Microphone Mafia Eine ehrenwerte Familie

Die Microphone Mafia ist eine der ältesten HipHop-Bands Deutschlands. Seit 35 Jahren sind die Mafiosi aktiv. Ihr Markenzeichen sind ihre mehrsprachigen Raps und ihr politisches Engagement. Ein Rückblick – und ein Gespräch mit Kutlu Yurtseven alias Little Asia und Rosario »Signore Rossi« Pennino über unter anderem Pionierarbeit, Linkssein und Nichtdazugehören.

MMFelixMSteiner

Ende August am Franz-Mehring-Platz in Berlin-Friedrichshain. Es ist Sonntagmittag, das hochsommerliche Wetter vom Vortag über Nacht deutlich abgekühlt, der Himmel wolkenverhangen. Vor und im ehemaligen Verlagsgebäude der sozialistischen Tageszeitung »Neues Deutschland« (heute: »nd«) finden an diesem Wochenende die »UZ«-Friedenstage statt. Die UZ (»Unsere Zeit«) ist die Wochenzeitung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), der Nachfolgepartei der 1956 verbotenen KPD (Kommunistische Partei Deutschlands).

Rote DKP-Flaggen mit Hammer, Sichel und Stern wehen im Wind. Eine freundliche Frau – vielleicht Ende 50, die Haare rot gefärbt – vom Stand einer Friedensinitiative sucht das Gespräch mit dem ALL-GOOD-Autor. Der Stalinismus, sagt sie berlinernd, sei furchtbar gewesen, aber das sei ja auch kein Kommunismus gewesen. Und doch sei die Bezeichnung »Prolet« heutzutage ein Schimpfwort, klagt sie.

Doch es gibt Kräfte, die dieser Lesart entgegenwirken. Eigentlich sollen nach dem Liedermacher Hartmut König, der gerade die Solidarität besingt, die erklärtermaßen stolzen Proleten von der Microphone Mafia auftreten. Aber daraus wird nichts. Kutlu Yurtseven alias Little Asia musste das Konzert wegen eines akuten Krankheitsfalls in der Familie kurzfristig absagen. Damit fällt auch das geplante ALL-GOOD-Interview mit den HipHop-Pionieren aus Köln fürs Erste ins Wasser.

Stolze Proleten

Neuer Anlauf, neues Glück: Mitte Oktober in Köln-Mülheim. Zumindest Kutlu sitzt an diesem Donnerstagnachmittag im Büro seines Labels Al Dente Recordz an einem Tisch vor einem Laptop. Der 51-Jährige – langes angegrautes Haar, nahezu weißer Vollbart – trägt blaue Jeans, schwarze Adidas und einen olivgrünen Windbreaker. Er steht auf, heißt den ALL-GOOD-Autor willkommen und schenkt Çay ein. Rosario »Signore Rossi« Pennino, die andere Hälfte der Microphone Mafia, fehlt leider an diesem Tag. Er hat sich, erzählt Kutlu, erst vor wenigen Tagen die Kniescheibe gebrochen und lässt sich entschuldigen.

Das Büro des Labels ist zugleich das Zuhause des Vereins »Lückenlos«, der wiederum Teil des bundesweiten Aktionsbündnisses »NSU-Komplex auflösen« ist. Das Bündnis hat sich der Aufklärung der mörderischen Umtriebe des rechtsextremen Terrornetzwerks »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) verschrieben.

Nur eine Straßenecke weiter, in der von türkischen und kurdischen Läden und Lokalen geprägten Keupstraße, hatte der NSU im Juni 2004 vor einem Friseursalon eine Nagelbombe explodieren lassen. 22 Menschen wurden verletzt, davon vier schwer. Doch die Behörden verdächtigten zunächst jahrelang Anwohner und Opfer, anstatt auch im rechtsextremen Spektrum zu ermitteln. Kutlu ist selbst im Verein Lückenlos engagiert, Vorstandsmitglied, und kennt die Keupstraße von klein auf, erzählt er. Sein Vater, langjähriger Arbeiter bei den Ford-Werken, habe ihn als Kind häufig dorthin mitgenommen.

Die Microphone Mafia ist tief im deutschen HipHop verwurzelt

Kutlu und Rossi sind (Gast-)Arbeiterkinder und stolz darauf: »Stolze Proleten«, wie sie in dem gleichnamigen Song an der Seite der Deutschrap-Vorreiter vom Äi-Tiem aus Köln-Porz rappen. Die Microphone Mafia ist tief im deutschen HipHop und der Kölner Szene verwurzelt. Die Mafiosi sind genauso unten mit altgedienten Kölner Recken wie Scopemann, Tatwaffe, Def Benski, Cool Muul oder Chicken George wie auch mit den Erfindern des Zeckenrap Anarchist Academy, dem Frankfurter D-Flame, der Jazzkantine aus Braunschweig oder, aus der nachfolgenden Rap-Generation, mit Chaoze One aus Mannheim. Aber auch mit genrefremden Kölner Größen wie BAP, Brings, den Höhnern und vor allem mit der Sängerin und Auschwitzüberlebenden Esther Bejarano (1924-2021) haben sie schon gemeinsam auf der Bühne gestanden.

Noch ein Tee, dann lädt Kutlu zu einer kleinen Rundfahrt durch die Stadt ein, um zu zeigen, wo für die Microphone Mafia alles anfing. An der Ecke Einstein-/Eduard-Heis-Straße in der Bayer-Siedlung in Köln-Flittard fährt er rechts ran. Ein kleiner Marktplatz, gesäumt von ein paar Bäumen, umgeben von mehrstöckigen Wohnblocks und einem Supermarkt. Das Wetter ist mild, der Platz menschenleer. Früher, sagt er, habe es hier vor spielenden Kindern und Jugendlichen nur so gewimmelt. Zwei davon waren Kutlu und Rossi, beide aufgewachsen in Flittard. Kutlu, inzwischen verheiratet und Vater von zwei Kindern, schlendert über den Platz.

