Michael Münch »Der deutsche HipHop hatte seine Ups and Downs.«
Mit »Wenn der Vorhang fällt« hat der Filmemacher Michael Münch eine Doku produziert, die die Geschichte von deutschem HipHop mit den Worten der Protagonisten erzählt.
Knapp drei Jahre hat Michael Münch an der Doku »Wenn der Vorhang fällt« gearbeitet – erst wollte er der Frage auf den Grund gehen, wieso deutscher HipHop momentan solche Erfolge feiert. Am Ende sind es 75 Minuten geworden, die die 30-jährige Genre-Geschichte aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten. Für den Film hat Michael Münch mit etlichen Rappern aus ganz verschiedenen Generationen gesprochen – Max Herre, Prinz Pi, Sido, Marteria, Blumentopf, Toni L, Moses Pelham, Nate57, Chefket, Afrob, Main Concept, MC Rene, Fatoni, Samy Deluxe, Stieber Twins und vielen mehr. »Wenn der Vorhang fällt« ist dabei nicht einfach nur ein historischer Abriss der Geschichte von deutschem HipHop geworden, sondern zeigt darüberhinaus, dass das Genre mittlerweile viel zu komplex ist, um seine Historie mit nur einer Stimme zu erzählen. Der Trailer wurde gerade releast, in Kürze feiert der Film in München Premiere und geht im Anschluss in Deutschland und international auf Festival-Tour. Wir haben dem Macher Michael Münch ein paar Fragen gestellt.
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Um was geht es in »Wenn der Vorhang fällt«?
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In der Dokumentation geht es darum, die Entwicklungen und Geschehnisse der deutschen Rap-Geschichte aus Sicht seiner Protagonisten zu erzählen. Wir haben mit vielen bekannten deutschen HipHop-Musikern Interviews über die Besonderheiten des Genres führen können. Dabei ist eine Erzählung entstanden, die ziemlich authentisch über die ersten Erfolge, das erste Geld und die ersten Enttäuschungen berichtet. Man könnte fast sagen, dass es eine Coming-of-Age-Geschichte ist, wenn man deutschen Rap als Gesamtwerk vieler Künstler betrachtet.
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Wie lange habt ihr an dem Film gearbeitet und wie habt ihr den Film finanziert?
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Die Dokumentation wurde komplett privat von mir finanziert. Mein Steuerberater findet das natürlich nicht so witzig, aber beim Film muss man eben auch einiges in die Waagschale werfen. Ich muss aber dazu sagen, dass ich unglaublich viel Unterstützung von meinem Team erhalten haben, die alle kostenlos mit mir zusammengearbeitet haben, weil sie mir vertrauen und wussten, dass ich dieses Projekt bis zum Ende durchziehen werde. Dann kam noch dazu, dass wir vom Kamerahersteller ARRI die Chance bekommen haben, mit einer AMIRA-Kamera zu drehen. Die Kamera war brandneu damals und wurde speziell für solche Art von Point-and-Shoot-Drehs konzipiert. Das war echt eine geile Sache.
Im Jahr 2010 habe ich zum ersten mal während einer langen Reise darüber nachgedacht, welches Thema mich wirklich über einen längeren Zeitraum faszinieren würde. Letztendlich bin ich immer wieder bei der Musik gelandet. Über ein bis zwei Jahre hat sich dann der Wunsch gefestigt, Rap als Genre hierfür zu nehmen. 2013 habe ich etwa ein Jahr mit Vorbereitungen, Recherchen und Kontaktaufnahmen verbracht. In drei Drehblöcken haben wir von Sommer 2014 bis März 2015 gedreht, was eigentlich relativ schnell war. Wie es dann nun mal so ist braucht aber auch alles seine Zeit, sodass wir eben jetzt erst wirklich fertig geworden sind. Manchmal ist es auch ganz gut, ein Werk ruhen zu lassen und ein paar Wochen später wieder drauf zu schauen – fresh eyes!
- »Die Fakten sind der Behälter der Geschichte, aber gefüllt wird er mit den Erinnerungen und Emotionen der Protagonisten.«Auf Twitter teilen
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Gab es bestimmte Fragen, die der Film beantworten sollte?
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Der rote Faden zieht sich entlang der Entwicklungsgeschichte des Raps in Deutschland. Das bedeutet, dass der Film sich sehr auf die in der erzählten Zeit relevanten Fragen bezieht. Es geht also darum, was relevant war in welchem Zeitraum und warum es von den Protagonisten zu diesem Zeitpunkt als relevant empfunden wurde. Die Fakten sind der Behälter der Geschichte, aber gefüllt wird er mit den Erinnerungen und Emotionen der Protagonisten.
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Habt ihr bei der Referenz des Titels bewusst auf eine bestimmte Zeit gezielt, also den großen Hype zum Ende des Jahrtausends?
