Maximilian Schneider-Ludorff »Am Anfang reichte es, den besten deutschen Untergrund-Rap zu buchen.«
2015 ist offenbar kein gutes Jahr für mittelgroße HipHop-Festivals: das HipHop Open macht Schluss und auch die Tapefabrik steht kurz vor dem Ruin. Lisa Wörner sprach mit Gründer Maximilian Schneider-Ludorff über die Geschichte der Tapefabrik, die Gründe für die Insolvenz, fehlenden Aktionismus, Gästelistenpolitik und Haftbefehl.
Deutscher Rap brummte in den letzten Jahren auf der Überholspur, was alle Beteiligten zunächst einmal natürlich freut. Die Hochkonjunktur bringt allerdings auch Probleme mit sich – gerade im Live-Sektor: Veranstalter, die sich bisher auf die reine Anziehungskraft von Untergrund-Rap-Acts verlassen konnten, haben inzwischen mächtig zu kämpfen, um steigende Gagen, Attraktivität des Line-Ups und benötigte Besucherzahlen in Einklang zu bringen. So auch die Tapefabrik, die in den vergangenen Jahren den rasanten Aufstieg vom kleinen regionalen Abend-Event zur größten HipHop-Jam Deutschlands gemacht hat – und nun vor der Insolvenz steht. (Um das Festival zu retten, nimmt die Tapefabrik nun am 20. September 2015 im angestammten Schlachthof in Wiesbaden ein letztes Mal ihre Produktion auf.) In einer kleinen Pause von Insolvenz-, Promo- und Organisations-Struggle zwischen München und Wiesbaden, erzählte uns Tapefabrik-Gründer Maximilian Schneider-Ludorff, was genau passiert ist und welche Auswirkungen die zunehmende Kommerzialisierung des Marktes auf Veranstalter wie ihn hat – und ermöglicht damit einen interessanten Blick hinter die Kulissen von deutschem HipHop (no backstage).
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Ihr habt mit der Gründung der Tapefabrik vor ein paar Jahren versucht, eine Art Marktlücke zu füllen – also etwas auf die Beine zu stellen, was es so eigentlich noch nicht gab. Was war die Grundidee?
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Wie das ja oft mit so Projekten ist, war die Grundidee nicht, ein riesen Festival zu bauen und drei Bühnen und 60 Artists zu haben – sondern die war erst einmal: es gibt eine Art von Rap, den wir sehr feiern, der aber live nicht zu sehen ist. Und zwar nicht nur in unserer Region, sondern allgemein sehr selten. Der erste Schritt war tatsächlich, einfach Künstler zu buchen, die wir selbst gefeiert haben – wie Hiob und Morlockk Dilemma, JAW, eloQuent und Jephza. Das waren die ersten Acts, die für uns so ziemlich das Geilste an Rap waren, was es zu dem Zeitpunkt gab – und das war eben diese Untergrundecke. Weil das dann so gut funktioniert hat, wollten wir uns einen Rahmen schaffen, in dem wir noch mehr Künstler zu uns holen konnten, die wir sehen wollten. Der nächste Schritt war also mit dem Schlachthof in Wiesbaden zu sprechen. Dort hatten wir dann die Möglichkeit, auf zwei Bühnen wesentlich mehr Artists zu holen. So hat sich das alles entwickelt.
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Im Januar in Wiesbaden hast du schon gesagt: »Wenn die Tapefabrik einmal zu wenig Besucher hat, dann war’s die letzte«, da ihr eben nie auf Gewinn aus wart und dementsprechend keine Rücklagen gebildet habt. Es kamen dann tatsächlich weniger Besucher als in den Jahren davor.
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Ja. In Wiesbaden dieses Jahr hatten wir zwar noch ganz gute Besucherzahlen, aber eben wesentlich weniger als im Vorjahr. Dadurch, dass die Kosten kurz vor dem Event noch mal unerwartet hoch gestiegen und die Besucherzahlen gleichzeitig eingebrochen sind, hatte man auf beiden Seiten eine schwierige Entwicklung, die zusammen zu einem Minus in Wiesbaden geführt haben. Das war an sich noch nicht besorgniserregend. Hätten wir eine normale Kostenentwicklung gehabt, wäre das kein Problem gewesen, ebenso wenig eine normale Besucherentwicklung – das hätte man im nächsten Jahr wieder korrigieren können. Berlin sollte dann das leichte Minus ausgleichen und vielleicht sogar einen kleinen Gewinn erwirtschaften. Dort hatten wir leider keine Vorerfahrung, sodass Berlin ein deutliches Minus gefahren hat – und spätestens hier waren wir dann an einem Punkt, wo das einfach nicht mehr aufzufangen war.
