Den Sorte Skole »Digging bedeutet heute eben etwas anderes, als im Plattenladen rumzuhängen.«
In ihrer Heimat Dänemark sind Den Sorte Skole gefeierte Mashup-DJs. Gerade veröffentlichte das Produzenten-/DJ-Duo mit »Lektion 3« sein neues Sampling-Machtwerk, auf dem Vocalsamples von Company Flow auf griechischen Progrock und deutsche Ambient-Elektronik treffen.

Sie waren die dänischen Kings des Mashup-DJing, spielten beim Roskilde-Festival vor 30.000 Menschen und veröffentlichten drei Mixtapes, die in ihrer Heimat mehr beachtet wurden als die meisten Rap-Alben. 2003 begannen Den Sorte Skole damit, Neil-Young-Vocals auf DJ-Premier-Beats zu legen, inzwischen komponieren sie Miniaturen aus Samples von den obskursten Platten der Welt. Auf ihrem jüngsten Tape »Lektion 3« treffen Vocalsamples von Company Flow auf griechischen Progrock und deutsche Ambient-Elektronik — eine Reise durch 40 Jahre weltweiter Underground-Musikgeschichte. ALL GOOD-Autor Stephan Szillus traf Simon Dokkedal und Martin Højland vor ihrer Live-Show im Berliner Club »Gretchen«.
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Wann und wie seid ihr in Dänemark mit HipHop in Berührung gekommen?
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Simon: Ungefähr ’95, dank Wu-Tang Clan, Beastie Boys und Outkast. Kurz darauf habe ich DJ Shadow gehört und da war alles klar.
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Martin: Bei mir war es etwas früher, mit 12 oder 13, und zwar durch MC Einar. Das ist ein legendärer dänischer MC, der sehr früh schon HipHop mit wirklich guten Beats produzierte. Er brachte HipHop in den dänischen Mainstream, bevor es einen Underground gab. Und bei Wu-Tang war ich endgültig an Bord. In den späten Neunzigern gab es in Dänemark — speziell in Kopenhagen, wo wir herkommen — eine starke Szene aus Rappern, DJs, Writern und B-Boys. Immerhin gewann DJ Noize schon 1996 die DMC-Weltmeisterschaft.
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Hat DJ Noize euch inspiriert, auch DJs sein zu wollen?
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Simon: Ein bisschen schon, vor allem wegen seiner Radiosendung. Die haben wir immer auf Kassette aufgenommen. Ich habe damals aber einfach nur HipHop gehört und wollte noch nicht unbedingt ein DJ sein. Die Musik, die ich mochte, gab es allerdings oft nur auf Vinyl, also musste ich mir einen Plattenspieler kaufen. Natürlich probiert man dann auch mal zu scratchen und so. Eigentlich haben mich von den dänischen Künstlern aber Boulevard Connection viel mehr beeinflusst.
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In Deutschland gab es um die Jahrtausendwende einen Turntablism-Boom, da fanden ITF- und DMC-Finals vor bis zu 2.000 Menschen statt. Heute kommen zu solchen Events manchmal nur 20 Gäste.
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Martin: Genau so ist es in Dänemark auch. Aber Turntablism und Scratching hat mich nie besonders interessiert. Ich war immer eher Beatmixer und Selector und fand es viel spannender, zum Beispiel HipHop- mit Drum & Bass-Tracks zu mischen.
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Simon: Ich habe ein bisschen mehr gescratcht als du, vielleicht zwei Stunden in meinem Leben. (lacht)
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Ihr habt DJ Shadow erwähnt. Er kann als Pate für das gelten, was ihr heute macht.
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Martin: Absolut. DJ Shadow und RJD2 sind die größten Einflüsse für unseren Sound. Aber lange vor ihnen gab es noch Brian Eno, der 1981 mit David Byrne das Album »My Life In The Bush Of Ghosts« veröffentlicht und darauf bereits viel mit Samples gearbeitet hat. Er war seiner Zeit sehr voraus. Shadow muss viel Eno gehört haben.
