teil auch eingestaubt zwischendurch und fast vergessen. Wir haben natürlich auch ein paar neue Tracks gemacht, aber im Großen und Ganzen sind das schon auch ältere Sachen. Zu der »Zukunft 2«-Geschichte kann man ganz ehrlich sagen: Eigentlich hatten wir nicht mehr so die krasse Inspiration für Rap. Also wir hatten weniger dieses »Ja, man muss sich jetzt einen Platz in der Szene erkämpfen und dafür Promo machen und sich da reinhängen«. Zu der Zeit war es nicht mehr so spannend für uns, die Musik mit deiner Person zu verknüpfen bzw. ein Alter Ego aufzubauen. Dazu kommt noch, dass wir immer unsere eigenen Beats gemacht haben und da immer mehr Output hatten als beim Schreiben. Da hat es sich halt angeboten, ein bisschen sowas wie einen Soundtrack zu machen. Diese »Zukunft 2«-Sachen sind ja genremäßig schwer einzugrenzen. Lukas, willst du ergänzen?

  • Antagonist: Ja, eigentlich sehe ich das ähnlich. Ich muss für mich auf jeden Fall sagen, dass die Rapsache so 2017 rum oder eigentlich schon nach dem Degenhardt-Release für mich ein bisschen gegessen war. Ab da kam ich nicht mehr so gut auf mich in der Rolle als Rapper klar oder bin dieser so ein bisschen überdrüssig geworden. Aus dem Überangebot an Beats Songs zu machen, die textlich höchstens durch Gesangsamples getragen werden, war eine richtig gute neue Erfahrung. Tracks zu machen und dabei die Fresse halten zu können, war eine Wohltat. In den letzten Jahren hat vor allem Linus versucht, zu forcieren, dass wir wieder Rap machen und uns die vorhandenen Skizzen vornehmen. Ich schätze, dass ohne die Initiative von Linus die Lust auf Rap bei mir nicht unbedingt so schnell wiedergekommen wäre. Am Ende war das letzte Jahr aber eine richtig schöne Wiederentdeckung der Möglichkeit, Raptracks zu machen. Plötzlich hatten wir wieder das Gefühl, herausfinden zu wollen, wieviel da möglich ist, also mit eigenen Texten Songs zu machen. So hat das Ganze nochmal neu Fahrt aufgenommen unter dem stetigen sanften Druck von Linus. (lacht) Wir haben wieder Bock.

  • Mythos: Wir haben auch neue Wege gefunden, um zusammenzuarbeiten. Wir wohnen nicht mehr zusammen wie noch bei den Releases, die du vorher aufgezählt hast. Vor den Zukunft-2-Sachen haben wir ja zusammengewohnt. Jetzt sind wir in unterschiedlichen Städten, was aber dazu geführt hat, dass wir einen neuen Modus gefunden haben. Zum Beispiel treffen wir uns abends bei Zoom und schreiben zusammen… Früher haben wir nie zusammen an Texten geschrieben. 

  • Wir haben in letzter Zeit nochmal richtig viel Arbeit in die Details von den Tracks gesteckt, um die alle in sich wirklich stimmig zu machen. (Mythos)Auf Twitter teilen
  • Da muss ich an die Zeile auf eurem zweiten Album »Königsmische« denken: »Kamikaze-Parts wachsen über Jahre«. Ich stelle mir das schon schwierig vor, dann auch wieder in denselben Film zu kommen. Ist das wirklich so, dass Texte erstmal rumliegen und dann zu unterschiedlichen Zeitpunkten wieder neu aufgegriffen werden? Und was überwiegt da – die Herausforderung oder der Gewinn? Ich könnte mir auch vorstellen, dass man alles immer wieder neu überarbeitet und dabei vielleicht verschlimmbessert. Wie kriegt man das gut hin?

  • Mythos: Ich glaube, den Tracks auf dem Album hat das lange Liegenlassen sehr gutgetan. Ich habe die Parts für manche Tracks schon in Offenbach aufgenommen, als wir noch zusammengewohnt haben. Aber das war alles noch nicht das Wahre. Wir haben in letzter Zeit nochmal richtig viel Arbeit in die Details von den Tracks gesteckt, um die alle in sich wirklich stimmig zu machen. Aber es ist nicht nur Vorteil, sondern auch harter Ballast irgendwie. Ein bisschen so, wie ‚ne Verpflichtung, die du noch einlösen musst, wenn man einen guten Text hat. Und wenn der noch nicht veröffentlicht ist, ist es so, als hätte man seine Hausaufgaben nicht gemacht. Deswegen ist man natürlich motiviert, auf jeden Fall dran weiterzuarbeiten. Ich freue mich jetzt einfach mega, dass es zum Beispiel bei »Talpredigt« dazu gekommen ist, dass wir den Track fertig haben und dass der so cool ist. Wir hatten schon zig andere Versionen davon und die waren alle nicht so cool. Und jetzt passt der auch noch wie die Faust aufs Auge in die Zeit grade. Dem hat’s auf jeden Fall gutgetan, lange zu liegen.

  • Antagonist: Ich würde auf jeden Fall sagen, dass immer, wenn wir Tracks gemacht haben, die Entstehung mit Gärung zu tun hatte. Ich weiß noch, bei »Folie á deux« war das zum Beispiel ähnlich. Da stand die grundsätzliche Idee, das Bild – der Eine schießt den Anderen irgendwo runter – lange im Raum bis sie sich zu einem Track ausgeformt hat. Und das war jetzt zum Beispiel bei »Fremde« ähnlich: Ich hatte diesen Part auch schon seit der Offenbach-Zeit – aber mit einem völlig anderen Ende. Im Prinzip hat die Geschichte sich biographisch selber fortgeschrieben. Mir wäre es unangenehm, wenn der Part in der Version erschienen wäre… Und deswegen ist es wie Linus sagt: Ein bisschen schwankt man immer zwischen einem Versagensgefühl wegen mangelnder Produktivität und der Erkenntnis, dass unsere Tracks halt echt über Jahre wachsen können und am Ende ankommen, wo sie ankommen sollen. Das bringt allerdings mit sich, dass die Nerven am Ende so einer Produktionsphase meistens ziemlich blank liegen. Das war aber diesmal – vielleicht wegen des gereiften Alters – vergleichsweise entspannt. (lacht)

  • Bei so einer langen Spanne würde ich davon ausgehen, dass es auch Veränderungen persönlich-biographischer Natur gibt – ihr habt schon erwähnt, dass ihr jetzt in getrennten Städten wohnt – die verändern, wie man an Musik herangeht, oder vielleicht auch, wie man Texte schreibt.

