BLVTH »Das Schlimmste ist, wenn etwas einfach nur okay ist.«
Nach Produktionen für Casper, Marteria und Kummer veröffentlicht BLVTH dieser Tage sein Solo-Album »I Love That I Hate Myself«. ALL GOOD-Autor Till Wilhelm hat ihn getroffen und keine Genrefragen gestellt.
Der Name BLVTH geistert jetzt schon eine Weile durch die deutsche Musikszene. Nach einigen Remixen, Produktionen für Casper, Marteria und Kummer und einigen Solo-Releases steht nun sein erstes eigenes Album an. Über Genrefragen sprechen wir heute nicht. BLVTH singt auf Englisch, die Beats knallen oder fließen vor sich hin. Sinnlos, das kategorisieren zu wollen. Sein Debüt »I Love That I Hate Myself«, das am 27. November 2020 erscheint, erzählt die Geschichte einer Selbstfindung, die noch nicht abgeschlossen ist. »If you wanna know who I am and who you are, listen to this album«, heißt es in der Ankündigung.
Ich treffe BLVTH mit seiner Freundin im Zeiss-Großplanetarium im Prenzlauer Berg, Berlin. Es schüttet. Wir wollen uns eine Ausstellung über Lichtverschmutzung anschauen. Diese ist wider Erwarten sehr textlastig. BLVTH erzählt von einer App, mittels derer man den Nachthimmel scannen und sich die aktuellen Sternbilder anzeigen lassen kann. Er beklagt sich über die Lichtverschmutzung in Berlin. Unnatürliches Licht war lange ein Luxusprodukt, heute benutzen wir es alle. Das führt dazu, dass sich über Städten eine Lichtkugel bildet, die uns davon abhält, Sterne zu sehen. Dagegen gibt es allerlei Maßnahmen. Aber wer sofort Sterne sehen will, muss an einem klaren Tag aufs Land hinausfahren, zum Beispiel in den Sternenpark Westhavelland, gut erreichbar mit dem Fahrrad. Wir wollen nicht mehr lesen und setzen uns in das Café auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
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Vor kurzem ist die zweite Single aus deinem Debütalbum erschienen, »Kaputt«. Da singst du auf Deutsch.
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Ich find’s krass, wie gut die Leute das aufnehmen. Viele meinten, das macht keinen Unterschied zum englischen Gesang. Es gab unterschiedliche Reaktionen, aber niemand hat sich negativ geäußert. Mal sehen, was noch kommt.
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Ich habe das Gefühl, die Sprachbarriere wird immer irrelevanter. Reggaeton hat ja einen riesigen Hype, obwohl nur wenige Spanisch sprechen.
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Es gibt ja auch genug Leute, die auf Deutsch internationalen Erfolg haben. Sprache ist heutzutage fast egal. Bei mir hat sich das in dem Moment einfach gut angefühlt. Ich hatte die deutsche Hook im Kopf und musste dann erstmal schauen, wie ich das überhaupt aussprechen muss, damit sich das gut, natürlich und nicht zu steif anhört. Ich finde auch, dass es beim ersten Hören gar nicht wie Deutsch klingt. Englische Texte zu schreiben, fällt mir wesentlich einfacher. Da habe ich mehr Erfahrung und schon einen eigenen Flow und Schreibstil entwickelt. Die Sprachbarriere ist aber anscheinend schon ein Ding. Ich dachte immer, die Mehrheit meiner Fans sei nur deutschsprachig. Heute haben mir aber viele internationale Fans geschrieben. Zum Beispiel: »I don’t understand a word you’re saying, but sounds nice.« Da habe ich erstmal wieder gemerkt, dass schon auch einige Fans am Start sind, die kein Deutsch sprechen.
- »Ich schreibe keine Songs, die jedem gefallen sollen.«Auf Twitter teilen
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Machst du dir im Produktionsprozess Gedanken darüber, wie dieses oder jenes bei einem fiktionalen Publikum ankommt?
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Erstmal schaue ich, dass mir der Song gefällt. Wenn ich das Publikum gedanklich immer einbeziehen würde, würde ich nichts mehr schaffen. Ich schreibe keine Songs, die jedem gefallen sollen. In erster Linie schreibe ich, um Gedanken loszuwerden. Erst wenn der Song steht und zur Veröffentlichung bereit ist, kommen diese Gedanken. Wenn mir jetzt jemand schreiben würde, dass ich ihn verloren hätte, weil ich einen Song auf Deutsch gemacht habe, wär’s mir egal. Wenn du so schnell weg bist, verpiss dich doch.
