Sylabil Spill »Eine Umwälzung hat immer mit Auflehnung zu tun.«
Wären »Sperrigkeit« und »Unangepasstheit« Bewertungskriterien in der Kategorie HipHop beim Echo-Award, Sylabil Spill hätte wohl nicht nur einen der Pop-Pokale am Kamin. Sind sie aber nicht – und damit dürften auch seine zwei neuen EPs wieder einer Nominierung entgehen. Warum er darüber nicht allzu enttäuscht ist, erklärte uns der Bonner MC im Gespräch.

Der Labelwechsel von Entourage Business zu Lourd Records hat für Sylabil Spill a.k.a. Der Radira keine Schaffenspause nach sich gezogen. Wie die Freundschaft zu seinen alten Labelkollegen ist auch seine Kreativität auf ungebrochen hohem Niveau geblieben. Sein aktueller Streich sind die beiden EPs »Okular« und »Fress.Orgie«, die mit jeweils fünf Tracks und einem Interlude am 5. Juni erscheinen. Für die »Okular« EP hat er mit Ghanaian Stallion zusammengearbeitet, die »Fress.Orgie« EP hat er selbst produziert. In Bonn am Rhein sprachen wir mit ihm über das, was er auf den beiden Platten verarbeitet hat, über sein Dasein als Prototyp-MC, über seine Ansichten zu Gangstern und Rap und über sein Beharren auf Nonkonformität. Außerdem darüber, wie er es schafft, Beruf, Familie und Rap zu vereinbaren – und warum man Respekt vor Gewalt haben sollte.
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Gehen wir mal davon aus, dass der Mensch vor allem nach seiner eigenen Nützlichkeit ausgerichtet ist. Wann nützt dir das Rapper-Dasein am meisten?
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Ich betrachte mich ja eher als MC. Das ist für mich eine kreative Ausdrucksform, die mir eine uneingeschränkte Schaffensfreiheit verschafft. Wenn ich nicht MCe, mache ich halt andere Sachen wie zum Beispiel Krav Maga. Ich war auch lange als Leichtathlet unterwegs, was ein super Ausgleich war. Das musste ich aber wegen Verletzungen aufgeben. Ein Ausgleich war mir aber immer schon wichtig – und das geht super mit Rap. Auch durch die Tatsache, dass ich mich als Architekt an gewisse Vorgaben halten muss, ist es super, dass ich im Rap machen kann, worauf ich Bock habe.
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Bist du gelernter Architekt?
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Ich bin gerade dabei einer zu werden. Ich studiere noch Architektur. Durch die Mucke habe ich das aber mehr oder weniger in den Hintergrund gedrückt. Ich gehe da schon noch hin – aber etwas zu konstruieren und zu entwerfen ist sehr zeitintensiv. Man hat viele Abgaben. Architektur ist womöglich geistig nicht hyperanspruchsvoll, aber es ist eine unheimliche Fleißgeschichte. Da musst du am Ball bleiben, du musst jeden Tag irgendetwas machen. Durch die Tatsache, dass ich Rap mache, kann ich das nicht so strikt durchziehen. Ich hocke aber noch in einem Architekturbüro und arbeite da als studentische Aushilfskraft.
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Fehlt dir die Kreativität bei der Arbeit als Architekt?
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Nein. Ich habe ja nicht mit der Architektur angefangen und erst danach dringend einen Ausgleich gebraucht. Davor habe ich schon eine journalistische Ausbildung gemacht und wiederum davor schon mit der Mucke zu tun gehabt. Ich brauche nicht ausschließlich wegen der Architektur einen Ausgleich. Aber sicher tut es auch gut, sich von der Stringenz dieser Arbeit frei machen zu können. Wenn man nur Architekturtheorie betreibt, genießt man allerdings auch viele Freiräume in der kreativen Ausführung – weil es halt auch theoretisch ist. Aber ich kann kein Luftschloss bauen. Deshalb braucht man ein gewisses Maß an Kontrolle und ein Ordnungskorsett, um die Leute nicht in Schutt und Asche zu hinterlassen.
