Freddie Gibbs Ein Gangster und ein Medizinmann
Gemeinsam mit Madlib veröffentlichte Freddie Gibbs gerade sein neues Album »Piñata«, das bereits jetzt als Album des Jahres gehandelt wird. Gangsta Gibbs nimmt es gelassen. Er sieht es ja genauso. Ein Gespräch über Madlib, Drill Rap und die Suche nach richtigen Track-Titeln.
Freddie Gibbs ist der neue Scarface. Seit jeher rangiert Scarface in der Liste der unterschätzten Rapper ganz oben. Und nur wenige andere sind in der Lage, mit ihren Raps so gute Bilder von so schlechten Verhältnissen zu zeichnen. Scarface war immer ein Rapper’s Rapper. Genau wie Freddie Gibbs, der seit seinem Deal mit Interscope 2006 in regelmäßigen Abständen mit seiner Musik glänzt und seiner kompromisslosen Art gegenüber Musikindustrie und Geschäftspartnern aneckt.
Nach dem Split mit Young Jeezy und seinem CTE-Label im letzten Jahr geht Gibbs jetzt endgültig den Weg ohne Major. Der Schulterschluss mit Madlib ist daher nur konsequent. Bereits ihre erste gemeinsame Nummer – »Thuggin’« vom Jahresbeginn 2012 – war ein Kleinod des härtesten Gangstaraps auf sanftesten Samples. Gibbs, der so übertalentierte wie übergefährliche Allrounder mit den grandiosen Mixtapes, und Madlib, das Beat-Genie aus einer anderen Welt mit den Kollaborationen für die Ewigkeit und der umfassenden »Medicine Show«-Reihe: das Team MadGibbs – ein Gangster und ein Medizinmann.
Dass das gemeinsame Album jetzt endlich erscheint, ist umso erfreulicher. Ein Madlib gibt auf VÖ-Pläne traditionell eher wenig und ein Freddie Gibbs lässt sich nicht ganz so leicht davon abbringen, seine Platte »Cocaine Piñata« zu nennen. Eine weitere Gemeinsamkeit teilt sich Freddie Gibbs übrigens mit Scarface (sowie einem weiteren Gast auf »Piñata«: Raekwon): Beide sind grundsympathische Typen, die einem zur gleichen Zeit aber richtig Angst einjagen können.
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Ist es komisch für dich, dass du alleine die Promo für ein Kollaborationsalbum machst?
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Ich sehe es nicht unbedingt als Kollaboration. Ich bin ein Rapper und ich brauche Beats. Wenn nötig, produziere ich sie mir selbst. Jetzt war ich eben in der glücklichen Situation, dass mir Madlib Beats gebaut hat – einer der allerbesten Produzenten, die es überhaupt gibt. Es war natürlich eine Zusammenarbeit. Er hat die Beats gemacht und ich habe mich um alle Texte gekümmert. Gemeinsam haben wir etwas richtig Großes geschaffen. Ich bin sehr froh, dass ich das mit ihm machen durfte.
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Es gibt wenige Rapper, die Madlib-Beats bezwingen können – neben DOOM oder Dilla bist du einer den wenigen. Ist es schwer, über Madlib-Instrumentals zu rappen?
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Ich war schon unter Druck. Wenn du dir mal die alten Sachen von Madlib anhörst, dann merkst du recht schnell, dass du mindestens einen Klassiker abliefern musst. Eigentlich gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich verkacke es oder wir machen einen Klassiker. Auf Mittelmaß hatte ich keinen Bock. Ich bin der Meinung, ich hab es gepackt und einen Klassiker abgeliefert und etwas getan, wozu niemand anders fähig ist. Dieses Album hat mich auf jeden Fall zu einem besseren Rapper gemacht.
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Was ist denn der Unterschied, wenn du mit nur einem einzigen Produzenten ein Album aufnimmst?