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Simon: Ich bekam ’96 eine Kassette überspielt, auf der einfach nur »Shadow« stand. Und darauf waren diese verrückten Beats mit dieser düsteren Atmosphäre. Etwas später spielte er ein DJ-Set in Kopenhagen. Kein Mensch war dort, nur wir. (lacht)
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Martin: Das »Endtroducing«-Album ist für uns einer der größten Meilensteine der Musikgeschichte. Er erschuf ganz neue Musik ausschließlich aus Samples. Das soll nicht abschätzig klingen, aber es war einfach mehr als nur HipHop-Beats. Das waren richtige Songs, ganz ohne Rap. Es ist ja viel einfacher, ein gutes Instrumental für einen Rapper zu produzieren.
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Habt ihr wegen Shadow und RJD2 auch angefangen, Samples zu suchen?
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Simon: Definitiv. Der Grund dafür, warum ich heute gerne Jazz oder Soul höre, ist HipHop. Wenn es keine HipHop-Produzenten gegeben hätte, dann hätte ich diese Musik vielleicht nie kennengelernt. Die Platten waren ja schwer zu finden. Und wenn man ein Sample fand, hatte man dieses Erfolgserlebnis: »Wow, das hat er benutzt?«
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Martin: Ich habe immer schon viel Musik jenseits von HipHop gehört. Aber mich hat es beeindruckt, wie viele Liebe zum Detail in »Endtroducing« steckte. Das merkten wir erst, als wir selbst anfingen zu produzieren. Während wir »Lektion 3« produzierten, sprachen wir viel über Shadow — vor allem darüber, wie wir uns von ihm unterscheiden könnten. Shadow hatte viel nordamerikanische Musik gesamplet, weil primär darauf Zugriff hatte. Uns hingegen stand dank Internet die ganze Welt zur Verfügung. Shadow konnte noch keine Platten aus Indonesien auf Discogs kaufen. Auf »Lektion 3« sind mehr als 50 verschiedene Länder von allen sechs Kontinenten vertreten.
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Darauf gibt es auch viel weniger Drums als »Endtroducing«.
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Martin: Ja, wir wollten uns nicht so sehr auf die Beats konzentrieren. Ich meine, sein Drum-Programming ist unerreicht. Niemand hat bessere Drums als Shadow. Also versuchten wir, ohne besonders harte Beats auszukommen. Das war ein weiterer Weg, uns von ihm zu unterscheiden.
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Wie hat sich euer Sound über die drei »Lektionen« entwickelt?
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Simon: Wir haben ja damit angefangen, HipHop-Instrumentals mit Acapellas aus anderen Genres zu kombinieren. Wir haben einfach herumprobiert und verschiedene Elemente mit drei Turntables übereinandergelegt. Irgendwann wurden es vier Plattenspieler und schließlich sechs.
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Martin: »Lektion 1« wurde live im Studio in einem Take aufgenommen. Es war eigentlich ein recht normales HipHop-Mashup-Mixtape, auch wenn damals niemand in Dänemark so etwas gemacht hat. Auf »Lektion 2« gab es immer noch viele Instrumentals, aber musikalisch ging es deutlich weiter als HipHop. Da wurde nicht mehr viel gerappt, stattdessen gab es viel Drum & Bass und Elektronik. Und »Lektion 3« ist nun ein komplett sample-basiertes Album …
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Simon: … ganz ohne Rap. Ich weiß nicht mal, ob die Hörer das noch als HipHop sehen.
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Es ist sicher keine Rapmusik, aber Musik, die von HipHop inspiriert und informiert wurde, also dieser Kultur entspringt.