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Der Titel bezieht sich hauptsächlich auf die Tatsache, dass wir einen Einblick für jeden interessierten Zuschauer schaffen. Es ist die Möglichkeit in eine Welt einzutauchen, die man nicht kennt oder vielleicht sogar sehr gut kennt, die man aber neu erleben möchte. Dieser Satz – »Wenn der Vorhang fällt, sieh hinter die Kulissen« – ist irgendwie auch in mein Hirn gemeißelt. Ich hatte ehrlich gesagt auch nie eine andere Assoziation mit dem Satz außerhalb des bekannten Songs. Erst nachdem meine Eltern mich gefragt haben, was das genau bedeutet, habe ich verstanden, dass es für jeden eine andere Bedeutung haben kann – was ja umso schöner ist, denn jeder Film wird ja von jedem Menschen anders betrachtet. Auf den Hype am Ende des Jahrtausends war es thematisch allerdings nie abgezielt.
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Der Film kommt ohne einen Erzähler, also eine Stimme aus dem Off, aus – was das eine bewusste Entscheidung?
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Ich habe mich bewusst dafür entschieden, keinen Sprecher im Film zu verwenden. Ich möchte, dass die Zuschauer sich voll und ganz auf die Interviewsequenzen einlassen können. Da es in der Dokumentation immer wieder sprechintensive Phasen gibt, wollte ich dem Zuschauer Raum geben, sich in Abständen immer wieder mit seinen eigenen Gedanken und Gefühlen zu dem jeweiligen Themenblock zu beschäftigen. Das ist mir auch bei den Test Screenings aufgefallen, dass sehr viel positiver Redebedarf bei den Zuschauern vorhanden ist – schon während des Films.
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Was ist dein Hintergrund?
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Ich bin in einer Kleinstadt in der Nähe von Heidelberg aufgewachsen. Ich hab schon immer sehr gerne gemalt und mit dem Fotoapparat meines Vaters Fotos gemacht. Mit 15 war ich dann ein Jahr in Minnesota, USA und habe dort den Unterricht »Schulfernsehen« für ein Semester belegt. Seitdem bin ich Feuer und Flamme für Film. Nach dem Abitur bin ich dann nach München gezogen, um ein Studium zu machen. Währenddessen habe ich mich schon selbstständig gemacht und habe immer wieder mit meinen Freunden kleinere Projekte realisiert. Jetzt bin ich schon seit sieben Jahren Freelancer als Filmeditor und arbeite häufig an viralen Projekten für Autohersteller oder mache Portraits von Künstlern. »Wenn der Vorhang fällt« war allerdings tatsächlich mein erstes Projekt, bei dem ich die Produktion und die Regie komplett übernommen habe. Generell war es mein erster Film über 15 Minuten.
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Inwieweit fließt als Filmemacher deine eigene musikalische Sozialisation in so ein Projekt mit ein?
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Mein eigener Geschmack ist ziemlich viel in das Projekt miteingeflossen. Das würde ich jetzt nicht direkt an den beteiligten Künstlern ausmachen, sondern vielmehr an der Erzählweise des Films und am Rhythmus des Schnitts. Ich spiele seit über 20 Jahren Klavier und auf der Gitarre kann ich auch ein bisschen was. Irgendwie hat mich als aktiver Musiker aber die Klassik immer mehr fasziniert als alles andere. Daher habe ich auch das Gefühl, dass die Dokumentation einen klassischen Charakter hat und das Ganze auch zeitlos macht. Ich war natürlich trotzdem mega happy, dass auch viele meiner Lieblingskünstler bei dem Projekt mit am Start waren, keine Frage!
- »Das Ziel war es, einen möglichst großen Querschnitt des Genres mit unserem Cast hinzubekommen.«Auf Twitter teilen
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Wie habt ihr die Künstler ausgewählt, die im Film zu Wort kommen?
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Das Ziel war es, einen möglichst großen Querschnitt des Genres mit unserem Cast hinzubekommen. Die Tatsache, dass ich keinerlei Beziehungen in die Rap- oder Musikszene hatte, kam natürlich erschwerend hinzu. Ich hatte dann auf eigene Faust immer wieder versucht, Manager anzuschreiben und Kontakt zu Leuten herzustellen, die mir vielleicht hätten helfen können. So ergab sich dann über einen gewissen Zeitraum ein immer größer werdendes Netzwerk. Gerne hätte ich noch ein, zwei Rapper aus der Berliner Zeit bekommen, aber manchmal muss man auch akzeptieren, wenn ein Künstler keine Zeit für ein Interview hat. Für die Doku haben wir jetzt aber trotzdem eine tolle Mischung aus alten und jungen Rappern, die auch thematisch ganz unterschiedliche Bereiche abdecken, sodass wir im Film eine große Vielfalt haben.
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Welche Künstler haben dich besonders überrascht, begeistert, fasziniert?
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Es gab schon sehr lustige Begegnungen teilweise auch vor und nach den Interviews. Wenn man nicht aus der Musikszene kommt, dann wundert man sich schon ein wenig, wie klein die Welt am Ende doch wieder ist. Man interviewt Person A, Person B und C sind dann aber auch zufällig da und dann kennt man sich schon. Während den Dreharbeiten war ich eigentlich von jedem Künstler fasziniert. In dem Moment muss ich mich ja auch voll und ganz auf das Gespräch einlassen, damit ich ein gutes Interview bekomme. Da kann man echt schwer sagen, wer jetzt mehr oder weniger überrascht hat. Das hängt auch viel von der Chemie ab. Manche Interviews gingen 30 Minuten, andere gingen 90.