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»I love that I hate myself« ist tatsächlich dein Debütalbum – das hat mich überrascht, weil du ja schon recht lange am Start bist. Warum passiert das erst jetzt?
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2018 gab es die »Blut«-EP, das haben einige als Album interpretiert. Aber ich habe immer gesagt, das sollte nicht mein großes Debüt sein. Für mich ist diese Struktur sehr wichtig. Mein Debütalbum kommt erst jetzt, weil der Zeitpunkt vorher nicht gestimmt hat. Ich war noch nicht bereit dafür. Ich musste erst die Puzzleteile finden, die zu diesem Album geführt haben. Zum Beginn der Pandemie habe ich extrem viele Songs gemacht und sehr viel über mich selbst gelernt. Ich habe mehr Verantwortung übernommen und jeden Schritt der Albumproduktion getragen. Nach ein bisschen Organisation standen circa 20 Tracks fest. Aus denen ist »I Love That I Hate Myself« entstanden.
Mir wurde eine Deadline gesetzt und ich war überzeugt, diese auch einhalten zu können. Dann habe ich meinen Kopf komplett gefickt. Ich war komplett überlastet. Ich konnte nicht mehr unterscheiden, was ich gut finde und was nicht. Ich saß nur noch mit Ohrenpfeifen im Studio und war nervlich am Ende. Entscheidungen im Mixing komplett alleine zu fällen, hat mich wahnsinnig gemacht. Dann mussten wir die Deadline um eine Woche verschieben. Ich wollte das Album unbedingt zu meinem Geburtstag im November veröffentlichen, es kommt jetzt ein paar Tage danach. Es ist egal, wie das Album angenommen werden wird. So oder so wird es mich weiter bringen. Das hat es alleine schon in diesem ekligen Produktionsprozess getan, weil ich mehr über mich selbst gelernt habe.
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Einerseits sprichst du über die Überlastung. Auf der anderen Seite: Bist du ein Perfektionist?
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Ich war lange überzeugt, kein Perfektionist zu sein. Ich fand das immer anstrengend, wenn Leute so krass auf Details achten. Und für jede Kleinigkeit unfassbar viel Zeit verschwenden. Nach dem Motto: »Mach fertig! Bring raus! Mach einen neuen Track!«. Aber dann sitzt du auf einmal an deinem Debütalbum und entwickelst einen noch höheren Anspruch an deine Musik. Ich habe mich mit dem Album sehr verändert. Ich bin viel strenger geworden – mit mir selbst, aber auch mit den Leuten, mit denen ich arbeite. Die kleinsten Details sind mir auf einmal wichtig. Das Schlimmste ist, wenn etwas einfach nur okay ist. Das hat sich auch beim Albumcover gezeigt. Wir hatten schon ein cooles Cover, aber das hat mich nicht berührt. Ich wollte, dass mich das anwidert, dass es irgendwas mit mir macht. Das hat auch zu Konflikten geführt. Ich muss jetzt versuchen, wieder ein bisschen mehr loszulassen.
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Das Album startet mit Selbsthass, endet mit Selbstliebe. Musikalisch entwickelt es sich von teils hektischer Überladung zu seichten Flächen. Erzähl doch mal, wie du dir diese Entwicklung vorgestellt hast.
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Ich habe viel darüber nachgedacht, was ich fühlen möchte, wenn ich das Album in der Hand halte. Und wie sich das beim Hören entwickelt. Ich war nie großer Fan von Konzeptalben. Aber durch den Titel des Albums bin ich die Produktion nochmal anders angegangen. Ich habe mich also von den Enden, dem Intro und dem Outro aus, in die Mitte gearbeitet. Das Album war für mich wie ein Kreis, durch den ich mich von zwei Seiten bis zum Mittelpunkt fresse. Anfang und Ende waren klar: Ich weiß, wo ich herkomme. Ich weiß, wer ich jetzt bin. Ich wollte aber meine innere Mitte finden.
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Was du beschreibst, ist ein Heilprozess, oder?
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Ich würde sagen, es ist eine Erkenntnis. Ich bin noch lange nicht im Reinen mit mir. Vielleicht bin ich auf dem nächsten Album wieder extrem depressiv. Das Album beschreibt meine momentane mentale Verfassung perfekt. Das kann ganz schnell wieder kippen, das ist nicht linear. Ich bin auf jeden Fall nicht geheilt. Durch dieses Album habe ich mich selbst kennengelernt und mit mir selbst einen Monolog geführt.
