Götz Gottschalk »Da war plötzlich jemand, der aus einem inneren Kosmos berichtete.«

Curse feiert 15 Jahre »Feuerwasser« und ALL GOOD feiert mit einer umfassenden Berichterstattung mit. Götz Gottschalk ist als Curse’ Manager, Verleger und Executive Producer eine der wichtigsten Personen hinter dem legendären Debüt. Stephan Szillus sprach ausführlich mit ihm.

Götz Gottschalk

Der Musikliebhaber, Verleger, Labelbetreiber, Manager und Produzent Götz »GG« Gottschalk hatte in den letzten 25 Jahren in so vielen Bereichen der deutschen Musikindustrie seine Finger im Spiel, dass sein Einfluss auf die hiesige Musiklandschaft im Allgemeinen und deutschen HipHop im Speziellen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Das Game hat er schon gespielt, als es eigentlich noch gar kein Game gab: Unter dem Künstlernamen General GG war er als Teil der Gruppe Exponential Enjoyment auf dem Cover der »Spex« und damit Teil der ersten Titelstory, die sich deutschem HipHop widmete. Götz »GG« Gottschalk ist Besitzer und Geschäftsführer des seit 1998 auf HipHop und Reggae spezialisierten Musikverlages und Musikmanagements Premium Blend Music Productions und gründete 2006 gemeinsam mit Max Herre und Joy Denalane die Label-, Management- und Verlags-Firma Nesola. Neben Curse und Busy nimmt Gottschalk die wichtigste Rolle bei »Feuerwasser« ein – er ist der Manager von Curse, sein Verleger, tritt als Executive Producer auf und zieht alle wichtigen Strippen im Hintergrund.

2015 feiert Curse 15 Jahre »Feuerwasser«. Die Feierlichkeiten werden von der großen, exklusiv von ALL GOOD präsentierten »Feuerwasser 15«-Tour ab November begleitet. Es steht für das Jubiläum aber noch mehr an: Am 20. November veröffentlicht Curse eine Re-Edition seines legendären Debütalbums. Neben den üblichen CD- und Vinyl-Formaten wird es auch eine limitierte Collector’s Edition geben, in der neben Sechsfach-Vinyl und allerlei Bonus-Material auch das Buch »Warum hört ihr mir eigentlich zu?« enthalten ist, das die Autoren von ALL GOOD geschrieben haben. Diese limitierte »Feuerwasser 15«-Edition kann man ab sofort hier vorbestellen.

Für das Buch wurden über 35 Interviews geführt, welche die Basis für die 100 Seiten starken, definitiven Liner Notes zu »Feuerwasser« bilden. Als integraler Bestandteil von »Feuerwasser« durfte natürlich ein ausführliches Gespräch mit Götz »GG« Gottschalk natürlich nicht fehlen. Dieses Interview wird in Auszügen auch im Buch zu finden sein – in voller Länge hier auf ALL GOOD.

  • Wann und wie hast du zum ersten Mal von Curse gehört?

  • Zum allerersten Mal hat man natürlich auf den Features bei Toni L, La Familia, Stieber Twins oder Cora E. von ihm gehört. Ich war ja als junger Verleger unterwegs und habe Künstler gesucht. Ohne das zu diesem Zeitpunkt schon zu wissen, waren Mike und ich in einer Ansicht gleich: Dass es noch wenig deutschen Rap gab, der im Umgang mit Reim, Sprache, Klang und Dichte an die Flows von amerikanischem Eastcoast-Rap herankam. Mike wollte meistern, was Nas oder Rakim vor ihm gemeistert hatten, nur eben innerhalb der deutschen Sprache – und ich habe nach genau solchen MCs gesucht, weil ich ein absoluter HipHop-Lover war, aber die Art, wie damals in Deutschland gerappt wurde, nur selten dieses Gefühl für mich erzeugte. Uns hat dann eine weitere legendäre Figur zusammengebracht, nämlich Scopemann von STF, der damals Product Manager bei EMI/Capitol war und dort amerikanische HipHop-Themen wie zum Beispiel AZ betreute. Ich hatte bereits versucht, mit Mike in Kontakt zu treten, als Scope sagte: »Den kenne ich.« Also hat er ein Treffen in Köln arrangiert und dort wurde sehr schnell klar, dass man ähnliche Interessen hat.

  • Wie alt war Curse damals?

  • Das war 1997/1998, also war Mike 18, vielleicht 19 Jahre alt. Ich war 27/28. Bei ihm war es der Übergang nach dem College-Abschluss in Upstate New York, kurz bevor er den Zivildienst in Deutschland antreten musste. Man hat sich also kennengelernt und ich wusste schnell, ich will das machen. Dann gab es ein zweites Meeting, wieder in Köln, damals in der neuen Filiale des legendären New Yorker Sandwich-Ladens Schlotzky’s. Dort haben wir stundenlang geredet und er hat aus der Telefonzelle seine Mutter angerufen, wegen des Heads of Agreement, also der vertraglichen Eckdaten, die ich ihm anbot. Seine Mutter ist nämlich Richterin und die hat das mit ihrem juristischen Wissen am Telefon überprüft.

  • Zuerst hast du ihn also als Verleger unter Vertrag genommen.

  • Genau, wir haben einen Verlagsvertrag abgeschlossen. Damals gab es in der Musikbranche eigentlich fast kein HipHop-Know-How, mit Ausnahme von einigen wenigen Leuten. Ich habe bei Mike daher schnell gemerkt, dass es da draußen keine Manager gab, die diesen Job machen konnten. Die ganzen alten Rock- und Pop-Manager hatten natürlich kein Verständnis für diese Kultur. Dann haben wir das alles zusammengeführt. Ich war ja schon sein Verleger, habe auch sein Management übernommen und ihm gesagt, dass ich ihm innerhalb kürzester Zeit einen Plattenvertrag besorgen werde. Ich habe ihm sogar selbstbewusst eine Frist von einigen Wochen oder Monaten genannt, innerhalb der ich ihm den Deal besorgen würde. Was ich dann auch geschafft habe. Ich habe ihn als erstes offizielles Signing bei Jive Records Deutschland untergebracht, einem Label, das ja mit Boogie Down Productions oder A Tribe Called Quest schon eine riesige HipHop-Historie hatte. Er war als Künstler dann bei mir, also bei Premium Blend, unter Vertrag und ich habe einen Bandübernahmevertrag mit Jive gemacht.