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In Berlin waren es nur circa 900 Besucher, also so viel in etwa wie auf eurer allerersten Jam in Limburg damals.
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Ja, 900 Zahlende. Wir haben traditionell eine sehr starke Gästeliste, das heißt es waren so etwa 1200 Menschen auf dem Gelände. Aber 900 Zahlende sind für ein Festival in der Größe einfach zu wenig.
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Was waren letztlich die Gründe für die schwindenden Besucherzahlen und die damit einhergehende Insolvenz?
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Es wird, glaube ich, ganz interessant, wenn man sich mal den ganzen Ablauf anschaut und unsere Entscheidungsgrundlage mit reinbringt. Wir sind natürlich nicht ganz blöd und überlegen uns genau, wen wir in unser Programm setzen. Unser Programm für Wiesbaden war am Anfang aber nicht so geplant, wie es am Ende war. Das liegt daran, dass wir uns in einem Sektor bewegen, in dem es sehr schwer ist, gute Künstler zu bekommen. Wir versuchen ja im Headliner-Bereich immer so ein gewisses Oldschool- und Legendenthema mit etwas Neuem zu verbinden, aber sowas wie Creutzfeld & Jakob gibt es halt kein zweites Mal. Ich kann nicht im einen Jahr Creutzfeld & Jakob buchen und im nächsten sagen: Jetzt buche ich sowas in ein bisschen anders. Das gibt es anders nicht. Tatsächlich haben wir aber sowas in der Art versucht. Wir hatten einen ziemlich krassen, fast schon verrückten Plan, bestehend aus alten Helden, für Wiesbaden.
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Wie sah der aus?
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Wenn ich da zu sehr drauf eingehe, wird klar, wer uns am Ende so ein bisschen das Genick gebrochen hat – und das möchte ich natürlich nicht, denn keiner hat das böse gemeint. Wir waren schon relativ weit mit der Planung, aber diese Künstler haben sich zu dem Zeitpunkt sehr bitten lassen. Es gab viele Planungsschwierigkeiten, gleichzeitig ist die Zeit fortgeschritten und es war klar, wir müssen jetzt in den Vorverkauf gehen und den Ticketpreis festlegen. Auf der Basis, dass nur noch Formalitäten gefehlt haben, um diesen Headliner einzutüten, haben wir also angefangen, Tickets zu verkaufen. Diese zwei Headliner, die zusammen hätten auftreten sollen, sind dann aber aus ganz lapidaren Gründen abgesprungen. Eigentlich ging es nur noch darum, den Vertrag zu unterschreiben! Dadurch hatten wir eine riesen Lücke im Headliner-Bereich und ein Budgetproblem – denn man kann diese Maschinerie, wenn man sie einmal angeworfen hat, nicht mehr anhalten. Ich kann nicht jedem Ticketanbieter sagen, wir machen jetzt die Tickets wieder zehn Euro billiger, ich kann nicht der Location sagen, wir planen das jetzt alles wieder anders, und ich kann nicht das komplette Budget umwerfen. Das funktioniert nicht.
Also mussten neue Headliner her, die gagenmäßig ungefähr gleich hoch waren und gleichzeitig ins Programm passten. Und das war so gut wie unmöglich, denn es gibt – wenn man das mal ernsthaft durchgeht – keine vernünftigen Headliner für ein Festival wie uns: Alles, was eine gewisse Größe erreicht, ist schon zu kommerziell; alles, was diese Größe noch nicht erreicht hat, zieht nicht genügend Leute an. Es ist schwierig, da was Passendes zu finden. Diese Entwicklungen haben uns dazu gezwungen, die Headliner dann so zu buchen, wie sie am Ende waren. Damit waren wir auch nicht grundsätzlich unzufrieden, aber wir wussten schon: Das ist nicht der sure shot, wie es unser Line-Up sonst war. In den Jahren davor habe ich mir überhaupt keine Sorgen um die Besucher gemacht. Aber diese Kombination aus Haftbefehl, den Spezializtz, Edgar Wasser und Audio88 & Yassin als der Headliner-Block war, denke ich, nicht so markant, wie sie hätte sein müssen, um unseren Leuchtturm-Charakter in Wiesbaden deutschlandweit zu bewahren. Es war zwar interessant, aber Haftbefehl hatte gerade auch eine Tour gespielt – den gab es also auch auf anderen Events und Festivals zu sehen, das war nichts Besonderes mehr. Creutzfeld & Jakob im Vorjahr waren hingegen schon relativ einzigartig.