TCA – Therapy Contra Animosity

»Hier hat sich kaum was verändert«, sagt er. Dann zeigt er auf die waschbetonierten Einfassungen von zwei Bäumen. »Da haben Rossi und ich gesessen und TCA gegründet«, sagt er. TCA the Microphone Mafia.1989 war das. 35 Jahre später ist die Microphone Mafia immer noch aktiv und damit zweifelsohne eine der ältesten deutschen HipHop-Crews Deutschlands. Ganz zu Anfang waren sie noch zu sechst, mit Dennis »Dio« Morel und DJ Önder bald nur noch zu viert, seit Jahren vornehmlich zu zweit.

TCA, das stand für Therapy Contra Animosity (Therapie gegen Feindseligkeit) und damit auch bald im Zeichen der rassistischen Pogrome und Brandanschläge in Rostock, Mölln und Solingen, die auf die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 folgten. Sich gegen Neonazis und Rassismus zu positionieren, gehörte im deutschen HipHop damals zum guten Ton. Die Microphone Mafia rappte zunächst hauptsächlich auf Türkisch, Italienisch (Neapolitanisch) sowie Englisch über HipHop-Themen und die Herausforderungen und Probleme des Lebens – nicht zuletzt aus der Sicht der von Rassismus Betroffenen. 1993 erschien ihre erste 7inch-Single, »No«, über Day-Glo Records. Sie basierte auf einem Sample aus »Ölüm Allahın Emri«, einem Lied des türkischen Sängers Barış Manço. Der Track handelt von binationalen Liebesbeziehungen und daraus resultierenden Konflikten.

Die Microphone Mafia als Gegenmodell zu Neonazismus

Wie Kutlu und Rossi in ihrem 2019 erschienenen Buch »Eine ehrenwerte Familie:  Die Microphone Mafia – Mehr als Musik« (PapyRossa Verlag) erzählen, verkaufte sich die Single innerhalb eines Monats 4000 Mal, insgesamt rund 10.000 Mal. Das dazu gedrehte Video lief beim Musiksender Viva rauf und runter. Die Microphone Mafia wurde aufgrund ihrer multikulturellen und -lingualen Aufstellung von Politik und Medien als Gegenmodell zum grassierenden Neonazismus wahrgenommen und zunächst entsprechend hofiert.

Durch einen im Rahmen einer Medienkampagne gegen Rassismus ausgestrahlten Video-Clip zu ihrem deutschsprachigen Song »Hand in Hand«, in dem die Microphone Mafia die Einheit eines multikulturellen Deutschlands berappte, wurde Sony auf die Kölner aufmerksam. Als eine der ersten deutschen Rap-Gruppen landete die Microphone Mafia damit einen Deal bei einem Major-Label. Als erste Single erschien 1994 eine Neuauflage von »No!«, als zweite, 1995, eine von »Hand in Hand«. Doch der von allen Beteiligten erhoffte kommerzielle Erfolg blieb aus und die Mafia wurde von Sony wieder vor die Tür gesetzt. Was Kutlu und Rossi, wie sie in ihrem Buch schreiben, nicht zuletzt darauf zurückführen, dass das Interesse an politischem Rap schwand und nicht-deutschsprachiger Rap zunehmend hinter »Deutschrap« zurückstehen musste.

Kuscheln mit dem Kommerz auf Kosten der Kredibilität

Die Microphone Mafia ließ sich nicht beirren, rappte weiterhin mehrsprachig und veröffentlichte 1996 über Day-Glo Records ihr Debütalbum »Vendetta«: ein energiegeladenes Potpourri, geprägt von eingespielten Live-Instrumenten, anatolischen Klängen, nachgespielten Sequenzen des Soundtracks von »Der Pate«, Raggamuffin-Einlagen sowie Funk- und Rock-lastigen Gitarrenriffs. Inhaltlich dreht sich das Album um Authentizität (»Wanna Be«, »Say What«), die rassistischen Mordanschläge von Mölln und Solingen (»Insanlar«), das Leben als Musiker (»Our Life«), mehrsprachigen Rap (»International«) oder Zukunftsängste (»I Don’t Know«).

Noch im selben Jahr wurde das Album auch in der Türkei veröffentlicht. Dort, sagt Kutlu im ALL-GOOD-Gespräch, sei die Resonanz ungleich größer gewesen als in Deutschland. »Ihr habt Rap in der Türkei mit aufgebaut«, habe es aus der Türkei geheißen. Dabei hätten sie nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland Aufbauarbeit geleistet, hier aber wenig bis gar keine Würdigung erfahren, so Kutlu.