  • Was war dein Eindruck von ihm als Typ, wie würdest du ihn charakterisieren?

  • Er war sehr kraftvoll in dem Wunsch, etwas Besonderes zu machen, was er ja auch schon früh zeigen konnte. Ein sehr verkopfter Typ, aber das war eben auch der Fundus, aus dem er diese unglaublichen Texte schöpfte. Mit ihm war es immer ein sehr intensives Auseinandersetzen. Reibung erzeugt Hitze und die steigt nach oben. Das war »friendly fire« – wir haben uns aneinander gerieben, aber immer auf eine in der Sache sehr erfolgreiche Art. Was wir zusammen gemacht haben, war stets besser, als was jeder von uns alleine machen konnte. Er war sehr getrieben und sein Kopf war immer am rattern. Sein Lebensalltag war für ihn belastend zu diesem Zeitpunkt, weil die Rapkarriere noch eine Vision war, der Alltag aber sehr real. Das war für ihn nicht einfach. Zivildienst war nicht sein Ding, das hat ihn in der Kreativität gehemmt. 

  • »Man darf nicht vergessen: Zum Anfang seiner Karriere war Curse ja einer der härtesten MCs des Landes.«Auf Twitter teilen
  • In welcher Szene bewegte er sich, hatte er schon ein kreatives Umfeld?

  • Er hatte ein interessantes, sehr heterogenes Netzwerk. Auf der einen Seite kam er mit dem Leumund der Altvorderen, also Advanced Chemistry, den Stieber Twins, Cora E., Scopemann. Auf der anderen Seite gehörte er zu den damals neuen aufstrebenden jungen MCs, sozusagen den neuen Leuten wie Azad oder Tone und Samy. Man darf nicht vergessen: Zum Anfang seiner Karriere war er ja einer der härtesten MCs des Landes. Er war der Erste mit Lederjacke und Silberkette. Man hat ihn am Anfang als das völlige Gegenteil wahrgenommen, als was er später bezeichnet wurde. Er war ja nachher der »Emo-Rapper«, aber am Anfang war er musikalisch ein unglaublich harter MC. Er hatte ja mit Azad und Tone auch dieses Cherubim-Projekt. Ohnehin hatte er eine sehr starke Beziehung nach Frankfurt und in das frühe Berlin hinein. Und in Minden gab es natürlich von Anfang an eine Clique von Leuten: Es gab den Klan mit dem Produzenten Lord Scan, der auch auf »Feuerwasser« eine wichtige Rolle gespielt hat. Es gab Busy, der schon vor seinem USA-Aufenthalt sehr eng mit ihm war und einer seiner Hauptproduzenten und Bezugspersonen, weil er mit ihm die ersten Schritte getätigt hatte und auch das Bindeglied zu den Heidelbergern war. Und es gab Stress und Trauma und noch einige andere, also diese ganze Mindener Bewegung.

  • Wie hast du für ihn den Deal bei Jive bekommen?

  • Jive war in Amerika äußerst erfolgreich. Der Besitzer Clive Calder hatte die Firma zu Teilen bereits an Bertelsmann verkauft. Damit und mit dem Erfolg des Labels, dazu dem vorherigen Kauf von Rough Trade kam eine Globalisierungsstrategie, die über die amerikanischen Signings, die weltweit verkauft wurden, hinausging. In Deutschland wurde ein Jive-Office eröffnet, mit Geschäftsführung durch Konrad von Löhneysen, der zu diesem Zeitpunkt Logic Amerika in New York mit Acts wie Snap! Machte, soweit ich das nachvollziehen kann. Das Office wurde in Köln aufgemacht und Philipp Jung, jetzt als ein Teil des DJ- und Produzententeams M.A.N.D.Y bekannt, war der A&R Manager, die beiden kannten sich noch aus Logic-Tagen. Ich hatte den Kontakt über Bekannte, bin da sehr früh hingefahren und habe das Thema präsentiert. Ich habe zu denen gesagt: »HipHop ist, wo Jive herkommt. Klar, ihr habt jetzt die Backstreet Boys, aber ihr müsst jetzt in Deutschland auch mit HipHop weitermachen. Ich habe hier die Zukunft des deutschen HipHop und das ist Curse.« Parallel hatte Jive auch die Absoluten Beginner, die Massiven Töne und verschiedene anderen Acts auf dem Tisch. Wir haben sehr intensiv mit Löhneysen und Jung geredet und dann wurde klar, dass wir denen ein Demo zeigen mussten, aus dem für eine große Firma erkennbar wird, dass das nicht nur eine ideale Besetzung aus der HipHop-Kultur heraus ist, sondern auch Erfolgspotenzial hat. Also haben wir mit Busy ein Demo mit Songs gemacht, die diesen Appeal hatten, und das hat dann diese Überzeugung geleistet – neben dem Künstler, den sie ohnehin toll fanden. Also hat man eben diesen Vertrag gemacht, ohne einen einzigen fixierten Song zu haben, der auf das Album kommen sollte. Es ist auch tatsächlich nachher keiner dieser Songs von dem Demo je in der Form veröffentlicht worden. Dieses Demo war eigentlich nur dazu geeignet, einer Plattenfirma, die nicht so tief drin war im HipHop wie wir, zu verstehen zu geben, dass dieser Künstler eine gute Investition ist und abliefern wird. Curse wurde das erste offizielle Signing bei Jive Deutschland. Den Vertrag haben wir immer wieder along the way verändert, weil sich dann alles noch viel besser entwickelt hat, als man es sich erhofft hatte.

  • Gab es in der Industrie ein Bewusstsein für den aufkommenden HipHop-Hype?

