Roe Beardie »Die Musik sollte so sein, dass die Rapper nicht nur darauf überleben, sondern strahlen konnten.« — Teil 1/2
Ob nun MZEE, Walkin‘ Large, »King Of Rap«, »Steig ein«, »Fuffies im Club«, »2 McRip, Bitte!« oder – alle Jubeljahre wieder – »Spüre diesen Groove«. Wer Rap aus Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten auch nur mit einem halben Ohr verfolgt hat, kennt die Produktionen aus dem Hause Headrush. Mitte der Neunziger sorgte Roman »Roe Beardie« Preylowski als Haus-&-Hof-Engineer von Akim Waltas‘ Label MZEE dafür, dass es HipHop hierzulande überhaupt mal aufs Acetat schaffte, bevor er mit Ono und DJ Ara als Walkin‘ Large englischsprachigen Boom Bap auf internationalem Niveau vom Stapel ließ. Zum bekanntesten Ghostproducer Deutschlands wurde Roman mit dem Plattenpapzt-Album »Full House« (Wobei: So »Ghost« nun auch wieder nicht: er sitzt auf dem Cover hinten links im Bild). Später förderte Headrush die halbstarken Ausnahmerapper vom Stammtisch, entwickelte eine komplett neue, elektronisch-verspulte Musiksprache für Rap mit einem blutjungen Olli Banjo und lancierte die nach wie vor besten Songs aus Sidos Diskographie. 2010 wurde Roman, der mit dem Persönlichkeitskult heutiger Beatheads nie sonderlich viel am Hut hatte, von einer Fachjury der »Juice« zum besten Beat-Schmied der Deutschrap-Geschichte gewählt.
Julian Brimmers hat mit ihm gesprochen. Ausführlich. So ausführlich, dass wir das Interview in zwei Teilen veröffentlichen – und den geschichtsträchtigen Bildern dazu eine eigene Bildstrecke widmen. Zwanzig Jahre deutscher HipHop in einer Nussschale, Teil 1 – here we go:
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Du masterst gerade ein jazz-lastiges Instrumental-Album. Davon gab es zuletzt wieder einige. Wenn du an solchen Alben arbeitest, hast Du nicht das Gefühl, dass sich alles im Kreis gedreht hat?
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Kommt mir teilweise so vor, ja, aber das ist bei allen Musikrichtungen so. Ich freue mich dann eher. Wenn man bedenkt, dass man damals an einer Stilistik Spaß gefunden hat, die heute aufgegriffen wird, dann gibt das dem eigenen Lebenswerk doch auch eine größere Bedeutung.
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Für euch war es doch vielfach schwerer, so zu produzieren.
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Das ist ein bisschen die Kehrseite der Medaille, dass heutzutage beliebig schnell und ohne »dues payin’« jeder produzieren kann – soviel zur verknöcherten Sichtweise eines alten Mannes, der sich mit der neuen Software nicht mehr auseinandersetzen möchte. Ich hätte es damals gern genauso, ohne die technischen und finanziellen Hürden, gehandhabt. Equipment kaufen, Schallplatten kaufen, et cetera. Wenn ich jetzt 20 wäre und jemanden wie den Ono kennenlernen würde, würden wir auch nicht der »reinen Lehre« huldigen und die MPC rauskramen (lacht).
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Du bist Düsseldorfer, Ono und DJ Ara kommen aus Wuppertal. Wo habt ihr euch kennengelernt?
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Ganz klassisch, in Wuppertal auf einer Jam. Die beiden waren 16 oder 17, ich vielleicht 21.
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Hast du das Tramperticket und solche Späße mitgemacht?
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Diesen ganzen Jam-Zirkus mit am-Bahnhof-pennen habe ich nie mitgemacht, nein. Ich habe aber auch weder gebreakt noch gesprüht. In der Zeit, in der die anderen versucht haben, alle vier Elemente zu erlernen, habe ich Sommerjobs gehabt und Equipment gekauft. Ich habe kein Instrument gelernt, mein erster Sampler war also der Eintritt dazu, fremdes Eigentum zu nutzen. Dazu hatten wir den Atari als Sequenzer, davor sogar noch den ALESIS MMT-8 Hardware Sequencer.
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Walkin’ Large war also eine Fernbeziehung.
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Halb-Halb. Ich weiß gar nicht, warum ich auf einmal in diese Rolle des älteren Producers reingerutscht bin. Damals gab es nicht wirklich Hierarchien. Auf jeden Fall habe ich den Jungs damals gesagt: »Ihr seid schon geil, aber noch nicht soweit. Meldet euch in einem Jahr bei mir.« Und exakt ein Jahr später, auf den Tag genau, ruft der Ono bei mir an! (lacht) Das hat er sich gemerkt, notiert und gedacht »Dann melden wir uns da!«.
