Jens Prüter Deck8 – ein Label und seine Geschichte
Main Concept, Waxolutionists, DCS, Dike, Lee Buddah, Kamp, Erobique – was das Dortmunder Label Deck8 in den neunziger Jahren veröffentlichte, war ein wilder, mutiger Stilmix aus HipHop, Acid Jazz, Turntablism und Electronica.
Mitte der Neunziger gab es nur wenig Interesse für deutschen HipHop innerhalb der etablierten Musikindustrie. Die großen Major-Labels waren skeptisch und signten nur eine Handvoll vermeintlich sicherer Chartstürmer. Die wichtige Entwicklungsarbeit blieb an ein paar engagierten Kleinstlabels aus der Szene hängen, die zwar keine finanziellen Mittel, aber jede Menge Herzblut zu bieten hatten. Eines dieser engagierten Underground-Labels, das einen – zumindest teilweise – bis heute überdauernden Katalog geschaffen hat, war Deck8 aus Dortmund.
Gründer und Geschäftsführer Jens Prüter, ein punk-sozialisierter Beastie-Boys-Fan, hatte die Vision eines progressiven HipHop-Labels. Deck8 bediente keine Schubladen und veröffentlichte einige Meilensteine, die bis heute zum tieferen HipHop-Kanon gehören. Das große Geld verdienten in dieser Zeit andere, doch Prüter konnte fünf Jahre lang spannende Platten veröffentlichen und parallel zum Mainstream-Erfolg von Künstlern aus Hamburg und Stuttgart die Grenzen der jungen Kunstform ausloten. Irgendwann stolperte Deck8 über die Fallstricke des Business und machte dicht. Heute arbeitet Prüter immer noch im Musikgeschäft – als A&R-Manager bei dem Heavy-Metal-Label Century Media aus Dortmund, das schon damals das Mutterlabel von Deck8 war.
Stephan Szillus sprach mit dem Gründer Jens Prüter über das Erbe eines wichtigen deutschen Indie-Labels, das von 1997 bis 2002 existierte.
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Wie sieht deine persönliche musikalische Sozialisation aus? Du warst ja kein HipHop-Head der ersten Stunde, soweit ich weiß.
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Nein, wie die meisten meiner Generation nicht. Ich wurde 1967 geboren und in den frühen Achtzigern mit Punk sozialisiert. An meiner Schule waren aber auch zwei ältere Hippies, mit denen man gekifft und klassischen Rock gehört hat: Doors, Hendrix, Zappa, Pink Floyd, Led Zeppelin, Black Sabbath. Ich habe dann in vielen Bands gespielt – größtenteils Punk und später Grunge. Durch Zufall habe ich Ende der Achtziger auf einem Festival die niederländische Band Urban Dance Squad gesehen. Das hat uns umgehauen. Mit Public Enemy oder N.W.A. konnten ja schon viele aus der Punk-Szene was anfangen, weil es extrem radikal und rebellisch war. Aber unsere Initialzündung waren Urban Dance Squad, an die sich heute niemand mehr erinnert. In den Niederlanden waren die riesengroß. Im Prinzip ein Vorläufer der Beastie Boys, weil sie damals schon HipHop mit Live-Instrumenten gemacht haben.
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Und dieser niederländischen Band wolltet ihr nacheifern?
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Ja, genau. Ein Freund von mir hat sich einen der ersten bezahlbaren Sampler gekauft, einen Ensoniq. Damit haben wir herumprobiert, und als wir immer besser wurden, brauchten wir einen Rapper. Parallel hatte ich bei der Dortmunder Plattenfirma Community Records als Promoter angefangen. Die hatten ein HipHop-Sublabel, das hieß Tribehaus. Da kam 1993 von Too Strong »Rabenschwarze Nacht« raus. So lernte ich Pure Doze kennen und fragte ihn, ob er Interesse hätte, was mit uns zu machen. Er war sofort interessiert, wollte aber bei unserem Projekt nur auf Englisch rappen, was für uns okay war. Dann haben wir den Radio-DJ Klaus Fiehe angesprochen, weil wir wussten, dass der früher bei der NDW-Band Geier Sturzflug Saxophon gespielt hatte. Also haben wir Klaus über unsere Sample-Beats Saxophon spielen lassen und Doze hat dazu gerappt. Daraus wurde eine TripHop-Live-Band mit Schlagzeuger, Bassist und mir selbst an der Gitarre. Auf einer HipHop-Jam haben wir kurze Zeit später Dike aus Bochum entdeckt. Über den Schlagzeuger kam Lee Buddah dazu. Der kam ganz dreist in den Proberaum und meinte, er kann rappen. Im Nachhinein haben wir rausgefunden, dass er das noch nie gemacht hatte. Ein kleines Naturtalent, wesentlich jünger als wir. In dieser Konstellation haben wir sehr viel live gespielt und zwei Demotapes aufgenommen. Zwar haben wir leider keinen Plattenvertrag bekommen, aber damit war der Grundstein für Deck8 gelegt.