1999 veröffentlichte die Mafia ihr zweites Album »Microphonia«, nun größtenteils auf Deutsch gerappt, über das Label :chlodwig, einem Sub-Label des Majors BMG. Als Single wurde der Song »Irgendwann ist alles zu spät« ausgekoppelt und dazu ein eigenen Angaben zufolge 175.000-D-Mark-teures Video gedreht, das Kutlu heute unter Verschluss hält. Aus Gründen. Zwar hätten sie sich, jung wie sie waren, von all dem Glamour, der sie plötzlich umgab, auch ein wenig blenden lassen. In dem Video, so Kutlu, seien sie von halbnackten Frauen und durchs Bild getriebenen Affen umgeben gewesen. Aber: »Da hab ich mich gefragt: Ey, was mach ich hier eigentlich, Alter?!«, erzählt Kutlu. »Ich bin das Kind eines Ford-Arbeiters und tu hier so…«

Zurück zu den Wurzeln und hin zu neuem Publikum

Doch das Kuscheln mit dem Kommerz kostete sie Kredibilität und damit Publikum. Als dann noch »Microphonia« floppte und der Traum vom kommerziellen Durchbruch endgültig platzte, stieg Dennis aus, um sein Studium zu beenden. Kutlu, Rossi und Önder machten weiter, besonnen sich wieder ihrer Kernmarke – mehrsprachiger Rap, ohne sich anzubiedern oder an Trends zu orientieren – und gründeten im Jahr 2000, gemeinsam mit Albert Wiedenhöfer, ihrem ehemaligen Chef bei Day-Glo Records, ihr eigenes Label: Al Dente Recordz.

Über Al Dente veröffentlichten sie fortan nicht nur ihre eigene Musik, sondern auch die anderer Rapper, 2009 zum Beispiel ihr Gemeinschaftsprojekt »La Résistance«, ein conscious Album, mit Deadly T von Anarchist Academy und Chaoze One als Dreh- und Angelpunkt. »Wir haben für die HipHop-Szene viel mehr getan, als viele Leute, die sich HipHop auf die Fahne geschrieben und gesagt haben, wie HipHop zu sein hat«, sagt Kutlu, nicht zuletzt mit Blick auf Al-Dente-Releases, von denen sie von vorneherein gewusst hätten, dass sie damit Verluste einfahren würden.

Mit dem Song »Zeichen an der Wand« und eigens gedrehtem Low-Budget-Video, das nichtsdestotrotz bei Viva ausgestrahlt wurde, huldigten sie 2001 zudem den Graffiti-Writern. Und als sich Anfang der Nullerjahre das linke Netzwerk »HipHop Partisan« gründete, waren die Mafiosi unterstützend involviert und mit einem Song auf dem gleichnamigen Sampler vertreten.

Doch während die unpolitische HipHop-Welt sich immer weniger für die Microphone Mafia interessierte, fanden Kutlu und Rossi ein neues Publikum. Auf Interesse stieß ihre Musik nun vor allem in linken Kreisen: bei Autonomen Zentren, der türkischen und kurdischen Förderation Demokratischer Arbeitervereine (DFDA), der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) oder dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), die sie für Auftritte buchten. Für die IG Metall Jugend und andere Verbände schrieben sie zudem Kampagnen-Songs. Mit dem Goethe-Institut tourte die Microphone Mafia durch Lateinamerika.

Enge Zusammenarbeit mit der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano

Im Rahmen eines an Jugendliche adressierten DGB-Projekts für Aufklärung über Rechtsextremismus und Nationalsozialismus nahm Kutlu Kontakt mit der Musikerin und Holocaust-Überlebenden Esther Bejarano auf, die noch im hohen Alter durchs Land reiste, um, etwa an Schulen, über die Nazizeit aufzuklären, damit sich Auschwitz nicht wiederholt. In der Folge entstand eine intensive Zusammenarbeit zwischen der Microphone Mafia und Esther Bejarano und deren Kindern Joram und Edna. Gemeinsam absolvierten sie in den Folgejahren hunderte Konzerte, spielten in Kuba und nahmen zwei Alben auf, veröffentlicht über Al Dente Recordz. Das Feuilleton liebte es, die HipHop-Medien ignorierten es.

Ärgerten sie sich anfangs noch über diese Ignoranz, haben sich Kutlu und Rossi sieben Alben später längst in ihrer Nische eingerichtet. Und die besteht, so bringt es Kutlu auf den Punkt, in Erinnerungsarbeit, eingebettet im HipHop, aus dem die Microphone Mafia hervorgegangen ist. Erinnerung an die Geschichte ihrer Eltern etwa, die als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, an die Verbrechen des Faschismus oder an die heutige Situation von Geflüchteten, zählt Kutlu auf.

Doch wer Kutlu sagt, muss auch Rossi sagen. Und so stehen die beiden Mitglieder dieser ehrenwerten Familie Mitte November in einer Videokonferenz ALL GOOD doch noch gemeinsam Rede und Antwort. Beide gut aufgelegt, Rossi, 52, standesgemäß in einen Hoodie des 1. FC Köln gekleidet. Ein Gespräch über Pionierarbeit, in die Irre führende Major-Label-Deals, Linkssein, HipHop-Partisan, Nichtdazugehören und die Edelweißpiraten.

  • Wie seid Ihr zu HipHop gekommen?

  • Rossi: Ich bin 1984 durch Breakdance zu HipHop gekommen. Da war gerade der Breakdance-Film »Breakin‘« herausgekommen und die Platte »Bravo-Breakdance Sensation `84«. Dadurch kam ich mit Breakdance und der Musik in Berührung. Wobei die Musik ja mehr Electro war, aber es wurde auch gerappt. Und Grandmaster Flash war mir natürlich auch schon ein Begriff.

  • Und wo bist du mit HipHop in Berührung gekommen?

  • Rossi: In der Pauline, dem Jugendzentrum in Flittard, und in der OT (Offene Tür St. John, ein Jugendzentrum des Sozialdiensts Katholischer Männer; Anm. d. Verf.) in Stammheim. Dort haben wir uns immer getroffen. Aber auch auf der Straße; meine Kumpels und ich hatten eine Breakdance-Crew, vier, fünf Jungs. Wie die Crew hieß, weiß ich nicht mehr. Auf dem Dach von einem meiner Kumpels durften wir jedenfalls Fernseher und Videorekorder aufstellen, und da haben wir dann immer zurück- und wieder vorgespult und uns die ganzen Tanz-Moves in Slowmotion angekuckt und nachgemacht. Wir haben dann auch bei Tanzwettbewerben mitgemacht und bei der Deutschen Meisterschaft sogar den dritten Platz gemacht. Aber das war natürlich noch nicht so groß wie heute. Und auf der Dom-Platte haben wir natürlich auch gebreakt.