  • Mythos: Ja, das Texteschreiben ist auf jeden Fall schwieriger geworden, weil wir wie gesagt nicht mehr so hinter dem Ansatz stehen »Wir machen jetzt einen Battletrack mit coolen Punchlines und halten die Fahne für Kamikazes hoch«. Diese Motivation hat man nicht mehr so. Mit ihr ist es aber einfacher, Texte zu schreiben. Jetzt lassen wir die Texte mehr für sich selbst stehen. Natürlich sind die irgendwie mit uns verbunden, aber chiffrierter, also sie lassen sich nicht direkt auf unsere Personen zurückführen. Das ist, glaube ich, bei den neuen Tracks anders geworden.

  • Ich habe das Gefühl, dass da aber in dieser Beziehung schon auch nochmal ein Unterschied ist zwischen deinen Parts und denen von Lukas. Also die von Lukas wirken vielleicht etwas unmittelbarer emotional?

  • Mythos: Und meine eher so ein bisschen krypto…

  • Ja, das hattet ihr auch schon mal in einem Interview zu »Kleiner Vogel« angesprochen in Bezug auf eure Künstlerpersonas. Ich habe das Gefühl, dass sich diese Kluft noch etwas vergrößert hat. Also es wäre jetzt auch zu platt, dass darauf allein runterbrechen zu wollen, aber vielleicht habt ihr ja noch andere Begriffe, mit denen man beschreiben könnte, wie sich eure Künstlerpersonas verändert haben? 

  • Mythos: Vielleicht nochmal ganz kurz zu dem, was Lukas vorhin meinte. Ich habe ja sehr gepusht, dass wir weiter rappen, unter anderem auch, weil ich keine Tracks alleine machen möchte – das stelle ich mir kacke vor. Also Mythos alleine, drei Parts auf einem Track, das wäre mir, glaube ich, ein bisschen too much. Deswegen: Ich glaube, wir ergänzen uns da ziemlich gut. So gibt es auch ein wenig Abwechslung. Deswegen: Ja, kann schon sein, dass das nochmal ein bisschen weiter auseinander gegangen ist. Aber auf jeden Fall nicht bewusst…

  • Antagonist: Ich hab‘ meine Rapfigur ziemlich aus den Augen verloren über die Jahre, in denen ich nicht mehr so viel mit ihr zu tun haben wollte und mich weit zurückgezogen habe – auch persönlich. Deswegen ist es für mich selbst seit dem letzten Jahr, in dem ich wieder mehr geschrieben habe, ziemlich interessant. Die Figur, die jetzt aus Antagonist geworden ist, kann ich wohl erst mit einem gewissen Abstand bewerten, denn noch habe ich kein rechtes Bild davon, wofür die aktuellen Parts stehen. Ich glaube die Veränderungen waren bei mir sowieso immer ein bisschen stärker und ein bisschen drastischer. Wenn ich mir jetzt zum Beispiel die Unterschiede zwischen meinen Parts auf »Kleiner Vogel« und dem Release mit Viktor (Anm. d. Verf.: Prezident) angucke, war das inhaltlich ein Sprung. Das hatte immer viel damit zu tun, was ich in der Zeit gemeint habe, zu sein. Und jetzt hat die Konkretheit von dem, was ich meine zu sein, auf jeden Fall ein bisschen nachgelassen und deswegen wird sich das wahrscheinlich auch in den Parts wiederfinden.

  • Ihr habt jetzt bereits »organisch« Punkte angesprochen, die ich eigentlich als konkrete Fragen noch aufgreifen wollte, zum Beispiel, inwiefern eure Zusammenarbeit darauf angewiesen ist, eben wirklich eine Zusammenarbeit zu sein und in dieser Form nicht solo stattfinden könnte. Aber vielleicht genügt das auch schon, was du dazu gesagt hast, Linus.

  • Antagonist: Ich finde dazu kann man schon nochmal was sagen. Ich finde nämlich, das ist auf jeden Fall so. Also von meiner Seite aus ist mit Linus zusammenzuarbeiten mein Zugang zu dem Musikmachen, jedenfalls in den letzten Jahren. Wenn man weiß, aus welchen Schichten die Tracks bestehen, ist es wirklich so, dass wir beide zu allen Tracks etwas Bedeutsames beigetragen haben. Sowohl, was die Beats angeht, die immer von einem weitergemacht oder ergänzt worden sind, als auch Texte. Beim Arrangement sitzen wir meistens zusammen und schauen, was am besten klingt. Also ich kann mir im Prinzip nicht vorstellen, das komplett auf eigene Faust zu machen.

  • Mythos: Wir haben ja auch immer schon diese enge brüderliche Beziehung zueinander. Wenn man nicht mehr zusammenwohnt, ist die natürlich schwieriger aufrechtzuerhalten. Umso cooler ist es, was zu haben, worüber man reden kann, nicht das persönliche Leben, sondern ein gemeinsames Projekt. Daran zu arbeiten, ist eine super Art, sich miteinander zu beschäftigen.

  • Nochmal zu dem Aspekt eurer Künstlerpersonas: Lukas, auf eurem ersten Album von 2009 rappst du: »Du bist viel zu schnell zufrieden mit dir selbst / Antagonist schließt niemals Frieden mit sich selbst«. Im Kontrast dazu empfinde ich dich in deinen Texten auf »Hohes Fest« mitunter als sehr zärtlich und auch die Delivery ist nochmal ganz anders. Wahrscheinlich würde ich jetzt nicht so weit gehen, zu sagen, dass es so klingt, als hättest du den zitierten Frieden, den du nie mit dir schließen wolltest, gefunden, aber zumindest, dass du der Idee nicht ganz abgeneigt zu sein scheinst.

  • Antagonist: Auf der einen Seite finde ich, was der junge Mann damals formuliert hat, bis heute treffend für das, wie ich mich selber sozusagen erlebe. Das heißt, ich habe immer noch das starke Gefühl, dass alles ständig im Werden ist, inklusive mir selbst und allem, was um mich herum ist. Dass es halt noch viele offene Dinge gibt. Ich glaube, Musik ist eine Möglichkeit, damit umzugehen. Auf der anderen Seite würde ich auch sagen, dass von dem Stil oder der Ausrichtung der Texte relativ eindeutig ist, dass da auf jeden Fall ein Bruch in der Art und Weise ist, wie ich schreibe. Ich glaube, dass ich auf dem Album wesentlich weniger offensiv bin als früher.

  • Mythos: In diesem Sinne ist es bei dir auch authentisch, weil du früher rastloser warst und heute eher ein Ruhepol bist, finde ich – was extrem cool ist. Und das hört man dann wahrscheinlich auch in den Texten. Ich finde es witzig, dass du es ansprichst, denn so habe ich noch nicht darüber nachgedacht – »zärtlich«. Aber es stimmt schon. Also dir ist es aufgefallen und ich weiß nicht, ob das anderen Leuten direkt auffällt, aber es stimmt schon. Diese Verachtung ist nicht mehr so darin, würde ich sagen… Oder weniger (Gelächter).