  • Nein. Es gab plötzlich ein erstauntes Erwachen innerhalb einer Industrie, die mit dieser Kultur selbst im Original noch nicht viele Erfolge in Deutschland vorzuweisen hatte. Amerikanischer HipHop war damals noch eine Importkultur, also bei den Plattenfirmen lief das oft über die Importabteilungen. Es war nicht so, dass man es in irgendeiner Form mit den aktuell bekannten Hypes vergleichen kann. Das war massive Pionierarbeit. Man musste die Leute wirklich überzeugen. Der Hype entstand durch die Fanta 4 im Mainstream und dann nachfolgend durch Fettes Brot, aber man darf nicht vergessen: Das war zum damaligen Zeitpunkt ein komplett antagonistischer Teil des HipHop. Heute ist man miteinander versöhnt, aber damals war es genau das, was man nicht machen wollte. Mike hat ja keinen Fun-Rap gemacht. Da war kein Spaß, da ging es um »The Art of MCing«. Aber wir konnten anhand anderer Signings nachweisen, dass wir nicht die einzigen waren, die da etwas kommen sahen. Das hat ein bisschen geholfen, aber trotzdem kamen immer wieder dieselben Fragen: Wie kann man damit Erfolg haben? Wie kann das kommerziell sein? Und wir haben natürlich gesagt: Das soll gar nicht kommerziell sein. Damals war vielmehr der Gedanke, eine Platte zu machen, die dem Genre genügt, als über Verkaufszahlen zu sprechen. Über Verkaufszahlen haben nur die Plattenfirmen gesprochen – und die hat man abgewehrt. Damals saß bei Jive auch der Kurt Thielen – durch den Kauf von Rough Trade durch Jive wurden die beiden Firmen in Köln zusammengelegt und der Rough Trade-Chef Kurt Thielen wurde Gesamt-Geschäftsführer des Unternehmens. Thielen ist eine legendäre Figur im Plattengeschäft und heute Geschäftsführer von Zebralution. Der hat Mike und mir letztlich das Vertrauen ausgesprochen und gesagt: »Ich komme aus dem ganzen Indie-Segment, damit kenne ich mich musikalisch aus, ich verstehe nichts von HipHop. Aber ich bin sicher, das versteht ihr. Ihr liefert mir einfach die geile HipHop-Platte ab, die in den Kriterien des Genres herausragend ist. Und wenn ihr mir diese Platte bringt, dann weiß ich, was damit zu tun ist, und gebe all meine Power.« Das war toll. Unter Thielen hatte Mike die absolute künstlerische Freiheit, schon ab Unterschrift des Vertrages. Jive hat zwar mal Wünsche dahingehend geäußert, dass wir auch kommerzielle Titel auf den Platten haben sollten, aber sie haben nicht ein einziges Mal eine konkrete Forderung gestellt. Das war eine exzeptionelle Beziehung und etwas Besonderes.

  • Du warst ja auch Executive Producer bei »Feuerwasser«. Wie lief die Produktion der Platte aus deiner Perspektive konkret ab?

  • Das ist natürlich ein Fass ohne Boden, im positiven Sinne. Man muss sich das so vorstellen: Wir waren für die Art von HipHop, die wir machen wollten, die erste Generation. Wir konnten wenig bei den Stiebers oder anderen Künstlern der Old School um konkreten Rat fragen. Wir konnten uns nur inspirieren lassen, aber mussten was Eigenes entwickeln. Nas konnte ja auch nicht Run-D.M.C. fragen, wie er »Illmatic« machen sollte. Das war ein anderer Abschnitt mit anderen Sounds, anderen Inhalten, anderen Stories. Nach einer anfänglichen Zeit, in der Mike exklusiv mit Busy gearbeitet hat, liebte er es sehr, von vielen verschiedenen Produzenten Inputs zu bekommen, um sich von den Beats inspirieren zu lassen. Busy war eine Grundfeste, den kannte Mike ja schon, seit er 14 Jahre alt war und sie hatten schon englische Demos zusammen gemacht, bevor Mike nach Amerika ging. Dazu kam dann Lord Scan aus Minden, das war die Heimatachse.

    Zusätzlich habe ich ihm den Iman Shahidi vorgestellt. Iman war der Produzent von Square One aus München und eine Ausnahmeerscheinung in Deutschland, für mich in einer Liga mit DJ Premier, Pete Rock oder Diamond D. Aus ihrer Zusammenarbeit ist dann ja auch »Wahre Liebe« entstanden. Außerdem war ich als Verleger auf eine Band aus dem Wiesbadener Raum namens Instinkt gestoßen, dazu gehörte Chaker, der als MC später bei Azad in der Bozz-Music-Posse eine Rolle gespielt hat. Ich fand das sehr interessant, das war sehr an Mobb Deep orientiert und ich hatte mit Roey Marquis in Frankfurt auch eine Bezugsperson. Chaker hat mir von einer Wiesbadener Gruppe namens Sieben erzählt, die ich unbedingt kennenlernen müsse. Die Musik war sehr Soulsample-lastig und hat mir total gefallen, vor allem fielen mir die Produktionen ins Auge. Dafür waren zwei Produzenten namens Sascha und Julian verantwortlich, die nannten sich zusammen KFLF, was für »Klare Fakten, lange Freundschaften« stand. Die habe ich Mike auch näher gebracht. Ja, und nicht zuletzt hatte ich als Verleger auch mit den Coolen Säuen/DCS aus Köln zu tun, deren Produzent Peerbee aus meiner Sicht so einen Erick-Sermon-Touch hatte und auch noch einige Beats zugesteuert hat.

    Erst hat Mike von all diesen Produzenten immer wieder Beats im Rohstadium bekommen, hat seine Texte geschrieben und aufgenommen. In der Folge haben wir die Songs arrangiert. Es ging ja darum, diese ganzen verschiedenen Sounds unter einen Hut zu bringen. Zum einen war meine Executive-Rolle also ganz klar eine organisatorische Aufgabe, also Beschaffung von Rohmaterial. Man musste Beats und Produzenten finden, dann aber auch diese ganzen unterschiedlichen Sounds mit den Produzenten im Arrangement und mit Busy im Mix in einen Guss verwandeln. Das alles zu überwachen, war meine Aufgabe. Das waren alles Aufgaben, die ich übernehmen musste, weil sie dazu beitrugen, dass »Feuerwasser« das Album werden konnte, was er sich wünschte. Das war ein Haufen kleinteiliger Arbeit, die am Ende aber zu einem legendären Ergebnis geführt haben. Man muss sich ja vorstellen, dass die ganze Technik damals noch sehr im Anfangsstadium war und wir vor allem im Vergleich zu unseren Vorbilder in USA nur viel kleinere Budgets hatten, um die Platten zu produzieren.