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Mit Haftbefehl als kommerziell sehr starkem Act, habt ihr ja tatsächlich auch ein bisschen eurer bisheriges Konzept verlassen. Man hätte schon ein wenig das Gefühl haben können, ihr wärt jetzt auf der Suche nach dem einen Headliner – auch wenn die Spezializtz nach ihm gespielt haben, was zwar einerseits Tapefabrik-like war, das Publikum aber andererseits so nicht verstanden und sich nach Haftbefehl größtenteils verabschiedet hat.
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Ja, das war natürlich auch eine bewusste Entscheidung, die für die Spezializtz wahrscheinlich nicht mal so toll war, aber wir wollten die trotzdem aus Prinzip treffen. Das Traurige ist, wenn man den Kontext kennt, den ich dir jetzt erzählt habe, dass Haftbefehl – ich will ihn nicht diskreditieren, wir waren mit dem Booking absolut zufrieden – am Ende tatsächlich nur eine Notlösung war.
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Also er war derjenige, den ihr angefragt habt, nachdem eure geplanten Headliner abgesprungen waren?
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Ja – und die Spezializtz auch. Beide waren am Anfang nicht vorgesehen. Es war nicht so, dass wir Haftbefehl gebucht haben und ihn eigentlich gar nicht wollten – wir haben uns den schon bewusst ausgesucht – aber er wäre nicht unsere erste Wahl für den Headliner des Festivals gewesen. Das Problem, das noch dazu kam, war, dass uns das überhaupt nur möglich war, weil wir gleichzeitig das Booking für Berlin bestätigt haben – sonst hätten wir den Künstler nicht bekommen. Und damit haben wir das Problem direkt mit ins nächste Event rein getragen, denn auch in Berlin war diese Politik von Line-Up im Verhältnis zum Preis, die natürlich bei den Headlinern mit reinspielt, keine clevere Entscheidung.
Wenn ich in der Retrospektive die Möglichkeit hätte, etwas anders zu machen, hätte ich sowohl Wiesbaden als auch Berlin zehn Euro billiger gemacht und sowohl Haftbefehl als auch die Spezializtz und vielleicht sogar noch einen weiteren Künstler weggelassen und gesagt: »Gut, dann sind wir dieses Jahr eben kleiner als im Jahr davor, aber dafür stehen wir auf sicheren Beinen.« Aber zu diesem Zeitpunkt ging das nicht mehr, da war es schon zu spät.
Es ist nicht so, dass ich das den Künstlern vorwerfe, die da so kurzfristig abgesagt haben, sondern es ist einfach unglaublich schwer, ein Festival wie unseres vom Programm her zu gestalten und das hat sich an dieser Stelle eben enorm ausgeprägt. Das Ergebnis war ein Programm, das nicht mehr so einzigartig war, aber gleichzeitig sehr teuer. Den Effekt, dass Leute dafür aus Berlin, Hamburg, Zürich und sonst woher anreisen, hatten wir einfach nicht mehr. Das hat zu Besuchereinbrüchen geführt – schon in Wiesbaden, und in Berlin dann sowieso – und das hat uns dann das Genick gebrochen.
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Du meintest ja, dass ihr im Laufe der Zeit generell euer Alleinstellungsmerkmal etwas verloren habt.
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Ja. Am Anfang gab es solche Konzerte gar nicht. Wir wollten und konnten nur Künstler aussuchen, die sonst auf so Festivals nicht gespielt haben, weil es solche Festivals nicht gab. Dann wurde die Szene etablierter, die Künstler etablierter – und entsprechend wurden mehr Festivals etabliert. Ein super Beispiel für mich sind hier Hiob und Morlockk Dilemma, die ja beinahe bei jeder Tapefabrik dabei waren. Als wir die das erste Mal gebucht haben, haben die weder auf Tour noch auf Festivals gespielt. Heute spielen die beiden auf nahezu jedem Festival, das sich Deutschrap-Festival schimpft – plus eine Tour mit 30 Konzerten. Natürlich ist so ein Künstler dann nichts mehr so Besonderes in einem solchen Line-Up – nicht, weil er weniger Qualität liefert, sondern einfach, weil er inzwischen viel häufiger zu sehen ist. Das ist das Eine.
Das Andere ist, dass wir uns auch zu sehr auf Künstler verlassen haben, die mit uns gewachsen sind. Es gibt Künstler, die bekommen jetzt die fünffache Gage von der, die sie früher bekommen haben. Das heißt, für uns wird der Künstler teurer, obwohl sich für den Besucher keine Qualitätssteigerung im Programm ergibt. Gleichzeitig wird der Künstler aber weniger interessant, weil er nicht mehr so etwas Besonderes ist wie früher.