- »Dann ist Rap für mich ein Gegenwartsreporter oder Echtzeitreporter der Gesellschaft.«Auf Twitter teilen
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»Respekt vor Gewalt« ist ein Slogan von dir. Du betonst, dass alles durch Gewalt entstanden ist, also eben auch vermeintlich nicht Gewalttätiges. Gibt es für dich überhaupt etwas Gewaltfreies?
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Also erst mal: »Respekt vor Gewalt« ist ein Slogan, den ich auch in Merchandise umgewandelt habe. Und ich werde jetzt auch ein Label auf die Beine stellen, das so heißen wird. Ich bin immer auch bereit, mich belehren zu lassen, aber ich denke, dass aus deiner Frage schnell so eine Gott-und-die-Welt-Diskussion wird. Ich bin erst mal nur derjenige, der diese Hypothese in die Welt setzt, dass nichts gewaltfrei verläuft und dass man immer ein gewisses Maß an Gewalt braucht. Dann kann man weiter philosophieren und fragen: Was ist denn Gewalt? Die Aktivität, das Aktivieren, das Auflehnen, das Wollen, das Widerstand leisten. Das alles definieren wir als einen aktiven Moment, als einen Prozess, den man wissentlich betreibt. Insofern sage ich durchaus: Für mich sind viele Sachen abhängig von Gewalt. Die Revolutionen, die ich in »Augenblick« explizit nenne, sind ja nicht so ghandimäßig, völlig peace-ig gewesen. Waren sie nicht, sind sie nie gewesen. Eine Umwälzung hat immer mit Auflehnung zu tun. Man könnte natürlich weiter spinnen und sagen, dass Sitz-Revolutionen eine Form von eingeschränkter Gewalt sind. Wenn man einfach sitzen bleibt und sagt: »Ihr könnt mich alle mal am Arsch lecken.« Dann übt man ja immer noch Gewalt gegenüber dem Staat aus – wenn auch durch eine passive Haltung.
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Wenn man sich nur hinsetzt und blockiert oder eben passiv ist, wäre das also immer noch nicht gewaltfrei?
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Genau. Das ist auch Gewalt.
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Wäre dann die Frage eher: Wie geht man mit seiner Gewalt um?
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Schlussendlich geht es ja darum, dass viele ein Problem mit Gewalt und dann auch mit dem Slogan »Respekt vor Gewalt« haben. Die sehen dann aber nur die körperliche Gewalt. Es geht ja aber darüber hinaus und die Leute sollen sich halt Gedanken darüber machen. Deshalb gibt’s den Song »Augenblick«. Es geht um verschiedene Augenblicke, die ich wie Screenshots von einzelnen Ereignissen aufliste. Es geht erst mal um die Beobachtung selbst – und dann um das Ergebnis der Beobachtung. Dann ist Rap für mich ein Gegenwartsreporter oder Echtzeitreporter der Gesellschaft.
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Man kann also auch gewaltvoll sein, wenn man sich für völlig friedlich hält? Was für mich nicht gewalttätig ist, kann für dich gewalttätig sein?
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Das ist ja immer so eine Sache. Sieht man das so oder sieht das ein Einzelner so? Das »man« ist ja dann so eine ekelhafte Gleichschaltung, dieses Normieren: Man macht das nicht. Ich sage aber: Ich sehe das so, weil das meine Wahrnehmung ist. Und in meiner Wahrnehmung kann ich mir durchaus erlauben, Dinge zu sehen, wie ich es will. Es sei denn, es gibt ein einschlägiges Argument, welches meine Wahrnehmung wirklich komplett aushebelt und widerlegt, so dass es falsch, beziehungsweise nicht allgemeingültig ist. Es ist in jedem Falle so, dass ich sage: Gewalt ist allgegenwärtig.
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Deine EPs sollten – wenn nicht Vinyl-Produktionsprobleme das verhindert hätten – schon am 1. Mai erscheinen. Hatte das was mit dem Tag der Arbeit zu tun?
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Ja.
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Als Revolte?
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Genau.
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Wer hat die Cover gemacht?
