Amilli »Die sehen mich als kleine, süße Sängerin, die keine Ahnung hat.«

Der Sängerin Amilli aus Bochum wird eine große, internationale Zukunft vorausgesagt. Sie selbst wünscht sich ein organisches Wachstum ihrer Karriere. Zwei EPs hat sie bereits veröffentlicht und war mit AnnenMayKantereit und Giant Rooks unterwegs. Till Wilhelm hat mit ihr gesprochen.

Amilli

Für gewöhnlich ist Bochum nicht als Musikmetropole bekannt. Schaut man sich die Tourstopps deutscher Bands und Rapper:innen an, wird auffallen, dass der Name dieser Stadt hier allzu oft nicht aufgeführt wird. Doch vielleicht gerade deswegen bewegt sich etwas in der Kleinstadt im Ruhrgebiet. Wellen schlägt seit einiger Zeit beispielsweise Serious Klein, ein Rapper, der viel mehr nach dem kalifornischen Label Top Dawg Entertainment klingt als nach grauer Industrie und Starlight Express. Und spätestens seit dem 06. Dezember 2018, an dem ihr der Förderpreis der 1LIVE Krone zuteil wurde, gibt es da: Amilli.

Gerade mal 20 Jahre ist die Sängerin heute alt, aus deren Musik wohl niemand schließen könnte, dass sie einer mittelgroßen deutschen Stadt entstammt. Mit einem ausgezeichneten Gespür für Melodien erinnert ihr Sound an Sommertage in Los Angeles, an die bittersüße Leichtigkeit Lana Del Reys oder die rhythmischen Eigenheiten eines Anderson .Paak. Ihre Laufbahn der letzten zwei Jahre ist beeindruckend: Zwei EPs, Festivalgigs und Supportshows für AnnenMayKantereit und Giant Rooks. Im Gespräch mit ALL GOOD-Autor Till Wilhelm erzählt sie von den Momenten, in denen ihr bewusst wurde, wie groß das jetzt alles wird und dem Gefühl, auf diesem Weg verloren zu sein. Außerdem geht es um ihre neue EP »Pulling Punches« und eine Jugend, die schon immer viel mehr auf YouTube stattgefunden hat als in der lokalen Musikszene.

  • Hat deutschsprachige Musik überhaupt eine große Rolle in deinem Aufwachsen gespielt?

  • Nein, gar nicht. Ich habe immer HipHop, Soul und R&B gehört, alles englischsprachig. Deswegen war es sehr natürlich für mich, auf Englisch zu singen. 

  • Was war das erste Album, dass dich wirklich geprägt hat?

  • Das müsste »Good Girl Gone Bad« von Rihanna sein. Das war meine erste CD. Die habe ich von meinem Papa geschenkt bekommen. Auch das erste Coldplay-Album war wichtig für mich. Das habe ich über meinen Bruder kennengelernt. Wir hatten beide einen iPod, synchronisiert mit der gleichen Mediathek. So habe ich immer gehört, was er gehört hat. Neue Musik habe ich vor allem über meine Freund:innen mitbekommen. YouTube war ja auch schon groß, als ich aufgewachsen bin. Dort habe ich neue Musikvideos gesehen. Musikfernsehen und Radio waren vor meiner Zeit wichtig, das habe ich gar nicht mehr richtig mitbekommen.

  • Gibt es in deinem Heimatort Bochum eine Musikszene?

  • In Bochum ist man nicht so richtig vernetzt. Man hat immer mal mitbekommen, dass jemand rappt oder in einer Schulband spielt, aber ich war nie viel in Kontakt mit anderen Künstler:innen in der Stadt.

  • »Es macht einen Unterschied, ob man in Bochum ist oder in Berlin.«Auf Twitter teilen
  • Was macht die Abgeschiedenheit in Bochum mit deinem Sound?

  • Es macht einen Unterschied, ob man in Bochum ist oder in Berlin. Dort gibt es nicht so viele Leute, die musizieren. Dadurch gibt es nicht so viele Leute, mit denen man sich vergleichen kann. Gerade deswegen waren wir sehr losgelöst und konnten auf unseren eigenen Taste hören, denke ich. Es gab wenig Beeinflussung von außen. Keine Ahnung, wie die Musik klingen würde, wenn ich in Berlin wäre. 

  • Die »Süddeutsche Zeitung« schrieb, in den USA wärst du wahrscheinlich schon ein kleiner Star. Ist es das, wo du hinwillst?