Wenn es also um ein Learning geht, was wir in Zukunft besser machen könnten, denke ich, müssen wir uns wieder mehr auf unsere Anfänge besinnen. Wir müssen uns sehr genau überlegen, wen wir buchen und wie wir ein Konzert gestalten, das es so einfach noch nicht gibt. Das Tapefabrik-Programm muss wieder so sein, dass es absolut einzigartig ist. Am Anfang reichte es, den besten deutschen Untergrund-Rap zu buchen – das war unser Konzept. Jetzt geht das nicht mehr.
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Durch die Entwicklung in den letzten Jahren hierzulande – sprich: das gesteigerte Interesse an Rap im Allgemeinen als natürlich auch die Möglichkeiten, die das Internet einem Künstler bietet, sich publik zu machen – stellt sich natürlich die Frage, wer da heute überhaupt noch so »Untergrund-Rap« sein könnte.
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Das ist natürlich ganz schwer, da jetzt jemanden aus der Pistole zu schießen. Ich denke, man muss dabei berücksichtigen, dass das Ganze auch viel hochfrequenter wird. Du hast es eben schon richtig gesagt: Wir machen unser Booking so zwischen vier und acht Monaten vor dem Festival und in diesem Zeitraum kann aus einem unbekannten Künstler ein Top-Ten-Album werden. Dementsprechend muss man sich zu dem Zeitpunkt, an dem man anfängt, das Booking zu machen, sehr genau anschauen: Wen gibt es gerade? Wie präsentiert der sich? Und vielleicht auch mal ein Risiko eingehen und einen Künstler buchen, von dem man glaubt, er könne eventuell was Geiles machen. Und dann muss man darauf hoffen, damit ein Programm zusammenzustellen, das so viele Liebhaber befriedigt, dass es eben wieder funktioniert.
Ich denke, man kann es auch umgekehrt betrachten: Also dass Künstler, die sich aus ihrem Status des Untergrund-Acts herausgearbeitet haben – was total super ist – und jetzt auf dem Weg zum etablierten Künstler sind, auf anderen Festivals stattfinden sollten und eben nicht mehr auf unserem. Ich nehme jetzt mal ein Beispiel heraus, das wir noch nicht auf der Bühne hatten, hier aber sehr gut passt: Karate Andi hätte eventuell vor zwei Jahren noch gut zu uns gepasst und würde jetzt wahrscheinlich nicht mehr passen, weil er erfolgreich ist – was ich ihm total gönne, aber auch genau der Grund wäre, ihn nicht mehr als den Geheimtipp zu sehen, den es eben nur auf der Tapefabrik live zu erleben gibt. Wir sollten uns, falls wir wieder ein Line-Up machen sollten, dazu entscheiden, nur noch Künstler herauszusuchen, die irgendwie einzigartig sind. Plus – was wir ja nach wie vor beibehalten haben – die besonderen Formate, die wir etabliert haben: zum Beispiel die O.F.D.M. Cypher, die sich jetzt das splash!, ich sag es mal auf freundliche Art, von uns abgeschaut hat. Oder auch die Label-Auftritte von Sichtexot oder 58Muzik… solche Dinge müssen wir noch mehr machen, weil es etwas Besonderes ist.
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Ihr seid Jahr für Jahr weiter gewachsen, es kamen immer mehr Bühnen und Acts dazu – war vielleicht auch die Menge an Künstlern das Problem? Oder auch das Format des 1-Tages-Festivals – was man ja aktuell auch am HipHop-Open sehen konnte, die nicht mehr weiter machen können, weil sich das nicht rechnet?
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Ein Mehr-Tages-Festival bedeutet halt immer eine massive Veränderung im Grundkonzept. Zum einen steigt der finanzielle Aufwand ganz enorm, außerdem hat man automatisch ein Problem mit der Hallenthematik. Das würde ja bedeuten, das man Campingflächen oder Unterkunftsmöglichkeiten schaffen muss. Das aber würde wieder im Januar und Dezember nicht funktionieren, das heißt, ich müsste das Festival in eine andere Jahreszeit legen, auf mehrere Tage aufbauen und eine neue Location suchen. Wir müssten Dinge tun, die wir jetzt nicht tun müssen: Bühnen- und Lichttechnik, Geländeaufbau, Sicherheitsaufbau und -konzepte, Sanitäranlagen – all das.
Außerdem müssten wir uns – und das ist der Grund, warum wir überhaupt erst in den Winter gegangen sind – mit der Open-Air-Szene auseinandersetzen, die, das darf man nicht unterschätzen, enorm hart umkämpft ist. Im Winter sind wir relativ alleine, es gibt niemanden, der sich da vom Marketing her mit uns anlegt. Im Sommer könnte das zum Beispiel schon dem splash! Festival nicht gefallen oder dem Out4Fame.