  • Kutlu: Ich hab‘ zwar auch ein bisschen gebreakt, aber ich bin mehr über die Musik und das Wort zu HipHop gekommen und separat von Rossi, und zwar über zwei Schienen. Da waren meine eritreischen Freunde aus dem Kinderheim in Dünnwald, die haben sehr viel Soul und Reggae gehört. Und dann meine ganzen »Cousins« – »Cousins«, weil deren Eltern zusammen mit meinen Eltern nach Deutschland gekommen sind – die haben Rap gehört. Und als ich irgendwann mit meinem »Cousin« Cem, meinem damaligen besten Freund, bei WOM (World of Music, ein großer Platteneinzelhändler; Anm. d. Verf.) war, drückte er mir von Eazy-E die Platte »Eazy-Duz-It« in die Hand und sagte: »Ey, das musst du hören!« Auch Lieder wie »Rumors« vom Timex Social Club und »Word Up!« von Cameo begeisterten mich. Dann kam LL Cool J mit »I Need Love«, das war mein Lieblingslied.

  • Rossi: So fing es ja praktisch auch mit TCA an. Ich hab‘ Beatbox gemacht und Kutlu hat darauf »I Need Love« gerappt. In der Pauline.

  • Kutlu: Und im Kinderzimmer. (lacht)

  • Welche HipHopper haben Euch beeinflusst?

  • Rossi: Beeinflusst kann man nicht direkt sagen, weil wir haben ja querbeet alles gehört. Aber für mich war Chuck D von Public Enemy einer der stärksten Rapper damals, zu dem ich auch ein wenig aufgeschaut habe. Dann Ice Cube. Und als dann Cypress Hill oder House of Pain kamen, das hat mich schon inspiriert. Dann kamen Heavy D. & The Boyz, da fing das dann noch mit dem Tanzen an. Außerdem fand ich De La Soul immer geil. Aber KRS-One und so was hat mich nie so gecatcht.

  • Kutlu: Für mich ist es damals wie heute Ice Cube, den fand ich schon bei NWA immer am besten. In ihm hab‘ ich mich immer selber ein bisschen gesehen. Er war einer, der viel macht, aber nie so auffällig war wie Eazy-E.

  • Rossi: Wobei der eigentlich der beste Rapper von NWA war.

  • Kultu: Das stimmt. De La Soul fand ich auch Hammer. In denen haben wir uns ein Stück weit wiedererkannt, weil die waren irgendwie Teil der Szene, aber haben auch nicht so richtig reingepasst. »Me, Myself and I« war ein Lied, mit dem ich mich wirklich identifizieren konnte. Und klar, Cypress Hill oder House of Pain haben auch noch mal eine neue Frische reingebracht.

  • »Deutschland war nicht bereit für politischen Rap von Migrantenkindern.«Auf Twitter teilen
  • In den Neunzigerjahren wart Ihr zweimal bei einem Major-Label unter Vertrag. Beide Male stellte sich der erwartete Erfolg nicht ein. Woran haperte es?

  • Rossi: Das fragen wir uns auch.

  • Kutlu: Ich frag mich nicht!

  • Rossi: Ich hab‘ mich oft gefragt, weil wir ja schon viel gemacht haben. Aber ich denke, dass Deutschland nicht bereit war, politischen Rap von Migrantenkindern zu hören und chartfähig zu machen. Außerdem haben wir immer unseren eigenen Kopf durchgesetzt und nie auf andere gehört – außer bei einem Album. (lacht) Aber das vergessen wir.

  • Das war das 1999 erschienene »Microphonia«. 

  • Rossi: Ja.

  • Kutlu: Ja, genau. (Gelächter) Bei »Vendetta« war ich überrascht, dass es nicht in die Charts kam, weil das ist meiner Meinung nach eines der Alben von uns, wo es uns wirklich gelungen ist, unsere Kraft als Live-Act auf Platte zu pressen. Wir haben »Vendetta« schon 1993 produziert, 90 Prozent mit Live-Instrumenten eingespielt und wurden dafür in der HipHop-Szene zwar nicht gedisst, aber so’n bisschen ausgegrenzt. Aber 1996, 97, 98 hatten plötzlich alle Live-Drummer, Live-Instrumente und haben das so gefeiert, als ob es die Entdeckung Amerikas wäre. Aber die Frage ist auch: Was ist Erfolg? Wenn ein Album sich bei einem Indie-Label 6.000 Mal verkauft, ist das für mich ein Erfolg. Die anderen aus der Band fanden, dass das kein Erfolg war.

  • Rossi: Ja, du hast das immer anders gesehen. Ich wollte von meiner Musik leben können. Ich wollte, dass ich machen kann, was ich liebe, ohne mich fragen zu müssen, wie ich das nächste Album finanziere und ob ich genug Zeit dafür habe.

  • Kutlu: Bei mir war es genau anders rum. Ich habe gesagt, wenn wir zusätzlich ein festes Standbein haben, dann werden wir lieben, was wir machen. Ich glaube, die Zeit um »Microphonia«, also von 1997 bis 2000 beziehungsweise »Buon Appetito«, unserem ersten eigenen Label-Sampler, haben wir auch irgendwie den Spaß verloren gehabt. Weil wir im Kopf hatten: Wir müssen es schaffen! Wenn, dann jetzt! Ich glaube, das hat uns eher gehindert. Darum ist »Microphonia« auch so, wie’s ist. Da haben wir nur noch auf Deutsch gerappt, was ein fataler Fehler war.