  • »Die Leute finden in ihm jemanden wieder, dem es genau so geht wie ihnen und der es für sie sortiert und ausspricht und zeigt, dass dies kein Makel ist.«Auf Twitter teilen
  • Von was für einem Zeitraum sprechen wir hier?

  • In meiner Erinnerung haben wir während seines Zivildienstes zwei Maxi-Singles rausgebracht, einmal »Sonnenwende/Erfolg« und dann »Kreislauf/Doppeltes Risiko«. Erst als der Zivildienst beendet war, kam Mike richtig in Fahrt. Da gab es ein Meeting bei mir in Solingen in meinem alten Büro. Er kam zu Besuch und wir hatten eine positiv hitzige Debatte. Er war damals ja noch eher ein tougher Battle-Rapper und ich versuchte ihm zu erklären, dass er für sein Debütalbum richtige Songs schreiben müsse. Daraufhin erklärte er mir, wie schwer es für ihn sei, Texte zu schreiben, die ihn wirklich zufriedenstellten. Jede Line musste für ihn unzerstörbar sein. Er sagte dann: »Ich geh da jeden Tag in diesen Scheiß-Zivildienst und sehe da diesen ganzen Mist, komme abends nach Hause, bin kaputt und fertig und hab keinen Bock zu schreiben.« Er vermittelte mir genau das Gefühl, was er damals hatte. Also habe ich sehr vehement gesagt: »Dann schreib doch genau das auf, was du mir gerade erzählst: Was in dir vorgeht, was du siehst, erlebst und erzähle, wie schwer das ist – von den Zweifeln und alledem. Denn du hast mich hier gerade richtig emotional aufgewühlt, da steckt was Besonderes drin, das beschäftigt auch andere Leute.« Und das ist letztlich genau die emotionale Qualität, die Curse hat. Die Leute finden in ihm jemanden wieder, dem es genau so geht wie ihnen und der es für sie sortiert und ausspricht und zeigt, dass dies kein Makel ist. Sondern am Ende eine Stärke.

    Als »Feuerwasser« rauskam, sagten Fans immer wieder zu ihm: »Du sprichst mir aus der Seele.« Das war das häufigste Kompliment. Für mich war dieses beschriebene Meeting ein Schlüsselmoment. Daraus sind Songs wie »Wahre Liebe« entstanden. Da war plötzlich jemand, der aus einem inneren Kosmos berichtete, für den sich bisher noch keiner verantwortlich gezeigt hatte. Rap war zu dem Zeitpunkt entweder Fun oder Ansage. Aber mal zu beschreiben, was in einem vorgeht, so wie auch Nas es mit Lines wie »I never sleep ’cause sleep is the cousin of death« oder der Story in »One Love« getan hatte, das hatte noch niemand angepackt. Und Mike hat das in diesem Moment in den Griff bekommen und nie wieder losgelassen. Das hat mich ultimativ zu seinem Fan gemacht, nicht nur zu seinem Manager und Partner. Und er hat mich sehr lang, über ein Jahrzehnt, als Fan behalten.

    Irgendwann konnte Mike in Echtzeit Texte schreiben. Der setzte den Bleistift an und schrieb den Text einfach herunter. Unvorstellbar. Anfangs konnte er das gar nicht, der hat sich wochenlang den Kopf über einzelne Zeilen zerbrochen. Und dann ist in Folge dieser emotionalen Songs auf »Feuerwasser« bei ihm ein Knoten geplatzt. Auf dem Nachfolger »Von Innen nach Außen« hat er das eigentlich erst gemeistert. Auch das Einrappen. Da gibt es eine legendäre Anekdote: Er hat damals für das Ill-Will-Album auf Yo Mama Records ein Feature gemacht. Er war bei Will im Studio, bekam den Beat vorgespielt und schrieb den Text herunter. Dann ging er in die Booth und hat das Ganze vier Minuten am Stück im ersten Take durchgerappt. Dann haben sich alle mit offenem Mund angeguckt und gesagt: »Okay, wir sind fertig. Wir gehen jetzt was essen.« Das Ding ist genau so auf der Platte. 

    Ich glaube, Mike hatte diese Ansagen am Anfang auch als Schutz nach außen benutzt. Weil er so ein gedankenvoller Mensch ist und so viel in ihm vorgeht, dass er das nach draußen vereinfachen musste. Angriff ist die beste Verteidigung. Er hatte wohl Angst, dass das, was da in ihm vorging, als nicht akzeptabel gelten oder keine Resonanz finden würde. Der Aha-Moment kam, als er aus seiner vermeintlichen Schwäche seine größte Stärke machte. Er hat es einfach gedreht. Das war der wichtigste Punkt an der »Feuerwasser«-Produktion, dass er an den Punkt kam, wo er gesagt hat: »Fuck it, ich hau das jetzt raus und dann sehen wir ja, was passiert.« In dem Moment sind ihm alle Herzen zugeflogen, weil er seine Zweifel, Gefühle und Ängste offen nach außen gekehrt hat. Er wurde zum Helden und zur Identifikationsfigur für viele Menschen.

    Aber auch für mich war das eine wichtige Erfahrung, denn ich habe gesehen, dass es in der Zusammenarbeit mit solchen Künstlern eine Verpflichtung gibt, sie manchmal zu quälen, um an diesen Ort zu gelangen, wo genau diese Schätze gelagert werden. Dieser seelische und kreative Schatz ist eben nicht leicht zu heben und der Prozess auch oft nicht schön. Aber die musikalischen und textlichen Ergebnisse die dann dabei herauskommen sind es wert. Curse hat mit »Feuerwasser« den Schlüssel zu dieser Truhe und zu seinen Schätzen gefunden und sie den Leuten gezeigt. Das sieht man ja auch auf der Platte: Es gibt sehr krawallige Songs mit der ganzen Mindener Rasselbande und auf der anderen Seite sind da eben diese Perlen, die hervorgekommen sind, als er diesen Weg konsequent gegangen ist.