Aber, um auf deine Frage zurückzukommen: Natürlich ist das 1-Tages-Festival ein schwieriges Konzept, aber ich hatte immer das Gefühl, dass die Leute genau das feiern. Ich fahre da hin, kann dort unglaublich viel entdecken, da ist dreimal mehr Programm als ich mir überhaupt anschauen kann, aber ich treffe ganz viele Leute und wir trinken und feiern einen Abend und hören Beats und Rap und so weiter – das war es, was auch mich immer an diesem Konzept begeistert hat. Lieber haben wir das mit den Fanbusfahrten mit den Jungs von AufDeineTour organisiert, die die Leute unkompliziert aus verschiedenen Städten hin- und zurückbringen, als Übernachtungsmöglichkeiten. Da kommt ja auch der finanzielle Aufwand für die Leute noch hinzu. Jetzt haben sich ja einige über unsere Ticketpreise beschwert …
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Die Berliner in Berlin?
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Nein, auch in Wiesbaden – und richtig krass sogar. Das waren knapp 45 Euro, in Berlin waren’s 39 Euro, aber da waren es wirklich vor allem die Berliner, die sich beschwert haben. Wenn man das mit dem Ticketpreis mal überträgt auf ein 3-Tages-Festival wären das so um die 110 Euro, aber für die Leute kommt ja noch mal das Dreifache an Verpflegung et cetera dazu. Bei uns kann jemand, der einen Fuffi in die Hand nimmt, einen schönen Abend haben. Und was für mich dieses 1-Tages-Festival so wichtig gemacht hat war außerdem, dass wir dadurch immer diesen gewissen Jam-Charakter hatten. Um hier aber auch noch ein Gegenargument zu bringen: das ist uns auch wieder zum Problem geworden. Ein Künstler, der bei uns eine halbe Stunde spielt, nimmt genau die gleiche Gage, wie wenn er auf einem Solo-Konzert eineinhalb Stunden spielt. Für die Leute macht das aber von der Qualität her einen riesigen Unterschied. Die haben dann das Gefühl, für einen Künstler, für den man 25 Euro auf dessen Tour bezahlt, darf man nicht 5 Euro auf einem Festival bezahlen – und das ist natürlich eine Preispolitik, die so nicht aufgeht.
- »Ich habe das Gefühl, dass die Menschen zwar immer mehr Verständnis für kulturelle Projekte haben, aber immer weniger Aktionismus dafür.«Auf Twitter teilen
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Ihr habt die Tapefabrik ja als Fans und aus Liebe zum Rap ins Leben gerufen und nie groß kommerzielle Hintergedanken damit gehabt. Nachdem das Festival immer größer wurde und 2014 direkt ausverkauft war, gab es aber ja dann Überlegungen, es tatsächlich mehr auf Gewinn auszurichten – um Rücklagen zu haben, aber auch um deine Crew für ihre Arbeit bezahlen zu können.
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Ja, angefangen hat alles als Ergebnis aus einem vorherigen Musikprojekt mit sieben Leuten, von denen inzwischen nur noch ich übrig bin. Am Anfang habe ich das meiste an Planung und Organisation alleine gemacht hat, aber mit jedem Jahr brauchte ich mehr Hilfe: Das Booking in Hamburg, Grafikleute, Techniker – ein Freundeskreis, der sich immer weiter ausgebaut hat. Heute sind wir fast 50 Leute und jeder von den 50 Leuten ist im Team, weil er einen Kumpel hat, der vorher im Team war. Jeder von uns arbeitet ehrenamtlich und bringt die Bereiche aus seinem normalen Berufsalltag mit ein – entweder, weil er die Musik liebt oder das Event.
Witzige Anekdote: unser Techniker hat überhaupt keinen Bezug zu deutschem HipHop und leistet trotzdem immer wieder Wochenenden, in denen er die Nächte durcharbeitet – einfach nur, weil er das Projekt und das Team so geil findet. Das gilt auch für andere. Die Hälfte der zehn Leute, die im Vorfeld bei der Organisation helfen, arbeiten so viel für die Tapefabrik, dass sie keinen Vollzeitjob annehmen können. Das heißt, da entsteht eine Diskrepanz. Ab einem bestimmten Punkt wusste ich, die Leute steigen irgendwann aus – oder ich schaffe es, sie zu bezahlen. Im Umkehrschluss hieß das aber für mich auch: entweder, wir schaffen es, die Leute zu bezahlen oder du musst das Projekt aufgeben, weil es sich einfach nicht mehr machen lässt.