  • Rossi: Wir hätten »Microphonia« anders produzieren müssen und besser rappen sollen.

  • Kutlu: Das war so eine typische Krankheit von uns, die da mitreingespielt hat. Wenn was fertig geschrieben war, sind wir sofort ins Studio, um das aufzunehmen und das Album zu veröffentlichen. Aber das ist nicht richtig. Manchmal passiert uns das immer noch, aber das ändern wir gerade. In der Zeit vor »Microphonia« haben wir noch Demo-CDs an Labels verschickt, aber ich bin sehr froh, dass niemand diese sechs Songs jemals gehört hat, weil, wenn ich mich für etwas in meinem Leben schäme, dann dafür. (lacht) In dieser Zeit ist auch die Single »Ciao Ragazzi« (1997) entstanden, und »Ciao Ragazzi« ist schon schlimm. Da waren wir bei BMG unter Vertrag, und die meinten: Wir brauchen unbedingt einen Sommerhit! (lacht)

  • Rossi: Und dann haben wir einen Sommerhit geschrieben.

  • Kutlu: Das war ein Sommerscheiß, ohne Flachs.

  • Rossi: Davor hatten wir den Song »Die Farbe des Geldes« produziert, und darüber haben wir den Deal bekommen.

  • Kutlu: Und irgendwie sind wir dadurch abgedriftet, weil wir unbedingt einen Hit brauchten. Das war die Krankheit bei Bands wie uns. Zum Beispiel Fresh Familee hat auch so richtig kitschige Lieder gemacht (»Sexy Kanake«, 1994), so wie wir auch.

  • Ihr habt Euch von Euren Wurzeln entfernt.

  • Kutlu: Aber so was von. Wir haben die Wurzeln absterben lassen.

  • Rossi: Wir waren jung…

  • Kutlu: …und brauchten das Geld. (lacht)

  • Rossi: Ja, das auch. Aber wir hatten mit BMG die letzte Chance bei einem großen Plattenlabel. Da ist auch wirklich viel Geld geflossen, für die Produktion und die Werbung, auch Fernsehwerbung, das war schon unglaublich. Wir haben zwei Videos gedreht, eins hat 175.000 Mark gekostet – das hat uns natürlich auch Druck gemacht, abliefern zu müssen. Dabei wussten wir eigentlich noch gar nicht, wohin die Reise mit dem Album gehen sollte. Wir haben auch viel mit Klassik versucht, aber die Beats waren einfach scheiße. Dabei waren manche Raps wirklich gut, auch mit richtig guten Texten.

  • »Obwohl wir eine der ältesten HipHop-Bands in Deutschland sind, werden wir in Dokus über HipHop nie erwähnt.«Auf Twitter teilen
  • Wie sehr fühlt Ihr Euch mit der deutschen HipHop-Szene im Allgemeinen und der Kölner Szene im Besonderen verbunden?

  • Rossi: Mit der deutschen HipHop-Szene eigentlich gar nicht. Weil wie Kutlu schon sagte: Wir waren immer da, aber in Dokus werden wir nie erwähnt, obwohl wir eine der ältesten HipHop-Bands in Deutschland sind. Da gab es jetzt zum Beispiel eine Doku mit Toni L., Cora E. und Stieber Twins – da sind die so rumgefahren und haben von den Anfängen erzählt. Aber von Microphone Mafia hast du da nichts gehört. Was die Kölner Szene angeht: Wir haben immer Leute bei uns gefeaturet, aber da kam nie was zurück, also umgekehrt gab es nie Feature-Anfragen. Vielleicht sind wir daran aber auch selber schuld, weil wir damals gesagt haben, wir brauchen die Szene nicht.

  • Kutlu: Aber wir hatten schon viele Freunde, Alter: Scope, Chicken George…

  • Rossi: Ja, aber der Chicken George, der denkt ja auch wie wir!

  • Kutlu: Schau mal, darf ich dir was sagen? Der Szene-Begriff interessiert mich überhaupt nicht. Ich fühl mich nicht zu einer Szene hingezogen, sondern zu den Menschen innerhalb dieser Szene. Ich sage auch immer: Ich arbeite nicht mit einer Firma zusammen, sondern mit Menschen in einer Firma. Ich arbeite auch nicht mit einer Gewerkschaft zusammen, sondern mit Menschen innerhalb der Gewerkschaft. Darum hat mir das nie so wehgetan. Wo er recht hat, ist, dass manche so tun, als wären sie die einzigen Pioniere von Rap oder als hätten sie es erfunden. Es gab aber sehr viele Pioniere, von denen niemand etwas weiß. Andererseits waren wir gerade erst in Mannheim, haben eine Stunde lang mit Toni L. zusammengesessen und über die erste gemeinsame Jam und so geredet. So etwas ist mir wichtig. Deshalb stört es mich auch nicht, wenn ich in Dokus ausgeklammert werde. Dafür haben wir in der Türkei umso größeren Kultstatus aufgrund unserer Musik Anfang der Neunziger. Wir bekommen immer noch Nachrichten, in denen es heißt: »Ihr und Cartel und so seid die Bands meiner Jugend!«

  • »Es wollte uns keiner mehr booken, weil wir auch viel Scheiße gebaut haben.«Auf Twitter teilen
  • Ab einem gewissen Zeitpunkt, so ab 2000, fandet Ihr in der deutschen HipHop-Öffentlichkeit im Grunde gar nicht mehr statt. Wie kam es dazu?