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Christian Pick. Das ist so ein Marvel-Illustrator, der aber nicht nur Marvel-Sachen macht. Ich war auf der Suche nach einem Grafiker und habe meinen Jungs gesagt, dass sie mir mal einen vorstellen sollen. Ich hatte das Bild im Kopf und habe ihm das grob erklärt und er hat es dann skizziert. Alles was im Hintergrund stattfindet, habe ich ihm mehr oder weniger schwammig erklärt. Die Positionierung der zwei Figuren im Vordergrund vom »Okular«-EP-Cover (links) war aber von mir so gewünscht – und genauso war es auch beim Cover der »Fress.Orgie«-EP (rechts).
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Hat er schon andere Cover von Rap-Alben gemacht?
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Ne, gar nicht. Der macht das zum ersten Mal. Sonst macht er vor allem Comic-Stuff bei seinem Verlag. Er ist jetzt aber auch unser Grafiker und wird demnächst noch mal bei unserem Label, Lourd Records, auftauchen.
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Meine eigene Assoziation zu den beiden Covern war, dass die »Fress.Orgie«-EP die Kiste »Freizeit« und die »Okular«-EP dann vielleicht sogar die Berufswelt ist. Dort trittst du seriöser auf, findest sie aber trotzdem scheiße. Dann wären also beide Platten sehr kritisch, nur dass du auf ganz unterschiedlichen Ebenen kritisierst.
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Genau. Die Grundidee kam, nachdem ich mir über das Sprichwort »Wer nicht hören will, muss fühlen« Gedanken gemacht hatte. »Okular« ist ja so »Hör mal!« und »Pass auf!« und »Guck und Achte!« und »Denk nach!«. Bei der »Fress.Orgie« ist es egal, ob du nachdenkst oder nicht – der Zug ist abgefahren, jetzt geht’s zur Sache. Bei »Okular« habe ich mir gesagt: Es ist eine Welt, in der ich funktionieren soll und in der ich mich auch zum Ausdruck bringen muss. Eine Welt aber, die kaputt ist, die dich fordert und die bedrohlich ist. Nichtsdestotrotz sollte man standhaft, aufmerksam und geordnet bleiben. Das drücke ich durch mein äußeres Erscheinungsbild aus und durch das von Ghanaian Stallion. Alles dahinter geht am Arsch. Man sieht den Pilz und die Druckwelle, die etwas verursacht hat, das immer mehr wird. Unten rechts, auf dem Schild kann man »The end is near« lesen. Wir stehen halt davor und versuchen, im beschissenen Chaos trotzdem eine geistig geordnete Figur zu machen.
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Ist das zugleich ein Plädoyer, dass man das so machen soll, um nicht völlig zugrunde zu gehen?
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Ja. Um nicht völlig unterzugehen, sollte man – muss man aber nicht – geordnet sein.
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Warum blutet deine linke Hand?
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Man könnte jetzt natürlich sagen: politische Ausrichtung. Aber nein, so weit habe ich mir keine Gedanken gemacht – zur Enttäuschung aller Linken. (grinst) Die linke Hand blutet durch die Tatsache, dass ich Linkshänder bin und ein Bild der Auseinandersetzung darstellen möchte. Die Opferfigur kann aber nicht gesehen werden. Das Blut steht also für das Resultat meiner Auseinandersetzung, nach der ich trotzdem versuche, geordnet zu erscheinen.
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Im Titeltrack der »Okular«-EP geht es um Manipulationsstrategien. Wann kannst du dich gegen Manipulationsstrategien wehren und wann nicht?
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Wenn mir Möglichkeiten gegeben werden, solche Strategien wahrzunehmen und ich diese Möglichkeiten zu meinen Gunsten nutzen kann – dann kann ich mich wehren. Wenn nicht, dann muss ich solche Möglichkeiten suchen. Es ist sehr schwer, sich gegen Manipulationstechniken zu wehren, weil die Veranlasser nach dem Motto verfahren: Wenn das Kind keinen Zucker will, dann gib ihm trotzdem Zucker. Alles wird einem als schön und erfolgsversprechend präsentiert und immer mit einer vermeintlich positiven Absicht. Und der Mensch denkt des Öfteren an seinen eigenen Vorteil. Wenn ich zum Beispiel möchte, dass die Demokratie durchgesetzt wird, dann möchte ich ja, dass das, was ich will, schlussendlich übernommen wird. Es ist abstrakt, es ist total beknackt, aber irgendwo ist das schon richtig.
