Fid Mella & Kamp »Comebacks sind immer wack, oder?«
Statt auf Stolichnaya mit Whizz Vienna heißt es bei Kampelmühler jetzt Kamp & Mella. Will meinen: Kamp ist zurück mit dem Nachfolger zum 2009 erschienenen Untergrund-Klassiker »Versager ohne Zukunft«. Der Wiener Rapper hat sich 13 Jahre Zeit gelassen, um mit »2urück 0hne 2ukunft« die Niederschrift seiner Lebensgeschichte auf Beats von Fid Mella fortzuführen. ALL GOOD-Autor Till Wilhelm trifft das Dynamic Duo in Berlin-Moabit.
Kamps Telefon läutet. Der Klingelton ist ein Rap-Track mit Soul-Sample, von den Handylautsprechern zur Unkenntlichkeit verzerrt. Kamp spricht am Telefon über die Location, in der gleich die Listening Session zu seinem neuen Album »2urück 0hne 2ukunft« stattfindet. In Wien seien die meisten Leute erst eine halbe Stunde zu spät eingetrudelt, deshalb hat man in Berlin einen einstündigen Puffer eingebaut. Kamp hingegen wird der Listening Session gar nicht beiwohnen, bloß an der frischen Luft mit Maske und Fuß-Checks die Gäste begrüßen, denn fünf Minuten vor unserem Interview hat er sich positiv auf Covid-19 getestet. Morgen wollte er zurück nach Wien zu seiner Ehefrau Nora und seiner ebenfalls infizierten Tochter, denn er hat Geburtstag, wird 40 Jahre alt. Wir sitzen vor dem Moabiter Jobcenter in der Sonne, maskiert und mit zwei Meter Abstand. Fid Mella sucht noch nach einem Cinch-Kabel, stößt aber alsbald zu uns.
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Kamp: So, tschuldige! Du hast Recht, Essen spielt in meinen Texten eine viel zu geringe Rolle. Das ist merkwürdig, weil in meinem Leben, offensichtlich, spielt Essen eine große Rolle. Ich bin ein Genussmensch. Das ist, wofür sowohl meine Frau als auch ich am meisten Geld ausgeben.
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Was kochst du am liebsten?
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Kamp: Ich bin auf jeden Fall so ein Risotto-Otto. Ich habe wirklich genau das richtige Feeling für gerade noch bissfest, aber schlonzig genug. Wenn du mich nachts um drei Uhr aufweckst, kann ich dir das beste Risotto überhaupt kochen. Alle carota meistens, einfach Karotten-Risotto.
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Ich habe mir gestern eine halbe Stunde lang angeschaut, wie Blixa Bargeld mit Alfred Biolek Tintenfischrisotto kocht. Das hatte etwas sehr Meditatives.
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Kamp: Okay, das klingt geil. Danke für den Tipp. Das schaue ich mir nachher im Hotel an. Ich erwähne Blixa Bargeld zwar in »2urück«, aber die Einstürzenden Neubauten würde ich nicht zu meiner musikalischen Sozialisation zählen. Durch deren Studium bei Daniel Richter ergibt sich aber die Referenz, weil das eine Punk-Gang war, zu der auch mein damaliger Professor auf der Bildenden (Akademie der bildenden Künste Wien, Anm. d. Red.) gehört.
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Auf dem letzten Song des Albums heißt es in der Hook »Habts scho’ g’essen?«, ein Verweis auf Ex-Kanzler Kurz. Wie froh bist du darüber, dass er weg ist?
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Kamp: Er als Person –
Ein Feuerwehrauto fährt mit Sirenen vorbei, Kamp pausiert. In dem Moment erscheint Produzent Fid Mella und drückt dem Rapper drei Biere in die Hand.
Kamp: Ich bin froh, dass der Kurz aus der täglichen Berichterstattung zumindest verschwunden ist, weil das einfach eine ständige Quelle der Ärgernis ist. Aber der Apparat ist noch da und die Politik in Österreich ist gerade komplett kaputt. Es wird auch lange dauern, bis sie sich erholt – falls sie sich erholt.
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Ein anderer Politiker, den du erwähnst, ist Michi Häupl. In »Verloren Gegangen« heißt es, du sitzt mit dem ehemaligen Bürgermeister von Wien im Park – Basiert das auf einer wahren Begebenheit?