  • Ich setze mir normalerweise keine großen Ziele, ich gehe eher mit dem Flow. Klar wäre das großartig, sich eine internationale Karriere aufzubauen, da gehören die USA dann auch dazu. Aber ich muss das nicht erzwingen. Mein Weg bis hierhin ist sehr zufällig entstanden, ich hatte keine Ambitionen, bekannt zu werden. Auf Bühnen zu stehen, war nicht unbedingt ein Kindheitstraum. Auf der anderen Seite kann ich mir heute nichts anderes vorstellen. 

  • Wann war der Moment, als du gemerkt hast: »Fuck, das könnte jetzt groß werden.«?

  • Das war sicher der Tag, an dem ich die 1LIVE-Förderkrone verliehen bekommen habe. Am nächsten Tag bin ich aufgewacht und konnte es immer noch nicht ganz glauben. Als ich im Dezember 2019 meine erste eigene Tour gespielt habe, habe ich auch nochmal gemerkt, dass sich da eine richtige Karriere aufbaut. Eine Show zu spielen, ist ganz anders, wenn du weißt, dass alle Leute, die da sind, wegen dir da sind. Die haben sich Tickets gekauft, nur um mich zu sehen. Die konnten meine Texte auswendig. Das ist schon krass. 

  • Ist es daraufhin vorgekommen, dass du dich überfordert gefühlt hast mit deiner Karriere?

  • Auf jeden Fall. Die fünfte Show, die ich in meinem Leben gespielt habe, war als Support für AnnenMayKantereit. Das war deren Clubtour – 300 Zuschauer:innen. Wenn man kein extrovertierter Mensch ist, ist das nicht ganz einfach. Man muss erstmal lernen, auf der Bühne selbstbewusst rüberzukommen. Das ist nochmal schwerer als Vorband, weil die Hälfte der Leute sich nicht für dich interessiert. Das Publikum hat aber nicht schlecht reagiert. Beim Support für Giant Rooks war’s aber noch ein bisschen besser. Trotzdem gab es einige Momente, in denen ich nicht sicher war, ob das, was ich mache, Sinn ergibt. 

  • »Ich hatte Zweifel, ob ich gut genug bin für diese Karriere.«Auf Twitter teilen
  • Hast du Erfolgsdruck verspürt? 

  • Gerade bei den ersten Auftritten habe ich viel Druck von außen gespürt. Von Show zu Show habe ich dazugelernt. Es gab schon einige mentale Zusammenbrüche, das war aber eher zweitrangig, ich habe mir eher selbst Druck gemacht. Ich hatte Zweifel, ob ich gut genug bin für diese Karriere. Das wurde dadurch verstärkt, dass ich das alles nicht wirklich geplant hatte. Aber dementsprechend war ich nie enttäuscht, dass meine Musik nicht über Nacht durch die Decke gegangen ist. Ich finde es schön, wenn das organisch wächst. Ich bin unabhängig von Hypes. 

  • Welche Rolle spielt dein Kollektiv MIGHTKILLYA, wenn du an dir zweifelst?

  • Wir machen alles zusammen. Das ist meine Band, aber auch mein Management, wir machen die Videos zusammen, die Leute kommen mit auf Tour. Dadurch sind immer Leute dabei, die mich auffangen können, wenn ich mich verloren fühle. Das sind meine besten Freunde, das gibt mir Sicherheit.

  • Hast du in deiner Jugend viele Konzerte besucht? 

  • Ich war nie die krasse Konzertgängerin. Ich war noch nie privat auf einem Festival, bevor ich dort selbst gespielt habe. Ein paar HipHop-Konzerte habe ich schon mitgenommen. Ich konnte dabei aber kaum vom Zuschauen lernen. Das sieht natürlich immer viel einfacher aus, als es dann ist, wenn man selbst auf der Bühne steht. Wenn ich jetzt Konzerte sehe, fällt mir aber schon vieles auf. Mittlerweile inspiriert es mich, andere auf der Bühne zu sehen. Das musste ich aber erstmal selbst erlebt haben. 

  • Deine neue EP »Pulling Punches« ist jetzt seit einigen Wochen draußen. Gab es internationales Feedback?

  • Mir haben super viele Leute geschrieben. Ich freue mich sehr, dass meine Fans erkennen, dass ich mich weiterentwickelt habe. International kam auch einiges. Letzte Woche hat mir beispielsweise eine Engländerin geschrieben, sie hat sich gerade von ihrem Freund getrennt und wollte mir mitteilen, wie gut ihr die EP geholfen hat. Ich achte aber normalerweise nicht so stark auf die Statistiken. Ich check jetzt nicht den ganzen Tag meine Instagram-Insights, um zu sehen, wie sich meine Follower:innen international verteilen. 