Keiner von uns will damit reich werden, aber wenn wir es schaffen, das Projekt auf ein Level zu heben, mit dem das Einkommen eines jeden von uns wenigstens an einen 400-Euro-Job oder zumindest einen kleinen Obolus herankommt, lässt sich das im normalen Alltag viel leichter rechtfertigen. Deswegen war die Idee eigentlich, 2015 das Konzept so auszubauen, dass die Tapefabrik overall so viel erwirtschaftet, dass das möglich ist. Deswegen haben wir circa 15 Einzelkonzerte organsiert und anderen dabei geholfen, und haben die eigentlich drei geplanten Festivals an den Start gebracht. Das Traurige ist, dass wir genau in dem Jahr, in dem wir geplant hatten, das Ganze auf sichere und saubere Beine zu stellen, tatsächlich krasse Fehler gemacht haben und es gleichzeitig mit einer allgemein schwierigen wirtschaftlichen Lage im Festivalbereich zu tun hatten. So lief das genau konträr zu dem, was wir uns eigentlich vorgestellt hatten.
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Du meinst, wir haben momentan eine schwierige Lage für HipHop-Festivals?
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Ja – und ich behaupte auch genau zu wissen, warum. Der Markt kommerzialisiert sich, was grundsätzlich eine sehr gesunde Entwicklung ist. Im Live-Bereich führt es aber dazu, dass er sich fokussiert. Das bedeutet, dass große Veranstaltungen mit 8.000 bis 10.000 Besuchern und mehr immer mehr Zulauf bekommen, während kleinere Festivals immer weniger bekommen. Das ist ja auch ganz logisch, denn nicht jeder kann sich zehn Festivals im Jahr leisten. Das splash! ist kurz nach Vorverkaufs-Start ausverkauft; Festivals wie wir, das Mile of Style, die Mai-Jam, das HipHop Open – wobei das schon zu den größeren Playern gehört – haben einfach Probleme. Das gehört zu dieser Entwicklung.
Generell ist aber auch der Livesektor dieses Jahr schwierig. Ich habe auch andere Festivals sterben sehen, weil die Leute weniger bereit sind, für mittelgroße Festivals Geld auszugeben. Der gesamte Markt scheint sich zu fokussieren. Auch Rock am Ring war restlos ausverkauft und man stellt sich ja schon die Frage: Woran liegt das? Ich habe das Gefühl, dass die Menschen zwar immer mehr Verständnis für kulturelle Projekte haben, aber immer weniger Aktionismus dafür. Ich kenne jede Menge Leute, die jedes Wochenende 10 bis 20 Euro Eintritt in den Club zahlen, aber mal an einem Wochenende das Doppelte auszugeben, um auf so ein Festival zu gehen, ist nicht nötig – vor allem nicht, wenn man ein bis zwei Acts von denen eh schon auf Tour sehen kann. Dann muss man so ein Event auch nicht mehr unterstützen.
Natürlich mache ich’s mir damit einfach. Offensichtlich war unser Programm auch einfach nicht attraktiv genug, um genug Besucher anzuziehen – das sehe ich auch ein. Ich möchte auch die Schuld überhaupt nicht auf das Publikum abwälzen, das wäre naiv und dumm. Wir haben definitiv Fehler gemacht und müssen etwas verändern, um wieder erfolgreich zu werden. Und dennoch habe ich das Gefühl, dass es die gesamte Entwicklung in diesem Bereich ist, die es für Events wie uns, die noch dazu auf einer sehr engen Nische aufsitzen, immer schwieriger macht.
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Die Idee für das Benefiz-Event am 20. September zu eurer Rettung kam ja vom Schlachthof Wiesbaden selbst.
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Genau. Ich wäre selbst tatsächlich gar nicht auf die Idee gekommen, das zu machen.
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Hättest du kampflos aufgegeben?
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Nein, das nicht, aber ich war ein bisschen ratlos zu dem Zeitpunkt. Ich war dabei zu überlegen, was ich mache, und habe versucht, auf privater Ebene ein Darlehen zu organisieren, was nicht funktioniert hat. Ich hätte nie erwartet, dass der Schlachthof uns das anbietet. Das ist für die eigentlich garantiert ein wirtschaftlicher Verlust. Aber als ich dann angefangen habe, ganz grob mit einigen Leuten darüber zu sprechen, haben sich die ersten Künstler schon direkt bereit erklärt – womit klar war, dass wir das machen müssen. Es wäre dumm, wenn ich das nicht noch mal versuchen würde.
- »Die Leute wollen das unbedingt gerettet haben, aber verstehen nicht, wie prekär die Lage ist.« Auf Twitter teilen
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Und wie realistisch stehen die Chancen, dass sich das Festival damit tatsächlich retten lässt?