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Kamp: Nein, das ist kein Fakt. So hat sich Wien manchmal für mich angefühlt. Als wäre ich der Vize-Bürgermeister. Aber Häupl ist so ein Typ, mit dem man sich das theoretisch vorstellen könnte.
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Was würdet ihr dann trinken?
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Kamp: Auf jeden Fall Wein.
Fid Mella: Weißer Spritzer.
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Mit jedem Detail in deinen Texten schrumpft die Identifikationsfläche, auf die man in der Musikbranche setzt. Schreibst du absichtlich so, dass jeder A&R den Kopf schüttelt?
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Kamp: Ich habe nicht das Kalkül, meine Texte verständlich zu halten. Das ist eine Verschachtelung, die ich in Wirklichkeit nur für mich mache. Mir ist bewusst, dass es die Sache um einiges unzugänglicher macht. Scheinbar will ich lieber sperrig sein, auf eine dope Art und Weise. Am Ende ist das pures Nerdtum, das ich vor mir, aber auch nur vor mir selbst rechtfertigen muss. Wenn die Line einen gewissen Schmäh hat, dann ist die Sperrigkeit in Ordnung.
- Ich bin überall dorthin gegangen, wo »Versager ohne Zukunft« noch nicht war. (Fid Mella) Auf Twitter teilen
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Bei »Versager ohne Zukunft« samplete Whizz Vienna viel 70s-Soul, der auch gerne mal eine Hook ersetzen durfte. Bei dir, Mella, treten die Samples etwas mehr in den Hintergrund. Worauf hast du bei der Auswahl geachtet?
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Fid Mella: Ich bin überall dorthin gegangen, wo »Versager ohne Zukunft« noch nicht war. Es ist bloß ein einziges Sample aus den USA auf der Platte, der Rest ist eher europäisch, österreichisch, deutsch, italienisch. Ich höre jetzt dennoch von vielen, dass sich »2urück 0hne 2ukunft« gut an Kamps Debütalbum anschließt.
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Es gibt auch nicht wahnsinnig viele Produzenten, die so dezidiert auf europäische Samples setzen.
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Fid Mella: Die Platte wurde über die letzten zehn Jahre hinweg produziert, viele Beats sind auch einfach zehn Jahre alt. Zu der Zeit habe ich viele osteuropäische Prog-Rock-Platten gediggt, das war mein Film. Es war mir wichtig, dass dieses Album anders klingt als »Versager Ohne Zukunft«. Also habe ich keine Beats mit Ami-Soul-Samples gemacht, die auch auf dem Erstling hätten sein können.
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Du bist auch Südtiroler, da ist man eh europäisch zerrissen, oder?
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Fid Mella: (lacht) Das stimmt aber! In Italien bin ich aufgewachsen und musikalisch sozialisiert worden. Dann nach Österreich, später Deutschland. Das definiert den Horizont anders.
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Manche Referenzen machen die Musik total zeitlich verortbar. Dass Fiko 51 Visa Vie seine Liebe gestanden hat, ist über 9 Jahre her.
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Kamp: Na gut, das ist ein timeless classic. Wer das nicht kennt, ist selbst schuld. Fiko ist damals recht schnell von der Bildfläche verschwunden. Binnen Monaten wurde der zur Persiflage seiner selbst! Andererseits ist das eine extreme Form von Erfolg, einen kulturellen Bezugspunkt zu erschaffen, der so für sich steht. In letzter Konsequenz ist es natürlich nichts Positives. Im Fall dieser Zeile liebe ich den Aha-Moment, das Easter Egg. Grundsätzlich habe ich darauf geachtet, dass es textliche Anhaltspunkte für die Chronologie der Platte gibt.
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Du erwähnst auch Andreas und Clemens Ivanschitz. Ein Bruder Fußball-Nationalkapitän, der andere gescheiterter Fußballer und Taubenzüchter.
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Kamp: Aber ein Europameister in der Taubenzucht! Die Sieger picken sich den wahren Champion. Ich habe mit Clemens jetzt nicht mehr viel Kontakt, aber er war damals auch Producer bei der Hörspielcrew, einer Rap-Gruppierung aus dem Burgenland. Und Regionalligaspieler, später Taubenzüchter mit seinem Vater zusammen. Die gewinnen europaweit ständig irgendwelche Wettbewerbe mit ihren Tauben.
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Ist das die Hidden Champion-Mentalität?
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Kamp: Nah, einfach Underdog.
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Trotzdem ist Clemens Ivanschitz ja einer der Besten in dem, was er tut.