- »Die Do-It-Yourself-Konzerte der Punk-Szene ähnelten den Freestyle-Jams der HipHop-Szene.« Auf Twitter teilen
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Gab es große Parallelen zwischen Punk und HipHop aus deiner Sicht?
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So wie sich HipHop Anfang der Neunziger in Deutschland entwickelt hatte, auf jeden Fall. The Damned hatten gesagt: »This is a chord, this is another one, now form a band.« Im HipHop hieß es: Hier ist ein Turntable, da ist ein Mikrofon, jetzt kannst du loslegen. Die Do-It-Yourself-Konzerte der Punk-Szene ähnelten den Freestyle-Jams der HipHop-Szene. Viele mit meinem Background – leicht links, Bildungsbürgertum aus den Vororten – waren von Gitarrenmusik ein bisschen gelangweilt. Deutscher Punk war in einer kreativen wie kommerziellen Krise und da kam HipHop sehr erfrischend. Gerade Bands wie Anarchist Academy oder Advanced Chemistry waren sehr sozial- und gesellschaftskritisch. Auch die Experimentierfreude in der HipHop-Szene gefiel uns. Man kannte keine kreativen Grenzen. Ich war ja nicht der Einzige mit Punk-Sozialisation, der in dieser Zeit zum HipHop kam. Ale Dumbsky, der Gründer von Buback, war vorher bei den Goldenen Zitronen gewesen. Der Manager von Fettes Brot war auch ein alter Punk, der André Luth von Yo Mama ebenfalls. Viele von den Hamburgern waren eigentlich Punks.
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Hast du dich damals als Teil der HipHop-Szene gefühlt?
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Eigentlich nicht. Das waren andere: die Heidelberger, die MZEE-Leute, die Too Strongs. Die waren fest in der Szene verwurzelt und haben HipHop gelebt. Das waren Sprüher, Breaker, Rapper. Ich hatte eher ein musikalisches Interesse an HipHop, und später kam halt noch ein gewisses geschäftliches Interesse dazu. Eine Zeit lang hatte ich ja, wie gesagt, bei Community gearbeitet. Dann habe ich mit meiner Frau, Kirsten Lerche, eine eigene Promo-Firma gegründet. Schließlich haben mich Freunde von dem Metal-Label Century Media angesprochen, ob ich nicht ein HipHop-Sublabel für sie machen möchte – weil wir mit der HipHop-Live-Band regional recht erfolgreich wurden. Das war ’95, mitten in der ersten Hochzeit des deutschen HipHop. Von Labelarbeit hatte ich überhaupt keine Ahnung, aber ich hab einfach dreist gesagt: »Klar, mach ich.« So fing es mit Deck8 an.
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Ich hab mich ja immer gefragt, was Deck8 bedeuten sollte.
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(lacht) Century Media hatten in London einen Kumpel, mit dem sie ein Techno-Label namens Millennium Records gemacht haben. Also gab es schon Century und Millennium, daher wollte ich das Label Decade nennen. Deck8, englisch ausgesprochen, ist einfach nur ein Wortspiel, um das ein bisschen zu verschlüsseln.
- »Zu der Zeit hat man noch nicht so sehr in Szenen gedacht. Das hat sich alles stark überlappt.«Auf Twitter teilen
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Hattest du keine Angst vor Ablehnung – ein HipHop-Label zu machen als jemand, der keinen Szene-Background hat?