  • Rossi: Das war ja die Zeit, in der »Microphonia« rausgekommen ist. Es wollte uns auch keiner mehr booken, weil wir auch viel Scheiße gebaut haben. Wir dachten, wir wären die größten und haben Auftritte einfach mittendrin abgebrochen, wenn nicht viel los war. Wir haben uns richtig blöd benommen.

  • Kutlu: (lacht) Das waren die, nicht ich.

  • Rossi: Kutlu hat dann angefangen, wieder Auftritte klarzumachen, ganz kleine, wo wir nur die Tankfüllung bezahlt bekommen haben. Wir mussten erst mal in den sauren Apfel beißen. Kutlu hat dann drei Touren organisiert, und so fing das Ganze wieder an. Er hat auch mit Gewerkschaften Deals eingeholt, sodass dann auch wieder Geld reinkam. Wir haben zum Beispiel auch Kampagnen-Songs für die Gewerkschaften geschrieben. So nahm das Ganze wieder seinen Lauf – auf unserer politischen Schiene.

  • Kutlu: In der Zeit gab es ja so einen Umschwung. Erst war der Hype um Deutschrap, dann kam Gangsta-Rap. Und wir sind einen ganz anderen Weg gegangen: Wir sind zu den Gewerkschaften gegangen, in die politische Richtung. Wir sind aufgetreten, wo normalerweise keine HipHopper auftreten. Auch das ist unsere Errungenschaft. Wir waren mit die ersten, wenn nicht die ersten, die Rap-Musik in eine Gemeinschaft einbrachten, in der es sonst nicht üblich war, Rap zu hören. Wir haben zwar nicht in der HipHop-Szene stattgefunden, aber auch wenn ich nie mit den Stieber Twins oder den Massiven Tönen aufgetreten bin, gehe ich jede Wette ein: Die kennen uns. Aber wir haben dann eben nicht nur auf einer Jam gespielt, sondern zum Beispiel auch in Hachenburg, weil da mal jemand umgebracht worden ist (Im Dezember 1990 wurde Nihat Yusufoğlu von einem Skinhead erstochen; Anm. d. Verf.), und haben mit der Antifa und Leuten von der Gewerkschaft gerockt. So was haben wir schon im Jahr 2000 gemacht. Vier, fünf Jahre später war so was dann hip. Aber da haben wir schon wieder den nächsten Schritt gemacht. 2004 waren wir auf Südamerika-Tour – das hat bis dahin nie jemand gemacht! 2007 hat es dann mit Esther Bejarano begonnen. Und es wird keine andere Rap-Band auf der ganzen Welt geben, die noch mal mit einer Auschwitz-Überlebenden dreizehneinhalb Jahre touren wird und drei Alben rausbringt – das wird’s nicht mehr geben! Das meinte ich auch in unserem Song »Träume«: »Ihr habt Geschichten erzählt, wir haben Geschichte geschrieben«. Das sind Dinge, die kann dir keiner nehmen. Deswegen ist es mir auch egal, was die HipHop-Szene sagt. Denn zuallererst mach ich diesen Scheiß für mich – und für meine besten Freunde Rossi und Önder. Punkt.

  • Ihr steht häufig auf den Pressefesten der »UZ« (»Unsere Zeit«), der Wochenzeitung der DKP, auf der Bühne. Seid Ihr Kommunisten?

  • Kutlu: Nein, ich nicht.

  • Rossi: Meine Mama ist Kommunistin, und ich bin auch so erzogen worden. Doch als Kommunist würde ich mich auch nicht bezeichnen. Aber das UZ-Pressefest ist einfach ein geiles Ding, das musst du machen.

  • Kutlu: Wenn Linkssein – und da widerspreche ich Rossi – Menschlichkeit ist, wenn Linkssein Solidarität ist, wenn Linkssein Gerechtigkeit ist, dann sind wir das alles.

  • Rossi: Genau. Ich sage immer, ich mach keine Politik. Ich bin zwar Antifaschist, aber ich bezeichne mich jetzt nicht so. Ich sage, was ich auf dem Herzen hab und was mich in dieser Welt stört.

  • Kutlu: Das ist links. (lacht) Und das UZ-Pressefest ist ein Ort, wo es um all das geht: Menschlichkeit, Solidarität, Gerechtigkeit. Darum sind wir da. Wir sind auch immer bei der Gewerkschaft gewesen. Mein Vater war im Betriebsrat, im Ausländerbeirat, der war immer politisch. Bei den Demos für die 35-Stunden-Woche bin ich mit meinem Vater mitgelaufen, weil es da um die Rechte der Menschen ging. Es geht um Gerechtigkeit, um gerechte Verteilung. Dafür stehen wir. Wir waren immer mit denen down, wo wir den Eindruck hatten, diese Menschen müssen unterstützt werden, um etwas zu schaffen. Wenn wir auf einem Festival spielten, waren unsere besten Freunde nach zehn Minuten die Türsteher, die Securitys, zum Beispiel in der Türkei. Nicht, weil die uns beschützten, sondern weil wir wussten, wie wenig die verdienen, also haben die von uns Essen und Getränke bekommen. So haben wir auch in der HipHop-Szene gelebt. Man kann uns viel vorwerfen, aber wir waren immer fair.

  • Rossi: Wir haben unsere Gagen geteilt mit Leuten, die an dem Abend keine Gage bekommen haben. Weil früher war da ja so, die haben auf Kasse gemacht, und wenn nicht genug in der Kasse war, dann haben die kleinen Bands nichts bekommen. Dann haben wir unsere Gage geteilt, damit die Jungs, nach Hause fahren konnten, manche von denen wurden später sogar bekannt.