- »Existenzielle Gefährdung fängt nicht erst da an, wo ich in einem korrupten oder diktatorischen Staat von der Polizei auf der Straße erschossen oder aufgehängt werde.«Auf Twitter teilen
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Im dritten Track geht es um das Thema Angst. Warum findest du Angst in Maßen okay?
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Ich glaube, ohne Angst hätte der Optimus-Steinzeitvater gesagt: »So, ich stell mich jetzt einem Mammut – lass mal boxen, du Motherfucker.« Ich denke, man sollte schauen, inwieweit man durch Angst eine Gefährdung seiner Existenz zulässt. Existenzielle Gefährdung fängt nicht erst da an, wo ich in einem korrupten oder diktatorischen Staat von der Polizei auf der Straße erschossen oder aufgehängt werde. Die Angst fängt dann an, wenn man dir schon dieses »Man darf das nicht« suggeriert. Denn dann wird dir in irgendeiner Form schon klar gemacht, dass du dich hin zu einem gesellschaftlichen Ordnungkorsett bewegen solltest. Am Ende des Tages muss man das halt aber hinterfragen und Nachfragen stellen dürfen. Manche Sachen, die man so machen soll, sind auch einfach nicht nötig. Angst wird ja oft geschürt, um die Menschen bei der Stange zu halten. Und in unserer geliebten Medienwelt wird das subtil auf unterschiedlichste Weise gemacht. In Wirtschaftsnationen sind wir am manipulativsten, weil wir schließlich diese Wirtschaftsnation ausmachen und dementsprechend funktionieren müssen. Wir sind Funktionsgeräte.
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Es wird aber nicht nur behauptet, dass man für alle funktionieren soll, sondern gleichzeitig auch, dass man so werden könne, wie man wirklich sei. Das Angebot an personalisierten Dienstleistungen ist riesig. Was hältst du von dieser Individualisierung?
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Das ist keine Individualisierung. Das ist ein Trick. Zu sagen: »Wenn du das hast, dann bist du und fühlst dich gut«, sehe ich als einen Trick. Denn wenn der Andere es auch hat, dann fühlt er sich auch gut – und dann habt ihr das alle. Ihr seid alle Opfer von Hab und Gut. Für meine Begriffe verstehe ich die Individualisierung so: Mach was du willst, du hast verschiedene Möglichkeiten, wähle aus. Du musst auswählen, damit du bist. Klar brauche ich als Unwissender einen Leitfaden, aber das Perfide ist: In einer Gesellschaft, in der sich viele doch als Intellektuelle sehen, schaffen es die Manipulatoren, diese Intellektuellen durch Scheinargumentationen in einem Pool einzufangen, in dem sie das Gefühl der Individualisierung haben. Die merken das gar nicht, weil sie ja nachdenken: »Yeah, ich bin voll toll. Ich habe einen iPod, ich bin voll krass. Ich habe eine Königskette oder ich trage Nike AirMax oder die Schuhe von Kanye fucking West.« Ich meine: Jeder soll machen, was er will – aber ich finde es immer peinlich, wenn Leute meinen, sie wären extrem individuell und innovativ zugleich.
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Zu einer neoliberalen Strömung gehört durchaus auch, dass man ständig zum Aktivismus aufgefordert wird. Und auch in deinen Texten gibt es immer wieder Stellen, in denen du zu Aktivismus aufrufst. Zum Beispiel Zeilen darüber, dass Leere entsteht, wenn man nichts macht.
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Das ist ja ironisch gemeint. Ich zitiere diese Aufforderung: »Wenn du nichts machst, herrscht Leere!« Man versucht zu suggerieren, dass jeder etwas machen muss und nicht stehen bleiben darf – sonst ab auf die Rolltreppe. Es mag ein sehr endzeitbehaftetes Gesellschaftsbild sein. Das ist aber nicht meine Intention, sondern nur ein Ergebnis aus meinen Beobachtungen. Diese Beobachtungen macht jeder! Ich hatte halt Bock, darüber zu schreiben und nehme mir die künstlerische Freiheit zu sagen: Jenseits von marketingstrategisch »richtig« oder »falsch« demonstriere ich, dass ich so was machen und es dann auch rausbringen kann.