  • Auf musikalischer Ebene, finde ich, ist der Einfluss eurer »Zukunft 2«-Sachen sehr klar herauszuhören. Also man merkt, dass da in eurer Entwicklung etwas passiert ist. Ich würde sagen, dass euer Album sehr experimentell und musikalisch ziemlich reichhaltig ist. Könnt ihr etwas dazu sagen, wie sich euer Produktionsprozess verändert hat und wodurch er vielleicht noch angereichert worden ist seit »Kleiner Vogel«?

  • Mythos: Was sich jetzt ganz praktisch verändert hat, ist dass wir weniger mit Controller/Keyboard arbeiten und mehr mit Instrumenten, die wir dahaben, also Synthesizer, Sampler und so. Wir sind ein bisschen davon weggekommen, mit Reason allein zu produzieren, sondern benutzen es häufig nur noch als Recording-Sequenzer. Natürlich nicht nur, aber das ist, was sich in der praktischen Arbeit verändert hat. Und dass wir jetzt wieder ziemlich viele von den Sessions zusammen gemacht haben. Wir haben hier in Wuppertal ein kleines Studio-Zimmer, in dem wir zusammen en in dem Zimmer, in dem man auch schläft, sondern dass es dafür einen extra Raum gibt. Über das Verhältnis zu den »Zukunft 2«-Sachen haben wir uns auch schon unterhalten… Ich finde, einerseits ist es schon experimentell, andererseits ist es aber auch ganz schön klassisch teilweise. Klassische Hip-Hop Formen, wie zum Beispiel die Drumbreaks aus so 60er-, 70er-, 80er-Funk und Soul, die öfter auf dem Album auftauchen, sind teilweise schon noch und nöcher in Hip-Hop-Tracks durchgenudelt worden. Aber klar, wir haben unseren »Zukunft 2«-Vibe mit reingebracht. Ich finde, es hat beides, »Zukunft 2«-mäßige wie auch ziemlich klassische Anwandlungen. Jedoch nicht auf verschiedene Tracks verteilt. Es gibt jetzt keinen Track, den man rausnehmen und sagen könnte, der ist total klassisch.

  • Antagonist: Das war am Anfang vielleicht so ein bisschen unser Gefühl nach dem »Zukunft 2«-Ding. Der Beat von »Homestory« zum Beispiel. Ursprünglich waren das drei Spuren, zwei Drumspuren und die Samplespur, vielleicht gab es noch einen Bass. Da dachten wir uns erstmal »Jo, jetzt machen wir halt wieder so richtig HipHop auf nem geilen reduzierten HipHop-Beat«. Was den »Zukunft 2«-Vibe wieder zurückbringt, ist, dass wir naturgemäß Schicht um Schicht auf die Tracks draufpacken. Weil die Tracks auf diese Weise anschwellen, entsteht die Notwendigkeit, das vom Arrangement wieder aufzufangen, weil man ja nicht alles gleichzeitig abspielen kann. So sind die Tracks dann wahrscheinlich doch relativ komplex geworden am Ende.

  • Ich glaube, wenn man die Tracks so lange liegen hat und dann vielleicht immer wieder hört, dann kommen die einem teilweise weniger abgefahren vor, als sie dann auf jemanden wirken, der sie zum ersten Mal hört. Für mich ist es schon ein sehr herausforderndes Hörerlebnis. Fast jeder Track hat einen Beatswitch oder so. Ich finde es schon ziemlich abgefahren.

  • Mythos: Klar, es ist vermutlich eher unser subjektiver Eindruck nach »Zukunft 2«, dass wir wieder in klassischen Hip-Hop-Gefilden unterwegs sind. Die Beats sind für sich genommen schon abgefahren. Aber da hat uns »Zukunft 2« auch gut geholfen, finde ich. Also bei dem letzten, bei »Die große Depression«, da haben wir uns erstmalig richtig geplant drangesetzt. Bei den ersten beiden war das noch anders, da haben wir spontan versucht, Sachen zu machen, die für uns gut klingen. Bei »Die große Depression« haben wir uns schon vorher Gedanken gemacht, wohin die einzelnen Tracks gehen sollen. Das war beim neuen Rapalbum ähnlich. Weil die Tracks zum Teil so lange lagen, hat man sich nochmal ganz bewusst gemacht in der letzten Phase: »Okay, was soll dieser Track eigentlich für einen Vibe haben?«. Am Schluss haben wir wirklich viel Detailarbeit gemacht, um zu stimmigen Songs zu kommen.

  • Antagonist: Die Tracks waren auf jeden Fall ganz schöne Monster zwischendurch. Bei den meisten mussten wir in der letzten Phase den eigentlichen Kern erst wieder rausschälen. Außerdem kann ich mich nicht erinnern, dass wir auf irgendeinem Release vor »Die große Depression« jemals Besprechungen gehabt hätten. Heute haben wir regelrechte Besprechungen zu Fragen wie: Wie kann ein Track zu Ende gehen? Sollte das Outro lang oder kurz sein? Früher war das eher so: Der Track war fertig und dann war das Intro oder Outro halt entweder lang oder kurz – je nachdem, wie es gelaufen ist. Deswegen: Es gibt schon große Veränderungen in der Herangehensweise.

  •  Dadurch, dass wir nicht mehr in einer Stadt wohnen, dass wir beide Jobs haben, die uns auch ganz gut fordern und ich ein Kind hab‘, ist es einfach nötig geworden, der Planung mehr Zeit einzuräumen. (Mythos)Auf Twitter teilen
  • Da du von Besprechungen sprichst: Findet das auch Niederschlag auf textlicher Ebene? Also ist euer Album eher von vornherein als zusammenhängend konzipiertes Werk entstanden oder ist es mehr eine Ansammlung ursprünglich vereinzelter Ideen? Beziehungsweise wie ist das Verhältnis zwischen diesen beiden Polen?

  • Antagonist: Es gibt immer irgendeinen Aufhänger. Entweder hat Linus schon einen Part auf einem Beat oder wir haben halt irgendein Bild im Kopf, wie zum Beispiel bei »Luftkissenboot« oder bei »Fremde« oder damals bei »Folie á deux«. Das Bild steht im Raum und es muss nicht mehr viel abgesprochen werden. Am Anfang der Albumproduktion hat Linus mich sozusagen an die Hand genommen, um meine Selbstzweifel zu überwinden, die mich daran gehindert haben, meine Parts fertigzumachen. (lacht)

  • Mythos: Außerdem hat unsere veränderte Situation es notwendig gemacht, mehr zu planen. Dadurch, dass wir nicht mehr in einer Stadt wohnen, dass wir beide Jobs haben, die uns auch ganz gut fordern und ich ein Kind hab‘, ist es einfach nötig geworden, der Planung mehr Zeit einzuräumen. Festzulegen man macht von dann bis dann das und das. Bei Musik ist das natürlich extrem schwierig teilweise: eine gemeinsame Sprache dafür zu finden. Aber ich finde, sich schon bevor die Tracks fertig sind über das Ziel zu verständigen, hat richtig gut funktioniert.