  • »Rap hat uns eine Stimme gegeben und sichtbar gemacht.«Auf Twitter teilen
  • Ein wiederkehrendes Thema in Eurer Musik sind die Edelweißpiraten: junge Menschen, die in der Nazizeit Widerstand leisteten, aber nach dem Dritten Reich auch in der Bundesrepublik keine Anerkennung erfuhren. Welche Motivation steckt dahinter? 

  • Rossi: Die Geschichte der Edelweißpiraten. Und weil das auch hier in Köln passiert ist und wir Angehörige von Edelweißpiraten kennen. Weil das in meinen Augen Helden waren. Richtige Helden, nicht irgendwelche Pseudo-Helden. Das waren Leute, die hatten keine Angst vor den Faschisten und haben gegen sie gekämpft.

  • Kutlu: Noch nicht mal vor dem Tod.

  • Rossi: So was muss einfach geehrt werden.

  • Kutlu: Und in Köln wurde das viel zu wenig geehrt.

  • Rossi: Bei den Partisanen weiß man zum Beispiel, das waren Widerstandskämpfer, oder bei der Résistance oder den Geschwistern Scholl – das waren alles Helden.

  • Kutlu: Die Edelweißpiraten wurden ja nie als Widerstandskämpfer akzeptiert. Am Bahnhof Ehrenfeld hier wurden die aufgehangen, der jüngste war gerad mal 16 – und erst 2004 wurde dort eine Plakette angebracht, die daran erinnert. Ich hatte ja das große Glück beim ersten Edelweißpiraten-Festival in Köln mit Mucki Koch und Jean Jülich, beide Edelweißpiraten, zusammenzusitzen und darüber zu reden. Gedenken heißt ja auch kämpfen, und das ist unser roter Faden: Wir gedenken unserer Eltern, was sie in Deutschland geleistet haben, wir gedenken der Edelweißpiraten, wir gedenken Esther Bejarano, wir gedenken Widerstandskämpfern wie Peter Gingold… Esther hat ja auch immer gesagt: Wir sind nicht schuld an dem, was damals passiert ist, aber wenn wir uns nicht informieren, kann es immer wieder passieren. Es geht auch darum, Menschen sichtbar zu machen. Und das war für uns Rap. Rap hat uns sichtbar gemacht. Wir waren Kinder, die weder in Italien noch in der Türkei noch in Deutschland dazugehört haben, sondern wir waren auf uns alleine gestellt. Wir waren Schlüsselkinder, und Rap hat uns eine Stimme gegeben und sichtbar gemacht: mit all unseren Problemen, aber auch mit unserer Solidarität. Deswegen ist es wichtig, Menschen sichtbar zu machen.

  • Rossi: Genau, durch Rap konnten wir uns so ausdrücken, wie wir wollten. Wir konnten sagen, was wir gedacht haben und was wir gefühlt haben.

  • Welche Rolle habt Ihr Anfang der Nullerjahre bei dem kurzlebigen linken Netzwerk HipHop-Partisan gespielt? 

  • Rossi: Bei den Treffen war ich nicht dabei, aber ich habe mitbekommen, dass es immer irgendwelche Diskussionen gab.

  • Kutlu: Das war auch hier auf der Keupstraße. Da waren wir zum ersten Mal gemeinsam essen. Hannes Loh (von Anarchist Academy) war dabei, Murat Güngör (von Kanak Atak), Chaoze One und eben diese ganzen jungen politischen Rapperinnen und Rapper. Wir Älteren haben ein bisschen Input oder Keynotes gegeben, unterstützt halt, aber das war jetzt gar nicht so konkret. Aber aus diesen Treffen heraus ist ja dann zum Beispiel die Antilopen Gang entstanden (Koljah und Danger Dan lernten sich dort kennen; Anm. d. Verf.).

  • Und dann habt Ihr noch einen Song zum Sampler »HipHop Partisan« beigetragen.

  • Kutlu: Genau. Wir haben auch noch Nic Knatterton und Panik mit auf Tour genommen. Wir haben immer junge Menschen gefeaturet. Weil für uns war HipHop: Treffen und was gemeinsam machen. Und das stand immer über dem Geld. Nur zwischen 1998 und 2000 nicht. (lacht)

  • Aus HipHop-Partisan entstand ein Subgenre, das bald als Zeckenrap bezeichnet wurde. Würdet Ihr Euch als Zeckenrapper bezeichnen?

  • Kutlu: Nein, ich glaube, das würde der Szene auch nicht gerecht werden. Ich unterstütze das zwar und mag Zeckenrap, weil es wirklich guter Rap ist, nicht nur, weil es Zeckenrap ist. Ich fühle mich zu der Szene hingezogen, weil ich da auch sehr viele gute Freunde habe, wie Refpolk, Chaoze One, Sokee oder Kurzer Prozess.

  • »Als wir mit Rap angefangen haben, hätten wir nie gedacht, dass das mal so big wird.«Auf Twitter teilen
  • Verfolgt Ihr den HipHop von heute noch?

  • Rossi: Also mir gefällt Rap momentan gar nicht, weder deutsch noch amerikanisch. Was ich gut finde, ist, dass jetzt wieder die alten Leute zum Vorschein kommen, wie zum Beispiel Curse, Stieber Twins und Cora E. Moses Pelham hat auch wieder ein geiles Stück rausgebracht, so richtigen HipHop. Ich sag immer richtiger HipHop, weil das für mich damals richtiger HipHop war. 

  • Kutlu: Der HipHop, den du liebst.