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Eigentlich arbeite ich ja lieber mit verschiedenen Produzenten zusammen. Aber bei meinen Lieblingsproduzenten mache ich da gerne eine Ausnahme. Auf der einen Seite ist es natürlich wichtig, wer die Beats macht, aber auf der anderen ist es auch ziemlich egal. Madlib und ich hatten einfach nur den Plan, dass zwei Musiker zusammenkommen und ein Kunstwerk schaffen, das Geschichte schreiben kann.
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Kannst du eigentlich über alles rappen?
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Ja, klar. Ich bin ja auch der vielseitigste Rapper, den es gibt.
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Liegt das vielleicht auch daran, dass du aus dem mittleren Westen bist? Chicago gilt ja schon immer als Ort in der Mitte von Ost-, Westküste und dem Süden.
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Definitiv. Der mittlere Westen war schon immer ein Schmelztiegel mit ganz unterschiedlichen Einflüssen. Wir hören deswegen auch ganz verschiedene Musik. Aus diesem Grund habe ich natürlich auch all die unterschiedlichen Styles im Arsenal.
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Was sind deine Top 5 Midwest-Alben aller Zeiten?
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Puh, das ist nicht leicht. Auf jeden Fall »E. 1999 Eternal« von Bone Thugs auf der 1. Dann »Adrenaline Rush« von Twista. Gefolgt von Do Or Die mit »Heads Or Tailz«. Und dann zwei Alben von mir: »Baby Face Killa« und »Cocaine Piñata«.
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Wie bist du in deiner Heimatstadt Gary zum ersten Mal mit Musik in Berührung gekommen?
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Nun ja, ich habe erst mit 20 mit dem Rappen begonnen. Ich war gelangweilt und hatte nichts anderes zu tun. Zu der Zeit drohte mein Leben gerade in eine richtig schlechte Richtung abzudriften. Die Musik hat mich davon abgehalten, auf der Straße Scheiße zu bauen.
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Hat Musik bei dir Zuhause eine große Rolle gespielt?
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Nein, überhaupt nicht.
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Gary hat nur ungefähr 80.000 Einwohner, aber war über lange Jahre der Ort mit der höchsten Mordrate. Wie ist es dazu gekommen?
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Die Stadt ist dem sozioökonomischen Wandel zum Opfer gefallen, der die Black Community besonders hart getroffen hat. Fast 90 Prozent der Bevölkerung in Gary ist afroamerikanisch. Das Fehlen von Jobs und die katastrophale wirtschaftliche Lage haben die Kriminalitätsrate nach oben schießen lassen.
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Du hast sicher eine spezielle Meinung zu der aktuell ziemlich erfolgreichen und vieldiskutierten Drill Rap-Szene in Chicago. Die Protagonisten kommen ebenso aus prekären Verhältnissen und stecken ihren Frust in die Musik.
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Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, was Drill genau sein soll. Sind das jetzt die Beats oder die Rapper? Ich habe keinen Plan. Ich habe schon vor Jahren mit Young Chop gearbeitet und auf seine Beats gerappt – und das war ganz sicher keine Drill Music. Drill ist mir eigentlich ziemlich scheißegal. Was mir bei vielen jungen Rappern immer wieder auffällt: Die meisten können nicht einmal richtig rappen. Und damit habe ich dann ein Problem.
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Zu welchen Rappern hast du denn aufgeschaut, als du angefangen hast?
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Zu meinem Kumpel Hit Skrewface. Er ist einer der Rapper in Gary und auch ordentlich auf der Straße unterwegs. Von ihm habe ich viel gelernt und wir sind bis heute eng befreundet.
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Siehst du dich in einer bestimmten Tradition von MCs?
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Natürlich, die üblichen Verdächtigen: 2Pac, Scarface und Jay-Z. Aber den größten Einfluss auf mich hatte Hit Skrewface.
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Scarface ist auf »Piñata« mit einem Feature vertreten.