  • Was würdet ihr sagen, worum es auf eurem Album geht? Und wie ist das zum einen verknüpft mit dem Albumtitel »Hohes Fest« – Was gibt es zu feiern? – und zum anderen auch mit dem Cover?

  • Antagonist: Zum einen ist mit dem hohen Fest auf jeden Fall der Umstand gemeint, dass ein Rapalbum erscheint. (lacht) Also das hohe Fest ist sozusagen die Aufführung dieser Musik. Das Machen dieser Musik. Und weil das Album keine Adressaten hat, nur uns. Der Festakt steht für sich selbst. Das Fest ist man niemals selbst, man begeht es nur, kann als Person hinter dem Akt verschwinden.

  • Mythos: Genau und so ein bisschen auch dieses… Ich find’s immer schwierig, wenn Rap mit so ganz großen Zwecken überfrachtet wird. Also dass es entweder politisch sein muss oder rein für den Geldbeutel, also irgendwelche Zwecke, die ihn überladen. Wir machen halt anders Musik. Wir sind kohlemäßig nicht darauf angewiesen. Mittlerweile sind wir nicht mal mehr Teil einer Szene. Wenn wir Musik machen soll es ein Fest sein, das ja auf seine Weise auch klaren Strukturen folgt, also klaren Vorgaben, klaren Regeln. Genau wie wir Regeln folgen, die wir uns selber setzen. Der Sound, den wir machen, klingt ja zum Beispiel nicht immer anders, sondern wir haben gewisse Regeln, nach denen wir arbeiten. Wir wissen, was sich cool anhört in unseren Ohren. Die [Verbindung weg] gibt es auf jeden Fall, unausgesprochen. Das Cover war wiederum eine spontane Idee. Ich habe das Bild, das uns als Vorlage gedient hat, in einem Märchenbuch gesehen und fand es extrem schön. Einerseits so ein bisschen altertümlich, andererseits voll auf die Fresse vom Motiv her. Außerdem lässt es viel Deutung zu. Finde ich ziemlich cool so. Also wir haben ja zum Beispiel dieses Feuer, das unter dieser Bühne oder unter diesem Raum brennt, sodass es einerseits so ‚ne Art Fußbodenheizung ist, aber auf der anderen Seite denken die auch, die werden gegrillt. Und so ist es [Verbindung weg] die ziemlich vielseitig ist, finde ich. Aber, Lukas, vielleicht kannst du noch ein bisschen mehr dazu sagen.

  • Antagonist: Als Linus mir das Bild gezeigt hat, hat es direkt gut für mich zu dem roten Faden gepasst, den das Album hat. Die Jungs, die da am Tisch sitzen, könnten sich die Songs gegenseitig erzählen. Das passt zu dem freundschaftlichen Einblick, den das Album in die hohen Feste des Lebens gibt, wie zum Beispiel mit ‚ner fremden Person im Bett zu landen, mit der es dann nachher ziemlich ungemütlich wird. Das Eingeheizt werden, die Mehrschichtigkeit von Erfahrungen, die zwischen Zerstörung, Selbstzerstörung und Weihe des Lebens liegen.

  • Mythos: Ja, und es unterstreicht den morbiden Charme unserer Mucke. Es wurde ja immer schon gesagt, dass es sehr düster ist, was wir an Musik machen. Auch hier wollten wir nicht einfach nur ‚ne Festtafel abbilden, sondern ein gewisses Understatement mitgeben. Das ist auch zum Beispiel so ‚ne Regel: Nichts sollte von Grund auf positiv oder von Grund auf negativ sein, weil es viel interessanter ist, im Schönen die Abgründe mitzudenken.

  • Ich finde das Album eigentlich gar nicht düster. Bemerkenswert finde ich, dass ich an einigen Stellen lachen musste. Ich finde, da steckt auf jeden Fall viel Humor drin. 

  • Mythos: Cool. (lacht)

  • Teilweise auch in den Reimstrukturen…

  • Mythos: …hast du da ein Beispiel?

  • Naja, ich finde zum Beispiel »verschwommener« auf »Kommata« zu reimen ziemlich großartig… aber auch »Stammhirn« auf »Anhöhen« gefällt mir sehr gut.

  • Mythos: Auf Jeden…ja, Lukas, das sind eher deine Zeilen…

  • Der Versuch, diese Musik zu machen, ist immer Konfrontation mit den eigenen Unzulänglichkeiten und gleichzeitig Wille, ein Stück weit außerhalb davon zu stehen. (Antagonist)Auf Twitter teilen
  • Aber davon abgesehen, wollte ich auf die Zeile jetzt eh hinaus. Ich habe das Gefühl, die ist recht paradigmatisch für das, worum es auf dem Album geht. Zum einen hat es sowas Bruchstückhaftes. Also am Anfang fand ich es sehr schwer das Album als Ganzes für mich zu ordnen. Auf der anderen Seite, gibt es spannenderweise Motive, die einem in vielen Songs immer wieder begegnen. Und ich habe das Gefühl, ein Motiv könnte man vielleicht subsumieren unter »Spannungsverhältnis von existentialistischen Fragen und den ganz real existentiellen Fragen«. Also Sehnsüchte, Hoffnungen, das Schöne, das Funkeln in den Augen auf der einen Seite und auf der anderen Seite diese niederen Funktionen wie Essen, Schlafen, Arbeiten…Und das, finde ich, kommt sehr gut zum Ausdruck in dieser Zeile »Ich pflanze Triebe von Ideen auf den Anhöhen / Sie strecken sich zur Sonne / Nur der Apfel fällt nie weit vom Stammhirn«. Also mein Eindruck war, dass das ein sehr zentrales Thema auf dem Album ist, kombiniert mit so diesem Coming-of-Age-Ding: Einsortieren in die Berufswelt, in Sachzwänge und das ständige Deals rausschlagen – und immer wieder geht es auch um Geld.

  • Mythos: Ja, Geld ist eine Sache, zu der wir uns rapmäßig ein wenig positionieren. Anti-Kommerz sind wir gar nicht, aber es gibt da ein gewisses Ding, das wir ablehnen. Das hat damit zu tun, was ich vorhin meinte, Musik mit Zwecken zu überladen. Dass man immer raushauen muss und Geld machen muss und so (und mittlerweile lässt sich ja richtig Kohle verdienen mit Deutschrap). Deswegen ist Geld ein präsentes Thema. Da hätten wir doch noch unseren Szenebezug in negativer Weise sozusagen. Kleine Verweise zum Verhältnis zu Geld von manchen Leuten und implizite Kritik daran.