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Die EPs erscheinen nur auf Vinyl und exklusiv über hhv.de. Sind eigentlich fünf oder sechs Tracks auf jeder Platte? Im Pressetext steht fünf, bei hhv.de sechs.
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Und sieben bei Rapupdate. (lacht) Ne, also fünf Tracks plus je ein Interlude. Das ist kein Resultat aus Ideenknappheit. (grinst) Ich habe wie immer mehr geschrieben. Am Ende wollte ich das Ganze dann aber doch kompakt halten. Und ich denke, mit den fünf Tracks ist es schön lecker.
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Was für ein Übergang zur »Fress.Orgie«-EP.
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(lacht)
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Der Radira-Style ist ja schon angekündigt. Ist Musik für dich Selbsttherapie und Der Radira dein Pseudonym dafür?
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Also ich sag immer: Rap ist der Sohn meiner Seele und Der Radira bereitet mir Sorgen, weil der doch so viel kann. Aber das was er macht, ist für viele oft zu wild. Also der Radira-Rap ist der Sohn meiner Rap-Seele.
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Und er bereitet dir Sorgen?
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Er ist unheimlich brutal in der Ausführung.
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Also ist es dann mehr Kunstcharakter, als dass du es als Selbsttherapie nutzt?
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Für mich sehe ich das als das Verwischen der Grenzen. Eine gewisse Aggression trage ich in mir. Ich würde lügen und würde mich auch selbst vor den Leuten bloßstellen, die mich kennen. Nichtsdestotrotz bin ich ein friedfertiger Mensch. Es ist so ein Zwischending. Die Frage ist: Wie drücke ich das am kreativsten aus? Wie kann ich mich bewusst absetzen von den anderen? Wie kann ich das kreativ so offen und so klar wie möglich demonstrieren? Mit wenig Worten, aber dafür mit Wortgewalt.
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In dem Interlude auf der »Fress.Orgie«-EP kommt Louis de Funès vor. Bist du Fan von ihm?
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Ja, ich bin mit Louis de Funès groß geworden. Ich habe ihn im Kongo kennengelernt, als ich fünf Jahre alt war.
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Warst du bis du fünf warst dort?
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Ja, von Null bis fünf. Und dann ging es nach Europa. Louis de Funès haben wir uns damals im Kongo reingezogen, natürlich auf Französisch, so kinomäßig. Kino verlief damals so: In einem Rohbau wurde ein Fernseher auf einen Stuhl gestellt und es war ein bisschen abgedunkelt. Es war oft am Nachmittag, also Nachmittagskino. Man hat damals 6.000 Zaire dafür gezahlt. Zaire ist die alte Währung der Demokratischen Republik Kongo – demokratisch in Anführungszeichen. 1.000 Zaire entsprechen ungefähr 50 Cent. Neben den damals neuen Sachen gab es natürlich auch Serien oder ganz normale Filme wie zum Beispiel »Saint Thomas«. Ich habe Louis de Funès genommen, weil ich großer Fan bin. Ich mochte das einfach. Es ist sowas wie ein Relikt aus meiner Vergangenheit und ich versuche das dann auch immer irgendwie zu verarbeiten. Ich hätte auch Monty Python nehmen können, aber alle reden immer nur von Monty Python – fuck that.
- »Ich verstehe die Leute nicht, die Angst davor haben, sich zu stellen und zu freestylen.«Auf Twitter teilen
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Bist du eigentlich ein Bonner Lokalpatriot?