  • Viele finden, sein zweites Album »Von Innen nach Außen« sei eigentlich sein bestes, weil er es geschafft hat, von den Krawallsongs Abstand zu nehmen und seine eigentliche Stärke zu fokussieren.

  • Der Meinung bin ich auch.

  • Auf »Feuerwasser« war er zum Teil noch der aggressive Jungspund, der gerne mal zu viel trank und sich dann mit jedem schlagen wollte. Teilweise hat er da auch noch so Player-Talk rausgehauen.

  • Absolut. »Feuerwasser« ist ein Klassiker, aber das zweite Album ist das kohärentere und das stimmigere. Wobei eben bei »Feuerwasser« dieser Umbruch sehr schön zu spüren ist. Es beinhaltet diese zwei Typen: Den jungen Kerl, aber auch den Mann, der Mike wurde. In seinen besten Momenten spürte man: Hier rappt ein Mann. Auch wenn Mike noch jung war. Das hatte nicht dieses Verspielte und auch nichts Hedonistisches. Der hatte was zu erzählen und zu besprechen, und damit war es ihm sehr ernst. 

  • Bist du mit ihm auch in die Diskussion um Texte und einzelne Lines hineingegangen?

  • Wir hatten schon einen sehr intensiven Austausch. Wir haben uns de facto über alles bis ins kleinste Detail auseinandergesetzt – im Guten wie auch im Schlechten. Da gab es auch schon mal ein Hausverbot oder eine Woche Funkstille. Wir haben über jede Hi-Hat geredet, da wurde nichts dem Zufall überlassen. Das war für Mike auf der einen Seite eine sehr anstrengende Erfahrung, denn es war nichts gleichgültig und es wurde nichts durchgewunken. Aber auf der anderen Seite wurde dadurch auch etwas gefördert. Auch Busy, Scan oder Iman waren sehr anspruchsvoll. In diesem Klima ließ man nichts durchgehen. Natürlich war immer klar: Das letzte Wort hat Mike. Das hätte auch niemand angezweifelt. Aber er hätte dieses letzte Wort auch zum Einsatz bringen müssen. Und dafür musste seine eigene Meinung sehr stabil sein. Das galt aber für uns alle, damit wir bei den anderen durchkamen. Mike hat ja selbst eine große argumentative Kraft. Er ist ein unvorstellbar eloquenter Mensch, der damals noch deutlich jünger war als Busy oder ich, und trotzdem haben wir ihn im Argument immer auf Augenhöhe betrachtet – außer in den technischen Fragen. Da waren wir ihm gegenüber ein bisschen positiv arrogant. Das hat ihn auch oft geärgert. Aber sonst wurde stets auf allerhöchstem Niveau argumentiert. Beim Wu-Tang Clan musste man sich ja gegen die anderen MCs durchsetzen, um einen bestimmten Beat von RZA zu bekommen. Auch bei uns wurde sich über alles gekloppt, aber immer an der Sache entlang.

  • Welches sind deine Lieblingssongs auf »Feuerwasser«?

  • Natürlich die großen Momente wie »10 Rap Gesetze«, »Wahre Liebe«, »Hassliebe« oder »Schlussstrich«. Ich weiß noch, dass Mike mir »Wahre Liebe« zum ersten Mal am Telefon vorgespielt hat. Er hat einfach den Hörer an die Box gehalten. Der Beat erinnerte mich an die großen Easy-Mo-Bee-Platten mit ihren speziellen Beats – ich musste erst kurz mit dem offenen Rhythmus klarkommen. Als dieser Refrain kam, weiß ich noch, dass ich vor Begeisterung regelrecht erschüttert war, wie gut und anders der Song war. Das war der Moment, der alles verändert hat. Mit dem Song hatte Mike für sich und bei mir eine Tür aufgestoßen. Das war wirklich ein Career Defining Moment – nur dieses Telefonat mit dem ersten Demo von »Wahre Liebe«. Wir haben uns ja ständig gerieben, und dann blitzte halt immer wieder dieser Genius auf. 

  • Wenn ihr das alles so genau genommen habt, dann ging es bei Artwork, Videos, Style und Visualität sicher nicht anders vonstatten. Was war die Vision dahinter, wie wolltet ihr ihn präsentieren?

  • Mike hatte eben schon den Titel »Feuerwasser« und es war tatsächlich so, dass wir ein Gesamtbild wollten. Ich habe sehr lange gesucht und ihm verschiedene Grafiker und Fotografen gezeigt. Auch da gab es zum damaligen Zeitpunkt relativ wenig Leute in Deutschland, die eine Referenz in diesem Bereich hatten. Genau wie wir den Leuten von der Plattenfirma erklären mussten, dass das Vinylknacksen absichtlich im Beat zu hören ist, haben wir dann ein paar Leute gefunden, die verstanden haben, dass diese ganze Welt eine gewisse Dreckigkeit braucht, aber auch dieses Heldentum. Was die Klamotten anging, gab es das Zeug damals einfach noch nicht an jeder Ecke, und Mike hatte auch eine eigene Mischung, wie er das gerne zusammengestellt hat. Auf den Fotos sieht man oft Klamotten aus seinem oder aus meinem Schrank. Wir haben damals viel mit Illmatic gemacht, einer der frühen HipHop-Brands aus Deutschland. Die haben verstanden, was wir da vorhatten. Die Ausgestaltung der Visualität war so, dass ich mit Mike einiges besprochen habe und dann erstmal ohne ihn mit den Grafikern vorgearbeitet habe und etwas entwickelt. Das habe ich ihm zu einem relativ späten Zeitpunkt präsentiert und dann sind wir wieder in den Diskurs gegangen: Was gefiel ihm schon, was noch nicht? Aber in der Arbeitsteilung habe ich da erstmal weitgehend vorgelegt. Das war eben auch ein Faible von mir, mich mit diesen Sachen auseinanderzusetzen, und Mike hat das erst mit der Zeit entwickelt. Bei den folgenden Alben sind wir immer näher zusammengerückt und haben die Ideen zusammen entwickelt. 