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Darüber habe ich mir am Anfang keine Gedanken gemacht. Zu der Zeit hat man noch nicht so sehr in Szenen gedacht. Das hat sich alles stark überlappt. Viele Freestyle-Jams fanden in alternativen Jugendzentren statt, die meist von ehemaligen Punks geleitet wurden. Ich glaube, eine reine HipHop-Szene mit eigenem Kodex hat sich da erst entwickelt. Soweit ich mich erinnern kann, gab es ja erst ’92, ’93 die ersten deutschsprachigen HipHop-Veröffentlichungen.
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Wie kam dein Roster für Deck8 zustande?
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Lee Buddah und Dike waren durch die gemeinsame Band ohnehin schon in meinem Umfeld. Über Too Strong und deren Manager habe ich Main Concept kennengelernt, die gerade auf der Suche nach einem Label und vor allem nach einer besseren, bundesweiten Vertriebsstruktur waren. In Kooperation mit Century Media war das eine Win-Win-Situation. Die waren als Indie-Label schon extrem weit fortgeschritten. Ich habe mir deren Logistik zunutze gemacht und hatte dadurch einen Vorteil gegenüber anderen Underground-Labels, die noch ordentlich Lehrgeld zahlen mussten.
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Wie unabhängig wart ihr als Label von Century Media?
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Komplett unabhängig. Es musste sich natürlich irgendwie rechnen. Aber Robert Kampf, der Gründer von Century Media, fand das alles sehr spannend und hatte viel Spaß daran. Im Endeffekt haben sie mich machen lassen, was ich wollte. Nach ein, zwei Jahren haben wir Deck8 auch als eigenständige Firma gegründet – aus steuerlichen Gründen als Limited in London. Eine Limited in UK ist steuerlich immer günstiger als eine deutsche GmbH, und in der EU war das problemlos möglich. Ab diesem Zeitpunkt war es eine komplett eigene Firma, die sich auch alleine rechnen musste.
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Wie viele Mitarbeiter hatte Deck8?
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Ich war Geschäftsführer und meine Frau hat anfangs noch die Promo gemacht. Das wurde ihr irgendwann zu viel und sie wollte sich eh aus dem Musikgeschäft verabschieden. Dann haben wir ein paar Leute ausprobiert, bis die Kernmannschaft stand: Zwei Leute, die Promo gemacht haben – eine davon auch Buchhaltung – und zwei weitere Leute im Vertrieb. Wir hatten zwar auch den Vertrieb über SPV – später dann über Rough Trade beziehungsweise Zomba – aber es gab noch sehr viele unabhängige Plattenläden, die nicht bei den größeren Vertrieben bestellt haben. Die haben wir direkt beliefert und auch Platten aus England importiert und vertrieben.
- »Die ›Genesis Exodus‹ von Main Concept wurde uns wirklich aus den Händen gerissen.« Auf Twitter teilen
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Welches war die erste Deck8-Veröffentlichung?
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Wahrscheinlich die »Manchmal ist sie seltsam«-Maxi von Lee Buddah. Die kam jedenfalls schon ’97 raus. Dann kam die von Die Pilzen – vielleicht auch schon parallel dazu. Wobei, das Album hat die Katalognummer 001. Vermutlich kam die doch zuerst. Sorry, ich muss hier gerade selbst mal Discogs öffnen und nachschauen. (lacht)
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Hast du bei den ersten Releases schon gemerkt, dass es sich auch kommerziell lohnt und HipHop eine gewisse Käuferschaft hat?
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Lee Buddah lief von Anfang an wirklich gut. Der bekam viel Radio-Airplay und das Video wurde direkt bei Viva ausgestrahlt. Das hat uns viel geholfen, auch wenn das keine reine HipHop-Veröffentlichung war. Für uns war das eher sowas wie der deutsche Beck. Ein Jahr später wurde uns die »Genesis Exodus« von Main Concept wirklich aus den Händen gerissen. Dike lief auch ganz gut an, und dann kamen 1999 schon DCS, die von ihren Major-Erfahrungen ein bisschen frustriert waren. Ich glaube, die waren vorher bei der BMG gewesen. Das war alles ganz lukrativ. Natürlich gab es auch viele Sachen, die überhaupt nicht oder relativ schlecht liefen. Der größte Teil der Künstler kam aber aus unserem erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis. Viele Platten haben wir aus Spaß an der Freude gemacht. Muddling Thru war ein Electro-Nebenprojekt von Die Pilzen. Das hat uns einfach gefallen, auch wenn wir wussten, dass wir damit nicht viel verkaufen würden. Wir hatten Spaß daran, verschiedene Sachen auszuprobieren. Century Media hätten sich bestimmt gewünscht, dass ich mich komplett auf reinen HipHop konzentriere. Dafür war die Zeit aber zu aufregend.