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Auf »Haha« singst du: »’Til I find something that will help me change.« Viele Personen haben das Verlangen, eine Geheimwaffe gegen die psychischen Struggles zu finden. War das bei dir ähnlich?
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Ich suche im Leben immer nach Sachen, die Sinn ergeben. Die mich zu 100% erfüllen. Das ist dann plötzlich der einzige Weg für mich. Ich denke dann, alles wird perfekt, wenn ich mich auf diesen Weg begebe. Als würde mich das für immer glücklich machen. Das konzentriert sich dann auf einzelne Aspekte meines Lebens: »Wenn ich als Produzent groß werde, brauche ich nichts anderes mehr.« Oder: »Wenn meine Eltern keine Probleme hätten, ginge es mir für immer gut.« Dem ist natürlich nicht so. Die eine Sache, die einen für immer glücklich macht, gibt es wahrscheinlich nicht.
- »Musik ist für mich kein Beruf. Das ist meine ganze Identität.« Auf Twitter teilen
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Wie gehst du mit Rückschlägen um?
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Ich bin sehr emotional. Ich investiere sehr viel Kraft und Herzblut in alles, was ich mache. Deswegen nimmt es mich sehr mit, wenn etwas nicht klappt. Musik ist für mich kein Beruf. Das ist meine ganze Identität. Ich habe Schwierigkeiten, Rückschläge zu verkraften. Ich schlafe dann nicht. Ich werde aggressiv und der Stress nimmt mich auch körperlich mit. Das zerfrisst mich innerlich. Erfolgsdruck spielt da eine Rolle, ob man es will oder nicht. Gerade über Instagram ist man ständig dabei, sich mit anderen zu vergleichen.
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Welche alltäglichen Dinge geben dir die Kraft weiterzumachen?
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Sport ist sehr gut, aber da fehlt mir oft die Motivation. Kochen und Essen sind sehr wichtig für mich. Kochen ist Self-Care, Essen ist Self-Love. Ich habe gestern ein Video von einer Oma gesehen, die gesagt hat: »Making pasta is a self-healing process.« Du musst dir die Zeit nehmen, du musst dich fokussieren, wenn du den Teig rollst. Das ist eine extrem gute und beruhigende Ablenkung. Ansonsten läuft bei mir den ganzen Tag der Fernseher. Ich brauche das, das beruhigt mich total. Ruhe macht mich kaputt. Deswegen ist es auch so schwierig für mich, zu schlafen.
In der Musik macht mich die Überlastung kaputt, zu Hause halte ich es nicht ohne Geräusche aus. Ist ja eigentlich auch Quatsch. Ich wache immer um drei Uhr nachts auf. Ich habe auch mal gelesen, dass die meisten Leute um diese Uhrzeit sterben. Depressive Personen bekommen um drei Uhr ihre schlimmsten Phasen. Das sind schon spooky Vibes. Aber in dieser Zeit denke ich dann viel nach.
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Was machst du, um dir langfristig eine stabile Psyche aufzubauen?
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Momentan nicht so viel. Ich glaube immer, das wird schon alles gut, wenn ich nur erreiche, was ich erreichen will. Ich weiß auch, dass das Quatsch ist. Weil ich vom Charakter aus auch immer mehr will. Ich denke oft, dass man weniger Probleme hat, wenn man finanzielle Stabilität erreicht. Aber Geld macht nicht glücklich, Geld beruhigt. Ich habe bei meiner Mum gesehen, dass unsere Hunde zum Beispiel eine große Hilfe im Alltag waren, weil die Freude und Beschäftigung mit den Hunden wie eine Therapie war. Das Spazieren, die Erziehung, das hat ihr sehr geholfen.
Langfristig wird es wichtig sein, sich einen ausgewogenen und abwechslungsreichen Alltag aufzubauen. Dass ich mit dem, was ich habe, zufrieden bin und nicht immer mehr zu wollen. Man muss außerdem Ruhepunkte schaffen. Dazu gehört das Kochen und Sport. Für mich sind da auch Konzerte wichtig. Das ist eine großartige Ablenkung, ich kann bloß nach Shows nie schlafen.
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Für viele Menschen ist es wichtig, den eigenen Fortschritt festzuhalten, indem sie Tagebuch schreiben oder fotografieren.