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Wo habt ihr aufgenommen?
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Wir hatten damals als Headrush bereits ein Studio angemeldet, nicht für Walkin‘ Large, sondern für Akim Walta (Gründer von MZEE, Anm. d. Red.). Als der mit seinem Label durchgestartet ist und »Die Klasse von ’95« geplant hat, mussten wir aus einem Wohnhaus-Studio unterm Dach in einen Hinterhof ziehen, damit wir so etwas wie einen Kundenbetrieb aufrechterhalten konnten.
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Wegen der Lautstärke?
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Ja, und du konntest halt an den Tags im Stromkasten genau sehen, wer da gewesen war. Damals war Headrush noch ein Drei-Mann-Team, der dritte war DJ 2-Fresh-T, einer von den ganz frühen Jungs. Als das HipHop-Ding noch richtig subversiv war, war der schon mit Troop-Anzug im Ratinger Hof unterwegs. Der hatte in diesem Haus gewohnt; alles was also Scheiße gelaufen ist, fiel auf ihn zurück. Jedenfalls waren wir in Deutschland damals die bestausgestattetsten Vögel und für Akim der perfekte Partner. Er wusste, er konnte uns seine Künstler schicken – und dass dabei schon irgendwas Verwertbares, sprich: eine Platte, rumkommen wird. Somit war ich mit Anfang 20 neben meiner eigenen Musik mit Walkin‘ Large für lange Zeit der Haus-und-Hof-Engineer für die deutschen HipHopper. Es gab halt keinen anderen.
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Du sprachst mal von der damaligen Möglichkeit, Zitat: »mittelständische Erträge zu erwirtschaften«. Wann ging das bei euch los?
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Als die großen Plattenfirmen HipHop entdeckten. Am Anfang gab es als Bezahlung halt 80 Mark im Umschlag, für die wir neue DAT-Kassetten gekauft haben. Das war ja auch kein Problem – bereits Akim hat völlig okay bezahlt und wir haben Zivi gemacht oder zuhause gelebt. Dass man aber über Urheberrechte Geld mit Musik verdient hat, ging los, als die Majors mit Demo- und Remix-Budgets anfingen.
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Aus dem Rheinland müssten die ersten mit Major-Deal doch DCS gewesen sein, oder?
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Genau, schöne Steilvorlage. Die haben auch alles exklusiv bei uns gemacht. Das war insofern cool, weil man einfach mal acht oder neun Monate am Stück eine Platte im Studio machen konnte – wie es sich gehört, finde ich. Da konnten wir regelmäßig Rechnungen an einen Medien-Großkonzern schicken und uns den ersten Firmenwagen leisten. Walkin‘ Large hatte vor allem hinsichtlich der Wahrnehmung meiner eigenen Sachen einen anderen Stellenwert. Davor hab ich unter meinem Namen bloß mal Remixe für irgendwelche Kanadier über Groove Attack gemacht.
- »Dann ging es aber los mit dem ›Andreas Herbig Smoove R&B Remix‹ und besagtem Netzhemd-Video. Ich glaube, das hat Walkin’ Large die Kredibilität gekostet.«Auf Twitter teilen
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Erzähl doch mal wie Jeru The Damaja auf Eurem ersten Album »Riverside Pictures« gelandet ist.
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Da fühlten wir uns bestärkt durch ein Pete Rock-Interview im Prinz-Magazin. Dort wurden ihm deutsche Rapsongs vorgespielt, die er durch die Bank nicht so toll fand – nur bei einem, von uns, ist er angeblich ausgerastet. Da stand dann: »Pete Rock (laut schreiend): Eine 10, eine 10!« – also volle Punktzahl. Uns Milchbubis, die wir als Künstler und Labelmenschen ja immer noch waren, hat das dermaßen die Egos geboostet, dass Groove Attack auf doof Beats zu seinem Label Payday geschickt hat. Danach wurde noch frech bei den D&D Studios angerufen – also die heiligen Hallen infiltriert. Die Hemmschwelle war zu Prä-Internet-Zeiten noch riesig. New York war der Olymp, D&D ein Zimmer im Olymp und die Rapper eben Götter. (lacht) Von Payday hieß es dann direkt »Danke, alles kacke.«. Die haben genau die Arroganz an den Tag gelegt, die man auch erwartet hätte. Die waren ja der heiße Scheiß damals. Aber den einen Beat da, den fänden sie doch ganz okay, den würde Jeru berappen. Natürlich zu seinen Konditionen: Aufnehmen wollte er nur im D&D…
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Ihr seid rübergeflogen?
