Hannes Loh »Du brauchst eine historische Achse, um HipHop zu verstehen.«
Der Autor Hannes Loh beschäftigt sich mit Migration und Gangsta-Rap. ALL GOOD-Autor Thomas Becker sprach mit ihm im Zuge einer Lesung in Dortmund.
Eine bierige Grundnote, Kellerkühle und wie zusammengeklaut aussehende Plastikstühle, antiquierte Sofas und Barhocker als Sitzgelegenheiten. Der Keller des Rekorders in Dortmund bietet eine authentisch-improvisierte Atmosphäre. Um einen Kreis zu machen: 1987 fand in Dortmund-Marten, fünf Kilometer Luftlinie entfernt, eine der ersten HipHop-Jams in Deutschland statt. Und nun heizen die Besucher den vollen Rekorderkeller auf, um mit Hannes Loh ein Ohr auf diesen Kreis zu legen.
»Welcher Pfad führt zur Geschichte? – HipHop, Migration und Gangsta-Rap« lautet der Titel der Lesung, die Hannes an diesem Abend halten wird. Jüngeren Semestern dürfte er vor allem durch einen Diss in »Das Urteil« von Kool Savas bekannt sein. Doch er ist nicht nur mit Sascha Verlan Autor des Buches »35 Jahre HipHop in Deutschland«, sondern war selbst in den 1990er Jahren als Rapper LJ in der Crew Anarchist Academy aktiv. Seit nunmehr 20 Jahren beschäftigt er sich als freier Autor mit den historischen, sozialen und gesellschaftlichen Hintergründen der globalen HipHop-Kultur.
Vor der Lesung, die mit allerhand Texten, Bildern und Videos sowie persönlichen Bezügen begangen werden wird, geht es nach gegenüber: In eine Spelunke namens Subrosa, wo sich Hannes und sein ehemaliger Crew-Kollege Babak One jeweils eine ordentliche Portion Grünkohl mit Bratwurst und Spiegelei bestellen. Ein Glück, dass die Küche des Lokals an diesem Abend etwas länger braucht. Da bleibt »Do-Rap.net«-Gründer und Autor Thomas Becker mehr Zeit, um mit Hannes über Gangsta-Rap, Journalismus und Verantwortung zu sprechen.
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In deinem Vortrag heute Abend geht es unter anderem um die Entstehung von Gangsta-Rap. In deinem Buch »35 Jahre HipHop in Deutschland« schreibst du, dass ihr versucht, die Gegenwart von HipHop über seine Geschichte zu verstehen. Wie genau seid ihr vorgegangen?
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Gangsta-Rap ist ein Phänomen, das als kontrovers und spektakulär wahrgenommen und immer wieder in den Feuilletons aufgegriffen und diskutiert wird. Das heißt, es gibt im Gangsta-Rap viele gesellschaftlich relevante Diskurse und er trifft mit seiner Ästhetik und seiner Art der Performance einen kritischen Nerv, einen wunden Punkt der Gesellschaft. Das macht HipHop oft. Im Gangsta-Rap spitzt sich das jedoch zu. Dieser Feststellung folgt die Frage: Woher kommt das? Und damit bist du bei der historischen Betrachtung, denn Gangsta-Rap ist nicht vom Himmel gefallen. Er hat sich in einem bestimmten sozialen und gesellschaftlichen Kontext entwickelt: in den 1980er-Jahren als Genre in den USA, in den 1990er-Jahren in einer eigenen Spielart als Straßen-Rap in Frankreich und ab etwa 2000 als sichtbares Phänomen hier in Deutschland. Das hat den Vorteil, dass wir Vergleiche ziehen zu können, um das Zusammenspiel zwischen Gesellschaft und Kultur besser zu verstehen. Wenn du das unternimmst, dann stellst du fest: Gangsta-Rap hat viel mit Migration, Diaspora-Erfahrung, Identität und der Frage nach gesellschaftlicher Teilhabe zu tun – und eben auch mit dem Empowerment von Minderheiten. Im Gangsta-Rap werden Themen verhandelt, die über den reinen Szenekontext hinausgehen. Das ist die historische Achse, die du brauchst, um HipHop zu verstehen. Ohne diesen diachronen Schnitt kommst du nicht weiter, wenn du dich zum Beispiel mit Gangsta-Rap beschäftigst. Ohne eine solche Verortung bleibt alles Schreiben über Gangsta-Rap oberflächlich und in einem gewissen Sinne naiv.