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Ja, verrückt. Er ist mein absoluter Lieblingsrapper. Ich kann es immer noch nicht richtig glauben, dass er auf meinem Album ist. Wir waren auch zusammen im Studio. Wir kannten uns bereits davor. Scarface ist tatsächlich so etwas wie ein Freund von mir. Ich kann ihn immer nach seinem Rat fragen. Das ist großartig – er ist mein Lieblingsrapper. Ich finde nach wie vor, Scarface und 2Pac haben musikalisch etwas geschaffen, dass ihnen niemand nachmachen kann.
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Ich finde, dem ganzen Album unterliegt ein Gefühl von Nostalgie, obwohl du in erster Linie davon erzählst, was für schlimme Sachen du erlebt hast. Einerseits bist du offensichtlich froh, weg von der Straße zu sein, andererseits scheint es, dass du es auch vermisst.
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Das stimmt. Zumindest wollte ich das auf dem Album zeigen. Es sollte wie ein Blaxploitation-Film sein und alles zeigen, was ich liebe, aber eben auch das, was ich hasse. Ich wollte meine Stärken zeigen, aber eben auch meine Schwächen. Ich habe mich nicht lange mit meinen Schwächen aufgehalten, aber zumindest konnte ich zeigen, dass ich ein ganz normaler Mensch bin.
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Bist du eigentlich in deiner aktuellen Situation als Künstler glücklich?
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Oh, absolut. Ich habe meine eigene Firma und die komplette Kontrolle – wirtschaftlich und künstlerisch. Meine Alben stehen in Plattenläden, sind online erhältlich und ich streiche den Großteil des Geldes dafür ein. Vielleicht bekomme ich kein Platin-Album, aber ich bekomme mehr Kohle per Album als ein Künstler bei einem Major Label.
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Mich verwundert es immer wieder, wie viele Fans glauben, dass ein Rapper ohne Nummer-1-Alben oder Top-10-Singles zwangsläufig frustriert sein muss.
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(lacht) Ja, aber dafür mache ich all das ja überhaupt nicht. So groß ist mein Ego dann auch wieder nicht. Ich rappe nicht, um der bekannteste Rapper zu sein. Ich mache Rap, weil ich der Beste sein will. Es interessiert mich nicht, in irgendeinem elitären Zirkel zu sein oder das meistverkaufte Album zu haben. Am Ende vom Tag musst du dafür sowieso bezahlen. Ich habe gerade erst erfahren, dass ich bei einem Magazin – den Namen möchte ich jetzt nicht nennen – eigentlich die Höchstpunktzahl für »Piñata« bekommen hätte. Aber weil ich keine Werbung in dem Magazin schalten wollte, hat man auch die Bewertung heruntergestuft. Es ist alles nur Politik. Du musst für einen Platz ganz oben immer bezahlen. Egal wie.
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Wieso heißt das Album jetzt eigentlich nur noch »Piñata« und nicht, wie ursprünglich geplant, »Cocaine Piñata«? Auch Politik?
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Ich habe den Titel nicht verändert. (schmunzelt) Für mich heißt das Album immer noch »Cocaine Piñata« und wird auch immer so heißen. Nur ist es eben nicht so einfach, ein Album zu verkaufen, das »Cocaine« im Titel hat.
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Meine Theorie ist: Weil auf dem Album nur Tracks mit Titeln sind, die aus einem Wort bestehen, durfte das Album eben auch nur einen Ein-Wort-Titel haben.
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(lacht) Nein, das ist nicht der Grund. Aber dass die Tracks jeweils nur mit einem Wort betitelt sind, war auf jeden Fall Absicht.
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Mir fällt immer wieder auf, dass viele Rapper sich keine Gedanken über Track-Titel machen.
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Ja, voll. Das ist auf jeden Fall eine vergessene Kunstform. Ein Songtitel muss im gleichen Flow wie der Track sein. Er kann dabei auch nichts mit dem Song zu tun haben. Ein Titel muss dich dazu bringen, den Song anhören zu wollen. Was mich richtig nervt, sind Songtitel mit Namen von irgendwelchen Persönlichkeiten. »Michael Jordan« zum Beispiel. Was soll das?