Falk Schacht »Ein Poet mit einem Schwert als Zunge.«

Dieses Jahr feiert Curse‘ Debütalbum »Feuerwasser« sein 15. Jubiläum. Wir begleiten den Jahrestag mit einer umfassenden Berichterstattung zu dem Klassiker. Natürlich haben wir auch mit Falk Schacht gesprochen, der Curse 1998 auf einer Jam in Gütersloh kennenlernte.

Falk Schacht

Neben seiner Arbeit als Produzent unter dem Namen Hawkeye ist der Hannoveraner Falk Schacht vor allem als inoffizieller Sprecher für HipHop im Allgemeinen und Deutschrap im Speziellen aus Funk, Fernsehen, Print und dem Internet bekannt. Der langjährige »Juice«-Kolumnist und »Supreme«- sowie »Mixery Raw Deluxe«-Moderator kann sich auf ausreichend Wissen aus jahrzehntelanger Szene-Erfahrung verlassen. Vom Breakdance-Hype der Achtziger über die Jams der Neunziger, die Goldgräber-Stimmung der Nullerjahre bis hin zu Fall und Wiederaufstieg des Genres – Falk Schacht war immer dabei.

Alex Engelen sprach mit ihm anlässlich unserer umfassenden Berichterstattung zum 15-jährigen Jubiläum des Curse-Debüts. Die Feierlichkeiten werden von der großen, exklusiv von ALL GOOD präsentierten »Feuerwasser 15«-Tour ab November begleitet.

  • Wann und wie hast du zum ersten Mal von Curse gehört?

  • Ich habe ihn 1998 auf einer Jam in Gütersloh in der Weberei kennengelernt. Ich bin mit MB1000 dorthin gefahren, weil ich damals ihren Live-Sound gemischt habe. Curse saß Backstage auf einem Sofa und sah wichtig aus. Er trug nämlich einen stylischen weiß-blauen Jogging-Anzug. Neben ihm saß ein sehr hübsches schwarzes Mädchen. Ich habe auf Backstage-Modus ziemlich viel Trashtalk abgelassen, wie es für mich normal ist, wenn ich auf Jams bin. Und er hat das Ganze auf Englisch kommentiert und seiner Freundin immer gesagt: »That dude is crazy!« Deshalb dachte ich sogar, er sei ein US-Rapper. Bis seine Freunde, die ich später als Reno und Germany kennenlernen sollte, auf Deutsch mit ihm sprachen. Irgendwann hat mir dann einer gesagt, dass das Curse sei. Ich hatte vorher noch nie etwas von ihm gehört. Ich habe mir dann die Live Show angeschaut und gemerkt, dass er offensichtlich was kann. Danach hat er mir von seiner Maxi »Sonnenwende« erzählt, an der er arbeite. Wir haben Nummern getauscht und ich habe ihn auf einer späteren Jam dann in meine damalige Radio-Sendung eingeladen. 

  • Welche Verbindungen hatte Curse in der Szene? In welchen Gefilden bewegte er sich?

  • Curse war in Hannover erst nach der »La Familia«-Maxi und seiner ersten eigenen Single ein Thema. Ich erinnere mich, wie mir im Writers-Corner-Laden in Hannover die Single gezeigt wurde. Die Connections von Curse in den Süden waren aber immer wesentlich besser als in den Norden.

  • »Curse war damals die richtige Mischung aus Intelligenz und Hardcore-Mentalität.«Auf Twitter teilen
  • Wurde in der Szene bereits über das Album gesprochen? 

  • Zur Zeit des Albumreleases war Curse definitiv ein Thema. Gute Rapper hatten damals einen Hype: Samy, Savas, Dendemann und auch Curse. Wir haben in der Stadt viel darüber geredet, was er auf seinem ersten Album machen wird. Es stand immer der Verdacht im Raum, dass er etwas Kommerziges machen würde, weil er bei einem Major unter Vertrag stand. Das galt damals als absolutes No-Go. Die Majors waren der Feind der Realness. Als dann bekannt wurde, dass seine erste Maxi »Wahre Liebe« heißen wird, haben alle die Augen verdreht: »Oh nein, jetzt kommt der mit so einer Schnulzen-Nummer fürs Radio!« Um ein Kinderzimmer-Productions-Sample zu zitieren: »Doch es kam alles ganz anders.«

  • Was war besonders an »Feuerwasser«? 