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Kamp: Genau, aber in einer Sache, die eigentlich niemanden interessiert. So wie wir versuchen, die besten in unserer Rap-Nische zu sein, für die sich die Wenigsten interessieren.
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Rap übers Scheitern gab es im deutschsprachigen Raum vor deinem Debütalbum in dieser Konsequenz kaum. Eigentlich absurd – sozial gesehen gibt es doch viel mehr Verlierer als Gewinner.
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Kamp: Stimmt, es musste sonst immer eine Moral geben, die dem Scheitern am Schluss gegenübersteht. Auf der anderen Seite hören wir ja Rap deswegen, weil wir uns normalerweise nicht mit unserem alltäglichen Scheitern auseinandersetzen möchten. Sondern eher, weil wir uns fühlen möchten wie ein geiler Hund, der mit ‚ner MAC-10 durch die Hood läuft. So geht es mir größtenteils auch.
- Guten traurigen Rap höre ich am allerliebsten. (Kamp)Auf Twitter teilen
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Hörst du selbst keinen traurigen Rap?
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Kamp: Guten traurigen Rap höre ich am allerliebsten, aber dann nicht ständig. Wenn du auf der Straße gehst und harten Rap auf den Headphones hast, übernimmst du diese Attitüde. Allein schon im Gang. Dann fühlst du dich wie ein Superheld.
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Da kommen wir vielleicht auch zu Christopher Moltisanti, dem du einen ganzen Song widmest. Aus allen verfügbaren TV-Figuren, warum gerade er?
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Kamp: Grundsätzlich ist »The Sopranos« für mich die beste TV-Show, die je gemacht wurde. Da könnt ihr ankommen womit ihr wollt, »Wire«, Mire. Christopher Moltisanti ist für mich der most relatable Charakter. Das hängt an vielen Dingen, an seiner Drogensucht, die ihn immer wieder zum Scheitern bringt innerhalb einer Organisation, wo ihm eigentlich alle Türen offen stünden. Natürlich ist er auch ein Stolichnaya-Testimonial. Es gibt schon ein paar Berührungspunkte mit Chrissi.
Fid Mella: Das unterschreibe ich voll, The Sopranos ist wirklich die Mami aller Serien. Mit Tony und Carmela gibt es natürlich zwei ganz krasse Charaktere, aber Chrissi Moltisanti ist wahrscheinlich der interessanteste. Er versucht, aus der Rolle, mit der er nicht klar kommt, auszutreten und ist ja auch ein kreativer Typ. Eigentlich will er Drehbücher schreiben!
Ein weiteres Mal klingelt Kamps Handy, diesmal aber bloß der Wecker.
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Geht es auf »2urück 0hne 2ukunft« darum, alte Muster abzulegen?
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Kamp: Geht es darum? Da muss ich selbst überlegen. Ich versuche schon, aus dem selbst kreierten Image auszubrechen. Dem auch irgendwann nicht mehr hinterherrennen zu müssen. Nach dem Debütalbum brach eine Zeit des absoluten Normcore an. Ich musste unbedingt mit Rap aufhören, um einmal im Leben etwas Vernünftiges zu probieren. 40 Stunden Arbeit pro Woche, plus Überstunden. Nicht, dass es mir Spaß gemacht hätte, aber ich bin eben ungesund engagiert in allem, was ich mache. Und ich mache immer nur eine Sache, dafür wirklich zu 100%. Alles andere ist mathematisch nicht möglich. Das ist eine ungesunde Gratwanderung, wenn man keine Balance findet.
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So ganz stimmt das doch nicht. Ihr sagt, »2urück 0hne 2ukunft« entstand über zehn Jahre hinweg. Woher kam überhaupt der Drang, Songs zu machen?
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Kamp: Weil Rap trotzdem zu mir gehört. Ich habe versucht, diesen Teil komplett auszublenden, aber einmal im Quartal ist es für einen kurzen Moment durchgebrochen.
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Und dann bist du einfach in Mellas Studio eingeritten?
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Kamp: Es war eher so, dass Mella sich einmal im Vierteljahr gemeldet hat, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen. Dann bin ich vorbeigekommen und habe geschaut, bei welcher Nummer ich jetzt wieder vier Zeilen mehr habe als beim letzten Treffen. Dann haben wir wieder eine Songskizze aufgenommen. Bis zum letzten Sommer hatten wir aber überhaupt keine fertigen Songs, wir saßen auf 14 Skizzen. Daraus haben wir 14 Songs, und dann nochmal zwei Songs gemacht.
