Footwork don't stop – ein Nachruf auf DJ Rashad

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DJ Rashad ist tot. Das ist auch jenseits aller Reflex-RIPs in deiner Timeline eine sehr traurige Nachricht.

Rashad Harden war ein großartiger Mensch. Das sagen nicht nur jene, die ihn wie ich flüchtig kannten, die ihm auf einer Party, bei einem Interview, über einem Becher Henny begegneten. Das sagen auch Leute, die ihm nahe standen und auf deren Meinung ich Wert lege. Er war charismatisch, witzig, offenherzig, angemessen selbstbewusst und gleichzeitig tief bescheiden. Vor allem aber hatte er jene seltene Gabe, Menschen mitzureißen: als Produzent, als DJ und als Persönlichkeit. Wie Premo, wie Dilla, wie Mala, wie Four Tet hat er eine ganze Generation von Musikern und Musikliebhabern inspiriert. Produzenten rund um den Erdball tun, was sie tun, weil sie sein wollen wie er. Weil sie zu Rashad aufsehen, ohne dass er sich dazu je hätte erheben müssen.

Das erste Mal habe ich DJ Rashad 2011 bei der Red Bull Music Academy in Madrid getroffen. Auf Betreiben von RBMA-Boss Torsten Schmidt hatten wir ihn und seinen langjährigen Mitstreiter DJ Spinn kurzfristig zu einer sogenannten Lecture eingeladen. Footwork, das Genre, das er nicht alleine erfunden, aber mehr als jeder andere geprägt und verbreitet hat, war gerade »ein Thema«. Produzenten aus UK wie Addison Groove oder Mark Pritchard zitierten die hyperaktiven Beats und den dazugehörigen Tanzstil in ihren Tracks, im Gegenzug bekamen die Pioniere aus Chicago endlich den verdienten Respekt in Auskennerblogs und Kippenpausenrunden weltweit. Spinn und Rashad waren keine Legenden wie Nile Rodgers, keine Stars wie Erykah Badu, keine Millionäre wie RZA. Aber ihre Geschichte gehörte erzählt. Von ihnen.

Als die beiden am Academy-Komplex ankamen, waren sie sichtlich übernächtigt und nicht weniger aufgeregt. Die Vorstellung, dass sich Menschen aus Italien und Neuseeland für ihre Szene und ihr Leben interessieren könnten, erschien ihnen reichlich abwegig. Das fahrige Weißbrot mit dem deutschen Akzent und dem Studentenshirt, das sie ebenso nervös in Empfang nahm und sie gleich vor laufenden Kameras befragen sollte, trug ebenfalls nicht merklich zur Entspannung bei. Wir standen ein wenig herum und waren das, was der Amerikaner unübersetzbar awkward nennt. Unwohl fühlte ich mich dennoch in keiner Sekunde. Rashad war einer jener Menschen, die dir die Hand geben, und alles ist klar. Gesprochen werden musste da nicht groß.

Die Lecture war exzellent. Spinn und Rashad rekapitulierten die Genese von Footwork aus House und Juke mit Hörbeispielen und kurzen Anekdoten, unprätentiös, aber ohne falsche Bescheidenheit. Was sie taten, war ihnen wichtig, und das spürten auch jene Zuhörer, die DJ Slugo und DJ Deeon nicht wie Helden verehren, sondern maximal mal bei Daft Punk aufgeschnappt haben. Spinn und Rashad waren Stars in diesen 80 Minuten, auf die direkteste, ehrlichste, schönste Weise, die ich mir nur vorstellen kann. Übernächtigte, aufgeregte, wahnwitzig talentierte Superstars.