    Auch bei den Videos hab ich erstmal Regisseure und Video Companys gesucht und Ideen entwickelt. Natürlich gab es keine HipHop-Video-Regisseure. Es gab Regisseure, die schon mal ein HipHop-Video gemacht hatten. Und dann haben wir mit denen überlegt: Was sind die Zutaten, die es braucht? Wir haben alle Videos zu »Feuerwasser« mit Christoph Mangler und Mathias Vielsäcker gemacht. Die Inspiration für die visuelle Konzeption haben wir sehr aus der Musik, die Mike gemacht hat, genommen. Zu dem damaligen Zeitpunkt hatte ich eine sehr hohe Trefferquote, dass Mike die Ideen auch gefielen. Ich kannte ihn halt sehr gut und wir waren da sehr nah beieinander.

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  • Wie schwer war es, eine Plattenfirma zu überzeugen, dass man zum Mastering nach New York fliegen muss?

  • Das war kein Problem. Da ich als Premium Blend den Vertrag mit Jive gemacht hatte und Mike bei mir unter Vertrag stand, unterlag das gesamte Produktionsbudget meiner Planung. Ich hatte nur eine vertragliche Verpflichtung, eine Curse-Platte mit einer bestimmten Anzahl von Titeln und Eckpunkten abzuliefern. Also konnte ich selbst entscheiden, wofür ich das Geld ausgebe. Bis auf einen kleinen Teil, den Curse zum Leben bekam, haben wir das Geld komplett verproduziert. Für mich war das auch ein Flash. Ich war absoluter HipHop-Freak und Mike hatte in New York studiert, wir wollten an die Quelle, denn wir hatten eben diesen hohen Anspruch. Wir haben amerikanischen HipHop gehört, um deutschen HipHop zu machen. Also wollten wir zu Tony Dawsey, der »Illmatic« und die Gang-Starr-Platten gemastert hatte. Eine der großen HipHop-Mastering-Koryphäen, wie sie in Deutschland in dieser Qualität einfach noch nicht existierte. Der hatte das Verständnis, wie HipHop klingen musste, denn er war Teil davon mit seiner täglichen Arbeit an den wichtigsten und größten US-HipHop-Alben.

  • War der cool zu euch?

  • Tony? Ein unheimlich witziger Typ. Der trug immer seine Velours-Trainingsanzüge, in babyblau oder lila, dazu blütenweiße Sneakers. Der hatte eine absolute Selbstverständlichkeit mit diesem Metier und machte nicht viele Worte und Diskussionen. Dem gab man ein Lied, dann machte er sein Ding und fertig. Er wusste halt, wie es ging. Denn er machte jeden Tag nichts anderes, als mit den besten HipHop-Produzenten dieser Ära diesen Sound zu definieren. Für ihn stellte sich nie die Frage, wie etwas klingen muss. Der hatte gestern mit DJ Premier die neue Gang-Starr-Maxi gemacht, morgen sollte Erick Sermon oder DMX kommen und in der Nacht kam noch Showbiz, weil er nicht die volle Rate bezahlen wollte, sondern auf Cash-Basis unterwegs war. Wir saßen da einfach nur mit Riesenaugen, während er seine Magie gemacht hat. Wir haben da nur gelernt und gestaunt. Das klang am Ende einfach immer fett. Allerdings hat er immer andere Produzenten als Referenzen in den Songs gesehen als wir. Bei den Songs, die für uns überhaupt nicht nach Premier klangen, hat er in seinem typischen Tonfall gesagt: »Oh, this reminds me of DJ Premier.« Zum Beispiel bei »Hassliebe« von Peerbee, den wir viel eher bei Erick Sermon gesehen haben.

  • Aber die opulenten Videos musste schon die Plattenfirma bezahlen. Und damals waren da ja noch ganz andere Summen im Spiel. Wie habt ihr das gelöst?

  • Ja, das waren schon andere Summen, aber es war insgesamt ein anderes Spiel. Wir haben damals schon von den ersten Maxi-Singles gleich mal 12.000 oder 13.000 Vinyls verkauft – für den Preis, den heute ein Album kostet. Mike hatte also schon enorme Verkäufe. Also haben wir mit Jive gesprochen, dann wurden Treatments und Budgets von den Videoproduktionsfirmen eingeholt und dann wurde das auch freigegeben. Es war eine größere Überzeugungsarbeit, dass wir ein fettes Video zu »10 Rap Gesetze« machen wollten, obwohl der Song nur eine Minute und 39 Sekunden lang ist und keinen Refrain hat. Da gab es schon einen Erklärungsbedarf, warum das jetzt wichtig war. Wenn man heute nochmal zurückspult und sich anschaut, wer alles in dem Video auftaucht – von Spaiche bis Azad und den Stieber Twins, von Cora bis RAG und Walking Large – da kamen schon illustre Figuren zusammen. Wir haben das damals im Funkhaus Berlin in der Nalepastraße gedreht, wo wir jetzt auch das »MTV Unplugged« von Max Herre gedreht haben. Das war eine Aktion, wo wir uns bei der Plattenfirma positiv durchgesetzt haben. Mike und ich wollten das unbedingt machen. Das war einfach der coolste Shit.

  • Warst du direkt damit einverstanden, dass ein 19-Jähriger mal eben »10 Rap Gesetze« aufstellen wollte?

  • Das war ein Song, über den wir in der Konzeption schon sehr gestritten haben. Wir waren ja beide durch den amerikanischen HipHop sozialisiert und ich habe natürlich die Frage gestellt, ob er sich diese Deutungshoheit erlauben darf und mit welcher Begründung. Ich fand das einfach ein bisschen anmaßend. Der Streit ist dann aber recht schnell abgeflacht, als klar wurde, was er damit sagen will. Natürlich gab es »10 Crack Commandments« als Vorbild und er wusste, was er machen wollte. Ich habe dann verstanden, dass es eine Hommage ist, die in jeder Silbe die Kultur respektiert. Es ging gerade darum zu sagen, dass er nach den Leistungskriterien dieser Kultur lebt und strebt. Curse wollte ja nicht Martin Stieber erklären, was HipHop ist, sondern den Leuten da draußen, die es noch nicht verstanden hatten. Und erst am Ende gab es diesen kleinen Fingerzeig nach dem Motto: Don’t fuck with me. Und dann sind all diese Größen am Set erschienen sind und haben seine Aussagen dadurch unterstützt. Das war ja zu einer Zeit, wo Leute wie Der Wolf in den Charts waren, und Mike lieferte die Erklärung, wie man HipHop eigentlich verstehen muss und was darin wichtig ist.