  • Antagonist: Deine Deutung ist auf jeden Fall interessant, ich müsste da mal so ein bisschen drüber nachdenken, inwieweit das so ist. Also ich glaube, das Abstrampeln in festen Bezügen, das Konfrontiertsein mit eigenen Unzulänglichkeiten und gleichzeitig mit dem Wunsch, über die Bezüge, in denen man im Leben steckt, hinauszuwachsen, das Leben da drüber und drunter zu erfahren, ist ein zentrales Thema des Albums. Außerdem hat es viel mit dem Musik machen an sich zu tun. Der Versuch, diese Musik zu machen, ist immer Konfrontation mit den eigenen Unzulänglichkeiten und gleichzeitig Wille, ein Stück weit außerhalb davon zu stehen.

  • Bezieht ihr häufiger Inspiration aus bildender Kunst oder allgemein anderen Kunstformen wie Film oder Literatur? Oder grundsätzlicher: Was beeinflusst euch ästhetisch?

  • Mythos: Also die Idee zu »Talpredigt« – Arbeitstitel »Inflationsheilige« – kam zum Beispiel nach einer Ausstellung in der Frankfurter Schirn. Da ging es um diese Heiland- und Messias-Gestalten ganz unterschiedlicher Prägung, die zwischen den Weltkriegen in Deutschland unterwegs waren. Mich hat ganz schön fasziniert, wem da was geglaubt wurde und was es da für Arten von Subkulturen gab – obwohl es ja noch gar keine Subkultur gab. Deswegen war das alles so aufgeladen mit religiösen Motiven und mit irgendwelchen strikten Lebensweisen, denen die Menschen dann angehangen haben. Alles hat angefangen, sich zu zerspalten. Das war auf jeden Fall der Ausgangspunkt für diesen Track, also das wäre jetzt gerade so der spontane Einfall zu diesem Bezug zu bildender Kunst. Lukas, du hörst die ganze Zeit Beethoven, oder? (Gelächter)

  • Antagonist: Ja, eigentlich fast nur noch. Es ist für mich aber sehr schwierig, einen direkten Zusammenhang zwischen der Kunst, mit der ich mich beschäftigte oder die mich berührt und der Musik herzustellen, die wir nachher machen. Was auf jeden Fall nachgelassen hat, ist der direkte Einfluss anderer Rapmusik. Das ändert, wie man Texte und Parts schreibt und auch wie sehr man sich gebunden fühlt an klassische Songstrukturen. Das gibt einem auf jeden Fall Freiheiten.

  • Wollt ihr trotzdem ganz allgemein etwas dazu sagen, was ihr ästhetisch ansprechend findet? Also zum Beispiel: Was liest du so und was ist es, was dich da abholt?

  • Antagonist: Beim Lesen hänge ich komplett im neunzehnten Jahrhundert fest – momentan bei den alten Russen. »Brüder Kasamarow« ist auf jeden Fall das beste Buch, das ich seit sehr langer Zeit gelesen hab‘. Ich liebe, wie da große Themen in kleinen Details behandelt werden: Dabei aber mehr als so eine Art Grundgefühl und nicht analytisch. Man muss sich selbst sehr weit aufmachen, um überhaupt zu checken, worum es geht.

  • Mythos: Was Lesen angeht, habe ich fast gar nichts vorzuweisen (lacht). Also ich hab‘ in der letzten Zeit echt wenig gelesen. Meine Inspiration kommt zurzeit vor allem von anderer Musik. Viel elektronische Musik, die ich mir gerne auf Platte kaufe und zu Hause höre. Im Zuge der Arbeiten an» Die große Depression« hab‘ ich ultra viel deutschen Chanson und Schlager gehört. Fand ich irgendwie auch ganz nice und inspirierend. Ansonsten bin ich immer am Rumwerkeln, am Ausprobieren, was für uns gut passen könnte. Ich fotografiere viel mit dem Gedanken im Hinterkopf, ob das was für uns sein könnt – artworkmäßig zum Beispiel. Außerdem habe ich mich viel in die Geräte, Sampler und Synthesizer, reingefuchst. Ich habe da nicht groß nach Inspiration gesucht, sondern nur ein bisschen rumgewerkelt. (lacht)

  • Antagonist: Unsere Videos stammen ja auch alle von Linus. Linus ist auf jeden Fall der Dauerwerkler der AG. (Gelächter)

  • Ich finde, dass Musik oder Kunst einfach eine Sphäre ist, in der Gegensätze auch eben zusammengebracht werden können. (Mythos)Auf Twitter teilen
  • Auf »Lange Schatten« heißt es: »Soll der Hochmut mir den Gaumen spalten / Ich acker‘ hart an meiner Fähigkeit, das Maul zu halten / Wenn ich rappe, nimm‘ es immer als Moment der Schwäche«. Inwiefern ist Rap Ausdruck von Schwäche? Und was wäre demgegenüber ein Moment der Stärke?

  • Mythos: Das ist immer noch unsere gute Prezi-Sozialisation. Was das am besten auf den Punkt bringt, ist dieses »Schwächen zeigen, ohne sich lächerlich zu machen«. Also man muss nicht die ganze Zeit andere volllabern, wie geil man ist oder sowas. Man zeigt Schwächen, ohne selbstmitleidig zu sein. Ich finde, das spricht auch aus deiner Zeile raus: Man ist irgendwie nicht der heißeste Typ, der hot shot gerade, aber man versinkt auch nicht in Selbstmitleid. Das ist ja auch immer furchtbar, vor allem, wenn sich das dann abwechselt bei Rappern: Dieses übertriebene Ego-Gepushe und dann das übertriebene Selbstmitleid. Also mich erinnert das so ein bisschen an diese Prezi-Zeile, die ja auch für uns so ein bisschen paradigmatisch ist.

  • Antagonist: Ja, voll, deswegen stehen wir in einer Tradition sozusagen. Der Hintergrund für diese konkrete Zeile war aber das Gefühl, dass es Phasen in meinem, aber auch unseren Leben gab, in denen in manchen Zusammenhängen einfach zu viel geredet worden ist und mir die Motive für dieses viele Reden meinerseits und von anderen Leuten im Nachhinein sehr sehr unangenehm war. Weil es oft etwas anderes suggeriert hat, als es eigentlich nachher halten konnte und man sich gefragt hat, wozu die ganze Bulimie. Deswegen konnte ich mich lange auch nicht mehr in der Rapper-Rolle akzeptieren. Und deswegen war auch sehr begrenzt, inwieweit ich mich an so einen Text setzen konnte, weil das Gefühl da war, dass ich dafür im Prinzip wieder zu viel preisgeben müsste. Und weil ich mir das anders vorgenommen hatte, ist der Moment, in dem ich rappen kann, gleichzeitig auch ein Moment der Schwäche.