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Aber du machst es ja nicht unbedingt objektiv. Man kann schon den Eindruck gewinnen, dass du eine Wertung vornimmst. Zunächst: Inwiefern hat sich denn beispielsweise die Funktion von Gangsta-Rap verändert?
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Was wäre denn für dich objektiv?
- »Ich glaube, dass ich für die Thesen, die ich vertrete, gute Argumente habe.«Auf Twitter teilen
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Objektiv wäre es, zu beschreiben: Wie hat sich Gangsta-Rap entwickelt? Welche Vertreter gibt es? Und so weiter. Aber du zeigst in dem Buch – das unterstelle ich jetzt einfach mal – eine ambivalente Haltung.
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Ich glaube, dass es keine objektive Beschreibung in diesem Sinne gibt. In dem Moment, in dem du dich dazu entscheidest, dich mit Gangsta-Rap zu beschäftigen, wählst du einen bestimmten Ansatz und setzt dich mit bestimmten Quellen auseinander. Du guckst dir bestimmte Sachen an, andere nicht. Du gewichtest manche Entwicklungen mehr als andere – und damit wird das immer eine subjektive Angelegenheit. Hinzu kommt, dass ich mich nicht wissenschaftlich mit diesem Phänomen beschäftige wie etwa Marc Dietrich und Martin Seeliger. Ich habe einen journalistisch-essayistischen Ansatz und in diesem Kontext ganz bestimmte Punkte, die mich besonders interessieren. Das sind vor allem die Migrationsgeschichte und auch Fragen des Empowerments, also der Selbstbehauptung von Minderheiten in Subkulturen. Das ist mein Ansatz. Aber ich glaube, dass ich für die Thesen, die ich vertrete, gute Argumente habe.
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Ich habe herausgelesen, dass Gangsta-Rap für dich an Aussagekraft verloren hat – vor allem durch die Kommerzialisierung und die Erfolge der letzten Jahre. Inwiefern würdest du unterschreiben, dass Gangsta-Rap seine Kraft oder sein Empowerment-Potenzial verloren hat?
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Wenn man das so formuliert, wie du das jetzt getan hast, hegt man schnell Gefühle wie: »Früher war es besser und jetzt ist etwas verloren gegangen, das ist schade.« Das finde ich nicht so interessant. Ich finde es spannender zu analysieren, inwieweit sich die Qualität von Empowerment verändert hat. Ich möchte mir entlang der Migrationsgeschichte die Frage stellen: Was bedeutet Empowerment in der ersten Generation, was in der zweiten und was in der dritten? Und wir werden feststellen, dass es in jeder Generation Formen der Selbstbehauptung gibt, dass diese aber sehr unterschiedlich sind.
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In welcher Hinsicht?
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In der ersten Generation hat sich Empowerment eher auf einer ökonomisch-sozialen Ebene ausgedrückt, weil für die Menschen, die zwischen 1955 und 1973 nach Deutschland gekommen sind, die Themen Wohnen und Arbeiten zentral waren. Die zweite Generation hat ihre Situation schärfer reflektiert und auf politisch-gesellschaftlicher Ebene die Frage nach Staatsbürgerschaft, Identität und Teilhabe gestellt. Die dritte Generation schließlich, die vor etwa 15 Jahren auf den Plan trat, steht meiner Meinung nach für ein hybrides Konzept von Empowerment: Hier tauchen die Themen der ersten und zweiten Generation wieder auf, verkörpern sich aber eher in Haltung, Style und Auftreten, also in ästhetischen Kategorien.
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Kannst du sie für HipHop-geschichtlich Unbedarfte beschreiben, sprich in Bezug auf die dritte Generation ins Detail gehen?