    Es war eine interessante Situation, für diesen Song den richtigen Beat zu finden, weil es ein unheimlich spezielles Teil war. Das war auch einer der ersten Songs mit so einer Low-Pitch-Voice als Effekt. Lord Scan hatte immer diese Beat-Tapes für den Klan und für Mike gemacht. Da war ein Beat, der passte vom Groove und vom Bounce, aber da waren viel zu viele Sounds drin, das war einfach zu crazy. Lord Scan war ja in so einem Electronica-Sinne schon sehr fortgeschritten damals. Also standen Mike und ich bei Busy in der Küche, haben dieses Scan-Ding gehört und dachten: Der Beat ist es, aber die ganzen Sounds müssen raus, wir behalten nur den Groove und diese Bassline. Also haben wir mit Scan diskutiert, da wurde um jeden Sound gestritten. Am Ende haben wir es probiert und da kam dieses ultrareduzierte Ding raus, das total gepasst hat und einfach eine Magie hatte. Das war ein genialer Moment, der auch zum Kult um diese Platte extrem beigetragen hat. Wir waren ja bei einem Major und hatten ein Riesenvideo zu einem Song, der keine zwei Minuten lang war. Das hatte schon Eier.

  • Wie kamen die Arsonists und Shabazz The Disciple aus dem New Yorker Underground auf den Song »Seance«?

  • Mike hatte zu denen schon in New York Kontakte aufgebaut. Das waren einfach seine Jungs. Die waren auch immer wieder mal für Konzerte in Deutschland, man kannte sich und hing miteinander ab. Einmal hatten sie eine Show in Heidelberg, glaube ich, und dann ist Mike losgefahren und hat mit ihnen das Ding aufgenommen. Ich glaube auch generell, dass es da noch eine Connection zu Akanni nach Heidelberg gab, aber das müsste man nochmal eruieren.

  • Der Song mit Tone und J-Luv entstand logischerweise aus der schon erwähnten Frankfurt-Connection?

  • Ja, da gab es eine ganz intensive Verbindung. Die haben sich immer gegenseitig auf ihren Platten gefeaturet und sich auch an denselben Vorbildern orientiert. Es war ja auch mal angedacht, eine gemeinsame Platte als Cherubim zu machen – das wären Curse, Azad und Tone zusammen gewesen. Das ließ sich dann am Ende nicht umsetzen, aber die Verbindung war schon sehr eng, auch auf den folgenden Curse-Platten noch. Als MCs hatten sie einen großen Respekt voreinander und eine große geteilte Leidenschaft. Das war eine starke Achse.

  • »In der Szene ist diese Platte eingeschlagen wie eine Bombe.«Auf Twitter teilen
  • Wie wurde »Feuerwasser« kommerziell, medial und in der Szene aufgenommen?

  • In der Szene ist diese Platte eingeschlagen wie eine Bombe. Das war ein komplett neuer Antrag. Die Art zu rappen, die Stimme, die Texte – das war schon an jedem Punkt exzeptionell. Da war ein MC, der nicht aus einer der großen HipHop-Städte kam. Minden in Westfalen – da war gar nichts. Es gab Berlin, Stuttgart, Hamburg, Frankfurt. Aber dann kam ein Typ aus Minden und machte es klar. Das war schon erstaunlich. Trotz vieler freundschaftlicher Verbindungen in die erwähnten Städte wurde er von der Szene als Einzelkämpfer wahrgenommen. Es gab ja im deutschen HipHop immer diese großen Movements: Der Stuttgart-Sound von der Kolchose, der Hamburg-Sound von der Mongo Clikke, später der Aggro-Berlin-Sound. Aber Curse war einfach nur Curse aus Minden. Damit hat er eine neue Qualität gezeigt – zusammen mit Samy und Azad. Die erste Dynamite-Deluxe-Platte kam ja sogar am selben Tag wie »Feuerwasser« raus, »Leben« dann ein paar Monate später. Alle drei nahmen ihre Kunst sehr ernst und hatten eine gewisse Härte. In der Szene hat das einen enormen Stellenwert eingenommen.

    In der kommerziellen Medienlandschaft hat das Album keine Rolle gespielt. Die hat Mike über lange Jahre, wenn nicht seine gesamte Karriere hindurch, ignoriert. Die haben ihn immer als zu sperrig, zu anstrengend, zu dies, zu das empfunden. Wir waren nicht ein einziges Mal bei Stefan Raab oder in irgendeiner Mainstream-TV-Sendung. Trotzdem lief es kommerziell sehr gut. Das Album ist hoch gechartet, was damals absolut noch keine Selbstverständlichkeit war. Und das ohne Radio-Plays, eigentlich ohne jegliche Mainstream-Medien. Klar, wir waren in der »Juice« Album des Monats und die HipHop-Medien sind mitgezogen. Im Genre hatte es diesen Stellenwert und es hat nach und nach auch sehr gut verkauft. Ich denke schon, dass es inzwischen jenseits der 100.000 Einheiten liegt, über die Jahre. Schon im ersten Run bis zum nachfolgenden Album müsste es 40.000 bis 50.000 Stück verkauft haben. Das war schon enorm. Es gab ja noch kein Internet in der Form, wie wir es jetzt kennen, zumindest nicht mit diesen Verkaufseffekten. Für Jive war es also überraschend erfolgreich, was natürlich auch diese Vertrauensbildung und diese Freiheit geschaffen hat. Für Mike war das auch eine Genugtuung. Klar, Dynamite Deluxe haben im Vergleich noch viel mehr verkauft, und da gab es auch immer Competition. Aber das Gute war, dass auf einem Level der Bewertung innerhalb der Szene die Platten als gleichrangig wahrgenommen wurden. Samy war der bekanntere und erfolgreichere Künstler, aber im HipHop-Kontext waren er und Mike, was die Alben und Skills angeht, dennoch auf Augenhöhe. Nicht zuletzt, weil sie beide auch höchstem Niveau ihren eigenen Style hatten.