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Was ist dir besonders im Kopf geblieben?
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Die langen Autofahrten mit der Crew, der Gin-Tonic, als wir mit dem ganzen Team in Heidelberg übernachtet haben, und die langen Tage und Nächte während des Drehs. Ich habe ja auch einen ganzen Fragenkatalog im Kopf gehabt, während der Interviews. Meine Crew hat schon nach dem dritten Interview meine Gestik, Mimik und Intonation der Fragestellungen nachgemacht, weil sie schon wussten, was ich frage. Spaß ist mir besonders im Kopf geblieben.
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Kannst du etwas über den Bildstil des Films sagen?
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Wir waren uns von Beginn an sicher, dass wir eine Dokumentation machen wollen, die nicht den üblichen Reportage-Bildern entspricht die man aus dem TV kennt. Wir wollten eine Schippe drauflegen und dem Zuschauer die Chance geben, mit im Raum zu sitzen während der Interviews. Bei den instrumentalen Zwischensequenzen hat man die Chance, seinen eigenen Gedanken freien Lauf zu lassen. Auch hier spielt die Bildqualität und die Kameraführung eine entscheidende Rolle. Unser DOP Heiko Knauer hat wirklich keine Chance ungenutzt gelassen, um die Emotionen einzufangen, die wir haben wollten. Egal ob wir um 4 Uhr Morgens am Hamburger Hafen standen oder mitten in der Crowd bei einem Festival. Wir haben jede Möglichkeit nutzen wollen, um ein gutes Bild zu bekommen. Ich denke also, dass wir den richtigen Grad zwischen schönen cineastischen Bildern und einer seriösen Dokumentation hinbekommen haben.
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Wie hat sich die Ausrichtung des Films im Laufe der Produktion verändert?
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Die Gesamtausrichtung hat sich über den Produktionsverlauf wenig geändert. Wir wollten von vornherein ein klares Bild der Rapszene zeichnen. Manche Dinge kann man aber in der kürze der Zeit nicht recherchieren – besonders wenn man nicht zur Szene gehört. Einige schwierige Stellen, an denen ich manchmal erzählerisch fest hing, haben sich dann auch erst aufgelöst, als ich die Chance hatte, die Insiderinformationen zu bekommen. Unsere Ziele sind auf jeden Fall wie zu Beginn der Produktion: Wir wollten immer ins Kino und ins Fernsehen.
- »Was mir dabei besonders am HipHop gefällt, ist, dass jeder ein Teil davon sein kann.«Auf Twitter teilen
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Welchen Eindruck hast du jetzt nach der Produktion von deutschem HipHop und seiner möglichen Veränderung in den letzten 30 Jahren bekommen?
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Ich finde es spannend, weil ich während der Interviews und der Produktion selbst viel Neues gelernt habe – über Musik, Träume, Wünsche, Ambitionen, egal ob man jetzt Musik macht oder Film oder Kunst. Jeder steckt sehr viel Herzblut in seine Träume und das habe ich eben auch im HipHop wiedergefunden. Der deutsche HipHop, wenn man ihn denn überhaupt pauschalisieren kann, hatte seine Ups and Downs. Ich habe aber das Gefühl, dass jedes Hoch und Tief jeden dazu bringt, weiter an sich zu arbeiten. Was mir dabei besonders am HipHop gefällt, ist, dass jeder ein Teil davon sein kann: der Rapper, der DJ, der Breaker, der DJ, der Produzent, der Journalist, der Veranstalter. »Sei kreativ, hab Spaß« ist ein Zitat aus dem Film. Das beschreibt die 30 Jahre, finde ich, am besten: Spaß.
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Kann die Situation von deutschem HipHop irgendetwas über die gesamtgesellschaftliche Situation aussagen? Wenn ja, was?
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Puh, schwere Frage. Musik ist ja immer ein Spiegel der Gesellschaft, von daher gibt es sicherlich schlaue studierte Menschen, die das gut analysieren können. Genauso wird es die Stammtischler geben, die das ohne großes Hintergrundwissen beantworten werden. Ich denke, Musik ist eine Unterhaltungsform, die jeder für sich selbst genießt und interpretiert.
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Hat sich deine ganz eigene Sicht auf HipHop während und nach der Produktion des Films verändert?
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Meine Musiksammlung ist auf jeden Fall HipHop-lastiger geworden – das kann ich definitiv sagen. Zudem hat sich meine Meinung insofern geändert, dass ich anfangs mit der Einstellung rangegangen bin, viele Leute zu treffen, die sich nicht auf mich einlassen wollen und die Türen verschliessen. Ich konnte vor dem Projekt ja noch keinen Langfilm vorweisen. Was ich aber nach den ersten Hürden letztendlich von all diesen Leuten, die Teil der Szene sind, zurückbekommen habe, war schon toll. Ich war erstaunt, wie viele Menschen offen für meine Ideen und Vorschläge waren und gesagt haben: »Michi, was ein geiles Projekt!«