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Ja, wir sind rüber. Und natürlich wollte der auch 5.000 Dollar für seinen Part, was damals wahrscheinlich sogar fair war. Dann wollte Jeru aber unbedingt auch noch scratchen. Die Studio-Uhr lief und er meinte, er müsste noch dilettantisch am Plattenspieler rumwerkeln. Zum Engineer, Joe Quinde, meinte er dann: »Mach‘ mal, dass das gut klingt, so wie bei Evil D.« Das war sogar noch ein Seitenhieb gegen Evil D., so nach dem Motto »Ich bin der große Zampano und wenn diese komischen Polen das hier alles bezahlen, kannst du bei mir auch machen, dass es schön klingt!«. (lacht) Der hat schon richtig den Larry raushängen lassen. Er hat auch nur zwei mal gerappt und sich prompt für den beschisseneren zweiten Take entschieden. Ich bin an dem Tag mehrfach innerlich zusammengebrochen.
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Das war dein erster New York-Trip?
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Genau, und der Trip an sich war ja auch unfassbarer Wahnsinn. Wir haben Guru getroffen, der kam richtig »Hallo« sagen, war sehr höflich und interessiert. In Premiers Raum haben wir uns nicht getraut. Lil‘ Dap hing breit wie die Haubitze am Getränkeautomaten und hat Ono, Richard Wernicke und Frank Stratmann vollgelabert, ob er auch was machen dürfe.
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Rappen war bei dem ja manchmal schwierig…
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(lacht) Ganz schwierig, ja!
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Mit den Roots habt ihr später auch was aufgenommen…
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Genau, das war für unser zweites Album »Self« im Jahr 1999. Den Song mit Black Thought haben wir recordet, als die Roots hier auf Tour waren. Der kam zu uns ins Studio um einzurappen. Dann wollten die Roots dafür aber noch einen Remix machen. Der damit verbundene Aufwand war ein ziemlicher Kulturschock für uns. Wir hatten damals schon lange mit Zip-Cartridges und Pro Tools gearbeitet, die Amerikaner wollten das Ganze aber mit Bandmaschine machen. Wir mussten uns dafür noch mal in ein anderes Studio einmieten und alles verschicken. Ich unterstelle mal, dass die Roots noch ein bisschen mehr Geld aus dem Projekt schlagen wollten – von den 5.000 oder 7.000 Mark, die Black Thought bekam, hatte der Rest ja nichts. Vielleicht kam der Vorschlag aber auch von Groove Attack, um die Wertigkeit der Single international zu erhöhen, das weiß ich nicht. Jedenfalls war das richtig teuer alles – die Maxi hatte insgesamt 35.000 Mark auf der Uhr. Das dürfte das letzte Mal gewesen sein, dass man so etwas in der Form mit einem Act dieser Größenordnung machen durfte.
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Meine Erinnerungen an »Self« sind vor allem die Videos zu »Boy Meets World«, die Frisur von Brixx und »The Rise«. Ono hatte da, glaube ich, ein weißes Netzhemd an.
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Ich erinnere mich, dass »Self« ziemlich zerstückelt war. Ono und Ara hatten mittlerweile auch ein paar eigene Beats gemacht, sodass ich bei manchen Songs eher Overseer und Studio-Produzent war. Im Endeffekt haben bei der Platte aber drei Faktoren nicht gestimmt: Erstens die Erwartungshaltung eines Majors wie Warner, zweitens das bisherige Image der Band, und drittens das neu aufkommende Bewusstsein bei Ono und Ara, selbst Musik machen zu wollen. Mir klingen heute noch die Worte unseres supernetten und bemühten A&Rs Markus Bruns in den Ohren: »Jungs, wir brauchen eine Single, bei der die Sonne aufgeht!« Völlig verständlich, aber aus HipHop-Sicht taten wir uns schwer. Die Majors waren damals total szenefremd. Denen ging es um Airplay, Radio und Musikfernsehen. Die erste Version von »The Rise«, die Constantin (DJ Ara, Anm. d. Red.) gemacht hat, war der Hammer. Ich habe da nur eine Bassline zugespielt, Brooke hat schön gesungen – das war alles fresh. Dann ging es aber los mit dem »Andreas Herbig Smoove R&B Remix« und besagtem Netzhemd-Video. Ich glaube, das hat Walkin’ Large die Kredibilität gekostet.
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Es sagt viel über das Selbstverständnis der damaligen Szene aus, dass man mit einer Rap-Platte aus Deutschland, auf der J-Live und Black Thought gefeaturet wurden, Kredibilität einbüßen konnte.
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Aber so war’s. »Boy Meets World« war zwar auch jiggy, aber dreckig. Das konnte auch keiner remixen, weil niemand mit Brixx‘ Tonalität klarkam. Jedenfalls waren damals zu viele Köche, sprich Entscheidungsträger, am Werk. Es kam zu ersten Zerwürfnissen. Danach war allen Beteiligten klar: So machen wir erst mal gar keine Platte mehr.