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Patriotismus sehe ich immer vorsichtig. Wenn ich jetzt zum Beispiel in Bonn bei Rot über die Ampel gehe und es zur Gesellschaftsordnung gehört, dass die Bullen bei mir ein Auge zudrücken, weil ich aus Bonn komme, dann ist das immer ein Argument, bei dem ich merke: Mit Patriotismus kann ich gar nichts anfangen. Ich prangere keinen an, der das irgendwie gutheißt. Das ist ja auch immer so ein Gruppenspiel. Wir sind die rote Gruppe und die sind die gelbe Gruppe. Und wenn du in der gelben Gruppe bist, dann sagst du: »Du bist aus der roten Gruppe.« Und die aus der roten Gruppe schreien: »Wir sind die rote Gruppe!. Yeah, bei uns ist es nice.« Ich bin kein Freund davon. Ich sehe mich immer als Mensch oder als Mann von Welt. Ich komme aus dem Kongo, habe in Frankreich geweilt, lebe in Deutschland. Seit den Neunzigern bin ich fest in Bonn. Ich mag die Stadt, ich lebe hier. Es ist aber vor allem meine räumliche Niederlassung.
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Du rappst schon seit vielen Jahren. Bis heute bist du für mich ein MC geblieben, wie ich ihn kennengelernt habe: Beim Rappen immer alles und alle Griff. Dazu kommt Delivery und ein unverwechselbarer Stil. Hast du dir das Cyphern von damals beibehalten?
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Ich mache das immer noch. Ich denke halt auch, dass es wichtig ist. Auch mit Freestyle-Battles habe ich kein Problem. Das ist so ein Nervenkitzel. Ich verstehe die Leute nicht, die Angst davor haben, sich zu stellen und zu freestylen. Ganz ehrlich: Ich scheiße da drauf. Ich stelle mich da hin und dann läuft das Ding. Das ist irgendwo auch ein Ansporn für mich. Vor kurzem bin ich in der »3 Raum Wohnung« in Bonn aufgetreten, wo ich auch probe. Die machen da einmal im Monat eine Rap-Veranstaltung mit Live-Acts. Ich habe mich dort auf eine Palette gestellt, ein scheiß Mic und einen viel zu lauten Beat bekommen. Ich habe angefangen zu rappen und musste erst mal dafür sorgen, dass die den Beat leiser machen, damit man den Bullshit auch hören konnte. Paar Jungs waren noch da und wir haben gerappt. Es geht ja auch darum, dass man im Training bleibt und das Rap-Ding auch in Echtzeit machen kann. Dafür solltest du dich solchen Sachen stellen. Meine Meinung!
Die Leute, die damit ein Problem haben, weil sie sich blamieren könnten, kann ich aber auch verstehen. Wir reden ja von einem MC. Und mein MC-Ding ist mir immer wichtig gewesen. Nur weil ich Platten release, muss ich damit nicht aufhören. Ich stelle mich immer noch hin und kicke die wildesten, fiesesten Sprüche, weil ich es genau aus dem Grund dazu gebracht habe, dass ich release. Ich könnte nicht damit leben, immer nur ins Studio zu gehen, Songs zu schreiben und kontrollierte Handykamera-Acapellas zu machen. Wenn ich Bock drauf habe, gehe ich raus und rappe. Ich will auch keine Gage haben, aber eventuell den ein oder anderen jungen Dude dazu animieren, easy zu bleiben und sein Ding zu machen und nicht irgendwelche größenwahnsinnigen Bilder zu kreieren. Oder zu sagen: »Okay, wenn ich jetzt nicht charte oder wenn ich es nicht schaffe, diesen krassen Synthesizer-Trap-Whatever-Beat zu kreieren, dann brauche ich nicht zu rappen.« Fuck it! Geh hin, rap‘ einfach, sei ein MC, versuche zeitlos zu bleiben und Mucke zu machen, die du halt immer spielen kannst. Es ist schwierig, in unserer industrialisierten Rap-Gesellschaft zu überleben, weil alles sich dem Korsett des Mainstreams beugt.
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Du hast mir mal erzählt, dass du Vater geworden bist. Am Expliziten deiner Texte hat sich dadurch nichts geändert. Machst du dir Gedanken darüber, dass du vor deinem Kind später etwas rechtfertigen müsstest?