  • Curse war damals die richtige Mischung aus Intelligenz und Hardcore-Mentalität. Das mag aus heutiger Sicht komisch klingen, aber damals gab es keinen deutschen Gangsta-Rap. Hardcore war damals alles, was eine No-Nonsense-Attitüde verbreitete. Und Curse kam direkt aus der New Yorker Schule, die in Deutschland auch von STF und den Stieber Twins vertreten wurde. Das mag man sich heute vielleicht nicht mehr vorstellen können, aber sowohl Abiturienten als auch Straßen-Dudes konnten sich auf ihn einigen. Er hat es damit geschafft, einen Kontrapunkt zum Rap aus Stuttgart und Hamburg zu setzen. Das war alles ernster und erwachsener und näher am New-York-Feeling als vieles Andere in Deutschland.

  • Wie passte das Album musikalisch in die Zeit (oder auch nicht)?

  • Aus HipHop-Sicht waren die Beats von Busy, Martin Stieber und Iman komplett New Yorker State of the Art. Die Beats von Peerbee waren etwas sauberer und elektronischer und die von Lord Scan sowieso komplett draußen. Aber es war nichts für das Radio und nichts für den Mainstream dabei. Das fand die Szene natürlich ganz wunderbar. Und es unterstrich die Integrität von Curse. Man hatte, wie gesagt, die Furcht, dass er kommerzielle Kompromisse eingehen würde, was den Sound und die Texte betrifft.

  • »Und dann hat er einfach andere Rapper aufgefressen.«Auf Twitter teilen
  • Welchen Anteil hatte – deiner Meinung nach – Busy an dem Curse-Debüt?

  • Nach Curse dürfte der Anteil wohl der zweitgrößte gewesen sein. Er hat Mike mit 14 die Möglichkeit gegeben, professionell an seinen Skills zu arbeiten. Er stand immer mit Rat und Tat zur Seite. Wir werden es nie wissen, aber: Was wäre passiert, wenn Mike nicht auf Busy getroffen wäre?

  • Was hielt man von der visuellen Erscheinung von Curse?

  • Aufgrund seiner Brille wurde er sicherlich gerne mal unterschätzt. Aber sobald er den Mund aufgemacht hat, kam da diese Barry-White-Stimme raus. Und dann hat er einfach andere Rapper aufgefressen. Er hatte einfach Bars. Harte Bars. Ohne Ende. Und sein Flow! Das klang alles so unangestrengt, selbst wenn er richtig durchdrehte. Er hat sein damaliges Ziel, New Yorker Rap auf Deutsch zu produzieren, tatsächlich verwirklicht. Und jeder hatte damals Respekt vor ihm. Auch die Konkurrenz. Natürlich haben die sich gegenseitig beäugt. Und es stand auch immer wieder im Raum, dass es mal ein Diss-Battle geben könnte, etwa mit Samy Deluxe. Soweit ich weiß, gab es für diesen Fall einen fertig geschriebenen Diss-Song für Samy. Im Fall der Fälle hätte man den nur noch recorden müssen. Wäre spannend, den Text heute zu hören. Ich glaube, es gab sogar auch Texte für andere Rapper.

  • »Curse war der Rapper mit dem etwas smarteren Image und einer spirituellen Aura.« Auf Twitter teilen
  • Was für ein Typ war Curse im Vergleich mit anderen relevanten Rappern der Zeit um die Jahrtausendwende?

  • Curse war der Rapper mit dem etwas smarteren Image und einer spirituellen Aura. Derjenige, der sich selbst durch seine Texte reinigte, der Rappen als Selbsterkenntnis betrieb. Dazu trug auch seine Verehrung der asiatischen Kultur bei: die Zelebrierung von Tee-Zeremonien, der Import von Grünem Tee aus Asien, das Anschaffen eines Wasser-Automaten, der das Wasser behandelt und für den Tee-Aufguss perfektioniert, kein Schweinefleisch essen,… Und natürlich das Verarbeiten seiner gescheiterten Beziehung. Aber gleichzeitig rappte er darüber, wie gut er im Bett ist, und rannte mit einer Whiskey-Flasche in der Hand und einer scheiß Wut im Bauch herum. Dazu kamen noch extreme technische Fähigkeiten auf Nas-»Illmatic«/New-York-Niveau, mit denen er Gegner wegflexen konnte. Ein Poet mit einem Schwert als Zunge. 

  • Wie war Deutschrap, als Curse »Feuerwasser« veröffentlichte?