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Wie siehst du deine eigene Tätigkeit als A&R und Geschäftsführer rückblickend?
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Rückblickend hatte ich wohl nicht das richtige kommerzielle Gespür. Main Concept waren – und zwar im positiven Sinne – extreme Querköpfe. Denen ging es finanziell nicht unbedingt schlecht. Die waren nicht drauf angewiesen, mit Main Concept ernsthaft viel Geld zu verdienen. Sie hätten sicher nichts dagegen gehabt, aber ihnen war der künstlerische Anspruch wesentlich wichtiger. Deswegen haben sie nach »Genesis Exodus« fast kommerziellen Harakiri begangen und zwei Jahre lang an einem reinen Freestyle-Album gearbeitet. In einer Zeit, in der alle anderen auf Majordeals geschielt haben, haben sie eben »Plan 58« rausgebracht, das sogar knapp in die Charts einstieg – ich glaube, auf Platz 95 oder 96. Zu der Zeit war das ein Riesenerfolg, vor allem mit einem reinen Freestyle-Album. Aber davon wurden trotzdem nur so 10.000 bis 15.000 Alben verkauft, mit Schwerpunkt auf Vinyl. Und deine Lieblings-VÖ auf Deck8, die Waxolutionists-Maxi »Nachtschattengewächs«, war natürlich auch alles andere als kommerziell. Davon haben wir vielleicht 3.000 Stück verkauft. Trotzdem bin ich rückblickend auf »Plan 58« und »Nachtschattengewächs« sehr stolz. Ich denke, im Bereich TripHop und Turntablism gab es im deutschsprachigen Raum damals nichts Besseres als die Waxolutionists. Und das Main-Concept-Album war einfach bahnbrechend. David Pe war einer der begabtesten Rapper in ganz Deutschland.
- »Ich glaube fest daran, dass sich authentische Sachen nachhaltig einfach am besten verkaufen – nicht gemessen in hohen Einheiten, sondern in Bezug auf eine gewisse Langlebigkeit.« Auf Twitter teilen
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Was waren damals deine Gründe als A&R, um einen Act bei Deck8 zu signen?
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Ich bin ja heute immer noch A&R bei Century Media und an meiner Herangehensweise hat sich diesbezüglich wenig geändert. Ich glaube fest daran, dass sich authentische Sachen langfristig und nachhaltig einfach am besten verkaufen – nicht gemessen in hohen Einheiten, sondern in Bezug auf eine gewisse Langlebigkeit. Wir erinnern uns heute an viele Platten aus vergangenen Jahrzehnten, und zwar in erster Linie an diejenigen, die einen künstlerischen Eindruck hinterlassen haben. Natürlich bleiben auch phänomenale Hitsingles ein Stück weit im Gedächtnis, aber es gibt auch sehr viel kommerzielle Musik aus der Pop-Geschichte, an die sich zurecht kein Schwein erinnert, weil es einfach nur Produkte waren, die dem Käufer mit enormem Marketing-Aufwand aufgequatscht wurden. Dafür bestand nicht unbedingt eine Nachfrage, sondern diese musste erst geschaffen werden. Das hat mich nicht interessiert. Als ich die Waxolutionists kennengelernt habe, wusste ich nur: Die sind wahnsinnig talentiert. Das hat mich mehr interessiert als jemand, für den man erst mal den richtigen Produzenten suchen und haufenweise Marketing-Kohle ausgeben muss.
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Wieso hast du zusätzlich zu Deck8 dann noch ein Sublabel namens Decktronics aufgemacht?
