Chefket »Das Mixtape hat mir echt gut getan.«
Chefket ist noch bis 6. Dezember mit Marteria auf dessen »Zum Glück in die Zukunft II«-Tour durch die Lande unterwegs. Bei dieser Gelegenheit haben wir ihn für eine Momentaufnahme zwischen seinem zurückliegenden Mixtape »Guter Tag« und dem kommenden Album getroffen.
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Dein Mixtape »Guter Tag« ist fast ein Jahr alt – Zeit für ein kleines Resümee. Was ist seitdem für dich passiert?
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Für mich fühlt es sich an wie gestern erschienen. Ich habe dafür keine Promo gemacht und keine Interviews gegeben. Es war für mich komplett anders als »Identitäter«, aber gleichzeitig hab ich auch gemerkt, wie gut es ankam und dass es auch live immer mehr Spaß gemacht hat. Ich bin komplett zufrieden damit, weil es wie ein Ollie im Skaten ist: ich habe jetzt nicht das Rad neu erfunden, aber die Basics komplettiert und versucht, diesen Ollie zu stehen. Viele versuchen immer gleich einen 360-Flip, nehmen es mit einer Kamera auf und laden das Ganze sofort hoch. Für mich war es eher wichtig, nochmal einen Ollie zu machen, weil das eine Grundlage für alle Tricks ist, die danach kommen.
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Es sind ja viele Skits und kurze Tracks auf »Guter Tag«. Was fasziniert dich an der kurzen Form?
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Wenn was fertig ist, dann ist es fertig. Ich hatte keine große Lust, mich zu verkrampfen und zu sehr in die Produktion reinzugehen. Das war eher wie ein Freestyle. Ich hatte die Skits aufgenommen und ich wollte es mit den Leuten teilen. Das dann einfach auf die Platte packen zu können ist eine Freiheit, die ich genieße, weil ich mein eigenes Label habe. Mit irgendeiner Plattenfirma wäre das nicht gegangen. Vor allem, weil der Vorgänger ja sehr poppig war. Das war auf jeden Fall eine Befreiung. Das Mixtape hat mir echt gut getan.
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Was bei deinen Produktionen auffällt, ist die enorme stilistische Bandbreite – du hast z.B. sehr oft Samples aus Swing, Soul oder Funk drin. Woher kommt das?
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Es hat damit angefangen, dass ich mit 18 eine Band hatte. Alle anderen Mitglieder hatten schon mit fünf Jahren ihre Instrumente gelernt. Die hatten alle sehr viel Ahnung von Jazz und Funk – das hab ich dort mitgenommen. Das Jazzige im HipHop war auch immer Inspiration für mich, z.B. A Tribe Called Quest. Diese Einflüsse zu übernehmen hat allerdings ein bisschen länger gedauert. Viele waren in den Nuller-Jahren ja auf einem anderen Film, da musstest du erst einmal Produzenten in diese Richtung finden – oder die Beats eben selber machen. Und ich war nicht so versiert, das selbst zu machen. Später dann schon – und inzwischen habe ich Leute um mich herum, die das auch verstehen und deswegen ist es jetzt auch einfacher, diese Einflüsse umzusetzen.
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Du hast ja sehr viel mit Marteria gemacht, auch mit Samy Deluxe gearbeitet. Wo verläuft denn für dich der Weg zwischen Kollaborationen, die Aufmerksamkeit erregen und deinen eigenen Dingen?
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Meine Selbstverwirklichung ist immer da, weil es in erster Linie immer um den Menschen, mit dem ich diese Musik mache, geht. Die feiern ja das, was ich mache, eben weil ich es genau so mache. Ich würde da jetzt nichts anderes schreiben oder etwas, was nicht mir entspricht. Die wollen ja meinen Film – und ich will auch deren. Ich möchte auch nicht, dass die sich mir anpassen. Das ist eher so eine freundschaftliche Ebene. Was dadurch an Aufmerksamkeit entsteht, ist ein cooler Nebeneffekt – aber ich mach ja auch Features mit unbekannteren Leuten, was dann eben nicht so breit besprochen wird.
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Du äußerst dich dezidiert zu Gesellschaftsthemen. Wie definierst du deine Aufgabe in diesem Zusammenhang als Künstler?
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Jeder hat Gedanken oder eine Erkenntnis. Ich spreche auch zu mir selbst in vielen Dingen und erinnere mich in meinen Texten an diese Erkenntnisse. Zur Tagespolitik kann ich gar nichts sagen. Was hingegen Weltpolitik angeht, merke ich, dass manche Nachrichten sehr krass gehypet werden. Ich finde das dann manchmal verdächtig, wenn ich merke: da spricht jetzt jeder drüber. Ich vermute da dann immer eine riesige Marketing-Strategie. Wenn man als Rapper so eine Kampagne hinter sich hätte, wäre man auf jeden Fall Weltstar. Das ist richtig krass, wie viel Geld da dahinter stecken muss. Ich bekomme da manchmal Gänsehaut, weil diese Informationen in jeden Winkel der Welt getragen werden.