  • Rossi: Genau. Als wir mit Rap angefangen haben, da hätten wir nie gedacht, dass das mal so big, aber auch anders werden würde. Ein Highlight war für mich auch Marteria, Casper genauso, und Prinz Pi fanden wir auch immer cool. Die Antilopen Gang find ich hammer, auch wie die mit ihrer politischen Meinung in den Mainstream gekommen sind.

  • Kutlu: Oder nimm Haftbefehl, der eine eigene Sprache geschaffen und kunsttauglich gemacht hat. Auf den ersten Blick zwar hart und asozial, aber aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist es der Hammer. Und die Leute, die heute sagen, das ist kein richtiger HipHop, sind dieselben, die das früher über uns gesagt haben. Aber es ist Rap. Rap, den diese Gesellschaft hervorgebracht hat. Aber all diese Jungs jetzt und auch junge Frauen, die immer mehr werden, hätten mit politischen Texten keine Chance. Auch mit Texten wie denen der Antilopen Gang hätte ein Ali, ein Kutlu, ein Rossi nicht so viel Erfolg gehabt. Über Rassismus möchte man von migrantischen Menschen nichts hören, weil sie könnten ja recht haben. Dabei gibt es so viele politische Rapper, aber die will man nicht im Radio hören. »So schlimm kann’s doch nicht sein« – das ist die gleiche Argumentation wie früher. Aber seit einer Woche höre ich ein Lied – durch meine Schüler kriege ich ja viel mit -, das finde ich im positiven Sinne sehr lustig: »LID« von Lacazette. Der rappt auch über Drogenverkauf: »Wir mögen keine Drogen, aber wir leben von.« Und er sagt das so witzig, mit seinem griechischen Akzent. Und er sagt nicht einmal »Hurensohn« oder so was in dem Song. Er rappt da: »Das Leben hat mich bis jetzt…« Und ich denke, ach, jetzt kommt wieder »gefickt«. Aber nee, er sagt »…geballert«. Ich finde, das ist total gut gemacht. Mein Sohn sagt: »Ey, ich finde den besser als dich!« (lacht) Also es gibt sehr viele sehr gute Künstlerinnen und Künstler gerade, die es wert sind, gehört zu werden oder zumindest, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ob es dir hinterher gefällt oder nicht – das ist eine Geschmacksfrage.

  • Apropos Schüler: Was macht Ihr eigentlich hauptberuflich?

  • Rossi: Ich bin Koch in einem Inklusionsbetrieb. Ich arbeite mit Menschen mit Behinderung zusammen, Gehörlosen, Autisten. Ich bin da Pate für drei Menschen mit Behinderung, und wir kochen für Schulen und Kindertagesstätten.

  • Kutlu: Ich bin Sozialarbeiter und Ganztagskoordinator an einer Sekundarschule in Hilden. Ich koordiniere und plane mit meinen Kollegen den Nachmittagsbereich, plus 80 Prozent aller Projekte, die da stattfinden, wie Antirassismus-Wochen, Antidrogen-Wochen und so weiter. Außerdem begrüße ich – und das ist das Schönste für mich – die neuen Fünftklässler immer mit einem kleinen Konzert und verabschiede die Zehntklässler mit einem kleinen Konzert.

  • Und da spielst du dann Microphone-Mafia-Songs?

  • Kutlu: Ja. Und dann siehst du, wie die Eltern, Omas und Opas voll abgehen. (lacht) Ich habe das Glück – und da kann ich bestimmt auch für Rossi sprechen -, auf der Bühne zu stehen. Das ist ein ganz großes Geschenk.

  • Rossi: Zum Beispiel jetzt am Freitag wurde Eko Fresh in Köln mit einem Preis (dem Holger Czukay Preis für Popmusik der Stadt Köln; Anm. d. Verf.) ausgezeichnet, und wir hatten da einen Auftritt. Aber eigentlich hatte ich gar keine Lust, war müde und kaputt, aber nachher war’s doch schön. Denn es hat mir wieder gezeigt, dass wir, die Microphone Mafia, doch wichtig sind. Weil auch Eko Freshs erste HipHop-CD war von Microphone Mafia. Wie Kutlu schon sagte mit dem Feedback aus der Türkei. Oder auch die ganzen Kölner Bands, mit denen wir zusammengearbeitet haben. »Arsch hu« zum Beispiel (eine 1992 von Kölner Musikern initiierte Kampagne gegen Rechtsextremismus und Rassismus; Anm. d. Verf.), was für mich immer sehr wichtig und schön ist. Weil das sind Konzerte, die du auf großen Bühnen spielen kannst.

  • Kutlu: Nur deswegen. (lacht)

  • Rossi: Nein, auch das UZ-Pressefest ist immer ein Erlebnis, egal, ob auf der großen Bühne oder auf der kleinen. Oder dass wir zum Konstantin Wecker hingehen und sagen können: Hier, pass mal auf, wir würden gern ein Stück von dir machen. Und er sagt: Ja, macht, nehmt! Da merkt man, dass man was schafft.

  • In Kürze erscheint eine neue Single von Euch, 2025 soll ein neues Microphone-Mafia-Album erscheinen: »TCA«. Was erwartet dabei die Hörer?

  • Kutlu: Nur so viel: Das Album kommt im März. Die erste Single erscheint am 14. Dezember und heißt »Lungo La Strada« – Ein langer Weg -, und ich habe überlegt, ein Video dazu zu machen. Wir rappen in dem Song übers Leben. Wenn du mit 51 Jahren siehst, wie viele Menschen in dem Alter schon von dir gehen. Das Leben ist keine große Sache, aber doch so wertvoll, dafür zu kämpfen und ehrlich und gerecht zu sein.