  • Mythos: Ich finde, dass Musik oder Kunst einfach eine Sphäre ist, in der Gegensätze auch eben zusammengebracht werden können. Das hat man ja sonst im Realitätsprinzip eher weniger so. Und das ist auch ein bisschen das, was ich vorhin damit meinte, dass Rap nicht mit so großen Zwecken überfrachtet werden sollte, weil es einfach nicht real ist, was man da erzählt. (lacht) Es ist irgendwie künstlich. Und gerade deshalb sollte man das genau nach den Prinzipien machen, also was wir gerade beschrieben haben.

  • Wäre ein Moment der Schwäche dann überhaupt auch positiv bestimmbar?

  • Mythos: Ich finde, das ist einfach eine geile Punchline. Weil sie das aufmacht mit dem »Ich acker‘ hart an meiner Fähigkeit, das Maul zu halten« und dann: »Wenn ich rappe, nimm‘ es immer als Moment der Schwäche«, weil das eigentlich entgegen meinem Ziel ist. Also das ist echt ‚ne sehr nice Line, die du da rausgenommen hast, die irgendwie das auch so ein bisschen zeigt, also es ist schon irgendwie auch lustig so, weil es ja auch klar ist, dass es jetzt nicht total ernst gemeint ist, dass Lukas jetzt irgendwie wirklich in ein Schweigekloster geht oder so. (lacht)

  • Antagonist: Ja genau, es ist halt immer noch Rap und wenn man jetzt schon auf den Part zurückschaut, ist das halt auch wieder in irgendeinem Zusammenhang und in irgendeinem Gefühl zu dieser Zeit rausgekommen. Und wäre das jetzt als allgemeine Haltung formuliert oder als Lebensratschlag an andere, dann würde das auch in keiner Weise halten. Ist halt eher so ein Einschlag, einfach mal kurz live geschaltet so.

  • Auch auf »Hoher Preis« wird das schon genannte Geld-Motiv thematisiert. Es fällt die Zeile: »Dich widert der Kommerz an, ach wirklich? / Als Motiv hat Geld mehr Würde als dein Geltungsbedürfnis«. So wie das kontextualisiert ist, habe ich das Gefühl, dass es da nicht spezifisch ums Musikmachen geht, aber vielleicht könnt ihr auch zu beidem was sagen: Also zum einen, wie das an der Stelle gemeint ist und zum anderen aber auch nochmal in Bezug aufs Musikmachen und die Schlagwörter »Kommerz« und »Geltungsbedürfnis«: Was treibt euch an, Musik zu machen, beziehungsweise zu veröffentlichen? Spielt da auch sowas wie ein Geltungsbedürfnis eine Rolle?

  • Mythos: Voll. Ich kann nur von mir sprechen, aber es ist schon manchmal so, dass man sich an sich selber abreibt in den Texten. Da würden wir uns gar nicht von freisprechen. Denn wofür außer Geltungsbedürfnis würde man es machen, wenn man finanziell nicht davon abhängig ist? Dann würde man es ja gar nicht rausbringen müssen. Andererseits ist es aber auch nicht nur Geltungsbedürfnis, denn wir haben eine sehr interessierte, zugewandte Hörerschaft, mit der wir uns verbunden fühlen.

  • Antagonist: Ja, genau, ich würde dir völlig Recht geben. Das ist vielleicht echt eher Selbsterkenntnis und richtet sich gar nicht so nach außen. Wenn man sich damit auseinandersetzt, wie die eigenen Motive zusammengesetzt sind, so wie Linus es gerade gemacht hat, dann trifft man natürlich auch auf Dinge wie Geltungsbedürfnis. Und was die Zeile als Rapzeile sagen will, ist, dass Kommerz nicht unbedingt was mit Geld zu tun haben muss, sondern dass Leute auch ohne jede Hoffnung auf finanziellen Profit sich selber vermarkten und ihre Währung ist halt das Geltungsbedürfnis.

  • Auf »Talpredigt« heißt es »Auch am Tag X zieht mich gar nix nach draußen / In der Showdown-Saison bleiben wir auf der Couch sitzen«. Warum würde man das tun?

  • Mythos: Ja, der Tag X ist natürlich ein Begriff dieser neuen »Schwurbler«-Richtung geworden oder wie man das nennen will, keine Ahnung. Auf jeden Fall reden da ja viele von diesem Tag X. Es ist schon ziemlich lange her, dass ich den Text geschrieben hab‘, deshalb weiß ich gar nicht, ob das da schon eine Rolle gespielt hat, aber es passt natürlich jetzt sehr gut. Ich gebe auf dem Song ein paar persönliche Einschätzungen ab und zwar auf meine Weise, in dem ich von der Geschäftigkeit um die nahe Katastrophe Abstand nehme und auf der Couch sitzen bleibe… Ich finde es wichtig, sich ein kleines Feld zu schaffen, in dem man sich korrekt verhält mit den Menschen. Also in dem Text gibt es noch mehrere Anspielungen, zum Beispiel die braunen Massen, die sich da im zweiten Part durch die Straßen wälzen. Bei aller Ablehnung also ein sehr ambivalentes Verhältnis dazu, welchen Schluss man ziehen soll. Soll man bei dieser Geschäftigkeit jetzt auch mitmachen? Vielleicht auch in Opposition dagegen? Oder denkt man, ich versuche das mal auszublenden und einfach dem zu folgen, was ich in meinem persönlichen Leben cool und korrekt finde. Das ist auch so ein bisschen gemeint mit »Alle Missgeburten können bei uns ihr Zuhause finden«: Dass man eben korrekt ist zu Leuten. Dass das ein großes Motiv ist, dem aber in einer Welt, in der einem immer gesagt wird, dass die Katastrophe naht, natürlich schwierig zu folgen ist.

  • Noch eine andere Zeile von dem Track, die mir vermittelt, dass du die Aussichten dieser Protestformen als eher gering einschätzt: »Worauf noch warten? Renn los, bau‘ Barrikaden / Doch bedenk‘ auch die Natur des Gegenstands / Denn man geht nicht bloß mit Kantholz bewaffnet gegen jene an/ die wenn’s drauf ankommt, Kampfpanzer fahren«. 

  • Mythos: Ja, die ist auf jeden Fall auch wieder aktuell geworden. In Frankfurt bin ich eine Zeitlang auch auf vielen Demos gewesen, wo immer viel Polizeiaufgebot war. Als die Uni noch in Bockenheim war, gab’s da regelmäßig große Demos inklusive so ritualisierter Kämpfe mit der Staaatsgewalt, die man auch als Unterwerfungsritual bezeichnen könnte. Obwohl man eben auf’s Maul bekommen hat von den Bullen oder die Bullen das Haus geräumt haben, in dem man war, wird das Ganze halb zum Erfolg umgemodelt, als hätte man ernsthaft Paroli geboten. Das ist überhaupt nicht politisch. Also wenn man den Schluss zieht, man habe gewonnen, weil man von den Bullen auf die Fresse bekommen hat… das finde ich, ist gar nix. Und das macht für mich das Bild von Politik kaputt. Darauf ist das so ein bisschen bezogen.