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Wir sind jetzt einfach darauf angewiesen, dass die Leute Tickets kaufen und kommen. Wir haben gerade enormen Zuspruch aus allen Richtungen, aber ich mache mir etwas Sorgen, wie viele Fans das tatsächlich in Aktionismus umwandeln und nicht denken: »Gut, die werden sich schon retten.« Was wir gemacht haben, gibt natürlich auch so einen gewissen Lösungsweg vor, der suggeriert: Die haben einen Plan, die kriegen das schon hin. Aber ich hoffe, dass sich noch genug Leute den Ruck geben und kommen, obwohl wir mit zehn Künstlern nicht das Line-Up auffahren können, das wir sonst haben – einfach, damit die Tapefabrik im Januar wieder stattfinden kann. Es ist realistisch, dass wir es schaffen, aber wir sind definitiv auf eine gute Besucherzahl angewiesen, sonst klappt’s nicht. Ich habe das Gefühl, die Leute wollen das unbedingt gerettet haben, aber verstehen nicht, wie prekär die Lage ist. Wenn die Tapefabrik wirklich draufgeht – was nicht unwahrscheinlich ist – werden sich ganz viele in den Arsch beißen. Aber dann ist es halt zu spät.
Ich frag‘ mich die ganze Zeit: wie kann ich den Leuten klarmachen, dass sie genau jetzt ihren Arsch hochbekommen müssen? Das ist kein Spiel, kein Marketing-Gag – um es auf gut deutsch zu sagen: wir sind eigentlich schon gefickt und versuchen uns jetzt noch mal aus der Scheiße zu ziehen. Und ich weiß: wir haben uns da selbst reingeritten, aber ich hoffe, dass die Tatsache, dass wir Einigen über Jahre hinweg einen schönen Abend beschert haben, dazu führt, dass man uns dabei hilft.
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Du hast vorhin schon eure ausgeprägte Gästelisten-Politik erwähnt. Wie viel Rückhalt kommt da denn auch von Leuten, die sonst kostenlos das Festival anschauen konnten und auch diesmal könnten, weil sie Entourage, Presse et cetera sind ?
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Dieses Gästelisten-Thema ist ja auch so schwierig, weil es eine gewisse Berechtigung hat. Aber die Künstler können das zum Teil absolut nicht nachvollziehen. Nehmen wir mal das Standard-Format »Ein Rapper, ein DJ«: Da hast du schon mal mindestens drei Gästelistenplätze, weil jeder seine Freundin mitbringen darf. Dann ist da aber vielleicht noch der Fahrer mit dabei und der Bruder vom DJ. Das sind schon mal fünf Personen, die ich natürlich rein lassen muss. Nach der Logik haben wir bei 60 Künstlern à fünf Gästelistenplätze schon mal 300 Leute Backstage. Plus 15 Pressepartner, die standardmäßig auch mit einem Redakteur und einem Fotograf kommen – also haben wir noch mal 30. Plus circa 50 Sponsorenplätze. Das sind grob 400 Leute. In unseren Backstage passen aber schon nur 250 Leute – nur, um das im Verhältnis mal aufzuzeigen.
Bei größeren Headlinern ist es normal, dass die 15 Gästelistenplätze haben wollen, die ich ihnen dann auch geben muss. Das heißt, wir können mit 450 bis 500 Leute auf der Gästeliste rechnen – das ist halt einfach massiv. Man muss sich das mal vor Augen führen: bei 45 Euro Ticketpreis reden wir da von 15.000 bis 20.000 Euro, die einfach an die Gästeliste weggehen – das ist das Geld, das uns jetzt fehlt, sozusagen.
Um den Bogen aber zum aktuellen Event zu schlagen: Ich achte nicht genau darauf, wer jetzt Gästeliste anfordert und wer nicht, und traditionell passiert das ja auch eher in der letzten Woche. Wir versuchen im Moment einfach offen mit den Leuten zu sprechen und jedem zu erklären: Macht euch bitte bewusst, wenn ihr jetzt jemandem einen Gästenlistenplatz organisiert, der sonst ein Ticket kaufen würde, nehmt ihr uns vielleicht einen Teil des Geldes weg, den wir brauchen, um uns zu retten. Und ich habe bisher die Erfahrung gemacht, dass die Leute, die sich selbst auch als Fans sehen, auch ein Ticket kaufen. Es gibt sogar einen Künstler, der sich ein Ticket gekauft hat. Und das, obwohl er eigentlich eine vierstellige Gage für seinen Auftritt bekommen müsste. Nur, um zu sagen: »Ich supporte das.«
- »Wir sind keine Flüchtlinge, wir sind keine Flutopfer, uns hat niemand etwas Furchtbares angetan, was uns in diese Lage gebracht hat.« Auf Twitter teilen
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Es gibt neben dem Ticketkauf ja auch die Möglichkeit, Euch mit dem Kauf des Tapefabrik-Samplers zu unterstützen. Spenden nimmst du aber nicht an – warum?