Knapp zwei Jahre später sah ich DJ Rashad wieder: erneut bei der Red Bull Music Academy, diesmal in New York. Er und Spinn sollten auf einer Party namens »United States of Bass« auflegen, bei der die Pioniere lokaler Bassmusiken aus unterschiedlichen Ecken der USA zusammenkamen. DJ Assault, Magic Mike, Egyptian Lover, Afrika Bambaataa – so dieses Kaliber. Spinn und Rashad fügten sich mittlerweile wie selbstverständlich in diese Reihe wahrhafter Legenden ein. Ihr Stil – futuristische wie traditionsbewusste Bassmusik voll von irren Kapriolen, Samples und Ideen – hatte sich längst als globaler SoundCloud-Standard und veritabler Feierstarter etabliert. Für die meisten Kids im Club waren sie die heimlichen Headliner, und wie üblich rissen sie den Laden nach allen Regeln der Kunst ab. Mischpultspäher, Tänzer, Trinker, alle waren aus dem Häuschen. Spinn ließ den Fader wie von Geisterhand gesteuert von links nach rechts fliegen, Rashad drehte die Kick rein, dahinter standen gefühlt 100 Kusengs aus ihrer Teklife-Posse, allesamt in Uniform, und schraubten die Energie im Raum zusätzlich ins Unermessliche. Ich mischpultspähte, tanzte, trank und war glücklich.

Irgendwann, es war schon sehr spät in der Nacht, kam DJ Funk in den Club. DJ Funk ist ebenfalls aus Chicago. Er hat in den frühen neunziger Jahren ein Genre namens Ghetto House mitbegründet und einige der besten Platten gemacht, die auf dem ikonischen Label Dance Mania erschienen sind. Dicke Gagen bekommt er nicht. Er ist einer jener längst vergessenen Lokalhelden, für die diese Party im Herzen von Downtown Manhattan erdacht worden war. Ursprünglich hätte Funk früher am Abend im Hauptraum des Clubs spielen sollen, aber ein Unwetter über Chicago hatte seine Reisepläne durchkreuzt. Fünf Stunden Verspätung, Set verpasst, alles scheiße. Er war am Boden zerstört. Als Spinn und Rashad – die, nur zur Erinnerung, gerade so richtig am Abreißen waren – von der Geschichte hörten, räumten sie ohne eine Sekunde zu zögern das Mischpult. Sie bestanden darauf, Funk zumindest die verbleibende halbe Stunde ihrer Spielzeit abzutreten. Und sie gingen nicht an die Bar oder ins Hotel, sondern blieben gemeinsam mit ihrer Entourage geschlossen hinter DJ Funk stehen, um mit einem ihrer Vorbilder zu feiern und auch der letzten Hipster-Hupfdohle im Club zu zeigen, wer hier für sie Platten auflegte. Ich hatte Gänsehaut. Ordentlich einen sitzen und Gänsehaut.

Ein letztes Mal ist mir DJ Rashad vor ein paar Monaten begegnet. Ich hatte, ehrlich gesagt, ein wenig das Interesse an Footwork verloren. Ich gehe selten aus, und außerhalb eines Clubs sind 160 bpm manchmal ein bisschen flott für meinen Geschmack. Wenn man dann auch noch jede Woche die drei neuen L.I.E.S oder ein gefühltes Terabyte Dancehall aufarbeiten muss, rutscht einem halt schon mal ein Album durch. So auch »Double Cup« von DJ Rashad auf dem Londoner Hyperdub-Label von Kode9. Zum Glück erinnerte mich der Brudi Szillus in einem E-Mail-Halbsatz an die Platte. Ich kramte die Promo aus den Untiefen meines Posteingangs und war direkt weggeblasen, wie damals im Keller des Santos Party House.

Viele meiner Freunde, Bekannten, Kollegen und Lieblingsmusiker, die heute auf Facebook oder Twitter über den traurigen Tod von DJ Rashad gepostet haben, sagen, er hätte »incredible music« gemacht. Das stimmt: Seine Kunst war unglaublich, im eigentlichsten aller Wortsinne. Seine Tracks entzogen sich auf magische Weise jeder greifbaren Verortung in Raum und Zeit, jeder gängigen Vorstellung von schön und hässlich, jeder technischen oder pophistorischen Erklärbarkeit. Sie war einfach nur da und fühlte sich an, richtig und richtig gut. Und sie bedeutete sehr vielen Menschen die Welt. Alles andere lässt sich der heutigen Berichterstattung in den sozialen und traditionellen Medien entnehmen.

DJ Rashad ist an diesem Wochenende in Chicago verstorben. Viel, viel, viel zu früh. Möge er in Frieden ruhen.