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Das heißt, du musstest Kamp auch immer ein wenig drängeln?
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Kamp: Aber es war nicht pushy!
Fid Mella: Wahrscheinlich bin ich darin auch nicht erfolgreich gewesen, denn er hat mir nie das Gefühl gegeben, dass wir gerade an einem festen Projekt arbeiten. Ich bin sowieso immer busy. Die Arbeit mit ihm und an der Platte hat mir immer Freude gemacht, aber mir war nie klar, ob sie irgendwann kommt.
Kamp: Mir auch nicht. Das hat sich erst letztes Jahr herauskristallisiert.
Fid Mella: Vergangenen Sommer ist er plötzlich gekommen und sagte: »So, jetzt machen wir das fertig«.
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Wieso fiel dann plötzlich die Entscheidung, das Album fertigzustellen?
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Kamp: Schon 2020 habe ich die Lust an dem Erwachsenenleben, das ich zehn Jahre geführt habe, ziemlich verloren. Und auch mich selbst hatte ich verloren. Dann geht man zurück zu Dingen, die man kennt. Oder Dinge, von denen man denkt, dass sie einen ausmachen. Für mich ist das die Musik. Schon seit einiger Zeit hatte ich die Sinnhaftigkeit meines Berufs als Schuheinkäufer zurecht hinterfragt. Letztes Jahr wurde einfach klar, dass dieser Normcore-Lebensabschnitt zu Ende geht. Es wurde Zeit, sich wieder auf die wirklich unwichtigen Dinge des Lebens zu fokussieren, nämlich Rap. Und Schuhdesign. Jetzt werde ich 40 Jahre alt und habe die Chance gesehen, das zu machen, was ich liebe und damit meine Familie zu ernähren.
Fid Mella: »2urück 0hne 2ukunft« hat etwas Filmisches, wie ein Biopic. Kamp schreibt auf Alben erbarmungslos ehrlich und nah an seiner Realität. Ein Kapitel war abgeschlossen, also musste das Album kommen.
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Wie seid ihr dann vorgegangen?
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Fid Mella: Für mich hat es sich angefühlt, als würden wir vor einem Puzzle stehen. Um ein Album daraus zu machen, mussten wir jedes Teil nochmal anfassen und nach seinem Platz suchen. Manche Skizzen hatten wir komplett vergessen. Wir mussten die Fragmente nur noch zusammensetzen. Eigentlich eine ganz angenehme Arbeit, weil es schon viel Substanz gab. Nur die Struktur hat gefehlt.
Kamp: Wir hätten auch alles letzten Sommer beginnen und fertigstellen können. Das wäre auch dope geworden. Vielleicht wäre es doper geworden, ich weiß es nicht. Rap ist immer etwas sehr schnelllebiges. Früher hatte ich einen totalen Stress, immer möglichst tagesaktuell Songs zu veröffentlichen. Heutzutage ist das tatsächlich technisch möglich, damals waren wir froh, wenn wir’s in nur drei Monaten geschafft haben. Diesen Stress habe ich total abgelegt und ein fast schon ungesundes Selbstbewusstsein entwickelt für Lieder, die eben teilweise vor zehn Jahren geschrieben wurden. Auch, weil die Herangehensweise beim Schreiben offensichtlich so degeneriert ist heutzutage, dass ich mir um den State of the Art nicht eine Sekunde Gedanken machen muss. Wir müssen uns für nichts genieren, »2urück 0hne 2ukunft« ist einfach geil gereift. Wie ein guter Wein.
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Habt ihr in den Sessions mehr Musik gemacht oder mehr geredet?
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Fid Mella: Wir haben sogar wirklich Musik gemacht, wir haben gemeinsam produziert. Das Reden kam dann nebenbei.
Kamp: Ich habe ab und zu etwas eingeworfen, aber natürlich hat der Mella das gemacht. Trotzdem, so lief die Arbeit mit Whizz nie ab. Mella hat mir das erste Mal das Gefühl gegeben, auch musikalisch mitreden zu können. Davon ist aber nichts auf der Platte gelandet.
Fid Mella: Das stimmt nicht. Von einigen Sessions sind Skizzen auf dem Album gelandet.
Kamp: Aber nichts von dem, das wir wirklich from scratch produziert haben.
Fid Mella: »Verloren Gegangen« ist doch komplett so entstanden.
Kamp: Nah, da erinnerst du dich falsch.