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Über Lee Buddah, der in Münster studiert hat, habe ich Carsten Meyer aka Erobique kennengelernt. Der hatte ein Demotape aufgenommen, auf dem er mit einem Casio-Keyboard und einer Heimorgel House und Funk machte. Das wurde eine der ersten Platten bei uns, die mit HipHop gar nichts mehr zu tun hatten. Dann gab es noch andere Bekannte, eine Garagen-Punk-Band im Stile der Jon Spencer Blues Explosion, die Mucus 2 hießen. Die haben wir auch einfach rausgebracht, weil es Spaß gemacht hat. Irgendwann haben wir gemerkt, das passt alles nicht mehr unter einen Hut. Für mich war das kein Widerspruch. Ich war ja großer Beastie-Boys-Fan, und die haben auf ihrem Grand-Royal-Label auch alles Mögliche gemacht. Heutzutage ist das auch kein Widerspruch: Tyler, The Creator nimmt auf seinem Label auch eine Hardcore-Punk-Band wie Trash Talk unter Vertrag. Aber damals hat das die HipHop-Käufer verwirrt – genau wie die Indie-Käufer auch – und daher haben wir die Nicht-HipHop-Sachen unter Decktronics veröffentlicht. Rückblickend muss ich schon zugeben, dass ich mich da Ende der Neunziger ein bisschen verzettelt habe. Wir mussten dann einfach einen gewissen Output haben, damit der Cashflow aufrechterhalten wird.
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Du hast bei Deck8 eine der ersten Platten von Kamp rausgebracht.
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Ja, das kam über die Waxos. Ich war wegen denen häufiger in Wien, und Kamp war damals der junge österreichische David Pe – ein phänomenales Freestyle-Talent. Soweit ich mich erinnern kann, wollte er ursprünglich auch gar keine »normalen« Songs rausbringen. Aber dann konnten wir ihn doch dazu überreden, die »Arschkarten 2« zu veröffentlichen. Dem Titel nach zu urteilen, muss er wahrscheinlich vorher schon mal selbst eine »Arschkarten 1« releast haben. (Die »Arschkarten…ihr müsst wissen«-Maxi erschien 2000 über das österreichische Label Overkill Records, Anm. d. Verf.) Die »Arschkarten 2« gehört neben den schon genannten Platten und der Dike-Maxi »Ein Tag so schön wie heute« auch rückblickend zu den besten Platten, die wir bei Deck8 veröffentlicht haben.
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Du hast DCS schon erwähnt. Wie sind sie vom Major BMG zu dir gekommen?
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Ich glaube, die Connection kam über Chris Maruhn, der mit »In Full Effect« eines der ersten HipHop-Fanzines in Deutschland gemacht und später jahrelang bei der »Juice« gearbeitet hat. Der hat mir am Anfang sehr geholfen und über ihn kamen viele Kontakte zustande. Ich habe mit ihm auch eine Compilation namens »Flowzirkus« gemacht. Er hatte Spaß daran, mit uns ganz bewusst so ein bisschen leftfield zu arbeiten. Von ihm kamen Die Pilzen, von denen er sagte, sie wären bei einem reinen HipHop-Label niemals untergekommen. DCS haben sicher kein Leftfield-Label gesucht, aber sie hatten sehr schlechte Erfahrungen auf dem Major gemacht und wollten bewusst den umgekehrten Weg gehen. Sie wollten vor allem komplette künstlerische Freiheit. Ihnen war es ein Anliegen, einfach das Album machen zu können, das ihnen am Herzen lag. Und das konnten sie bei uns. Mein riesengroßer Dank gebührt an dieser Stelle Chris Maruhn. Wir haben uns leider aus den Augen verloren. Sollte er das hier lesen: Vielen, vielen Dank für alles.
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Das DCS-Album kam ’99, mitten im großen Hype, als die Hamburger und Stuttgarter richtig abgesahnt haben. Gab es da keine Erwägungen von eurer Seite, auch mal ein bisschen kommerziell anzugreifen?