  • Gab es zwischen Curse und Samy nicht ohnehin ein gewisses Konkurrenzdenken?

  • Nun, Mike war ja mit Azad befreundet. Da gab es ganz sicher ein Competition-Ding, ohne dass das jemals offen ausgesprochen wurde. Es gab ja nie offene Disses, wie zwischen Azad und Samy. Man hatte schon gegenseitigen Respekt voreinander, aber es waren schon auch ganz unterschiedliche Anträge an Sound und an Thema. Das war eine ganz schwierige Kombination aus Respekt und Konkurrenz. Wir haben damals natürlich auch immer sehr genau beobachtet. Das hat einen auch mal angefasst, wo wir dachten: Mensch, wieso bekommen die all diese Flächen, die wir nicht bekommen? Auf der anderen Seite konnten wir immer sagen: Wir haben diesen Erfolg und machen Videos zu Songs wie »10 Rap Gesetze«, wir marschieren so weit links und machen Themen, die kein anderer anpackt. Das Feld war nicht bestellt, wir standen frei und haben nur aus eigener Kraft agiert, ohne ein Movement, ohne eine große Stadt im Rücken zu haben. Selbst wenn alle HipHop-Fans in Minden die Platte gekauft hätten, wären wir noch nicht in den Top 10 gewesen. Das war in anderen Städten schon eine andere Macht, was die schieren Fan-Zahlen anging. Wir hatten keine dieser Beschleuniger, die andere große Artists hatten. Curse hatte Fans in allen wichtigen HipHop Städten, ohne einer anzugehören. Daher war es natürlich eine Konkurrenz, aber wir haben dadurch auch sehen können, was wir eigentlich alles mit unserem Antrag erreichen, aus der Kleinstadt und dass das fett ist. Trotz dieser Außenseiterstellung an dem Punkt. 

  • »Er bleibt sicher einer der wichtigsten MCs, die deutscher HipHop je hervorgebracht hat.«Auf Twitter teilen
  • Wenn du 15 Jahre später auf »Feuerwasser« zurückblickst, wie gut ist es für dich gealtert und welchen Impact hatte es deiner Meinung nach auf deutschen HipHop?

  • Ich finde, dass es auch in der Retrospektive einen massiven Impact gehabt hat. Es hat einen wichtigen Beitrag dazu geliefert, dass es in Deutschland überhaupt ernsthaften HipHop nach amerikanischen Kriterien gibt. Da gibt’s auch andere Platten, die wichtig waren, aber »Feuerwasser« ist definitiv eine davon. Es gibt für mich auf dem Album auch einige Titel, die schlecht gealtert sind – das sind genau diese Titel, die noch die Ansagen, den Ladies-Talk und den Krawall gemacht haben. Diese Titel sind, was sie sind. Sicher nicht schlecht, aber von anderer Qualität. Aber die Titel, die am Ende den Stellenwert dieser Platte besiegelt haben – »Wahre Liebe«, »Schlussstrich«, »10 Rap Gesetze«, »Hassliebe«, »Entwicklungshilfe«, »Unter 4 Augen« – die stehen wie ein Eins. Die können sich unter jedem Kriterium mit der heutigen Elite messen. Mix, Sound, Beats, Lyrics, Vokabular… Mike hat ja viele Fremdworte und sehr literarische Sprache benutzt, aber sein Sprachbild ist nach wie vor gültig. An »Wahre Liebe« müsste man kein Wort ändern, um es 2015 rauszubringen. Es gibt andere Sachen, die aus damaligem Rap-Sprech bestehen, die man heute so nicht mehr sagen oder rappen würde. Aber ganz wenige der Sachen auf »Feuerwasser« müsste man aus heutiger Sicht ändern.

    Ich finde, dass es ein ganz wichtiges Album ist und bleibt, auch wenn »Von Innen nach Außen« das noch bessere Curse-Album ist. Aber natürlich transportiert »Feuerwasser« die Magie des ersten Kennenlernens. Die Szene hat diesen Sound und diese Art zu rappen und zu texten zum ersten Mal in der Qualität und Form gebündelt erleben dürfen. Das bringt noch einmal eine emotionale Aufladung, weil man das vorher noch nie gehört hatte und es in einem Moment gehört hat, wo HipHop in einer bestimmten Phase war. Der Deutschrap-Hörer der ersten Generation war zu diesem Zeitpunkt an einem bestimmten Punkt in seinem Leben, wo diese Botschaft tief eindringen konnte. Dieses Album hat einfach mehrere Momente gebaut. Es ist in größten Stücken sehr gut gealtert. Es gibt ein paar Songs, die hätte ich damals schon nicht unbedingt gebraucht, die brauche ich heute schon gar nicht mehr. Aber die guten Songs, der Schwerpunkt des Albums, stehen nach wie vor. Und das sind die Songs, mit denen man das Album verbindet. Es gibt auch auf jedem Biggie-Album ein paar Songs, in die man rückwirkend reinhört und denkt: Na ja, das war’s jetzt vielleicht auch noch nicht ganz. Aber die guten Songs weisen Curse nach wie vor – ganz unabhängig davon, was er die letzten fünf oder sechs Jahre getan hat – als einen der ganz Großen dieses Metiers aus. Mit dieser Visitenkarte kann er sich immer wieder vorstellen und sagen: That’s what I do. Das überholt sich nicht, er bleibt sicher einer der wichtigsten MCs, die deutscher HipHop je hervorgebracht hat. 


  • Die exklusiv von ALL GOOD präsentierte »Feuerwasser15«-Tour startet am 20. November in Minden. Tickets gibt’s hier.

    Ebenfalls am 20. November erscheinen die verschiedenen Re-Editions von »Feuerwasser 15«. Die limitierte Collector’s Box enthält unter anderem das 100-seitige, von ALL GOOD geschriebene Liner-Notes-Buch »Warum hört ihr mir überhaupt zu?« — Hier geht’s zur Vorbestellung.