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Vorab: Die genealogische Einteilung, die ich gewählt habe, ist hilfreich, um die Verknüpfung zwischen Migrationsgeschichte und HipHop besser zu verstehen; es ist kein Ansatz, der die ganze Vielfalt von HipHop einfängt und erklären kann, wie sie im Moment existiert. Aber meine Struktur ist hilfreich in Hinblick auf die Entwicklung von so genanntem Straßen- und Gangsta-Rap und der Art und Weise, wie sich die zweite und dritte Migrantengeneration kulturell artikuliert. Ende der 1990er Jahre platzte die große Deutschrap-Blase und die Achse Stuttgart-Hamburg wurde von Protagonisten, die vor allem aus Frankfurt und Berlin kamen, über den Haufen gerannt. In Deutschland entsteht dann etwas ganz Neues: Viele junge Menschen, die hier geboren und groß geworden sind, deren Eltern oder Großeltern aber eine Migrationsbiographie haben, haben als Rapper plötzlich großen Erfolg, sind medial präsent und übernehmen für viele Jugendliche eine Rolemodel-Funktion. Der soziale Brennpunkt und die Art und Weise, wie Leute in bestimmten Vierteln hier in Deutschland leben und wie es da aussieht – das Mein-Block-Phänomen also – wird plötzlich zu einem gesellschaftlichen Thema. Dazu tragen vor allem die Videos der Künstler und die wachsende Bedeutung der sozialen Netzwerke bei. Das Echo auf diese Veränderung kann man etwa seit dem Millenniumswechsel gut an den Reaktionen der bürgerlichen Feuilletons ablesen. In den 1990ern haben »Die Zeit«, »Der Spiegel«, die »Süddeutsche Zeitung«, die »Frankfurter Allgemeine« und viele andere noch begeistert über Deutschrap berichtet. Und dann gibt es einen Bruch. Die deutschen Gymnasiasten mit ihren Reimbüchern will keiner mehr sehen, stattdessen kommen die Boyz aus der Hood um die Ecke, die grimmigen Schwarzköpfe, die auf Leitkultur und Integration pfeifen. Jetzt ändert sich der Ton der bürgerlichen Journaille schlagartig: Für die bösen »Kanaks« gibt es wenig Verständnis und die Empörung über das hedonistische, provozierende Auftreten der Gangsta-Rapper wird immer größer. Die Sache gipfelt schließlich in der Behauptung, dass Darstellung und Selbstinszenierung der migrantischen Gangsta-Rapper sich eigentlich kaum noch von den Posen der IS-Terroristen unterscheiden würde. Hier zeigt sich sehr schön, dass die Verunsicherung der Mehrheitsgesellschaft, die vom Gangsta-Rap ausgeht, auf seiner ästhetischen Qualität beruht. Solche Debatten sind wie ein Seismograph und sie zeigen, wie gesellschaftlich relevant Gangsta-Rap ist.
- »Heute sehen viele Neurechte und manche Altlinke im Gangsta-Rap den Vorboten eines untergehenden Abendlandes.« Auf Twitter teilen
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Aber als wirtschaftlicher Faktor ist Gangsta-Rap nicht zu ignorieren.
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Genau, das ist die andere Seite. Er kann nicht ignoriert werden, weil er ökonomisch unglaublich erfolgreich ist. Aber die Art, wie er diskursiv in die gesellschaftliche Erzählung integriert wird, ist ambivalent. Das hat sehr viel damit zu tun, dass die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland ein Problem damit hat, wenn »Kanaken« sich selbstbewusst artikulieren und sich nicht zu den Bedingungen der deutschen Leitkultur integrieren lassen wollen. Ähnliches findest du schon bei der ersten Generation. Es hat viele soziale und ökonomische Kämpfe von so genannten Gastarbeitern gegeben, die zum Beispiel mit Streiks, Betriebs- und Hausbesetzungen für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen gekämpft haben. Der »wilde Streik« bei Ford 1973 war da nur der Höhepunkt. Schon hier hat die deutsche Gesellschaft hysterisch reagiert. Damals haben sich die Arbeitgeber im Bund mit den Gewerkschaften gegen die streikenden »Ausländer« gestellt. Heute sehen viele Neurechte und manche Altlinke im Gangsta-Rap den Vorboten eines untergehenden Abendlandes.