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Ne, mache ich nicht. Mir ist das irgendwo auch scheißegal – ich bin ich. Als Künstler ist es wichtig, Künstler zu bleiben und sich in irgendeiner Form auch seine Freiheiten nehmen zu dürfen. Als Privatmensch habe ich natürlich gewisse Verantwortungen und denen gehe ich als Privatmensch auch nach. Was ich dann unternehme, damit etwas nicht falsch verstanden wird, fechte ich mit mir selbst aus. Aber ich finde, dass es der Tod des Künstlers ist, wenn man sich in den Argumentationsschwitzkasten nehmen lässt. Es gibt gewisse Sachen, die ich sehr kritisch finde, aber jeder Künstler sollte sich in einem gewissen Maße das Recht rausnehmen, seine künstlerische Ausdrucksweise zu erhalten. Veränderungen finden ja immer in kleinen Schritten statt – peu à peu. Es ist nie so, dass Veränderung auf einmal kommt.
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Du hast auffällig viele Punchlines gegen Gangsterrapper. Wann kann man eigentlich gangster sein für dich?
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Ich sage immer: Ein Gangster sagt nie, dass er ein Gangster ist, weil das kein Gangstermove ist. Und ein Gangsterrapper ist ein Rapper, der Mucke macht, die sich eventuell gangster anhört. Aber was ist denn ein Gangster? Den Begriff und das komplette Bild haben wir ja aus dem Amerikanischen: Die Gangster wurden dort in den 1930ern zum Beispiel ja auch medial gehypet. Aber in Deutschland hören die meisten Gees keinen Rap, weil das ja Kokolores ist. (grinst)
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Echte Gangster hören R&B?
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Ja, echte Gangster hören R&B, der davon handelt, wie sie Frauen ficken. Aber die hören nicht, wie sie gleich rausgehen und irgendwen abstechen. Das machen eventuell irgendwelche Kleinkriminellen, irgendwelche Banditen. Ich habe nichts gegen Gangsterrap, ich liebe Gangsterrap – über alles. Aber ich tu‘ mich oft schwer, wenn in der realen Welt kleine Figürchen ins Studio gehen, sich einschließen und dann die wildesten Gangsterphantasien ausleben. Da gibt es meines Erachtens einen großen Unterschied: Die Kreativität eines Gangsterrappers und die Kreativität eines Punchline- oder Hardcorerappers. Letztere basiert wirklich auf einer gewissen Portion an Wissen und Können – und bei der anderen geht es darum, dass ich Klischees verkaufe und eine Vision, die dann eher eine Illusion ist. Viele versuchen dabei ja wirklich das Bild des Wahrhaftigen, des Realen darzustellen, indem sie diese ganze Sprache und eine gewisse gängige Atmosphäre wiederzugeben versuchen. Klar, wenn der Radira sagt: »Ich ficke deine Frau und deine Tochter steht Schmiere«, dann muss sich diese Situation erst mal ergeben. Aber wenn ein Gangsterrapper sagt, dass er den und den erschießt und so und so viel Kilo vertickt, dann sage ich einfach: »Alter, das stimmt nicht! Ich hab‘ dich nämlich mal abgezogen und dich dann geohrfeigt – da war nichts mit gangster, halt’s Maul, laber‘ keine Scheiße hier! Das nervt.«
Genauso fuckt es mich halt auch ab, wenn irgendwelche Backpacker ins Extreme gehen. Ich habe nichts gegen Backpacker. Und ich finde es auch irgendwie peinlich, wenn es Mode ist, Backpacker zu haten. Diese Jungs kaufen die Platten nämlich. Die meisten Gangsterrap-Fans kaufen die Scheiße ja gar nicht. Die downloaden dich illegal, ziehen dich von Handy zu Handy und virtualisieren dich. Diese Backpack-Dudes, die das Ganze durch ihren finanziellen Beitrag dann am Leben halten, werden paradoxerweise als Bild der Wackness verkauft. Aber trotzdem fucken sie mich ab, wenn sie zu extrem werden. Ich bin meistens ein Freund von »Schuster, bleib‘ bei deinen Leisten.« Ich prangere es an, wenn Leute übertreiben – damit belege ich, dass es für mich wichtig ist, dass man sich in irgendeiner Form zügelt. Sonst gibt es immer einen, der in der kreativen Welt ankommt und sagt: »Aha, so was erzählst du? Wir regeln das mal auf der kreativen Ebene.«
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Das übernimmst dann du?
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Das übernimmt dann mein wilder Sohn, der Radira.