Dissy »Da passe ich nicht rein mit meinem sperrigen Shit.«
Im Februar 2021 erscheint mit »bugtape side b« das zweite Album von Dissy innerhalb rund eines Jahres. Das dritte befindet sich bereits in der Produktion. Dazu kommen Storyboards für Musikvideos für viele andere Künstler. ALL GOOD-Autorin Sofie Rathjens sprach mit Dissy über kreative Stammtische und eine neue Stimmung in der eigenen Musik.
2020 bedeutete für viele Künstler vor allem Stillstand und abgesagte Auftritte. Als Dissy und ich uns für einen grauen, kalten Dezembervormittag am Telefon verabredet haben, scheint ihn zumindest eines von beiden nicht eingeholt zu haben: »Ich muss um 14 Uhr zu einem Videodreh und habe gerade erst erfahren, dass ich mir dafür den Bart abrasieren muss.« Es ist eines von insgesamt vier Videos, die gerade auf Dissys To-do-Liste stehen. Dissys Pläne – als Filmemacher und als Musiker – scheinen einer unerschöpflichen Quelle zu entspringen, die den gebürtigen Erfurter auch im nächsten Jahr mehrere neue Projekte realisieren lassen wird. Ein kurzer Blick zurück.
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Von »Pestizid« zu »bugtape« a und b – haben sich die Parasiten am Ende durchgesetzt?
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(lacht) Die Parasiten sind ja im Grunde wir selbst. Die Gesellschaft soll halt relativ gleich aussehen, da fallen wir, die am Rand sind, auf. Auf den »bugtapes« hat quasi eine Rückbesinnung stattgefunden, der Titel erinnert nochmal daran. Die Menschen schlucken viel runter, aber jeder hat seine Wut im Bauch, weil er innerhalb der Gesellschaft funktionieren muss. Manchmal muss man die Wut rauslassen, das mache ich in der Musik.
- »Manchmal muss ich mich echt zwingen, mich mit Deutschrap zu befassen.« Auf Twitter teilen
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Deine musikalische Arbeit bewegt sich seit Beginn abseits gängiger Genre-Regeln – sie ist zum Teil poetischer oder mehr Punkrock als üblich im Rap und hat dadurch aber auch neue Schattierungen hineingebracht. Bist du gelangweilt von Rap?
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Das nicht direkt, es gibt da nur mittlerweile eine so große Masse an Künstlern, dass ich das gar nicht mehr alles hören kann bei zwanzig neuen Signings pro Woche. Ich mag halt auch andere musikalische Stile total, höre die vielleicht sogar am meisten. Manchmal muss ich mich echt zwingen, mich mit Deutschrap zu befassen.
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Welche anderen Musiker oder auch andere Künstler haben denn so Einfluss auf dich oder inspirieren dich?
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Hiro Murai, der hat zum Beispiel das Video zu Earl Sweatshirts »Hive« gedreht. Oder Filmemacher wie Frank Lebon, Lars von Trier und Gaspar Noé. Valentin Hansen, ein Filmemacher aus Berlin, finde ich sehr stark. Musikalisch zur Zeit: Joji und Brockhampton. Und OG Keemo, um auch mal wieder auf Deutschrap zurück zu kommen. Keemo ist ein krasser Texter!
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2017 hast du deinen Film »Fynn« über dein gleichnamiges Alter Ego herausgebracht. Am Ende wird Fynn, oder ein Teil von ihm, erschossen. Auf deiner vor Kurzem veröffentlichten Single »lauf!« taucht er hingegen wieder auf. Welche Rolle spielt Fynn heute in deinem Leben?
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Der war wahrscheinlich nie wirklich weg. (lacht) Auch auf dem »PLAYLIST 01«-Album kam Fynn mal durch. Früher war Fynn vor allem die böse Seite an mir, aber auch einfach mein Alter Ego als Produzent. Fynn hat die Beats gebaut. Das hat sich dann aber irgendwann aufgelöst. Wahrscheinlich, weil ich es selbst nicht super professionell fand, das so mysteriös zu halten. Die Zeit der »Fynn«-EP oder auch des Kurzfilms dazu sind schon vorbei. Darin ging es ja viel ums Feiern, was heute keine große Rolle mehr in meinem Leben spielt, aber auch um negative Gedanken. Die habe ich nicht mehr so. Inzwischen arbeite ich an dem Album, das nach »bugtape side b« erscheinen soll. Das wird rappiger, aber auch gechillter, souliger. Dann man das so sagen? Irgendwie…schöner. Diese dunkle Ausstrahlung, die meine Musik bis jetzt hatte, löst sich ein bisschen auf. Alles ist offener, positiver. Mal gucken, wie es am Ende genau sein wird.
- »Als weißer, junger Mann hat man im Grunde nicht allzu viele richtig krasse Probleme, über die man sich beschweren sollte.«Auf Twitter teilen
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Du bist Director deiner eigenen Musikvideos, aber auch bei Videos von Veysel oder Megaloh. Kannst du dich an den Moment erinnern, als du dich bewusst fürs Filmemachen entschieden hast?