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Einerseits macht der Mainstream-Journalismus anscheinend viel falsch, weil er sensationalistisch ist und skandalisiert. Aber die Fachjournaille arbeitet auch nicht korrekt, oder? In deinem Gespräch mit Staiger, das man im Buch nachlesen kann, blitzt Kritik deinerseits durch: Du fragst ihn, warum Journalisten keine kritischen Fragen mehr stellen oder nicht mehr konfrontativ sind.
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Ich weiß nicht, ob das überhaupt mal so war. Staiger weist zurecht daraufhin, dass es im deutschen HipHop-Musikjournalismus keine Tradition eines wirklich konfrontativen Journalismus gibt, der auch eine gesellschaftlich-historische Dimension hat. In den USA ist das anders. Dort ist die Auseinandersetzung mit HipHop – bis heute – von Journalisten und Intellektuellen geprägt, die HipHop im Kontext der afroamerikanischen Diaspora verorten und die damit automatisch der ganzen Kultur eine historische Koordinate verpassen. Dieses Wissen floss und fließt immer mit ein. Und als mit N.W.A Gangsta-Rap plötzlich erfolgreich wurde, war es selbstverständlich, darüber zu diskutieren, was sich durch dieses Genre ausdrückt und was das für die Black Community bedeutet. Das findet im deutschen HipHop-Journalismus nicht statt. Viele der Personen, die zum Beispiel in der »Juice« über HipHop schreiben, haben zu ihrem Gegenstand kaum Distanz und bemühen sich wenig darum, zu verstehen, was diese Kultur mit dem Land und der Gesellschaft, in der sie leben, zu tun hat. Wenn es dann darum geht, Gangsta-Rap etwa gegen Angriffe aus dem Feuilleton in Schutz zu nehmen, wirken diese Versuche oft beschämend naiv. Das hat damit zu tun, dass diese Autoren ihren Gegenstand nie von Weitem betrachtet haben und so auch nicht mit seinem Umriss, wie er sich vor den gesellschaftlichen Verhältnissen abzeichnet, vertraut sind. Erstaunlich ist auch, dass die Autoren der meisten Szene-Magazine offenbar kaum Verbindungen zu den zahlreichen und wichtigen akademischen Diskursen über HipHop haben. Auf der anderen Seite darf man nicht vergessen, dass HipHop-Journalismus in Deutschland schlecht bezahlt ist und die Autoren in einer Fülle von Abhängigkeiten stecken – auch gegenüber den Künstlern – so dass die nötige Distanz sicher nicht immer leicht zu erreichen ist.
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Inwiefern sind denn Künstler dafür verantwortlich, etwas Konstruktives zur Gesellschaft beizutragen? Du hast im Buch geschrieben, es geht um eine gewisse »Negativität«, vor der man die Gesellschaft oder die nächste Generation bewahren könnte oder müsste.
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Da würde ich das Pferd nicht von hinten aufzäumen. Ich glaube eher, dass das, was Künstler artikulieren, wie sie sich geben und welche Themen und Texte sie haben, viel mehr mit dem zu tun hat, was um sie herum passiert – was wirtschaftlich und gesellschaftlich passiert – als dass Künstler eine Pflicht hätten, sich konstruktiv oder nach irgendeinem Ideal zu verhalten. Und wenn du dir anschaust, wie sich HipHop entwickelt hat – und nicht nur HipHop, sondern auch andere kulturelle Phänomene –, da findest du eigentlich immer eine Anbindung an gesellschaftliche Aspekte. Wenn du dem ganz auf den Grund gehst, landest du letztendlich bei den ökonomischen Verhältnissen.
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Also müsste man erfolgreiche Rapper, die vielleicht doch ein Leitbild darstellen, nicht ins HipHop-Mobil schicken?