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Martin: Definitiv. Aber es gibt noch eine andere Ebene: Das erste Tape klang sehr positiv das zweite vor allem hart und düster. Das dritte Tape ist ein ruhiger, kontemplativer Trip nach innen. Es ist intensiv, aber man muss sich darauf einlassen. Es fordert den Hörer heraus.
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Im Gegensatz zu Shadow, der immer ein großes Geheimnis aus seinen Sample-Quellen gemacht hat, listet ihr im Booklet jedes einzelne Schnipsel mit exakter Herkunftsangabe auf. Warum?
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Martin: Das gebietet der Respekt vor den Musikern, die die Originale geschaffen haben. Wenn man die Urheber verschweigt, dann beansprucht man den vollen Credit für sich. Wir sehen uns aber als Botschafter dieser Musik. Wir samplen ja am Liebsten ganz seltsames Zeug. Aber es gab noch einen zweiten Grund: Wir haben versucht, die kompletten Rechte zu klären. Das war schlicht unmöglich, die Industrie ließ es nicht zu. Da wir in Dänemark eine gewisse Popularität genießen, war es unmöglich, die Samples einfach zu benutzen, ohne dass es jemandem auffallen würde. Also wendeten wir die Situation ins Gegenteil, verschenkten das Album und gaben Credits an alle Urheber.
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Simon: Es samplet doch sowieso jeder. Nur dass wir es eben offen sagen. Viele andere sagen nichts und kommen damit durch, wir hingegen stehen dazu.
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Martin: Natürlich kann man nicht einfach das Werk eines anderen nehmen und damit Geld verdienen. Das verstehen wir voll und ganz. Das Problem ist, dass man all diese Samples unmöglich klären könnte. Es sind so viele unterschiedliche Quellen aus so vielen Ländern. Der Aufwand wäre immens.
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Simon: Es würde Jahre dauern und es wären unfassbare Kosten, die wir uns niemals leisten könnten, selbst wenn es zeitlich machbar wäre. Und am Ende verdienen daran nicht die Komponisten oder Musiker, sondern die Plattenfirmen und Verlage.
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Martin: Aber Sampling wird nicht verschwinden. Die jüngere Generation hat da überhaupt kein Unrechtsbewusstsein mehr, im Gegensatz zu uns. Die nehmen sich einfach, was sie wollen. Urheberrecht interessiert die einen Scheiß.
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Besitzt ihr jede Platte, die ihr gesamplet habt?
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Martin: Beinahe. Wir haben sehr viel Zeit auf Blogs verbracht und dabei ein digitales Archiv aufgebaut. Ein Jahr lang haben wir hunderte Platten durchgehört und MP3-Samples herausgeschnitten. Aus diesen Files haben wir das Album gebaut und gleichzeitig die ganzen Originalplatten in der ganzen Welt eingekauft. Manche haben wir einfach nicht gefunden, andere kosteten mehr als 3.000 Euro. Aber in den letzten Monaten des Albumprozesses haben wir fast alle MP3-Schnipsel durch Samples von den Originalplatten ersetzt. Das war richtig irre Arbeit
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Simon: Gleichzeitig hat es unseren Horizont sehr erweitert, weil wir extrem viel neue Musik kennengelernt haben. Im Internet gibt es einfach so viele Nerds, die richtig rares und obskures Zeug posten.
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Martin: Dadurch kamen wir auch mit vielen spannenden Menschen in Verbindung. Digging bedeutet heute eben etwas anderes als im Plattenladen rumzuhängen. Allerdings bedeutet einem das Sample von einer raren griechischen Platte, das man auf einer Reise in einem seltsamen kleinen Second-Hand-Laden gefunden hat, immer noch mehr als das MP3-File, das man von einem Blog gezogen hat. Vinylplatten anzuhören macht mir einfach auch immer noch mehr Spaß, als bei iTunes auf »Play« zu drücken.
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Alle drei »Lektionen« von Den Sorte Skole können auf der Website der Band heruntergeladen werden: http://densorteskole.net