Fid Mella: Da siehst du’s. Wenn so viel Zeit vergeht, sagt der eine, du erinnerst dich falsch. Ich hätte gedacht, dass wir den und auch eins, zwei andere Beats gemeinsam gemacht hätten.
- Bei uns wird One Take gerappt! (Kamp)Auf Twitter teilen
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Kamp, deine Musik lebt davon, wie persönlich und direkt du deine Lebensgeschichte erzählst. Hat die Musik für dich die Funktion als externes Gedächtnis?
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Kamp: Ja, bestimmt. Wenn das interne eh schon so schlecht ist, dann belässt man die paar Fragmente auf Vinyl und kann sie auch zehn Jahre später noch abrufen. So geht es mir jetzt mit »Versager ohne Zukunft« und so wird es mir wohl in zehn Jahren mit »2urück 0hne 2ukunft« gehen. Noch dazu hat dieses, im Gegensatz zum Debüt, eine pedantische Chronologie. Jede Nummer ist genau dort, wo sie sein darf und man könnte keine zwei Titel tauschen. Für das Publikum ist das vielleicht gar nicht so nachvollziehbar.
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Mein Gefühl war: Du musst deine Lieder schreiben, um diese Momente, Gefühle, Geschichten zu konservieren. Weil die Musik bleibt, die Emotion aber vielleicht nicht.
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Kamp: Bestimmt. Andererseits haben wir im Sommer 2021 alle Songs in 72 Stunden nochmal aufgenommen. Die Aufnahmen selbst stammen nicht aus zehn Jahren, die Textskizzen schon. Es war mir wichtig, dass es aus einem Guss kommt.
Fid Mella: Kamp hat immer klar kommuniziert: »Wir nehmen das alles nochmal auf«. Das hat mich immer bisschen angefuckt, weil ich dachte: »Nein, wir haben doch endlich was – mach’s doch jetzt!«.
Kamp: Aber es hat nicht die Emotion gefickt. Das kann ich wieder abrufen, solange der Text schon geschrieben ist. Diese Texte habe ich jetzt für eine lange Zeit mit mir herumgetragen.
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Faszinierend finde ich auch, dass deine Vocal Performance sich kaum verändert hat in 13 Jahren.
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Fid Mella: Ich finde, er klingt auf diesem Album geiler als auf »Versager Ohne Zukunft«, weil seine Stimme geiler klingt. Die Flows sind auch besser.
Kamp: Du bist einfach ein strenger Vocal Coach gewesen. Wir haben jetzt schon ein paar Mal gehört, die Stimmlage und Betonung sei noch so ähnlich wie früher. Wir nehmen das als Kompliment. Egal, wie es gemeint ist.
Fid Mella: Kamp kann einfach fünf Takes rappen und die klingen alle komplett identisch. Das Erstaunlichste war, dass er Tracks zehn Jahre lang schreibt, stehen lässt und dann aber komplett mühelos hingeht und das in zwei Takes einrappt. Wenn du nach zehn Jahren nicht an jeder Silbe zweifelst, ist das beeindruckend. Ich kenne das von anderen Rappern.
Kamp: Und wir stückeln nicht! Bei uns wird One Take gerappt!
Fid Mella: Auch, zu sagen: »Das ist der Take, ich mach den kein drittes Mal«. Er kann nur so selbstsicher sein, weil er im Studio wirklich on point ist.
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Würdet ihr sagen, Nostalgie ist in eurer Musik ein wichtiger Faktor?
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Fid Mella: Ich bin grundsätzlich ein nostalgischer Mensch. Ich hänge sehr an Erinnerungen, identifiziere mich sehr über die Sachen, mit denen ich aufgewachsen bin.
Kamp: Wir wollen eigentlich das genaue Gegenteil, selbst die Zukunft bestimmen. Und in Zukunft weckt das bei Anderen nostalgische Gefühle.
Fid Mella: Meine Nostalgie ist aber rein charakterlich, musikalisch hab ich den Stress gar nicht.
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Wenn du von der Zukunft sprichst, die ihr formt, dann ist die durch die lange Entstehungszeit auch schon wieder Vergangenheit geworden.
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Kamp: In der Zukunft, die ich vor zehn Jahren herbeigeschrieben habe, sind wir jetzt angekommen.
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In diesem Album steckt enorm viel von Kamps Lebensgeschichte, von tiefen Emotionen und intensiven Erlebnissen. Wie kann man einem solchen Album als Produzent seinen Stempel aufdrücken?