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Nein. Da ist es interessanter zu schauen: Okay, warum sind Menschen so wie sie sind, warum erzählen sie das, was sie erzählen? Und wichtig ist auch: Was erzählen sie, wenn die Kamera aus ist? Was machen die Rapper eigentlich, wenn sie nicht im Rampenlicht stehen? Und dann wirst du gerade bei Gangsta-Rappern feststellen, dass die in einer Zwickmühle stecken. Denn sie liefern einerseits als Künstler – oder Kunstfiguren – krasse Schilderungen von der Hustler-Front. Andererseits haben sie aber persönlich vielleicht eine andere Einstellung zu diesen Dingen. Aber HipHop im Allgemeinen und Gangsta-Rap im Besonderen ist stark verknüpft mit einem Authentizitäts-Diskurs. Die Fans – die die Deluxe-Box mit dem echten Blutstropfen kaufen – sehen sich nach dem »real shit«. Deswegen muss der Gangsta-Rapper in diesem Sinne liefern. Vieles passt einfach nicht ins Image und wird deshalb nicht gemacht. Wenn ein Haftbefehl plötzlich ein Album über die NSU-Morde machen würde, würde das die Erwartungshaltung der Konsumenten irritieren und deshalb wird es ein solches Album auch nicht geben. Das heißt aber nicht, dass Haftbefehl dazu keine Meinung hat. Eko Fresh ist ein schönes Beispiel dafür, wie es gelingen kann, sowohl kommerziell erfolgreich zu sein als auch gesellschaftliche Akzente zu setzen. Mit »Quotentürke«, »Der Gastarbeiter«, »Türkenslang« aber auch mit seinen Anti-AFD-Clips zeigt Eko, wie fresh es sein kann, wenn man sich als Rapper politisch positioniert. Und Eko beweist uns auch, dass diese Themen interessant sind, denn die oben genannten Videos haben Millionen von Klicks.
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Es wäre also auch nicht nötig, den Kindern Alternativen aufzuzeigen? In einer Podiumsdiskussion von 2015 (»Rappen für die Revolution«) kam der Vorschlag, dass man den Kindern »guten« HipHop zeigen soll.
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Ich finde, man sollte den Kindern Wissen mitgeben. Kinder der dritten Migranten-Generation zum Beispiel wissen zum Teil nicht mehr, unter welchen Bedingungen ihre Eltern oder Großeltern hier hergekommen sind, und wie diese gearbeitet und gelebt haben, wie mit ihnen umgegangen wurde und so weiter. İmran Ayata hat mir erzählt, dass er in einer Schule in Kreuzberg mit Kindern diskutiert hat, die den Begriff »Gastarbeiter« nicht mehr kennen. Und was passiert eigentlich, wenn Kinder anfangen, sich mit der Einwanderungsgeschichte ihrer Eltern oder Großeltern auseinanderzusetzen? Sie bekommen Halt, sie können sich neu verorten – in der Familien-Geschichte und in ihrem eigenen Leben. Und sie stellen sich wichtige Fragen: Wo komme ich eigentlich her? Wo will ich hin? Wie möchte ich hier in dieser Gesellschaft behandelt werden? Deshalb glaube ich nicht, dass man Alternativen aufzeigen muss. Man sollte den Kindern etwas Zusätzliches anbieten, mit dem sie arbeiten können. Die einzigen, die Alternativen zeigen dürfen und müssen, sind Sozialarbeit und Schule. Alles, was sich in diesem Bereich abspielt, muss im Rahmen von Regeln geschehen. Da muss klar sein: Sexismus, Homophobie – das gibt es hier nicht. Was die Kids dann draußen damit machen, ist etwas anderes. Aber erstaunlicherweise ist das, was die Kinder aus den Jugendhäusern mitnehmen, oft prägend.
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Also so pessimistisch, wie ich das in deinem Buch angenommen habe, siehst du das gar nicht?
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Überhaupt nicht. Das heißt nicht, dass ich nicht auch meine Verortung innerhalb dieser Geschichte habe, wo ich sage: Das ist meine Zeit, die finde ich am geilsten. Aber ich glaube schon, dass ich mich an den entscheidenden Stellen so weit zurücknehme, dass jeder Leser genug Raum hat, sich seine eigene Meinung zu bilden.