  • »Ich komme jetzt langsam dazu, mehr Persönliches in der Musik zu verarbeiten.« Auf Twitter teilen
  • Gerade der Titelsong handelt von einem Ausbruch aus der Depression und Enge. Das passt ja fast eher noch an den Beginn deiner Karriere, noch vor »Wings«, oder?

  • Stimmt. In »Wings« geht es ja schon um den Aufbruch und den Erfolg. »Pulling Punches« ist eigentlich ein Storyteller. Es geht um eine Frau, die in einer sehr toxischen Beziehung steckt und es nicht schafft, sich zu wehren. Ich komme jetzt langsam dazu, mehr Persönliches in der Musik zu verarbeiten. Dazu hat mir zu Beginn der Mut gefehlt. Es ist aber nicht so, dass es mir leichter fällt, in andere Rollen zu schlüpfen. 

  • Hast du dich von Anfang an wohlgefühlt in dieser doch recht männerdominierten Musikindustrie?

  • Ich habe sehr viele coole Menschen kennengelernt und Freundschaften geschlossen, das ist mega schön. Es gibt aber auch sehr viel Druck und einige komische Leute. Ich habe aber sehr oft gemerkt, dass ich nicht ernstgenommen werde. Gerade bei Liveshows. Du kommst in der Venue an und jedes Kabel, das du anfasst, wird dir aus der Hand gerissen. Die sehen mich als kleine, süße Sängerin, die keine Ahnung hat. Dabei bin ich eine richtige Musikerin. Ich versuche dann, schlagfertig zu bleiben. Es ist auf keinen Fall so, dass ich das in mich rein schweige.

  • Du orientierst dich auch bei dieser EP wenig an dem, was in der deutschen Szene so geht. Wo sind die Songs entstanden?

  • »I’m Not Tryna Be Your Girl« und »Alone In The Rain« sind in Los Angeles entstanden. »Green Eyes« haben wir im Sauerland gemacht. Da gibt es ein kleines Häuschen, zu dem wir hin und wieder fahren, um Songs zu schreiben. Das bringt sehr viel, weil ich dort keine Ablenkung habe. Das ist dann eine losgelöste Situation, in der es leichter fällt, auf die eigenen Erfahrungen zu blicken. Dort sind wir dem Alltag entrückt. Sonst schreibe ich meistens zu Hause, aber dort ist es schwerer, die Dinge von außen zu betrachten, Abstand zu gewinnen. 

  • »Es fehlt an Input, man lebt zu wenig.«Auf Twitter teilen
  • Hat es sich anders angefühlt, in Los Angeles Musik zu machen?

  • Ich war zum ersten Mal in L.A. Wir haben das als Urlaub betrachtet. In dem Haus, in dem wir gelebt haben, haben wir dann verschiedene Studiostationen aufgebaut und wirklich den ganzen Tag musiziert. Mit schönem Blick über L.A., richtig dekadent. Die Stadt hat einen ganz besonderen Vibe. Man merkt, dass die Musik, die man normalerweise in Deutschland hört, genau dort entsteht. Vielleicht ist es mir dadurch leichter gefallen, die Musik zu machen, die dorthin passt. 

  • Das ist ja auch irgendwie eine absurde Vorstellung im Rückblick. Was hat dieses Jahr mit dir gemacht?

  • Genau vor Corona waren wir in den USA. Drei Wochen später ging es los. Es fehlt mir sehr, Shows zu spielen. Ich hätte eine große Support-Tour gehabt, ein paar eigene Shows, Festivals. Stattdessen habe ich beispielsweise Producing gelernt. Das finde ich sehr cool, jetzt kann ich mich in den Sessions mehr einmischen, Demos gleich zuhause alleine machen. Ich habe versucht, viel Klavier zu spielen und Songs zu schreiben. Das ging aber nur begrenzt. Es fehlt an Input, man lebt zu wenig. Wenn man tagelang zuhause sitzt, fehlt die Inspiration. Aber einige neue Tracks sind durchaus entstanden. Ansonsten habe ich wirklich kaum etwas gemacht. Einmal sind wir noch ins Sauerland gefahren. 

  • Was würdest du machen, wenn es mit der Musik nicht klappt?

  • Ich mag Kinder sehr gerne. Bevor es richtig losging mit der Musik, hatte ich ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Kindergarten angefangen. Ich würde die beiden Felder, Musik und Kinder, verbinden. Einen Chor leiten, Klavierunterricht geben, das könnte ich mir vorstellen. Aber erstmal liegt der Fokus auf dem Projekt Amilli.