  • Man hatte gerade eine Plateau-Phase erreicht damals, ohne dass die Szene es zu der Zeit wahrnehmen konnte. Der Neunzigerjahre-HipHop-Hype war gefühlt noch in vollem Gange. Und »Feuerwasser« wurde als der Meilenstein, der er bis heute ist, aufgefasst. Das Problem war die Goldgräberstimmung der Majors damals. Alles, was irgendwie ein Mikro halten konnte, wurde unter Vertrag genommen. Es kam nicht genügend Kreativpotential mit eigenem Charakter nach, nur Klone bereits existierender Rapper. Diese kreative Trockenphase der Szene sorgte dafür, dass eine große Menge an Fans sich neuen Dingen zuwandte, die spannender waren. Der richtige Absturz setzte etwa ein Jahr nach dem »Feuerwasser«-Release ein. 2001 sprach Universal einen Deutschrap-Signing-Stop aus, nachdem eine Reihe von Acts gefloppt waren. Viele Künstler verloren ihre Deals. Ganze Labels wurden aufgelöst – sowohl im Major- als auch im Indie-Sektor. Der Abschwung zog sich dann fort bis 2004 und den ersten Erfolgen von Aggro Berlin. 

  • »Die Alte Schule stand hinter Curse. Die waren Yoda und Curse war Luke Skywalker.«Auf Twitter teilen
  • Wie erging es dir dabei, als dieser Jungspund sich das Recht herausnahm, zehn Rap-Gesetze aufzustellen?

  • Alles, was er sagte, hatte Hand und Fuß. Wenn er etwas Dummes gesagt hätte, wäre es ihm entglitten, aber so hatte er alles unter Kontrolle. Es kommt ja auch hinzu, dass Curse Rücken hatte. Wer seinen Hood-Pass von den Stiebers, STF, RAG, Die Firma, Busy, Toni L und Cora E. ausgestellt bekommen hat, der kann nicht komplett auf den Kopf gefallen sein. Das waren ja Crews und Personen, die HipHop nach dem Abflauen des Breakdance-Hypes in den Achtzigerjahren am Leben erhalten haben. Das waren die Personen, die in Deutschland mit die Grundlagen und Infrastrukturen für HipHop gebaut haben, ohne die die Szene in den Neunzigern nicht hätte existieren können. Die Alte Schule stand hinter Curse. Die waren Yoda und Curse war Luke Skywalker.

  • Wie war die Stimmung in »der Szene« gegenüber Curse und seinem Debüt?

  • Sehr gut. Alle warteten auf das Album. Ehrlich gesagt stand sogar die Frage im Raum, ob er seinen Hype nicht schon überschritten hatte – es fühlte sich fast so an, als ließe das Album auf sich warten. 

  • Inwieweit kannst du den kommerziellen Erfolg von »Feuerwasser« einschätzen?

  • Ich weiß, dass sich das Label und sein Umfeld mehr versprochen hatten. Das Album blieb letztendlich sechs Wochen in den deutschen Album-Charts. Mancher Major-Rapper würde heute dafür töten, so lange in den Charts zu bleiben. Aber damals war das eben kein richtiger Flop, aber auch kein richtiger Erfolg. Es muss aber perspektivisch versprechend genug gewesen sein, denn sein Vertrag wurde ja fortgeführt. Für die Szene selber war alles in Ordnung. Damals waren Chart-Zahlen kein Kriterium für Qualität.  

  • »Es gab eine Reihe von Curse-Klonen, die alle so klingen und rappen wollten wie er.«Auf Twitter teilen
  • Wurde die Szene von Curse im Allgemeinen und »Feuerwasser« im Speziellen irgendwie beeinflusst?

  • Natürlich. Es gab eine Reihe von Curse-Klonen, die alle so klingen und rappen wollten wie er. Von denen hat es aber nie einer geschafft, bekannt zu werden.

  • Wie ist »Feuerwasser« 15 Jahre später gealtert?

  • Ich habe den Eindruck, das Abum ist super gealtert. Davon können sich einige Rapper immer noch eine Scheibe abschneiden.

  • Gibt es noch eine weitere Curse-Geschichte? 

  • »Wordcup« veranstaltete so 1996, 1997 ein Casting, an dem – meinen Infos zufolge – eine Reihe namhafter Rapper dabei waren, darunter auch die Stieber Twins und Curse. Diese Casting-Bänder wurden 2000 noch einmal ausgewertet, weil man auf der Suche nach einem Moderator für eine neue HipHop-Sendung auf »Viva II« war. Curse gefiel denen so gut, dass man ihn in dem Jahr für die Moderation der Sendung anfragte. Damals war die Sendung bereits in Fernsehzeitschriften im Programm angekündigt. Die Sendung sollte »Premium« heißen – so wie der Verlag, in dem Curse zu dem Zeitpunkt war. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung, die die Sendung verursacht hätte, war es Curse aber nicht möglich, das Angebot wahrzunehmen. Er schlug dann vor, dass die Macher der Sendung sich mal mit mir treffen sollten, da er meine Arbeit beim Radio schätzte. Als ich mich mit den »Viva II«-Leuten traf, war der Titel der Sendung bereits in »Supreme« geändert worden. Der Rest ist Geschichte.