- »Geil, wir fahren zum Plattenpapzt, der hat ‚ne super Wohnung und die Playstation ist an.«Auf Twitter teilen
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2000 kam dann »Full House«. Es wurde viel darüber spekuliert, was Plattenpapzt an seinem eigenen Album eigentlich gemacht hat. Die Beats kamen alle von dir, oder?
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Meines Erachtens war »Full House« die perfekte Arbeitsteilung. Ich war nie der Plattendigger und niemals DJ. Wir brauchten uns gegenseitig, also mussten wir uns immer verabreden, um am Album zu arbeiten. Jörg (Plattenpapzt, Anm. d. Red.) kümmerte sich darum, dass die ganzen Vögel bei uns antanzten. Abends haben wir zusammen Samples durchgehört. Alleine hätte keiner von uns beiden diese Platte machen können. Jörg war der Schirmherr, hat die ganzen Rapper persönlich gekannt und eingeladen. So eine Produktion erforderte ja gehobenes Gastgebertum. Und wenn die Spezializtz kommen, brauchen die ihr Gras und ihren Whiskey. Jörg hat den Leuten das Gefühl gegeben »Geil, wir fahren zum Plattenpapzt, der hat ‚ne super Wohnung und die Playstation ist an.« Das war die perfekte Basis, um mir wiederum das Gefühl zu geben, ebenfalls jeden Tag abliefern zu müssen.
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Glaubst Du, die Tatsache, dass du selbst nie groß nach Samples gediggt hast, hatte Einfluss auf den elektronischen Einschlag deiner Beats in den Nullerjahren?
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Bestimmt sogar. Ich habe wenig andere Musik gehört, war gleichzeitig aber schon zufrieden mit meiner eigenen kleinen Musikwelt. Diese verrückteren Beats kamen auch zustande, weil dieses Samplesuchen, Beat drunterlegen und einspielen der Bassline für mich zu Ende war. Andere kamen von der Maloche oder aus der Uni und haben sich abends aufs Musikmachen gefreut und pro Jahr zwölf gute Beats geschustert. Ich musste pro Woche zwölf Beats abliefern und irgendwann hing es mir zum Hals raus. Hinzu kam die Sample-Clearance-Sache. Selbst für Fresh Familee bekamen wir schon Post von irgendwelchen amerikanischen Anwälten, die 20.000 Mark wollten. Bei »Full House« fing es so langsam an, dass ich aus der Not heraus meine eigene musikalische Sprache entwickelte. Was kaum einer weiß: das sind ja alles Remixe. In 90 Prozent der Fälle haben die MCs auf andere Beats aufgenommen. Bei den meisten kam das super an. Ein, zwei Kandidaten waren todunglücklich. Bei Wasi gab es Tränen über seinen Song mit Afrob. Brixx war auch etwas traurig, weil sie den ersten Beat selbst an der MPC gemacht hatte. Dennoch würde ich rückwirkend sagen, »Full House« war eine meiner besten Produktionen.
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Inwiefern?
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Jetzt kommen wir langsam zum »zerberstenden« Teil des Interviews. (lacht) Ich würde behaupten, dass sich damals niemand wirklich mit der musikalischen Performance-Kunst, die Rap ja ist, auseinandergesetzt hat: ob der Beat zum Rapper passt, ob der MC sich darauf entfalten kann und ob dieses feine Mikro-Timing, also die Silben in Kombination mit den Drums und dem Sample, wirklich stimmig ist. Das war meine alleinige Wissenschaft. Ich habe mich in diesem Zeitraum mehr mit Flow auseinandergesetzt, als jeder Rapper in Deutschland. Curse und all diesen Leuten war wichtig, was sie sagen, was ihr Image ist, welche Beats knallen. Aber niemand hat versucht, das Ganze aus diesem esoterischen Jazz-Verständnis heraus zu zerpflücken und zu ergründen, warum ein Rapper auf einem Beat jetzt wirklich geil ist. Wir schon. Und das ist auch der Grund, warum »King of Rap« so geworden ist, wie es ist. Ein weiterer Stolperstein waren die verschiedenen Skill-Levels auf der Platte. Curse neben Harris auf einem Album! (lacht) Wir sind das angegangen, wie Premo ein »Group Home«-Album. Die Musik sollte so sein, dass die Rapper nicht nur darauf überleben, sondern strahlen konnten. Jörg hat das gespürt und mir freie Hand gelassen. So kam es dazu, dass ich die musikalische Umsetzung von »Full House« im Alleingang gemacht habe – weil er eben wusste: ich bin gerade on some other shit.