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Nicht genau, aber ich habe damals in Erfurt schon Rap-Videos für meine Crew gedreht. Das sogar noch mit einer Video-Cam. Danach kam mein erstes Filmprojekt. Das ist noch ziemlich kitschig geworden, aber auch irgendwie cool. Ich hab dann erst mal mit kleineren Dokus weitergemacht, anstatt mit Musik, obwohl sich das nach der »Pestizid«-EP eigentlich angeboten hätte. Die Inspiration war aber irgendwie weg. Ich glaube, man weiß als Künstler oft nicht genau, über was man eigentlich schreiben will. Als weißer, junger Mann hat man im Grunde nicht allzu viele richtig krasse Probleme, über die man sich beschweren sollte. Jedenfalls habe ich also dann drei Jahre anstelle von Musik verschiedene Videoprojekte für andere Leute umgesetzt. Das hat sich auch ein bisschen bedingt, da durch »Pestizid« Anfragen auf mich zukamen, nachdem man meine Videos dazu gesehen hatte. Seitdem mache ich eben auch viele Videos für andere Künstler, das bringt genauso Bock.
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Im Gegensatz zum Schreiben deiner Lyrics vielleicht, über die du zumindest mal sagtest, sie seien eher Mittel zum Zweck, um was für deine Beats zu haben. Dennoch haben sie sich nochmal auffallend weiterentwickelt, du sezierst quasi deine Umwelt aus den verschiedensten Perspektiven.
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Ja, inzwischen hat sich das wirklich verändert bei mir. Früher fiel mir das schwerer, heute habe ich deutlich mehr Bock aufs Schreiben. Das macht vielleicht die Übung. Man wird routinierter mit der Zeit. Dadurch schreibt man dann auch automatisch lieber, weil man inzwischen ein Gefühl dafür hat. Ich versuche schon, eine Welt für Dissy zu erzeugen, in der eine Entwicklung stattfindet. Privat bin ich, glaube ich, gar nicht so negativ. Das lasse ich vielleicht einfach alles in meiner Musik raus.
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Gibt es Rituale bei dir im Studio oder beim Songwriting?
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Es muss auf jeden Fall das Handy aus sein! Es geht eigentlich darum, den Kopf frei zu machen. Dafür fahre ich meistens auch zunächst mal in Kreativurlaub – zum Beispiel nach Finnland oder Porto, wo ich vor Kurzem war. Ich bin dann gern dort, wo möglichst wenig Menschen sind, und viel allein unterwegs. Da bin ich weit genug vom Alltag weg und es ist relativ still. Es kommt schon vor, dass ich in einer einsamen Waldhütte sitze und schreibe. In der Vergangenheit gab es sowas wie einen kreativen Stammtisch, bei dem jeden Mittwoch ein paar Künstler-Freunde von mir und ich zusammenkamen und die eigenen aktuellen Projekte, auch Songs, den anderen zeigten und besprachen. Dabei war unter anderem Fritz Elsmann, der zum Beispiel auch das Video zu »Wagen voll Müll« gemacht hat damals, und Luvre47.
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…der als Feature gerade auf deiner Single »lauf!« auftaucht.
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Genau, Luvre habe ich über Fritz Elsmann kennengelernt, das passte einfach. Zusammen sind wir dann jeden Mittwoch bei jemand anders aus dem Kreis Zuhause gesessen und haben uns ausgetauscht. Das hat wirklich was gebracht. Leider haben wir irgendwann die Zeit nicht mehr dafür gefunden. Die Projekte, die wir da besprochen haben, wurden mittlerweile so groß, dass wir tatsächlich alle etwas ausgelastet sind im Moment.
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Wie viel von einem Dissy-Song oder einem Video kommt von dir selbst?
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Bei den Videos gibt es natürlich immer mehrere Leute – ein richtiges festes Team habe ich aber eher nicht. Wenn man Leute hat, die Bock auf das Projekt haben, bringt es auch einfach Spaß, mit denen zusammenzuarbeiten. In der Musik übernehme ich inzwischen noch mehr selbst als früher. Die Beats zum Beispiel produziere ich auf der nächsten Platte großteils allein. Ich habe schon eine generelle Idee davon, wie etwas klingen oder aussehen soll. Wenn ich ein Video drehe, bei dem ich selbst vor der Kamera stehe, aber auch gleichzeitig der Director bin, übernimmt die Szenen ein Co-Director oder auch mal mein Kameramann. Die wissen natürlich, was sie da tun, ich bringe mich aber auch an diesen Stellen mit ein und erkläre, wie ich mir die Einstellung vorstelle.
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Auf der Vorabsingle »september« vom »bugtape side b« deutest du auch dein Verhältnis gegenüber der Musikindustrie an, in der ein realistisches und damit auch mal eher negative schattiertes Weltbild weniger gut ankommt als ein unantastbares Ego. Wie waren deine Erfahrungen mit der Musikindustrie in den letzten Jahren?
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Das Problem mit der Musikindustrie besteht ja schon länger, die war quasi immer schon so: Man spürt, dass verkauft werden soll. Da passe ich nicht rein mit meinem sperrigen Shit. Aber in der kleinen Ecke, in der ich mich befinde und aus der heraus ich meine Musik machen kann, bin ich ehrlich gesagt sehr glücklich. Von meinem Label bekomme ich volle Unterstützung bei meinen Projekten. Ich kann im Grunde alles umsetzen, was ich möchte. Aber das läuft vielleicht nicht überall so ab. Ich glaube, in der Musik geht es gerade viel um Verdrängen. Wenn viel Schlechtes da draußen passiert, wird der Ruf nach Ablenkung immer relativ laut. Ich weiß, dass ich selbst ein Teil von der Musikindustrie bin, ich versuche aber mich mehr darauf zu konzentrieren, mich um die Menschen zu kümmern, die mir privat nahe stehen, oder diejenigen, die meine Musik hören und ähnlich denken, das Gefühl zu geben, verstanden zu werden.