  • Antagonist: Ich würde sagen, bei den jetzt zitierten Stellen kommt etwas durch, was für viele deiner Parts gilt und was für dich als Person auch gilt. Trotz aller großen Fragen auf die Beobachterrolle zurückgeworfen zu sein. Weil null Anknüpfungspunkt da sind. Niemand, gegen den man kämpfen könnte, dem man sich anschließen könnte oder irgendwas. Deswegen wohl eine Art natürliche Allergie gegen Aufgeregtheit, die sich an diesen scheinbar größten Fragen entzündet. Zurückgeworfen auf die Beobachterrolle sich aber Prinzipien zu setzen im Umgang mit Menschen.

  • Auf »Dünnes Eis« findet sich die Zeile »Herr im Himmel, schenk‘ uns Nervenbündeln Schmerzempfinden / Ich wünschte, alle fühlten sich mal wieder mehr nach innen / Ich könnte mich vergessen, in den Kreis der Meinen blicken / Nicht wie in ‚nen Spiegel, sondern so wie in ‚nen Sternenhimmel«. Was bedeutet diese Sehnsucht nach einem Schmerzempfinden? Und was könnte es heißen, in den Kreis der meinen wie in einen Sternenhimmel und nicht wie in einen Spiegel zu blicken?

  • Antagonist: Da steckt sehr viel drin von dem, was ich zu der Zeit meinte, was so die Drogen aus einem machen. In dem Sinne einer völligen Schamlosigkeit in der Ausbeutung dessen, was man nach außen trägt – aufgebaut sozusagen auf erzwungen positiven Gefühlen. So dass ich das Gefühl hatte, ich wünsche uns einfach mal wieder den Schmerz der Interaktion. Also das, was wehtut, wenn man mit Menschen in Kontakt kommt.

  • Mythos: Genau, dass es manchmal langweilig und scheiße ist zum Beispiel. (lacht)

  • Antagonist: Und es auch deshalb langweilig und scheiße ist, weil man selber auf dem Schlauch steht…

  • Mythos: …und nicht immer super hyped ist…

  • Antagonist: …und dass es auch Gründe für die eigenen Hemmungen gibt, die wertvoll sind. Es gibt ja Gründe, warum man nicht jedem alles erzählt oder mit jedem Witze reißt zum Beispiel. Ich hatte das Gefühl, dass mir und anderen eine gewisse Anleitung dazu fehlt. Daher der »Herr im Himmel«.

  • Mythos: Ich glaube, den letzten Teil von den Bars, die du gerade vorgelesen hast, verstehe ich so: Wenn das so wäre, könnte ich in den Kreis der meinen blicken nicht wie in ‚nen Spiegel, sondern so wie in ‚nen Sternenhimmel. So »I want all my homies to shine«. (lacht) Ne, also so nach dem Motto man würde sich öfter wünschen auch, dass Leute ‚nen eigenen Standpunkt haben, der so ein bisschen für sich steht.

  • Antagonist: Ja, auf jeden Fall das und die Gefahr, dass man alles, was man von den anderen, die einem wirklich wichtig sind, mitbekommen könnte mit seiner Selbstwahrnehmung verschmutzt. Das ist gar nicht einfach und bedeutet Schmerz, also Enttäuschung, weil andere nicht dazu da sind, einem zu bestätigen, worauf man sich festgelegt hat und was einem an sich selbst wichtig ist. Das ist für mich eine Erkenntnis, die mit den Jahren gekommen ist.

  • Mythos: Ich finde das passt auch ganz gut zu dem, was uns an Instagram-Kommunikation abstößt, weil ja… naja, Schmerzempfinden spielt da gar keine Rolle. Eigentlich wird immer gepostet, dass irgendwas ziemlich geil ist. Ich habe das Gefühl, dass dadurch eine gewisse Ebene im Zwischenmenschlichen entsteht, eine Unnahbarkeit für die Erfahrung des anderen basierend auf eigenen Hirngespinsten.

  • Wie ist es zustande gekommen, dass zwar kein Rap- aber ein Gesangsfeature (von Ungemach) auf eurem Album vertreten ist?

  • Mythos: Also Ungemach, ein Freund von uns, macht auf jeden Fall coole Sachen, die soundmäßig sehr interessant sind und da hatte ich gedacht, es könnte ganz cool sein, dass er ‚nen Remix von »Fremde« macht. Ich dachte da auch ein bisschen daran – weil wir vielleicht eine andere, bisschen größere Reichweite haben, wenn wir das raushauen – dass man ihn dann auch so ein bisschen damit pushen könnte. Keine Ahnung, ob das Sinn macht, aber deswegen habe ich das ihm mal so vorgeschlagen. Und weil ich’s selber spannend fänd, einen Remix von ihm zu hören. Dieses Projekt hat er dann auch echt super engagiert verfolgt und dann ist darüber irgendwie die Idee gekommen, dass er ja auch etwas dazu singen könnte, weil wir auch auf Biegen und Brechen keine gute Hook hinbekommen haben für diesen Track, der absolut hookwürdig ist. Und ich finde, das ist richtig cool geworden und finde, dass macht auch viel mehr Sinn, als ein Rapfeature jetzt, weil, ich glaube, das Album ist ziemlich kurz und da jetzt nochmal so ‚nen Rap-Featuretrack ‚drauf zu haben, ich weiß es nicht genau.

  • Antagonist: Das Album ist kurz, aber die Tracks sind lang. (Gelächter) Für »Fremde« hatten wir nur so ‚ne Art Mumble-Hook und das war zu wenig. Gleichzeitig bestand beim Song die reale Gefahr, ihn ins Peinliche drücken und so war es erleichternd, jemand anderen dazu zu holen.

  •  Man muss der Musik ihr Weiterleben selbst überlassen. (Antagonist)Auf Twitter teilen
  • Könnt ihr Tracks auf dem Album hervorheben, die euch besonders gut gefallen, die ihr besonders gelungen und rund findet? Und vielleicht auch solche, mit denen ihr immer noch nicht ganz euren Frieden gemacht habt?

  • Mythos: (lacht) Also ich bin ziemlich zufrieden mit allen Tracks, deshalb hatte ich auch am Anfang gesagt, dass diese ganze Detailarbeit zwar dazu führen kann, dass man sich verzettelt und nicht fertig wird und denkt »Früher war der Track so geil und jetzt hab‘ ich dies und das gemacht und jetzt klingt es nicht mehr«, aber ich fand dieses ganze zeitaufwändige Arbeiten an den Details hat diesmal dazu geführt, dass die Tracks sehr rund sind.