- »So hatte ich durch die Bildung einen Schlüssel zur deutschen Gesellschaft und mit der türkischen Sprache den Schlüssel zur türkischen – und konnte beide miteinander vergleichen.«Auf Twitter teilen
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In »Mcee« thematisierst du Kindheits- und Jugenderinnerungen, auch in Bezug auf Stigmatisierungen und die verschiedenen Welten, in denen du aufgewachsen bist. Es gibt Leute, die einen ähnlichen Background, aber ganz anders darauf reagiert haben. Mit Wut, teilweise mit Materialismus. Du bist da einen anderen Weg gegangen. Wie erklärst Du Dir das?
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Ich glaube, es hat etwas damit zu tun, dass ich aufs Gymnasium gehen konnte und ständig damit konfrontiert war. Ich war sozusagen das Bild für alles: der Türke, der Moslem – und wir stellen dem jetzt alle Fragen, die es gibt. Ich kannte mich aber auch nicht aus und hab mich dann erst mal mit den Themen auseinandergesetzt. Ich hab gemerkt, dass sehr viel Unwissenheit da ist – die hab ich versucht, zu verstehen. Natürlich gabs auch Rückschläge. Ich habe vieles erst später, im Nachhinein verstanden und auch, dass ein paar Sachen nicht cool waren: Es wäre z.B. besser, wenn man die Selektion ab der 4. Klasse abschafft und man länger zusammen bleibt. Es gab drei Deutsche mit türkischen Eltern am Gymnasium – meine ganzen Fußball-Freunde waren auf der Hauptschule, obwohl die vielleicht auch einen guten Durchschnitt hatten. Aber deren Eltern hatten sich vielleicht nicht so eingesetzt, wie meine. Bei mir hieß es auch, ich solle lieber auf die Hauptschule gehen, weil es meiner Psyche und meinem Selbstbewusstsein nicht gut tun würde, wenn ich es dann nicht schaffen würde. Mein Vater hat aber gesagt: »Auf keinen Fall« – und hat mit dem Oberschulamt gedroht, weswegen ich dann aufs Gymnasium gekommen bin.
Dementsprechend siehst du eben dann auch diese Unterschiede und merkst, wie es so ist. Man versucht, zu verstehen, bewegt sich in mehreren Kreisen. So hatte ich durch die Bildung einen Schlüssel zur deutschen Gesellschaft und mit der türkischen Sprache den Schlüssel zur türkischen – und konnte beide miteinander vergleichen. Später kam dann noch Englisch und die HipHop-Kultur dazu.
Ohne diese krasse Selektion wäre alles vermischter, dann würde man sich viel mehr austauschen. Frag‘ irgendeinen Deutschen, ob er einen Deutschen mit türkischen Eltern als besten Freund hat: das gibt’s echt selten. Frag‘ einen Taxifahrer mit türkischen Eltern: der wird auch sagen, dass er keinen kennt. Das ist schade.
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Man hat ein bisschen das Gefühl, dass durch gesellschaftliche Debatten über Migration, die auch in Medien angefeuert werden, in den letzten Jahren Sprachlosigkeit, Resignation, Isolation und Rückzug auf beiden Seiten Einzug gehalten haben – und auch, dass diese Debatten oft sehr vergiftet sind.
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Das Ganze hat ja schon viel früher angefangen – und zwar auf allen Seiten, also auch bei Deutschen mit türkischen Eltern. Die kennen sich ja oft mit der eigenen Kultur gar nicht wirklich gut aus. Das sind keine Türken, die kennen die Türkei vielleicht nur vom Urlaub, so wie ich. Die haben in sich drin so einen Hans, der die Ordnung liebt und nach zwei Monaten Aufenthalt in der Türkei denkt: »Oh, ich will zurück nach Deutschland.« Anders herum ist es so, dass der Deutsche mit deutschen Eltern überhaupt keine Kritik äußern kann, ohne dass man ihn gleich Nazi nennt – und somit kommt erst gar kein Gespräch zustande. Ein Anderer fühlt sich wiederum angegriffen, wenn man fragt: »Hey, wie ist dieses oder jenes in eurer Kultur?« Wenn man sich dann darauf einlässt, wird man auch mal sauer und sagt: »Du hast eh keine Ahnung« – und schon ist man in der Einbahnstraße und das ist auch irgendwie schade.
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Du warst viel unterwegs in der Welt, hast an vielen Orten gespielt. Was verbindet deiner Meinung nach die Leute heute? Gibt es sowas wie universelle Werte oder Bedürfnisse?
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Ich glaube, das ist einfach nur ein Lächeln. Man kommt irgendwohin und lächelt und derjenige lächelt zurück. Es ist egal, welche Sprache man spricht oder welcher Religion man angehört: es sind immer ähnliche Probleme. Wenn man im Jetzt ist und mit den Leuten kommuniziert, ist es das Normalste zu lächeln, freundlich zu sein, gute Vibes und keine bösen Gedanken zu verbreiten – und schon läuft es. Mit allem eigentlich. Man kann sich verbrüdern, trinkt was zusammen und feiert.
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Was sind deine Pläne für die nächsten Monate?
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Jetzt bin ich erstmal bis Anfang Dezember mit Marteria unterwegs und danach geht’s in Hamburg weiter mit dem Album.