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Natürlich war der Druck enorm hoch, gerade in der Zusammenarbeit mit den Künstlern. Viele von ihnen wollten eigentlich zum Major oder zumindest zu Four Music. Als Indie konnte man da finanziell nicht mitbieten. Vielleicht hätte ich von Century Media eine Finanzspritze bekommen können, um auch mal einen kommerzielleren Act zu signen. Das wollte ich aber nicht. Ich wollte komplett independent bleiben. Ende ’99 kam Warner auf uns zu. Die wollten uns eigentlich kaufen, haben uns dann aber einen reinen Vertriebsdeal angeboten, mit einer für damalige Verhältnisse relativ hohen Vorschusssumme. Da dachte ich: »Okay, damit bin ich vielleicht konkurrenzfähiger.« Also habe ich diesen Vertriebsdeal mit Warner gemacht, beziehungsweise mit einer Unterfirma von Warner, die Fremdlabel vertrieben hat. TIS hieß diese Firma. Die Zusammenarbeit lief wunderbar, die haben uns nie reingequatscht. Leider hat Warner diese Firma ein halbes Jahr später eingestellt und ich war meinen Vertriebsdeal los. Zusätzlich hatte ich einen Teil des Kleingedruckten nicht gelesen, in dem es hieß, dass alle Vorschüsse zurückgezahlt werden müssen, wenn der Vertrag innerhalb eines Jahres gekündigt wird. Das hat mir das Genick gebrochen. Ich musste kurzfristig Insolvenz beantragen. Es tat den Warner-Leuten dann total leid, dass wegen sowas eine komplettes Label über die Klinge springt. Da war der Schaden aber schon angerichtet. Vertriebswechsel sind sehr teuer und das kam komplett zum falschen Zeitpunkt. Davon haben wir uns nicht mehr erholt. Irgendwann war es kein Spaß mehr, sondern nur noch ein Krampf. 2002 habe ich zum zweiten Mal Insolvenz angemeldet, so gut es ging alle Schulden gezahlt, mit allen Gläubigern Vergleiche abgeschlossen und als das erledigt war, haben wir Deck8 einfach begraben.
- »Plötzlich ging es nur noch um Gangsta-Rap, Fäkalreime und Provokation. Das war Beavis & Butthead-Humor für 16-Jährige, hatte aber nichts mehr mit der Welt zu tun, aus der ich kam.« Auf Twitter teilen
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Gab es noch andere Gründe, warum ihr euch aus diesem Geschäft zurückgezogen habt?
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Es wurde einfach sehr schwer, deutschsprachigen Underground-HipHop zu verkaufen. Die großen Bands haben gut verkauft, die waren aber alle beim Major. Der Underground hat zu dieser Zeit nur noch britische und amerikanische Sachen gekauft, Labels wie Rawkus und so, während deutsche Underground-Platten links liegen gelassen wurden. Da begann es, zu kippen. Langsam kam dann auch Aggro Berlin auf den Plan. Spätestens zu dem Zeitpunkt veränderte sich die deutsche HipHop-Szene, wie ich sie aus den neunziger Jahren kannte, komplett. Plötzlich ging es nur noch um Gangsta-Rap, Fäkalreime und Provokation. Das war Beavis & Butthead-Humor für 16-Jährige, hatte aber nichts mehr mit der Welt zu tun, aus der ich kam. Ich denke, das waren für viele Leute mit meinem Background in der deutschen HipHop-Szene sehr schwierige Zeiten. Wir haben halt gemerkt: Hier ist eine Periode abgeschlossen.
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Diese Klage hört man natürlich immer wieder und kann man auch ein Stück weit nachvollziehen. Gleichzeitig wundert es mich – zumal wir über deinen eigenen subkulturellen Background im Punk gesprochen haben. Aus heutiger Perspektive erinnert ein Tape-Label wie Royal Bunker oder auch etwas wie Aggro Berlin doch sehr an die DIY-Punk-Roots des HipHop. Hatte das vielleicht weniger mit einer allgemeinen Szene-Entwicklung, sondern mehr damit zu tun, dass du selbst inzwischen zu alt für den Fäkalhumor der 16-Jährigen warst?