  • Antagonist: Also ich persönlich finde »Pilotentest« besonders geil, weil der so ein kleiner Kracher ist. (lacht) Außerdem ist deine Hook so extremst geil eingerappt – das ist einfach richtig hitwürdig. Insgesamt hat der Prozess, mit den Tracks Frieden zu machen, lange gedauert. Jetzt ist es dafür unter anderem ein Gefühl der Befreiung und wir freuen uns drauf, mit ganz neuem Kram zu starten. Es steht ja sowieso nochmal auf ‚nem ganz anderen Blatt, wie man selber das Release nach ‚ner gewissen Zeit nochmal hört. Bisher war es eigentlich immer so, dass die Krämpfe, die wir hatten, später relativ irrelevant waren. Ich muss immer aufpassen, nicht zu neurotisch zu werden. Um die Zeit herum, in der man den Master zurückbekommt oder den abgibt, habe ich das Gefühl, alles ist am Arsch. (Gelächter) Aber das kenne ich mittlerweile an mir, deswegen ist es okay. Man muss der Musik ihr Weiterleben selbst überlassen.

  • Mythos: Ja und bei mir klingeln dann schon alle Alarmglöckchen, wenn du sagst »Ja, bei diesem Part bin ich mir doch nicht so ganz sicher…« (Gelächter)

  • Antagonist: (lacht) »Doch doch, der ist cool, den nehmen wir jetzt nicht nochmal auf!« (Gelächter)

  • Mir fällt es schwer, die Hook von »Dünnes Eis« inhaltlich zu verstehen: »Doch ‚ne Lösung zeichnet sich nicht ab / Die Bösen reichen sich die Hand / Ich hab‘ gehört sie holen den König bald zurück aus der Verbannung / Schlangenbiss, der Löwenanteil stellt sich an / Doch zur Krönung lädt sie keiner ein / Die Guten krümmen sich vor Neid / Ich hab‘ gehört der König ist ‚nem Lynchmord zum Opfer gefallen / Es ist ein dünnes Eis, wir brechen ein«. Könnt ihr hier ein wenig Hintergrund liefern?

  • Antagonist: Es gab die Internet-Theorie dass Viktor damit gemeint ist…

  • Mythos: …und vielleicht war es auch so (Gelächter) Nein, es gibt dafür keinen Interpretationsschlüssel. Aber was für mich aus diesem Track und auch dem Video spricht: So ein gewisses Unbehagen mit Veränderungen, die stattfinden. Man guckt einmal nicht hin und dann wieder zurück und die Stadt sieht anders aus, man findet sich nicht mehr zurecht. Und dass diese Arten von Veränderungen einen gewissen Unmut bei Menschen auslösen, der auch wiederum ganz andere Scheiße nach sich ziehen kann. Das ist das Bild, das ich so im Kopf hatte bei dem Track. Auch wieder so ein bisschen »Kritik der Zustände«, aber aus ihnen heraus, also ohne dass man jetzt sagen würde, man hat da ‚ne bessere Idee oder sowas oder man müsste zurück zu Tante-Emma-Läden und weg von riesig aufgezogenen Rewe-Supermärkten. Also so ist das nicht gemeint, sondern eher als ein Versuchen, so ein Gefühl, so ein gewisses Unbehagen auszubuchstabieren, würde ich sagen. Also ein bisschen expressionistisch.

  • Antagonist: Das hängt bei dem Track auch stark mit dem Beat zusammen, wie die Texte zusammengeflossen sind. Ich finde, der Beat selbst ist total beunruhigend, da wirste auch nicht so richtig schlau draus. Der hat für die Strophe und die Bridge und die Hook komplett unterschiedliche Drumsets. Der Beat fühlt sich schon so an, als wär‘ man erstmal in eine sehr unübersichtliche Situation gestoßen und für mich ist die Hook gar nicht so unklar. Ich hab‘ mich gewundert, weil man immer wieder hört, dass man die Hook nicht versteht. Aber für mich ist es die gleiche Richtung, in die »Talpredigt« auch geht: Dass man festgelegt auf die Beobachterrolle und die Auseinandersetzung mit sich selbst die Welt auf dünnem Eis tanzen sieht.

  • Mythos: Vielleicht noch ergänzend zu der Zeile mit dem König: Der wird erst aus der Verbannung geholt und dann gelyncht. Ich fand, das war ein gutes Bild für dieses generelle Unbehagen, das auf allen Seiten besteht.

  • Wie verortet ihr »Hohes Fest« in eurer Diskographie? In was für einem Verhältnis seht ihr das zu den Sachen, die ihr vorher gemacht habt? Und gleichzeitig noch ein Ausblick: Was habt ihr geplant? Wann denkt ihr, könnte ein nächstes Rap-Album kommen? Und was ist vielleicht sonst noch in der Pipeline?

  • Antagonist: Ich werde mich hüten, einen konkreten Ausblick auf kommende Releases zu geben. Man kann aber festhalten, dass wir große Lust haben, neue Rapsongs zu machen und damit bereits begonnen haben. Mit »Hohes Fest« haben wir wieder einen Faden, an dem wir weiter voranschreiten können. Außerdem haben wir Dinge zu Ende gebracht, die uns sehr lange im Weg standen, glaube ich. Deswegen sehe ich das Album nicht als ‚nen Abschluss einer Diskographie!

  • Mythos: Also ich denke auch, dass das nicht das letzte Rapalbum ist, aber sein könnte – so von dem, wie ich damit zufrieden bin so. Für mich musste das gemacht werden. Und was die Zukunftsaussicht angeht: Wir haben schon neue Rapsachen geschrieben. Außerdem sind wir dabei, Möglichkeiten zu finden, einen anderen Sound zu machen. Wege, eigene Texte abseits von Rapstrukturen rüberzubringen. Wir sind zwar beide keine ausgebildeten Sänger, aber wir sind gerade mit einem guten Freund dabei, ein Projekt zu machen, indem wir erstmal Lieder covern, um reinzukommen. Mal was anderes am Mic zu machen als dieses klassische Rappen und dafür dann auch ‚nen Sound zu finden. Das wird bestimmt noch ein bisschen dauern, aber da haben wir schon gute Anfänge. Und generell was Produktion angeht, da finde ich, gibt es bei uns wenig Limit. Allein weil wir so viel Spaß daran haben, zusammen zu jammen geht uns da, die Inspiration nicht so schnell aus, glaube ich.

  • Antagonist: Ja und weil wir das schon immer zusammen machen. Genau, ich würde es auch so zusammenzufassen: Es könnte das letzte Album sein ohne dass man dann nachher sagt »Wir haben das verkackt mit dem Rappen« (lacht) …aber es soll nicht das letzte sein. Ich habe wieder neue Sympathie für diese Art von Musik, die wir schon so lange machen – auch für Viktors Musik. Ich kann mir richtig gut vorstellen, immer wieder, egal was man sonst gerade macht, gezielt diesen klassischen Kamikazes-Wuppertal-Sound zu machen. Weil es halt irgendwie so nice und rührend ist. (Gelächter)

  • Mythos: Amen.