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Fid Mella: Weil mir immer bewusst war, dass es Kamps Album ist, habe ich mich gezielt zurückgenommen. Deshalb habe ich ihn auch viele musikalische Entscheidungen fällen lassen, da war ich kein Diktator. Meine Aufgabe war, das Beste für ihn speziell zu produzieren. Für seine Story. Dieses Album erzählt nicht meine Story. Trotzdem bin ich jemand, der sein Leben aus größter Nähe beobachtet, ich kenne Kamp seit Ewigkeiten. Ich wollte emotionale Lösungen im Klang finden.
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In »Leuchtende Tage« erzählt Kamp von dem Tod seiner Mutter. Wie kann man einem solchen Thema musikalisch entsprechen?
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Fid Mella: Das war für mich die schwierigste Aufgabe. Da gab es einige Beats, mehrere Versionen und auch eine Vision, die ich hatte. Zum Schluss haben wir alles verworfen und nochmal anders gemacht. Diese Platte hätte nicht vor fünf Jahren kommen können, weil ich gewisse Sachen noch nicht verstanden hatte. Zum Beispiel, wie dieser Song zu produzieren ist. Ich wollte den sehr emotional gestalten, um dem Thema gerecht zu werden. Wir haben später viel darüber gesprochen, dass Trauer sich entwickelt und verschiedene Stadien durchläuft. Zum Schluss haben wir uns entschlossen, dass wir den aktuellen Stand der Trauer abbilden wollen. Nicht unbedingt diese unmittelbare Dramatik. Das Sample in »Leuchtende Tage« entstammt einem der Lieblingssongs von Kamps Mutter, ist also ein Teil des Andenkens. Oft sind im Studio diese Gespräche neben der Arbeit passiert. Manches haben wir erst verstanden, wenn es vor uns lag. Gerade im letzten Jahr war endlich genug Abstand da, um die Puzzlestücke einordnen zu können.
- In der Produktion hat es sich für mich nie wie ein Comeback angefühlt. (Fid Mella)Auf Twitter teilen
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Kamp, bezeichnest du »2urück 0hne 2ukunft« als Comeback?
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Kamp: Was geht damit einher? Es gab ja kein Anniversary, das man mit dem Nachfolger monetär bespielt. Ich bin jetzt einfach erstmal da. Und das ist Teil meines täglichen Business.
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Gab es überhaupt Deutschrap-Comebacks der letzten Jahre, die euch überzeugt haben?
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Kamp: Comebacks sind immer wack, oder? Willst du das damit sagen? Lass mich überlegen.
Fid Mella: Klar, Lakmann.
Kamp: Das war ein wirklich gutes Comeback, weil er, als er zurückkam, hundertmal geiler war als damals. Und der war wirklich lange weg. Lakmann habe ich früher auch nie so gefeiert und fand ihn dann plötzlich richtig gut. Es gibt Crews, die in keinem Vergleich zu uns stehen, wie die Absoluten Beginner, die haben es mit jedem Album geschafft, eine neue Form von Relevanz für sich zu finden.
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Mir kommt euer Album weniger wie ein Comeback vor, sondern eher, als hättet ihr eben gewartet, bis es wirklich etwas zu erzählen gibt. Auch, wenn es 13 Jahre dauert. Würdet ihr dem zustimmen?
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Kamp: Absolut, wir haben gewartet, bis wir genug für uns relevantes Material zusammen hatten. Für ein Album mit wirklich viel Substanz braucht es einfach eine gewisse Spanne an Lebenszeit. Klar kannst du auch jedes Jahr veröffentlichen, um eine Vita zu zeichnen. Uns war es wichtig, ein Album zu schaffen, das für sich stehen kann.
Fid Mella: In der Produktion hat es sich für mich nie wie ein Comeback angefühlt. Das wäre anders, wenn wir erst letzten Sommer angefangen hätten. Dann kommt ein Druck, den kannst du ganz schwer handhaben. Unser Glück ist, dass wir nicht auf Kommando funktionieren mussten. Weil wir ohne Stress und Anstrengung arbeiten konnten, ist dieses Album gut geworden.
Kamp: Diese zwei guten Alben, die ein Künstler machen kann, brauchen ihre Zeit. Man sagt ja: Für das erste Album hast du dein Leben lang Zeit, für das zweite dann drei Jahre. Wir haben uns für das zweite Album einfach noch ein Leben lang Zeit genommen.