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(lacht) Wahrscheinlich war ich auch an einem anderen Punkt in meinem Leben angekommen. Ich habe darüber viel nachgedacht. Ich glaube trotzdem, dass da ein Bruch war. Das muss man ganz wertfrei betrachten. Ich will gar nicht sagen: Der böse Gangsta-Rap hat die schöne deutsche HipHop-Szene kaputtgemacht. Es brach einfach ein neues Zeitalter für deutschen HipHop an. Wäre ich zehn Jahre jünger gewesen und in Berlin aufgewachsen, hätte ich unter Umständen vielleicht ein Label wie Aggro Berlin gestartet. Allerdings muss man klar sagen, dass ich schon meine Probleme mit den – in meinen Augen – teilweise rassistischen beziehungsweise antisemitischen, homophoben und sexistischen Inhalten dieser Musik hatte. Da fehlte mir einfach oft die künstlerische oder humoristische Distanz. Es wurden Grenzen überschritten und das war problematisch für mich, ganz klar.
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2002, als Kool Savas sein erstes Album veröffentlichte, habt ihr noch Sampler mit instrumentalem HipHop oder eine Compilation nur mit weiblichen MCs veröffentlicht …
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Ja, kommerziell gesehen hat das nicht viel Sinn gemacht. Aber mir war es eine Ehre, nochmal mit Cora E. zusammen zu arbeiten und einen Song von ihr zu bekommen. Viele von den Frauen auf dem Sampler fanden wir wirklich sehr spannend. Einige hätten sich kommerziell sicher auch noch entwickeln können, aber vieles war schon tiefster Untergrund. Das hatte allerdings auch etwas mit kreativer Freiheit bei uns intern zu tun.
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»›Plan 58‹ und die Waxolutionists waren bahnbrechend.«
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Hast du nach der Schließung von Deck8 dem HipHop denn endgültig den Rücken gekehrt?
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Ich habe HipHop schon noch eine Weile verfolgt. Allerdings habe ich dem Musikgeschäft erstmal den Rücken gekehrt. Ich war desillusioniert und brauchte eine Pause. Ich hätte mir schon gewünscht, dass man als kleines, feines Label überleben kann. Das hat nicht geklappt. Dann fing ich wieder an, zu studieren. Um nebenbei noch ein bisschen Geld zu verdienen, habe ich für Century Media das New Media Department aufgebaut. Da ging es darum, Email-Newsletter einzurichten, die Website auf Vordermann zu bringen und so weiter. Irgendwann fragten sie mich, ob ich Produktmanager werden will. Ich hatte zwar ein paar Slayer-Platten zu Hause stehen, war aber nicht gerade der geborene Metaller. Ich habe trotzdem zugesagt, weil es mich interessiert hat. So bin ich nach und nach in die Metal-Welt reingerutscht und hatte nicht mehr die Zeit, mich daneben noch im HipHop auf dem Laufenden zu halten. Daher frag mich bitte nicht, was die letzten zehn Jahre an spannenden Veröffentlichungen rausgekommen ist.
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Immerhin kennst du Tyler, The Creator.
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Ja, gut. Dazu bedarf es nicht viel, über den zu stolpern. (lacht)
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Kannst du abschließend mal selbst bewerten, was du mit Deck8 geschaffen hast?
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Ich schaue mit einem sehr positiven Gefühl auf diese Zeit zurück. Das waren extrem lustige und geile Zeiten. Mich freut es total, dass Main Concept immer noch hin und wieder auftreten. Auch Erobique ist immer noch sehr erfolgreich, selbst wenn er seitdem nie wieder ein Album unter diesem Namen veröffentlicht hat. Gerade diese Narrenfreiheit und dieser Anspruch, musikalisch viel auszuprobieren, haben schon viel Spaß gemacht. Dass dabei auch ein paar Platten herausgekommen sind, an die sich heute noch Leute erinnern, macht mich schon wirklich stolz. »Plan 58« war bahnbrechend, die Waxolutionists waren bahnbrechend. Mich hat es total gefreut, dass ihr gerade »Nachtschattengewächs« bei ALL GOOD geehrt habt. Da dachte ich: »Wow, ja, das ist wirklich wohlverdient und vielleicht sogar ein bisschen überfällig.« Für meine Begriffe haben die damals – zusammen mit der »Sport«-EP von Eins, Zwo – eine der innovativsten deutschen HipHop-Platten rausgebracht.