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Das könnte bei mir eben das Album sein. Deswegen war es mir so wichtig, das fertigzustellen. Es war so ein gutes Gefühl, als das Album fertig war. Du gehst mit einem ganz anderen Stolz durch die Welt. Niemand kann sich so sehr freuen, wie du dich in diesem Moment freust. Wenn das erscheint, werde ich die beste Zeit meines Lebens haben. Egal, wie das ankommt. Das ist ein großer Schritt, den ich für mich selbst mache.
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Hat deine Mutter das Album schon gehört?
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Noch nicht komplett, aber das Outro hat sie auf jeden Fall schon gehört. Da hat sie sofort geweint und wurde emotional. Die Widmung im Outro ist sehr krass, das kam wie ein Geschenk vom Universum. Die Idee dazu hatte ich schon länger, aber ich wollte es nicht erzwingen. Aus dem Nichts hat sie mir irgendwann eine Sprachnachricht geschickt. Wir hatten zu der Zeit familiär viele Probleme und in der Nachricht stecken extrem viele Emotionen. Es war mir dann sehr wichtig, dass das Outro genauso wirkt, wie ich’s mir vorstelle. Hier ist die Sprachbarriere anders: Die meisten werden das nicht verstehen, aber jede:r kann es fühlen.
Ein paar andere Tracks hat sie auch gehört. »Kaputt« fand sie auf Anhieb super, bei »Butterfly« hat sie ein wenig Zeit gebraucht. Das dauert bei ihr oft ein bisschen. Sie sagt dann Sachen wie (imitiert seine Mutter): »Das nicht… Power! Braucht Power!« Dann hört sie’s nochmal: »Gute Lied!«. Ein alter Song von mir, »Mars«, lief gerade bei Bachelorette im Hintergrund. Sie ist ausgerastet, sie hat richtig rumgeschrien, als ich ihr das Video geschickt habe.
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Eigentlich komisch, dass du überwiegend in einem HipHop-Kosmos stattfindest, obwohl deine Musik gar nicht dort zu verorten ist.
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Ich kenne mich eigentlich auch viel zu wenig mit HipHop aus, um in dieser Szene zu sein. Leute fragen mich nach meiner Meinung zu irgendwelchen Rap-Tracks, dabei höre ich das alles gar nicht. Ich bin mit Punk aufgewachsen, mit Hardcore-Bands, Iron Maiden oder Misfits. Ich habe den ganzen Tag Gitarre gespielt. KIZ habe ich früher eine Zeit lang gehört, die fand ich nice. Wenn Leute mich über Rap ausfragen, kriege ich Prüfungsangst. Kummer ist ja auch eigentlich kein klassischer Rapper. Unsere gemeinsame Platte »KIOX« ist besonders eigen, weil Einflüsse aus vielen Genres zusammenkommen. Das ist nicht einfach nur Rap. Auf meinem Debütalbum gibt es nur einen Song, von dem ich sagen würde: Da rappe ich.
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Ist internationaler Erfolg dein erklärtes Ziel?
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Definitiv. Ich habe schon einige Sachen, auf die ich zurückschauen kann, was das internationale Business angeht. Ein Feature mit bülow, die ist in den USA und Kanada ja riesig! Ich hätte nie gedacht, dass ich mit ihr Musik machen würde. Dann waren wir in Berlin und Los Angeles auf einmal im Studio. Oder Zusammenarbeit mit irgendwelchen krassen Rappern aus Griechenland. All das ist crazy, ich hätte mir das nie erträumt. Aber natürlich will ich noch viel, viel mehr. So bin ich wohl irgendwie.
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Du bist ja nicht nur Musiker und Produzent, du designst Merchandise, arbeitest bei Videos und Grafiken mit.
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Ich will, dass da irgendwann ein zusammenhängendes Universum entsteht. Shoutouts an Erik Heise, meinen Grafiker, mit dem ich das alles zusammen erschaffe. Shirts, Cover, Videos, das muss alles zusammenlaufen. In der nächsten Kollektion wird mein Name nicht mehr so präsent auftauchen. Da steht gar nicht mehr BLVTH drauf – oder nur ganz klein. Aber ich erschaffe Mode, die ich richtig krass finde, solche Klamotten findest du nirgends. Ich trage den Stuff selber. Dieser eigene Kosmos ist mir sehr wichtig, sonst wirkt das alles charakterlos. Das gehört zu meiner Identität.