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Weil ich es nicht als richtig empfinden würde. Das ist ein Punkt, der mir tatsächlich sehr wichtig ist. Die Tapefabrik bedeutet mir sehr, sehr viel. Ich habe wirklich kein Projekt erlebt, das so schön ist, wie dieses Festival. Mein gesamtes Leben, mein Freundeskreis, die Menschen, mit denen ich zu tun habe – all das basiert auf diesem Festival. Das bedeutet mir also wirklich alles. Und trotzdem habe ich ein extrem mulmiges Gefühl dabei, so viel Mühe zu investieren und die Solidarität so vieler Menschen einzufordern, um am Ende ›nur‹ ein Festival zu retten, während wir gleichzeitig gesamtgesellschaftlich dabei sind, abertausende Menschen in diesem Land aufzunehmen und hier nicht genug Unterstützung erfahren. Wir haben Initiativen, die nicht genug Hilfe bekommen, eine Gesetzeslage, die diese Menschen nicht rechtfertigt, finanzielle Probleme in diesem Bereich – kurz: Es gibt viel dringendere Probleme als so ein schnödes HipHop-Event. Es geht mir nicht darum, das abzuwerten, aber das steht in keinem Verhältnis. Eigentlich müsste ich mich längst dafür engagieren, in ganz anderen Bereichen mitzuarbeiten und trotzdem arbeite ich nur für so ein Festival.
Aber die Hürde, die ich dabei wirklich nicht überspringen konnte, waren die Spenden. Wir sind keine Flüchtlinge, wir sind keine Flutopfer, uns hat niemand etwas Furchtbares angetan, was uns in diese Lage gebracht hat, sondern wir haben selber Entscheidungen getroffen, die diesen Verlauf zur Folge hatten. Das heißt, wir haben auch Verantwortung zu tragen und für unsere Fehler einzustehen. Aber, um das noch zu erwähnen: Das gesamte Catering für die Künstler und Zuschauer wird am 20. September von dem Verein Schmetterling e.V. gestellt. Dort kochen Flüchtlinge das Essen nach traditionellen Rezepten aus der Heimat – in dem Fall aus Syrien–, erhalten von uns dafür eine kleine Spende in Höhe dessen, was wir sonst auch für das Catering der Künstler bezahlt hätten, und begegnen den Leuten bei uns vor Ort. Der Verein selbst hat gefragt, ob es nicht die Möglichkeit gäbe, die Flüchtlige, die zum Teil noch jung sind, bei uns mit anderen jungen Menschen zusammenzubringen, um einen Austausch und Aufmerksamkeit zu schaffen. Da freuen wir uns riesig drauf.
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Welche Möglichkeiten gibt es noch, euch zu unterstützen?
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Wir haben an dem Abend auch einen riesen Soli-Verkauf, bei dem es ganz viele besondere Platten, Merch von Künstlern, Signiertes, Fotos in schönen Rahmen aus den letzten Jahren und so weiter zu kaufen geben wird. Da haben wir uns ganz viel einfallen lassen. Aber all das hat den Kerngedanken: »Für meinen Support gibt es einen Gegenwert. Ich gebe dafür vielleicht mehr aus, als ich es sonst tun würde – aber nicht, indem ich einfach nur Geld in einen Hut werfe.«
Ich nehme mal stark an, dass wir nach diesem Abend den ganzen Soli-Verkauf auch noch online stellen werden, aber das ist tatsächlich nur noch ein letzter Notanker. Der Onlineversand im Insolvenzverfahren ist nämlich nicht so einfach, denn ich muss für jede Briefmarke, die ich kaufe, einen Antrag stellen – schriftlich, per Fax. Das macht nur noch über einen ganz kleinen Zeitraum von vielleicht zwei Wochen Sinn und dann wird entschieden: Das war’s jetzt – oder nicht. Und das werde nicht mal ich entscheiden können, sondern der Insolvenzverwalter.
Ich hoffe sehr, dass jeder, der das Festival im Januar noch mal sehen möchte, sich darüber bewusst ist, jetzt seine Unterstützung auch anbieten zu müssen – und wenn es auch nur der Bruder ist, der überredet wird, mitzukommen. Und ich möchte allen Tapefabrik-Fans versprechen: Wenn wir noch eine Chance bekommen, werden wir definitiv dafür sorgen, dass das Festival wieder dem gerecht wird, was die Tapefabrik einmal war. Ansonsten danke ich euch allen für die Unterstützung und freue mich auf jeden, der am 20. September mit dabei ist!